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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 29.07.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191907297
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190729
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190729
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-07
- Tag 1919-07-29
-
Monat
1919-07
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 29.07.1919
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denen Vertreter des Arbeitsministeriums teilneh. men. — Auch der Streik der Telegra. phe narbeiter, die sich verpflichteten, an künftigen politischen Streiks oder Demonstratio- nen während des Dienstes nicht teilzunehmen, wurde beendet. Die englischen Arbeiter für den Kaiserprozeß. „Daily Mail" meldet: Die englische Arbeiter partei hat sich einstimmig für die Aburteilung Wilhelms II. in England erklärt. Scharfe Angriffe gegen die deutschen Sozialdemokraten wurden auf dem internationalen Gewerkschaftskongreß in Amsterdam, an dem Vertreter Amerikas, Eng lands, Deutschlands, Belgiens, Hollands, Schwe dens, Spaniens, der Schweiz, Frankreichs und Oesterreichs teilnehmen, vorgebracht. Der bel gische Vertreter forderte, daß die Deutschen, be vor die Belgier mit ihnen zusammen einer Or ganisation beiträtcn, sich als mitschuldig mit ihrer Negierung bekennen und ihr Bedauern über das verübte Verbrechen des Massenmordes in Belgien aussprechen müßten. Legien ver teidigte die Haltung der deut schen Gewerkschaften. Der Friedens- Vertrag habe bewiesen, wie richtig es gewesen sei, daß die Deutschen einen Verteidigungskrieg zur Erhaltung ihres Landes führten. Der Red ner fragte, ob denn die englischen, französischen und italienischen Arbeiter gegen die Art, wie der Krieg von der Entente geführt wurde, pro testiert hätten, ob sic gegen die Hungerblockade protestiert hätten, dagegen, daß gegen Frauen, Greise und Kinder Krieg geführt wurde. Die Deutschen gäben zu, daß Belgien Unrecht ge schehen sei, und die Deportation die schändlichste Tat sei, die begangen werden konnte. 23 Schiffe in Scapa Flow gehoben. Aus London wird gemeldet: Von den 53 deutschen Schiffen, welche in Scapa Flow von den Deutschen versenkt wurden, konnten bis jetzt 23 gehoben werden. Es wird jedenfalls mög lich sein, auch den „Hindenburg" wieder zu he ben. Die anderen Schisse sind aber unrettbar verloren. LSmsMI ia der MMiMkstmlmg. W e i m a r, 20. Juli. Präsident F e h r e II b a ch teilt mit, daß der Abg. Löbe (Soz.) beantrage, die Nationalver sammlung wolle beschließen: I. die erste Bera tung des Gesetzentwnrses über den Staatsge- richtshoj mit der gegenwärtigen politischen De batte zu verbinden, 2. die Reden des Ministers Erzberger vom 25. Juli und des Ministers'Mül ler vom 2 t. InU aus Kosten des Reiches im deutschen Volle zu verbreiten, 3. alle Protokolle der vertraulichen Sitzungen des HauShaltsaus- schußes des Reichstages, sowie die der Regierung belanntgelvordene» Dokumente über die Ent stehung und Fortführung des Krieges zu ver öffentlichen. Abg. L ö b e (Soz.) begründet den Antrag. Abg. S ch n l z (T.