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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 16.08.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191908164
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190816
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190816
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-08
- Tag 1919-08-16
-
Monat
1919-08
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 16.08.1919
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-I hat, um den Ausbruch de; Revolution zu ver- hüten. An der Vermeidung von Blutvergießen trägt er das Hauptver^ienst. Seien wir doch gegen die Arbeiter und Minderbemittelten ge recht, ein Volk, das derartig unterernährt ist, wird in Jahren lra^l, und unser Volt ist krank. Es muß wieder gesund werden. Abg. Henke (Unabh.): Wenn H e r r Erzberger so weiter um lernt, werd e n wir ihm in unserer Par- tei einen Platz reservieren. Mit seinen Steuervorlagcn kairn Herr Erzberger die Gebrechen des Voltes nicht heilem Durch solche S t e u e r v o r l a g e n werden die Arbeiter zum Streik g e z w u »,- g e n. Wenn Sie jetzt wieder in Ihrer Steuer politik Fehler auf Fehler machen, dann wird das eine neue Revolution erzeugen, und die Arbeiter schaft wird Sie und Ihre ganze Steuerpolitik hinwegfegen. Nach weiterer unerheblicher Debatte gehen die Vorlagen an die Ausschüsse. Es folgt die erste Beratung der Gesetzent würfe über Postgebühr««, zur Aenderung des Postscheckgesetzes und betref fend Telegramm- und Fernsprechgebühren. Präsident Fehrenbach: Einstimmig ist im Gegensatz zu der Auffassung der Negierung der Aeltestenausschuh der Meinung, daß wir nicht Reichstag, sondern nach wie vor die verfassunggebende deutsche Nationalversamm lung sind. Ich gebe anheim, ohne weitere Debatte dieser Auffassung sich anzuschließcn. (All- gemeine Zustimmung.) Neichspostminister Giesberts: Noch 1913 lieferte die Post 89 Millionen Mark Nebcrschuß. Für 1918 betrug das Defizit 669 Millionen, für 1919 wird es auf 569 Millionen geschätzt. Es ist für uns außerordentlich bitter, weiten Volks schichten so hohe neue Opfer auferlegen zu müs sen, aber die Post darf keine Zuschußverwaltung werden. Abg. Steinsdorff (Dem.): Die ' drei Vorlagen muten der Bevölkerung, insbesondere der Geschäftswelt und der Industrie, eine Ge bührenerhöhung zu, die man früher nicht für möglich gehalten hätte. Äbg. Wetzlich (D.-N.): Die Post befindet sich heute in einem Zustande der vollständigen Desorganisation. Die Vorlagen bedürfen einer ernsten Nachprüfung. «k Neichspostminister Giesberts: Von einer Desorganisation kann man nicht sprechen. Die Beamten und Beamtinnen sind zumeist Opfer der schwierigen Verhältnisse. - Abg. Taubadel (Soz.): Wir haben ge gen die Vorlagen im einzelnen große Bedenken, welche wir im Ausschuß vorbringen werden. Abg. Nacken (Zentr.): Ich bin überzeugt, daß durch Sparsamkeit und zweckmäßige Refor- mcn unsere Post bald tvieder auf ihre alte Höhe kommen wird. Abg. Z u b c i l (Unabh.): In der Postver waltung ist eine Lotterwirtschaft ei »gerissen, wie man sic früher nicht für möglich gehalten hätte. Die drei Vorlagen gehen an den NeichshauS- haltsausschuß. Nächste Sitzung: Freitag. Rundschau. Generalstreik in Oberschlefieu. Mit den Streikenden fanden gestern Verhand lungen statt, in denen der Staatskommissar rinen Vermiltelungsvorschlag machte, der aber abgclehnt wurde. Die Arbeiter bestehen darauf, daß ihre bekannten Forderungen bewilligt werden. Mit ihren Forderungen erklärten sich die Arbeiter der oberschlesischen Elektrizitätswerke und die Ange stellten der oberschlesischen Kleinbahnen solida