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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 08.08.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191908086
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190808
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190808
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-08
- Tag 1919-08-08
-
Monat
1919-08
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 08.08.1919
- Autor
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arerwerkauf. Freitag, den 8. August, auf Lebensmittelkarte Nr. 92 Psd. Honig für 40 Pfg., auf Nr. 93 ft. Pfd. Käse für 60 Pfg, aus Nr. 94 200 Gramm amerik. Kunstspeisefett für 2,08 Mk. Auf Nährmittelkarte A Abschnitt F V« Pfd. Haferflocken für 19 Pfg. und 100 Gramm Kartoffel- mehl für 15 Pfg. Kinder unter 4 Jahren erhalten Haferflocken und Kartoffelmehl auf Abschnitt 3 der roten Nährmittelkarte C. Femer gibt es in allen Verkaufsstellen Delikateßheringe, Psd. 3,40 Mk , feinstes Olivenöl, 75 Gramm 2,40 Mk., oder das Pfd. zu 16,00 Mk., Markenfreie englische Margarine, Pfd. 7,60 Mk.; selbige eignet sich vorzüglich zum Kochen Braten und Backen und ist frei verkäuflich. Fettselbstversorger erhalten gegen Vorlegung der Lebensmittelkarte für Fettselbstversorger auf Abschnitt 1 dieser Karte 200 Gramm Fett und zwar im Konsumverein Haushalt, bet Förster und im Konsumverein ft Oberlungwitz, am 7. August 1919. Der Gemeindevorstand. Holz-Auktion. Sonnabend, den 9. August, vormittags 9 Uhr werden auf dem Platze neben dem Eduard Nobisschen Haus etwa 5 Kubikmeter Ahorn- und 1 Kubikmeter Eichenstämme als Schnitzholz meistbietend gegen sofortige Bezahlung versteigert. Oberlungwitz, am 7. August 1919. Der Gemeindevorstand. Der Mittelstand. Die demokratischen Abgeordneten Schneider (Sachsen) und Dr. Zöphel Hatton in einer An frage in der Nationalversammlung die Bena ch- teiligung des M i t t e l st a n d c s bei der Verteilung staatlich bewirtschafteter Rohstoffe und Betriebsmittel gerügt. Das NeichSwirtschasts« Ministerium erklärt setzt, das; der Biittelstand so weit als möglich bei der Verteilung derartiger Rohstoffe und Betriebsmittel berücksichtigt wer den solle. Eine grundsätzliche Bevorzugung der Industrie finde nicht statt. Das Anteilsverhält nis von Industrie einerseits und Kleingewerbe und Handwerk anderseits könne naturgemäß nicht immer fest bestimmt und noch weniger bei allen Rohstoffen gleich bemessen werden, da der Anteil des Kleingewerbes in den einzelnen Gewerbe zweigen verschieden groß sei, und da insbeson dere anch die Beschäftigun g smögli ch- keit für die Massen der Industrie- arbcitcr gesichert werden müsse. Das; in Kreisen des gewerblichen Mittelstandes vielsach über unzulängliche Versorgung mit Rohstoffen geklagt werde, sei angesichts der Knappheit der vorhandenen Bestände begreiflich, eine Aendcrung sei jedoch frühestens einige Zeit nach dem end gültigen Abschluß des Friedens und der Aus hebung der Blockade zu erhoffen. Die Negierung werde, um den augenblick lichen Mangel wenigstens einigermaßen zn er leichtern, die zurzeit vorhandenen Bestände be schleunigt zur Verteilung bringen. Kriegsteilneh mer sollen bei der Zuteilung von staatlich be wirtschafteten Rohstoffen und Betriebsmitteln so weit als möglich begünstigt werden. Im übrigen sei das Reichswirtschaftsministerium bereit, alle Klagen über unberechtigte Zurücksetzung oder Nichtberücksichtigung bei der Zuteilung von Roh stoffen eingehend zu prüfen und gegebenenfalls für Abhilfe zn sorgen; Der demokratische Abg. Herrmann (Rcntlin- gen) hatte ebenfalls in einer Anfrage darauf Hingelviesen, daß in den Lagern der Neichstcx« til-Aktiengesellschast und der Heeresverwaltung sich immer noch außerordentliche M engen an Textilien befänden, die der Bevölke rung auf diese Weise zwecklos entzogen würden.. Das NeichSwirtschaftsministerium erklärt nun in Beantwortung der Anfrage diese Angaben als zutreffend. Es weist aber darauf hin, daß für die Heeresverwaltung nur die Mengen an Tex tilwaren zurückgehalten würden, die für die Ver sorgung des Heeres mit Bekleidung unbedingt erforderlich seien, alles übrige sei bereits von der Heeresverwaltung für die bürgerliche. Bevölkc- rnng zur Verfügung gestellt. Ein Nebcrblick dar über, welche Mengen insgesamt in Frage kom men, sei bisher nicht zu gewinnen gewesen. In Zukunft sollen diese Bestände durch die Beaus- tragten der Ncichsbckleidungsstcllc, die zunächst die für die Nofftandsversorgung geeigneten Wa ren auszuwählen haben, nachgeprüft werden. Der Nest, der nicht zu der Nofftandsversorgung nach preislicher und qualitativer Beziehung geeignet ist, soll dem freien Verkehr zugeführt werden. Die Heercslager werden von dem ReichS- schatzministerinm bezw. von dem ihm ungeglie derten Neichsverwertungsamt abgestoßen. Die hier für die Nofftandsversorgung nicht in Frage kommenden Textilien werden in dem Bezirk, in dem das Lager gelegen ist, nach einem bestimm ten Schlüssel verwertet. Hier erhalten Groß handel und Konfektion 20 Prozent, Kleinhandel und Handwerk und Konsumvereine 80 Prozent der Bestände. Die Waren, die für die Not standsversorgung bestimmt sind, werden den Kom- mnnalverbänden zugelcitet und von diesem dem Kleinhandel und auch dem Handwerk zur Ab gabe an den wirtschaftlich schwächeren Teil der Bevölkerung gegen besondere Bedarfsscheine wei- tergegcben. Die Versorgung der choimkehrcnden Kriegsgefangenen mit Kleidungs- und Wäsche stücken hat die Reichsstelle für Kriegs- und Zi- vilgcfangcne in Berlin in die Hand genommen. Hier sollen alle Maßnahmen getroffen worden sein, um die Versorgung der zurückkehrenden Ge fangenen zu sichern. Ette schwere MW gegen die Regier««-. Die „Deptsche Zeitung" veröffentlicht den Brief eines Offiziers aus einem englischen Gc- sangenenlager. In dem Schreiben wird darauf hingewiesen, das; die Offiziere Nach Unterzeich nung des Friedensvertrages eine Abordnung an die englische Bewachung schickten, nur Zu erfah ren, wann sie nach Hause entlassen -würden. Sie erhielten die Antwort: „Was wollen Sie, meine Herren. Ihre eigene Negierung will Sie ja gar nicht. Da können wir nichts sagen." Und das ist eine Information von der War Office. Seit dem hat eine maßlose Erbitterung unter den Ge fangenen Platz gegriffen. Hatte dasselbe doch der sächsische Justizministcr seinem Sohn ge schrieben. Das ist der Dank des Volkes? Es ist wohl kaum anzunehmen, das; der sächsische Justizministcr - Harnisch derartiges ge schrieben hat. Wahrscheinlich liegt ein Mißver ständnis vor. Ans der Fülle ähnlicher Schreiben veröffent lichen die „L. N. N." eins, das am 19. Juli von einem in amerikanischer Gesangenschaft schmachtenden Deutschen geschrieben worden ist. Es heißt da: „Am heutigen Tage unserer ein jährigen Gefangenschaft wurde uns aus eine Anfrage über die Heimkehr nach Deutschland vom hiesigen amerikanischen Lagerkommandant folgen der Bescheid zuteil: Dem Lagerkom. Major wäre der Termin unseres Abtransportes unbekannt, da erst eine internationale Kommission zusam ¬ mentreten müßte, um über unsere Rückkehr zu beschließen! In welchem Jahrhundert wurde nicht gesagt! Heute, nach