-R.) widerspricht im Ra men seiner Fraktion (große Unruhe, Lärm und Zunge: Feigheit! bei den Sozialisten) und stellt für den Fall in Aussicht, das; auch die Rede des Abg. von Gräfe (D -R.) veröffentlicht werde. — Abg. Dr. H einze (Ttsch. Vp.) schließt sich dem Widerspruche an. — Hieraus tritt das Haus in die Tagesordnung ein. Abg. Dr. Hngo (Dtsch. Vp.): Tie gestrige Rede Erzbergers und der soeben gehörte Antrag sollen das deutsche Volt in seinen tiefsten Tie-' fen aufwühlen. Setzen wir einen objektiven Aus schuß ein, der die uns bewegenden Fragen in durchaus objektiver Weise erschöpft, bestehend aus Historikern unter einem geschulten Juristen, die das Recht haben, alle Auskünfte zu verlangen und jede Erhebung anzuordnen. Eine andere Methode schafft kein objektives Urteil. Eine ge richtliche Behandlung würde aus dem weltge schichtlichen Erleben des deutschen Volkes einen Spektakelstofs machen. Man hat gesehen, wie wenig charaktervoll das deutsche Volk in den entscheidenden Stunden seines Geschickes gesührt wurde. Wie anders urteilten früher und auch während des Krieges maßgebende Sozialdemo kraten über den Kaiser, den sie jetzt einen blut- rttnstigen Zäsaren nennen. Wenn wir hier der Regierung unser Vertrauen nicht aussprechcn können, so beabsichtiget; wir nicht, eine negative Politik zu führen. Wir wollen an der sozialen Gesctzgebungsarbcit tcilnehmcn und an der Ueber- windung der Klassengegensätze mit arbeiten. - Abg. H a a s e (Unabh.): Daß der Friede unterzeichnet wurde, ist ein Glück, sonst wären Tausende erschlagen, die Blockade hätte Opfer gefordert, Deutschland wäre zerstückelt worden. Das ist unser wesentlichstes Verdienst. Herr Noske spielt sich ost als den starken Mann auf; im Grunde ist er an beiden Händen gefesselt und die Offiziere erlauben sich eine Sprache gegen ihn, wie sie früher unmöglich gewesen wäre. Der Belagerungszustand wird weiter aus recht erhalten. Die meisten Mißstände bestehen auf dem Gebiete der Schutzhaft. Das Mittel des Streiks können Sie den Arbeitern nicht neh men. Der Arbcitszwang ist, solange der kapita listische Staat besteht, ein Verbrechen an den Arbeitern. Tie Diktatur des Proletariats be deutet keineswegs die Herrschaft mit Hand granaten. Rcichswchrminister Noske: Jede antisemi tische Treiberei' in der Truppe verurteile ich aus das entschiedenste und bin dagegen eingeschrittcn. Wenn die deutschen Arbeiter die Früchte der Re volution noch nicht ernten, so ist das den ekel haftesten' Bruderkrieg in der Arbeiterschaft zu danken, der von Herrn Haase und seinen Freun den geschürt wird. Ain vorigen Montag ist den Leuten in Berlin vorgeredet worden, wenn sie aus den Betrieben' herausgingen, so nähmen sie an einer Kundgebung des internationalen Pro letariats gegen den harten Frieden teil. In Wirklichkeit haben die Franzosen, Engländer, Italiener und Schweizer den Streik abgelehnt. Deutschland bedarf der intensivsten Arbeit. Aber was kümmert das die Leute, die mit dem Schick sal des deutschen Volkes und der Arbeiter Shindluder treiben. Wenn die Gefolgschaft Haa ses Deutschland zugrunde richen will, dann stelle ich das Schicksal unseres Landes und Volkes höher als allen Spektakel, den Sie hier ausfüh ren. lieber alle Ihre Niederträchtigkeiten ist das Laud vollkommen unterrichtet. (Als der Minister weiter auf die Vorgänge in Hamburg zu sprechen kommt, entstellt bei den Unabhän gigen tosender Länn.) Um ^(2 Ubr wird die Beratung aus 1 Ubr vertagt. Vizepräsident Diel r i ch eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 5 Min. Abg. Eisenberger (Bayer. B. B.): Es ist gnt, daß endlich Leute aus dem praktischen Leben an die Regierung gekommen sind. Wenn im alten Obrigkeitsstaate nicht so vieles saul gewesen wäre, dann hätte er nicht so rasch zu sammenbrechen