risch. Der befürchtete Generalstreik ist damit Tatsache geworden. Zu den im Aus stand befindlichen Gruben sind eine ganze An zahl neue hinzugckommen, so daß nunmehr 90 Prozent der Gesamtbelegschast streikt. — Im R u h r k o h l e n g e b i e t sinden Verhandlungen zur Prüfung der verkürzten Ar beitszeit — Sechsstundenschicht — statt. Der Bervanv will das Rotopfer. Die „Morning Post" meldet: Die Alliierten haben sechs Sonderkommissionen gebildet, die die Finanzverwaltung Deutschlands überwachen sollen, soweit den Alliierten das Recht dazu im Friedensvertrag eingcräumt ist. Die „Times" meldet: Zur neue tt V e r m äg e n s a b - gäbe in Deutschland liege ein Beschluß der Alliierten vor, wonach diese Abgabe m it Vor rang den Alliierten zuzufüh - ^r c n i st. Sollte sich diese Nachricht bestätigen, so ist damit Henn Erzberger'^vranlassmig gegeben, seinen gestrigen Worten in der Nationalver sammlung die Tat folgen zu lassen. Aie Be fürchtungen der Deutschnationalen wären dem nach wohl nicht unbegründet gewesen,. (Pergl. den Bericht über, die Sitzung der Nationalver sammlung in heutiger Nummer.) Deutschland — ein zweites Ungarn? Nach einer Meldung der „Dailh Mail" soll die kommunistische Agitation in Deutschland, die die Vertragsverpflichtuugen Deutschlands lahm zu legen droht, von den Alliierten in vermehr tem Maße überwacht werden. Das Londoner Blatt, dessen Beziehungen zu Llohd George be kannt sind, spricht bereits ganz offen von einer Wiederholung der Budapester Vorgänge in Deutschland, falls Deutschland durchgreifende Maßnahmen gegen die bolschewistischen Umtriebe und Streiks nicht von sich aus ergreifen will. Wir halten die Meldung in diesem Umfange doch Wohl für übertrieben; es ist kaum anzu- nehmcn, daß ein derartiger Regierungswechsel in Deutschland zurzeit Aussicht hat. Die rheinische Republik macht tvieder von sich reden. Die nettesten Mel dungen besagen, daß sich die Franzosen zur Er reichung ihrer Ziele zur Abwechslung statt mit dem Zentrum mit — Spartakus verbünden wol len. Es heißt darüber: Der „Neuen Badischen Landeszeitung" zu folge mehren sich die Anzeichen, daß die Pfalz nnmiltelbar vor einem Pntfch steht. Der bekannte Spartakist nnd Zuchthäusler Eggersdorf, der unter dem Namen Ahrens für einen Posten in dem pfälzischen Ministerium ausersehen ist, wird von der französischen Behörde zum Losschlagcn ermuntert. Ein französischer Wagenpark und Waffen sind den Landauer Putschisten zur Ver fügung gestellt worden. Eggersdorf und Haas gehen qufs Ganze und beabsichtigen, in einer der nächstes Nächte, wenn kein Arbeiter und Bürger die Straße betreten darf, sämtliche Regierungs stellen und Bezirksämter zu besetzen. T r. Dorten, der „Präsident", . ist von seiner Informationsreise aus Paris zurückgckehrt. In Köln wurde er verhaftet, ist aber auf Betreiben der britischen Besatzungsbehörden wie der freigclassen worden. Die Automobilfabrik Büssing stillgelegt Die Automobilfabrik Büssing in Braunschweig hat die ganze Belegschaft in Stärke von 1500 Mann entlassen und das Werk stillgclegt. Die Maßnahme ist daranf zurückzuführen, daß die Arbeiter beharrlich die Wiedereinführung der Akkordarbeit und der 18stündigcn WochenarbcitS- zcit ablclmlen nnd in den letzten Wochen mehr fach passive Resistenz verübten. Lebensmittelunruhen in Paris. In Paris fanden große Unruhen statt, die durch den immer mehr überhandnchmenden Wil cher hervorgcrnfen worden sind. Da die Händ ler am Verkaufe der Waren verhindert wurden, sah sich die Negierung gezwungen, die angchäuf- tcn Nahrungsmittel gegen mäßige Preise an die Menge zu verteilen, um die Ernährung der Be- völkerung zu ermöglichen. In