über acht Monaten Waffenstillstand, nach Unterschreibung und Air erkennung des Friedens, ist iiber das Ende un serer Gefangenschaft noch nichts beschlossen, und wie die internationale Kommission die Sache verzögern wird, können wir uns leicht erklären. Diesen offiziellen Bescheid teile ich Dir mit, und bitte Dich, veröffentliche meine Zeilen in Zei- Lungen mit der Bitte mir größte Verbreitung, damit sich unsere Airgehörigen ein klares Bild iiber unsere Heimkehr machen können. Denn nach Briesen und Zeitungen wird unsere An« krinft dort jeden Augenblick erwartet und bereitet man alles Mögliche für uns zum Empfange vor. Eine Wiesbadener Zeitung vom 4. 7. 19 schreibt in einem Bericht über Gefangene u. a. folgen des: Die dortigen Heimkehrcnden erhalten 10 Pfund Kartoffeln, Speck, Zucker, Zigarren, usw. — Freiheit, Freiheit und Heim kehr wollen wir haben, alles andere ist nns egal!!! — Außerdem hätte die Rücksen dung schon eingesetzt und würde'Ende Dezember beendigt sein. Tie Jahreszahl war leider nicht angegeben! Diese falschen Gerüchte sind Wohl aus die Rücksendung von einigen Sanitäts- und Kranken-Transporten zurückzuführen oder müssen die Zeitungen ans Befehl der Negicrnng solches veröffentlichen, damit die Angehörigen wieder eine Weile beruhigt sind? Rätsel über Rätsel für uns. Wir glauben allerdings, daß die Ne« giernng unsere Rückkehr fürchtet. Denn die offi ziellen Stellen müssen doch aufs genaueste über dieselbe Rückkehr, als auch über die Kommission unterrichtet sein. Erst die zerstörten Gebiete auf bauen, daüii Heimkehr der Gefangenen! Der Herr Abg. Erzberger hat ja seinerzeit auf der Tribüne des Reichstages erklärt, wenn er nur 1 Stunde mündlich mit den Feinden verhandeln könnte, wäre der Friede da. Nun Müßte es für ihn doch eine Kleinigkeit sein, uns im Frieden in einer Minute von unserer Sklaverei zu be freien; denn anders kann man den jetzigen Zu stand doch nicht bezeichnen. Wie sind erst die Kameraden in französischer- Gefangenschaft zu be dauern. Unsere Befürchtungen sind voll und ganz eingetrvssen, w ir sind verkauft und v e r r a t e n, Skl a v e n g e w orde n. U nd unse r e e i g e n e n Landsl c u t e haben dieses getan. Hängt die B anditen auf , damit w-1 r es ni ch t t un br a n eh e n. Wie unsere Stimmung ge- genwärffg ist, kannst Du Dir leicht denken, dann der Hohn in den Zeitungen: „die Heimat be reitet sich zum Empfange der heimkehrenden Ge fangenen vor" und waS alles gemacht werden soll. Ballt Irrenhäuser, verwendet das gesammelte Geld dafür. Nun laß mich schließen, unsere Stimmung ist furchtbar." Die hier vorgetragenc Anklage ist so schwer, das; das ganze Volk restlose Aufklärung von der Negierung fordern muß. Sollte tatsächlich irgend eine Anusstelle oder eine einzelne Person eine Schuld an der von dieser Anklage verfolgten Richtung treffen, dann ist unverzüglich der StaatSgerichtShof in Bewegung zu setzen. Es ist ja nicht völlig ausgeschlossen, das; unsere Feinde geflissentlich falsche Vorstellung bei den Gesänge« nen Hervorrufen und nähren, freilich kann cS auch ganz anders liegen. Aus Frankreich geht die Nachricht zu, das; die ersten deutschen Koh len dort eingegangcn sind. Also Deutschland be müht sich, den Bestimmungen gerecht zu werden. Warum nicht auch die Entente. Gibt cs kein Mittel, einen Truck auf die Gegner aUSzuüben? Die verzögerte Gefangenen-Heimsendung. Die französische Zeitung „Humanitce" behaup tet, vor etwa vier Wochen habe die französische Negierung den deutschen Kriegsgefangenen mit geteilt, sie würden nach Unterzeichnung des Friedcnsvertrages