können. Nicht die Revolution ist schuld an dem Zusammenbruch unseres Heeres, sondern die Zermürbung, welche durch die Un- ' gerechtigkeitcn zwischen dem gemeinen Mann und dem Offizier in das Heer getragen wurde. Herr- Minister Erzberger, gehen Sie mit den Steuern und der Monopolisierung nicht so weit, daß Sie den Gliedstaaten gleichsam das Hemd auszichcn. Sorgen Sie dafür, daß unsere Bayern nicht wild werden. Das deutsche Volk ist gegenwärtig krank, aber der Sozialismus darf nicht als All heilmittel verwendet werden. Abg. L a n d w o st (Dentschhannoveraner): In der inneren Politik hat unsere Regierung einen ungeheuer schweren Standpunkt. Sic hat es nötig, sich Freunde zu erwerben. Dazu bietet sich ihr vor allen Dingen auch in meinem Hei matlands Hannover Gelegenheit. Wir kämpfen für ein selbständiges Hannover, nicht für ein Königreich Hannover.' Abg. Wels (Soz.): Unsere Politik ist es gewesen, die znr Bildung des Mchrheitsblockes im Reichstag und schließlich zu der Friedens- resolution gesührt hat, von der feststeht, daß sie cs war, die das englisch-französische Friedens, angebot durch den päpstlichen Stuhl zur Folge gehabt hat. Eine unselige Regierung hat die. Brücke, welche über das Blutmeer hinwegführen konnte, in Stücke geschlagen. Das bedeutet eine furcht bare Anklage, der sich niemand entziehen kann, der damals mitgelogen und mitbetrogen hat. Gewundert hat es mich, daß Herr Haase durch die gestrigen Enthüllungen nicht überrascht ge wesen ist, sondern daß ihm diese Dinge schon länger bekannt gewesen sind. Dann muß- ich aber sagen, wenn Herr Haase diese Kenntnis hatte und sie dem deutschen Volke vorenthiclt, dann hat er sich mitschuldig gemacht. Unsere Außenpolitik muß vor allem Vertrauen erwecken. Dazu gehört ferner, daß alle Unfähigen aus dem Auswärtigen Amt entfernt werden. Wir brauchen keine Gesandten mehr an den Höfen. Unsere Politik mnß die Politik des Völkerbun des sein. Aber der in Paris zusammengcbrachte Völkerbund ist ein Völkerbund gegen die Völker und namentlich gegen gewisse Völker. Nach persönlichen Bemerkungen vertagt sich das Haus auf Montag. Jes KlieWtsWMll Heiabe-r. Mit großer Sehnsucht erwarten weite Polls- krcise die immer wieder hinausgezögcrte Heim kehr unserer Kriegsgefangenen. An der Grenze der Schweiz und nach Frankreich zu find große Vorbereitungen zum Empfange getroffen wor den. Nach der Begrüßung treten die Heimkehrer die Reife in die Durchgangslager an, wo sie sich 2—3 Tage aufhalten müssen zur Entlausung, Entseuchung und Untersuchung auf Kriegsschä den. Auch neu eingekleidet werden sic; leider wird es sich nicht ermöglichen lassen, jedem einen neuen Anzug zu geben, sie müssen zusrie- den sein mit dem, was Nur haben. Außerdem erhält jeder 50 Mk. und die Gebührnisse für 3 Wochen, dazu ein tägliches Verpflegungsgeld von 2,70 Mk., so daß auch der gemeine Mann mit 300 Ml. nach Hause geschickt wird. Es soll dafür gesorgt weiden, daß niemand später bils- los umherirrt. Gleichzeitig wird die Regelung sämtlicher Ansprüche dort vorgenommen, das Entlassungsgeld von 50 Ml. für den Kopf aus gezahlt und die Gebührnisse sür einen achlwöchi- gen Urlaub gegeben. Für gute Versorgung der Heimkehrcnden, insbesondere mil Zigarren, Zi garetlen und Tabak isl Sorge getragen. Tie einzelnen Heimkehrslellen werden von den Durch gangslagen; aus über die Zahl und Stärke dcr einzelne» abgehenden Transporte telegraphisch benachrichtigt. Durch die Kriegsgefaugeneu-.Fcim