der Zcntralmarkt- halle stürmte das Publikum das Warenlager und warf Eier, Käse und alles mögliche aus die Straße. Die sofort herbeigeholte Polizei war machtlos. Rach einer weiteren Meldung dauern die Unruhen fort und nehmen einen bedrohlichen Charakter an. Die Antwort Rumäniens auf die Ententeuote ist in entgegenkommendem und freundschaftlichem Sinne gehalten. Es wird darin der Wunsch ausgedrückt, daß die Lösung der ungarischen Frage druck) die Alliierten in gegenseitigem Einvernehmen erfolge. Zugleich wird versichert, die Räumung des ungarischen Gebietes könne erst dann ersolgen, wenn eine endgültig vorn Volke freigewählte Negierung ge bildet ist, die Gewähr siir die Ersüllung der übernommenen Verpflichtungen bieüup könne. — In Paris wird eifrig daran gearbeitet, mit den Rumänen zu einer Verständigung aus folgender Grundlage zu kommen.: Rumänien unterwirft sich den allgemeinen Wünschen der Entente, dagegen bestimmt der Oberste Nat, daß in Anbetracht der unklaren Verhältnisse in Ungarn- noch immer die Notwendigkeit bestehe, Ententetruppen und eine Ententekontrolle bis auf weiteres im Lande zu lassen. Rumänien erhält das Hauptmandat für die Besetzung. Die Verhandlungen über die Entsendung deutsch-österreichischer Arbeiter für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete nach Frankreich stehen vor dem Abschluß. Tie fran zösische Regierung bietet den Arbeitern einen Stnndenlohn von 11^ Franken, Ivas bei dem gegenwärtigen Kurs ungefähr 62 Kronen ent sprechen würde. Sie verlangt aber, daß davon 2^ Franken für die Wiedergutmachung zurück- behalten und den Arbeitern von dor deutsch österreichischen Regierung vergütet werden. Die deutsch-österreichische Negierung hat dies abgelehnt. Ilis Wese« der Chemnitzer MMe Die mchrheitssozialistische Partei des ehe maligen 16. Wahlkreises (Ehemnitz-Stadt) ent hüllt jetzt in einem Flugblatt die völlige W a h r- heit über die angeblichen Leben s- mitteldcmo n st rati o n e n in Chemnitz, die zu den blutigen Straßenkämpfen am 8. August führten. Es heißt darin: Die Maske ist gefallen, wir erheben- unsere Stimme und ^klagen diejenigen heute au, die bewußt das Ziel verfolgen, mit dem Feuerbrand von Chemnitz das ganze sächsische Industriege biet anzuslccken. Die blutigen Vorgänge >am letz ten Freitag haben ihre Ursache nicht in den LebcnSmüteldenwnstrationen; heute steht bereits fest, daß Frauen, die Mitglieder der Kommu- nisteu-Partei sind, Flugvlätter mit der Auffor derung zur Demonstration verbreitet haben. Die Beweise verdichten sich immer mehr, daß die Lebe n s m i t t e l - D e m o n st rati o n c n zu politischen Zwecken ausgenutzt werden sollte n. Schon' am Donnerstag verkündigte ein Kommunistenführer, daß die Be wegung dazn führen müsse, den Arbeiterrat zu stürzen. Es kam dann zu den Straßenkämpfcn. Bei den weiteren Verhandlungen des Aktions ausschusses am Freitag abend trat zum ersten Male in unverhüllter Form die wahre Absicht der Kommunisten und der Unabhängigen zutage. Lie wollte diese Bewegung zu einer politischen Aktion großen Stils ausbanen und die Mehr- heitssozialislen als Vorspann dazu benutzen, lln abhängige von Leipzig nahmen an den Beratun gen teil und drangen darauf, daß Chemnitz so fort in den Generalstreik eintrete, ans den die anderen Orte, wie Leipzig, Zwickan und das Gersdorf-Lugau-OelSnitzer Revier bereits warten. In jedem Stadium der Verhandlung wurden diese Absichten immer deutlicher. Die Kommu nisten erklärten, alle Versprechungen hätten kei ne» Zweck, anch die »ach Dresden gesandte Kom- mission werde resultatlos zurückkonnne», deshalb müsse sofort der Generalstreik beschlossen werden. Die