in ihre Heimat zurückgeschafft. Einige Tage später habe man sie wissen lassen, der Rücktransport könne erst nach der Ratifizie rung des Friedcnsvertrages beginnen. Die Rati fizierung durch Deutschland sei nunmehr erfolgt, aber die Rückbeförderung doch nicht in Angriff genommen worden. Das Blatt fragt, warum man weiter warte und das gegebene Versprechen nicht halte. Es handle sich hier un, eine huma nitäre Angelegenheit. Im französischen Kammerausschus; teilte Pi chon nach einer „Journal"-Meldüng gestern mit, das; die H e i m b e s ö r d e r u n g der d e u t« s ch e n K r i e g s g e f a u g e n en im Sep« t^ mber beginnen könne. Sie Re-iekNWmM««- i« ll«W« macht ziemliche Schwierigkeiten. Tie Verhand lungen mit bürgerlichen Politikern führten bis her zu keinem Ergebnis. Die Bürgerlichen leh nen eS gegenwärtig ab, in das Kabinett ein« zntreten; sie wollen das Ergebnis der Wahlen abwarten. Der Vertreter der Landwirte Szabo erklärte seine grundsätzliche Bereitwilligkeit, in das Kabinett einzulreten. — Inzwischen sind französische Truppen in Budapest eiugezogen, ebenso Engländer unter Führung des Generals Gordon und Amerikaner unter Hauptmann Whß. — Die „Nene Freie Presse" veröffentlicht Aeußc rnngen des Staatssekretärs des Szegediner Kriegsministeriums Goempoes über die milüäri scheu Pläne der Szegediner Regierung. Goem poes erklärte, die Szegediner Regierung könne anch die neue Budapester Regierung nicht aner kennen und begleite deren Tätigkeit mit Miß trauen, sie nehme den Kampf gegen sie aus. Goempoes machte kein Hehl daraus, das; alle bisherigen gegenrevolutionären Versuche von Szegedin ausginge». Dbr Rücktritt des ungarischen Kabinetts ist gestern in einer Sitzung des Gesamtrats be schlossen worden, lieber die Neubildung liegt bis zur Stunde noch keine Nachricht vor. Die Aufhebung der Sozialisierungen ist von dem allen Ministerium noch vcrsügt wor« den; dazu gehört auch die Freigabe aller in Gemeinbesitz übernommenen Finanzinstitnte und Privatbetriebe. Die Erfüllung der gestern unter „Letzte Nachr." mitgeteitten Wasfenstillstandsbedingnngen bezw. die Abliese rnng der verlangten Lebensmittel einschl. der Viehbestände wird in Budapest als unmöglich bezeichnet, lieber die Anbietung der ungarischen Königskrone an Rumänien verlautet, daß das kommende Ministerium diese Lösung wohl kaum ernstlich in Erwägung ziehen wird. Rundschau. Lohnbewegung im Oberlaufitzer Bergbau. Eine Lohnbewegung macht sich gegenwärtig anch im Bergbaubetrieb der sächsischen Oberlausitz giltend. Tie Arbeiterorganisationen haben eine Reihe Forderungen eingercicht. Bei dem Berg baulichen Verein im Bezirke Dresden konnte darüber keine Einigung erzielt werden. Auch vor einem Schiedsgericht in Zittau konnte man sich nur in einigen Nebcnpuntten einigen, so daß ein Schiedsspruch, welcher sich auf Lohnverhäll nisse, UrlaubSsragcn usw. erstreckt, noch nicht ge fällt werden konnte. Tie beiden Parteien werden ihre Stellungnahme bis zum 11. August belamü- gcben. Die Kohleukoufereuz. Unter dem Vorsitz des RcichSminislerpräsi- dentcn Bauer wurden gestern in der Reichskanz lei zwischen Vertretern der beteiligten Sraats- ministerien sowie einer Anzahl Vertreter der- Ar beitgeber- und Arbeitnehmerverbäude die Bespre chungen iiber die Möglichkeit der Erhöhung der deutschen Steinkohlcnprodultion eröffnet. Der Irauenfieöe. Roman von Clara Anlepp-StlibS. 