meisten lehnten eine solche Gewaltpolitik ent schieden ab. Die Beweise dafür, daß es die geschlossen austretcnden Kommunisten und Un abhängigen auf cincu ganz bewußt angelegten Generalstreik abgesehen hatten, verdichte» sich im mer mehr. Bewiesen ist, das; Unabhängige und Kommunisten den Generalstreik unbedingt durch setze» wollte», bewiese» ist, daß Leipziger Un abhängige an den Verhandlungen teilgenommeu habe» und gleichfalls für den sofortige» General streik eintralen, bewiesen ist, daß man die Mehr heitsparteiler selbst für de» Fall von Einzelver Handlungen auf den Generalstreik sestlegen wollte. Bewiese» ist fermer durch eine» Aufruf in dcr „Chemnitzer Volkszeitung", daß der Generalstreik bereits vorbereitet war. Durch diesen Ausruf, der in- der „Leipziger Volkszeitung" schon in der Sonnabend Nnmmcr erschien, sollte bei den A rbeitc r n außerhalb C h e m u i tz der Eindr u ck cm: w cckt werde n, daß in Che m nitz bereits der General- sür cik ausge b rochen s e i. Auf diese Weisc wollte mau, noch ehe die dazu berufene Arbeiterschaft von Chemnitz einen Beschluß ge faßt hatte, diese ihre Stellung von Leipzig aus dirigieren und gleichzeitig »ach bekanntem Mnster die Arbeiter anderer Bezirke durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Streik ausputschen." Das Flugblatt kommt zu dem Schluß, die Komm» nisten und Unabhängigen wollten rein örtliche Vorgänge dazu benutze», um de» Generalstreik über ganz Sachsen auszndehnen. Die Bevölkerung — besonders auch der nahe Chemnitz liegenden Ortschaften, die) durch die Ereignisse in Chemnitz naturgemäß stark beun ruhigt Ivar — hat ein Recht darauf, daß die Vvrgängc, die zu den bedauerlichen Vorkomm nissen geführt haben, restlos aufgeklärt werde». Mair darf erwarte», daß die eingelcilcte Unter suchung über die Schuldfragc auch der Vorge schichte gebührend Aufmerksamkeit schenkt. Die Beisetzung der am vorigen Freitag ge fallenen Angehörigen der Reichswehr findet nicht, wie zuerst vorgesehen, in Chemnitz, sondern heute Freitag nachmittag 6 Uhr in Frankenberg mit militärischen Ehren statt. Örtliches und GächfischeS. Hundert Jahre Missionsarbeit. Am morgigen 16. August blickt der Säch sische Haupt-Missicmsvereiu auf Hundert Jahre seines Bestehens zurück. In Dresden von dem Diakonus der Kreuzkirche, Magister Leonhardi, Kumretlor Banmgarten-Crusius, Weinhändler Löschcke, Lcdcrhändler Götz und drei anderen christlich gesinnten Männern als Hilfsvereiu für die l8l5 begründete Basler Mission ins Leben gerufen, erweiterte er sich 1836 zu einer selb ständigen „Cv.-luth. Missionsgesellschast zu Dres den". An ihrer Spitze stand der um das kirch liche Leben Sachsens in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hochverdiente chcmalige KavmettSminister Friedrich Augnsts des Gerech te», Graf vo» Einsiedel. 1837 wnrde in Dres den ein Missionssemiuar eröffnet. Anfangs in einem MiethanS am Freiberger Schlag unterge bracht, fand cs 1810 in cinem von der Miß siousgesellschast erworbenen Haus, Liliengasse i>, eine eigene Heimstätte. Ans die Anregung von Scminardirektor Graul wurde 1.^18 das Seminar und die Oberleitung der Mission nach Leipzig verlegt. Präsident des aus fünf Mitglieder» be stehende» Missionskolleginms wurde Graf Ci» siedel. Deu Hanpt-Missionsvercin, dessen Sitz Dresden blieb, leitete von 1818 an Ernst Gott lob von Hehuitz. Als Kammerberr von Erd manuSdorff, von 1860—1879 Präsident des Ver eins, sein Amt als solcher niederlegte, trat au uüue Stelle Graf Otto Vitzthum von Eckstädl. In achtnnddrcißigjähriger hingebender, zielbe wusster Arbeit hat er die zuletzt Vvn deu Stär men des Weltkrieges hart bedrängte Mission nach Kräften zu fördern gesucht. Bergmanns Töchterlein. Roman von Martin Förster. 8 Fast ohne es zu wollen, fragte sie nnn doch mit etwas stockender Stimme: „Möchten Sienicht eiiien Slugeiiblick verweilen? Sie müssen doch sehr müde und durstig sein. Ich hole Ihnen einen Schluck Milch dort aus dem Hause. Sie entschul digen bitte." „Ich bin dm stig und müde," entgegnete er be scheiden, „und ich werde so frei sein, Ihre Freund lichkeit cmzimehmen." Sie eilte ins HauS und kehrte gleich daran? mit einem Krug frischer Milch zurück. Dann drückte er ihr herzlich die Hand nnd sagte mit auf» leuchtendem Blick: „Gott segne Sie." 8. Kapitel. Ein warmer Sommerabend breitete sich über die Landschast. Die Sonne stand hinter rosig ge färbten Wolken, in den Waldpfade» verdichteten sich die Schatten, und vvn dem jungen Saatfelde ertönte Nachtigallgesang. In dem kleinen Garten, welcher dem hübschen und wohnlichen Hanse der Sachses gegenüber lag, saßen der Bergmann nnd seine Tochter —er in seiuem mit gedrucktem Kattun überzogenen Arm- stnhl. sie auf dem niedrigen, rohe» Sitz, welchen der Vater vor Jahren für sie zurecht gezimmert hatte miter einem üppigen Fliederstrauch. Während er gemütlich seine Tonpfeife rauchte, schweifte sein Blick nach dem bleigefaßlen Fenster, um welches er mit vieler Mühe einen Kranz von Efeu gezogen hatte, -amV nach dem großen Rosen strauch an der Schwelle des Hauses, dessen weiße Blüten die Luft mit ihrem Dufte erfüllten, nach dem sauber gepflegten >Küche»gärtchen und dar über hinweg in das dämmerige Tal, wo die Berg werke und Eisenhämmer nach des Tages Arbeit in Schweige» gehüllt lagen. Aber wohin auch immer seine Augen ipander te», sie suchten immer aufs neue die Mädchenae- stalt, deren flinke Finger fleißig die Nadeln be wegten. Daß dek Bergmanns Sein nnd Denken völlig in feinem Kinde aufging, war unschwer zu erkennen. Die letzten fünfzehn Jahre hatten in Sachses Dasein mir geringe Veränderungen hervorgebracht. Er wohnte noch in dem Hänschen, in den, er mit seiner Fran gelebt hatte, als der Leser zuerst seine Bekanntschaft machte. Er arbeitete auch noch in demselben Schacht und hoffte dort zu sterben. Es hatte im Dorfe und in der Nachbarschaft einen erschütternden Eindruck gemacht, als Konrad Wiedemann an jenem Sommermorgen steif und kalt, mit zerschmettertem Kopf und seinem Revol ver in der erstarrten Hand, anfgcfnnden wurde. Die Untersuchung der Waffe bezeugte, das ein Lauf abgefenert war, und einige Leute erinnerten sich anch, am Sonnabend etwa um Mitternacht einen Schuß gehört zu haben. Daß der Minenbe- sitzer durch fremde Hand ein gewaltsames Ende gefmiden hatte, schien demnach wahrscheinlich, aber bei der gerichtlichen Untersuchung fand sich kein stichhaltiger Beweis für diese Annahme. Die Polizei hatte wohl genügende Berdachts- gründe, da der Tote bei den Streikenden so ver haßt gewesen war, und verfolgte eine zeitlang jede Spur, aber diejenigen, welche mit de» näheren Umständen des Unglücksfalles bekannt waren, be wahrten ans persönlichen Rücksichten absolutes Stillschweigen. Einige Tage nach Wiedemaims Tode wurde zur allgemeinen Ueberraschnng ein Testament des Mmenbcsitzers eröffnet, in welchem er jeden Pfennig, den er besaß, seinem Freund und Ge schäftsführer Albert Diedrich vererbte. Besondere Frende erregte diese Tatsache nicht, denn.der Ge nannte hatte sich während der Leitung des Herren schachtes bei de» Bergleute» fast ebenso verhaßt gemacht wie der tyrannische Eigentümer selbst. Aber schon an dem Tuge, wo dir Hache b-Lumt wurde, tat der glückliche Erbe einen Schritt, der viel dazu beitrug, die öffentliche Stimmung zu