43 Und oben im großen Salon sah das wnnder- schöue Frauenbildiüs durch den schwarzen Schleier des Flors auf den stillen Schläfer nieder, der da auf weißen Seidenkissen ruhte. Ein leiser Lnfthauch, der durch ein geöffnetes Fenster strich, hob den Flor ein wenig von dem Bilde, und da schienen die Augen zn reden. Diese großen, leidenschaftlichen Augen wurden plötzlich krank und matt und leidooll. Und um den Mund lag ein Weh, ein herzzerreißendes, folterndes Weh um den toten Sohn im Sarg. Und auf einmal war in der Luft ein Klingen, eine leise, leise Melodie schwebte durch den Raum; man hörte sie nicht, man fühlte sie nur, wie ein süßes Singen aus Muttermund, wie ein Wiegen lied aus uralter Zeit. Die roten Rosen dufteten, der Luftzug spielte mit den Spitzen des Sterbekissens, warf eine dunkle Locke ins Totengesicht und zauberte den Schimmer eines Lächelns hinein. Und immer mich schwebte die Melodie durch den Naum. Und während draußen auf dem Totenfeld ein Posaunenchor den ergreifenden Schlußchoral über den Hügel schmetterte und danach die Leidtragen den die Häupter entblößten znm stillen Gebet, kämpfte drüben im Direktorhaus ein junges Leben das schwerste Martyrium des Weibes durch. Die beiden Damen, Frau Bankier Czerny und Frau Major Holm, die sich nuten im Eßzimmer befanden, erzitterten in bangem Harren. Wie endlos lang die Stunden verstrichen — und noch immer keine Nachricht, kein Zeichen von »beu, wo die Aerzte um die junge Frau bemüht waren. „Ach, ach! Wie wird das enden?" seufzte die Frau Bankier und weinte still vor sich hin. lind die Frau Major nickte und weinte auch und sagte: „Ja, es ist schrecklich, eS ist schrecklich!"^ Da — endlich ein leichtes Klopfen an der Tür, das blasse Gesicht einer Schwester wurde sichtbar. „Ein Knabe, ein prächtiger, gesunder Knabe, meine Damen!" Die noch junge Schwester war selbst bewegt. „Frau Arnheim ist sehr erschöpft, ja; aber mit Gottes Hilfe wird sie sich erholen!" Sie drückte den Damen die Hände und eilte wieder hinaus. „Ich kann nicht länger abkommen oben," ent schuldigte sie sich noch von der Tür her. Die beiden Damen aber sahen sich an. Sie fühl ten wohl beide, daß es in unserem Leben Augen blicke gibt, Augenblicke, in denen der Mensch er schauernd fühlt, daß es eine dunkle, geheimnisvolle Macht gibt, eine Niiberechenbarkeit, ein Aneinan derreihen von Zufälligkeiten, die uns in eine bange Unsicherheit stürzen, daß wir hilflos diesem Dunk len, Geheimnisvollen gegenüberstchend und nur bittend die Hände heben können, flehend: „Herr, hilf, hilf Du, denn Deine Güte währet ewiglich I" 13. Kapitel. Kommerzienrat Arnheim war unzurechnungs fähig. Er verbrachte seine Tage im Fahrstuhl und saß, wenn die Witterung eS irgend erlaubte, unter den Linden im Garten. Klaus meinte wohl oft, der Herr verstände ganz genau, was um ihn her oorginge, seine Augen blitz ten oft so seltsam, aber der Arzt schüttelte den Kopf: „Nein, nein, Klaus! Gewiß sieht und hört er alles, aber das Verständnis für die Dinge fehlt. Es ist sehr traurig." „Sehr, Herr Doktor, denken Sie bloß daran, wer das große Werk nun leiten soll ? Der Kom merzienrat krank, der junge Herr tot — bleibt nur noch die junge, gnädige Frau." „Und die wird es schon tun, da Verlassen Sie sich darauf, alter Klaus." Der Arzt klopfte dem treuen Alten auf die Schulter und ging. Und Klaus sah ihm mit offenem Munde nach. „Wa — wa — was hatte der Doktor da gesagt?" Er setzte sich zunächst erst einmal, denn das war ihm in die Beine gefahren. „Nee, das ist nicht möglich!" brummte er vor sich hin, „das is «ich möglich! Das kann die Frau nicht!" „Lieber Alter! Eine Frau kann viel, sehr viel, besonders, wenn sie aus solchem Holz geschnitzt ist, wie Frau Lotti!" Die wuchs sich aus zu einer jener stolzen, ge