seinen Gunsten umzustimme». Er ließ einige von deu tüchtigsten Bergleuten kommen und teilte ihnen seinen Entschluß mit, die beabsichtigten Lohnabzüge seines Vorgängers seinerseits nicht innezuhalte». Am nächste» Mor gen komiteii alle unter den alten Bedingungen ihre Arbeit wieder aufnehme», und was während des Streikes geschehen war, sollte niemand »ach- getragen werden. Sachse war einer der ersten gewesen, die sich am folgenden Morgen im Hcrreiischacht gezeigt hatte» und ihre Arbeit dort fortsetzte». Dan», im Winter, kurz vor Weihnachten, wanderte er mit Weib und Kind nach einem entfernt liegende Fa brikdistrikt aus, und »och fünf andere Bergleute mit ihm, da sie zwischen sich und die Chaussee, auf welcher der Minenbesitzer in der Sommer nacht sein Leben eingebüßt hatte, eine» beträcht lichen Zwischenraum zu legen wünschten. Doch kehrte Sachse später auf die drängenden Bitten seiner Fran in die alte Heimat zurück und ließ sich aufs neue in Langenau nieder. Nach drei oder vier Jahre» starb dann plötz lich sei» geliebtes Weib und ließ ihn mit seinem einzige» Kinde, der hübschen, kleine» Jutta, allein. Nach diesem traurige» Ereignis wurde Sachse in vieler Beziehung ei» ganz anderer Mensch. Er hörte auf, die Dorfschenke zu besuchen, und ent fernte sich selten von seiner Häuslichkeit. Von jeher ein verständiger Mann, wurde er jetzt still und nachdenklich. Während er im Schacht beschäftigt war, ließ er sei» kleines Mädchen miter der Aufsicht einer gut herzigen Nachbarin, welche nach dem Kinde sah und es zur Schule schickte. Die Zeit verging. Jutta wuchs auf, und als sie zwölf Jahr alt war, bedurfte ihr Vater iveder einer Haushälterin noch ciiier Köchin. Sie war nicht nur anmutiger als di» fäv'"iHe» anderen Mädchen im Dorfe, sondern anch viel verständiger, nnd er liebte denn auch sei» schönes Kind mit einer Zärtlichkeit, wie sie wciüg Vater sm üne Kinder besitzen, und fürchtete sich nur vor dem Ge danke», sie dereinst au eine» Gatte» ihrer Wahl abtreten zu müssem Jutta hatte gelegentlich, als sie heranwuchs, ihren Vater gebeten, in deu Mühleu oder am Schacht arbeiten zu dürfen, wie andere Mädchen ihres Alters und Standes, aber er ivollte nichts davon höre». „Ich kann reichlich für ims beide verdienen." hatte er stets gesagt. „Deine Arbeit liegt hier i u Hause, mem Kind. Wenn Du zu viel »seit hast, dann versuche Dich noch anderweitig anszubitden^, Was Du Dir anch wünschst in bezug ans Bücher oder andere Dinge, will ich Dir kaufen." Das Mädchen hatte ihn geküßt und nichts wei ter gesagt, aber sie tat, was ihr Vater ihr gerate» hatte, indem sie viel Zeit auf ihre Bildung ver wandte nnd sich manche Keunttns nnd Fertigkei ten aneiguete. Scho» an ihrem siebzehnte» Geburtstage holte ihr Vater einen bedenteudeu Eingriff in seme Er. sparuisse gemacht und ihr ein Piano gekauft. Sie liebte Musik leidenschaftlich, nud bereits »ach Jahresfrist wurde seine Großunit durch ihreFact- schritte auf dem Justrument vollkommen belohnt. Fast jeden Abend mußte sie ihm etwas vor- spiele», währeiid er seine Pfeife rauchte oder na h des Tages Last und Arbeit seine Abendzeitung lach Auch heute bat er sie um ein wenig Musik, nud Jutta erhob sich sofort und trat ins Haus. Die Dämmerung »ahm zu, daher züudele sie di- Lampe,i au mld begann bei offenem Fenster eine Lieblingsmelodie ihres Vaters zu spiele». 217, UZ Die freundlichett Klänge strömte» mit deu Lichtstrahlen aus dem kleine» Fenster i» de» G ,r- teii, und Sachse war in tiefe Gedanke» versnnke», als eine bekannte Stimme ihn von der dunkele» Straße ans seinen Träumereien ausschrcckte.
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