raden Frauennaturen, die sich nicht mögen bemit leiden lassen. Sie legte sich in ihrem Innern ihre Aufgabe zurecht nach ihrem persönlichen Urteil und ihren persönlichen Anschauungen. Wohl zog sie in Betracht, was es heißen wollte, als Weib, allein, die Oberleitung einer solchen Firma zu übernehmen, wie es die Arnheimsche war, allein ein Blick auf die Wiege ihres Kindes zeitigte ein solches Hoch- und Kraftgefühl in ihrer Brust, daß sie sich stark genug fühlte, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Je mehr sie leidlich gesundete, je höher entwik- kelte sich anch Seele und Geist. Ihre junge Mut terschaft verlieh ihrem Schmerz um den Mann et was Weihevolles. Und zu der inbrünstigen, heißen Trauer nm den Geliebten gesellte sich jetzt eine tiefe, innerliche Dankbarkeit, denn er war es ja, der ihr die liebkosenden Händchen ihres Knaben gegeben, durch ihn hatte ihr Leben einen Inhalt bekommen, und war er auch dahingegaugeu, so halte er sie doch nicht allein gelassen. Keine öden, leeren Einsamkeitsstundeu harrten ihrer; wie die lichte Glut aufsteigeuder Morgen röte schimmerte leise und sacht erwachende Kindes liebe aus den Augen ihres Knaben ihr entgegen und gab ihr die wehmütig beglückende Verheißung eines ausgefüllten Daseins, ausgefüllt durch Liebe und Pflicht. In dieser Gemütsverfassung trat sie den leitenden Herren des Bureaus entgegen und fragte und ließ sich belehren und arbeitete in ihres Mannes Zim mer oben non früh bis spät. Endlich war alles geordnet, sie der Vormund ihres Knaben. Der Herr Justizrat führte ehrerbie tig die kleine, feste Jrauenhand an die Lippen. Die Tapferkeit und schlichte Seelengröße dieser blut jungen Frau hatte ihn tief ergriffen. Und er war doch an vieles gewöhnt; er meinte doch nachge rade kein Uebermaß au Gemüt zu besitzen. Den Beamten der Firma erging es aber nicht anders. Da war wohl keiner unter ihnen, der sich nicht im stillen das Gelöbnis gab, der in ihrer tie fen Trauer so rührend lieblich erscheinenden jun gen Frau ein treuer Diener zu sein. Die jungen Ingenieure trugen den Kopf noch einmal so hoch und Herr Direktor Vogt atmete tief auf. An ihnen sollte es nicht fehlen, o — sie wollten der Welt schon zeigen, was sie leisten konnten, die sollten schon Augen machen. Herr Vogt war herzensfroh, daß alles in dieser Weise geordnet war. Herrgott, hatte er eine Angst ausgestanden. Es wär ihm ja ein Schnitt ins Herz gewesen, wenn die Werft verkauft worden wäre. So aber war alles gut. Doch diese Frau auch! Wie verständig und klar ihr Urteil, welche Kenntnisse hatten sich in diesem feinen, blonden Köpfchen an- gesammelt k Herr Direktor Vogt hatte sich nie um die Gleich- stellungsteudenz eu derFraueu gekümmert, höchstens daun und wann einmal um ihr Gefühlsleben. Und da war er nie in die Tiefe gegangen. Ein paar oberflächliche Verhältnisse — wie das so geht — und sonst gesellschaftlicher Firlefanz, mit seltenem, höchst seltenem Gedankenaustausch von Mensch zn Mensch. Im übrigen nahm sein Beruf ihn voll ständig gefangen; er war ihm Geistes- und Her zenssache zugleich. Denn was in aller Welt konnte mehr befriedigen, als Schiffe zu bauen und die stolzen Fahrzeuge daun übers Weltmeer au ferne Küsten zu senden, und durch sie beizutragen am Emporblühen von Handel und Wandel des ge liebten Vaterlandes? Nein, einen schöneren Beruf, als den seinen, konnte es nicht geben. Als er sich in diesem Sinne einmal Lotti ge genüber äußerte, reichte sie ihm wohl mit liebem Lächeln die Hand, sagte aber nichts. 219,17
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