kehrsiellen soll die gesamte wirtschaftliche Beihilfe, die aus Reichsmitteln gewährleistet ist, verteilt werden. Insgesamt sind, wie bekannt, vom Reiche 150 Millionen Marl sür diesen Zweck be- reitgestelll. Tie Beihilfen sollen unabhängig von dem militärischen Dienstgrad, lediglich dem Grade der Bedürftigkeit entsprechend, gewährt werden. Die Beihilfe mnß mindestens 100 Mk. betragen besonders großzügig in der Zurückführung der Leute in ihren früheren Beruf und in einer- möglichst weitgehenden Erlcichtcnmg der Lebens führung durchgeführt werden. Jnsbesoichere ist in Aussicht gestellt, daß für die ersten Wochen doppelte Lebcnsmittelration den Heimgekchrten gewährt werden. Leider sind wir vollkommen im unklaren ge lassen, wo wir unsere rückkehrendcn Kriegsgesan genei; in Empfang nehmen dürfen. Wir nehmen an, daß ein Teil über die Schweiz, ein Teil über Holland kommt. Die Schweiz ist bereit, täglich vier Züge mit 800—1000 Mann zu be fördern außer den Zügen mit den Schwcrver- wnndeten, die nebenhergehen. Die Gefangenen sollen, wie schon mitgeteilt, an; Tage durch die Schweiz fahren und werden an allen größeren Stationen von Schweizer Damen bewirtet. Abends kommen sie nach Konstanz, von wo sie aus dein jeweiligen Durchgangslager nach Hause gehen. — Wenn nicht bald etwas geschieht, dann wird es zu spät zum Rücktransport aus Sibi rien. Dann müssen die armen Teufel dort noch einen Winter bleiben. Besondere Schwierigkeiten bieten die Zivilge- fangencn. Darunter sind viele, die längst das Staatsbürger-recht bei uns verloren haben, in; wahren Sinne des Wortes also heimatlos sind. Bei ihnen muß man c;-st feststellcn, wo sie hin gehören und das wird oft unmöglich sein. Besondere Zuweisungen von Lebensmitteln an die heimkehrenden Kriegsgefangenen. Der Rcichsernährungsminister hat bestimmt, daß die jetzt heimkehrenden Kriegsgefangenen von den Kommunalverbänden, von denen sie zum ersten Male in die ordentliche Lebcnsmittelver- sorgung aufgenommen werden, Sondcrzuweisun- gen an Lebensmitteln erhalten. Die Kriegsge fangenen werden während der ersten sechs Wochen nach ihrer Heimkehr neben den allgemeinen Ra tionen wöchentlich 1 Pfund Brot, 50 Gramm Fett, 250 Gramm Hülsenfrüchtc und 125 Gramm Auslandsspeck oder Konservcnflcisch, und zwar zu den festgesetzten verbilligten Preisen erhalten. Tie Ausgabe der Sonderzuweisungen ist aus dem Entlassungsschein (ileberweisnngsschein, Urlaubs schein) unter Stempel und Unterschrift sür jede Woche zu vermerken. W Mül im RtlMg-Prorch. In der Nacht zum Sonntag, um '/.12 Uhr, wurde im Prozeß gegen die Mörder Neurings das Urteil gefällt. Die Geschworenen hatten bei fünf von den elf Angeklagten alle Schuldfragen, bei den übrigen sechs Angeklagten die Schuld frage wegen Mordes verneint und die wegen Raufhandels bejaht. Darauf verurteilte das Ge richt den Matrosen Bartsch zu drei Jahren Ge fängnis und 5 Jahren Ehrenrechtsverlust, den Matrosen Gottlöber, den Bäcker Becker nnd den Maler Pietzsch zu je 2 Jahren 6 Monaten, j den Soldaten Allner zu 2 Jahren und den , Unteroffizier Schreiber zu 1 Jahr 6 Monaten j Gefängnis. /Der Angeklagte Fritze wurde, da i sich seine Unschuld erwiesen hatte, freigesprochen, . ebenso die Angeklagten Heynemann, Merkel, j Krebs und Thamm wegen mangelnder Beweise bezw. wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit. Prüfung i>er Nunmehr. (*) Hohenstein-Ernstthal, 28 Juli Nock; 7jährigcr Pousc fand om gestrigen feuerwchrverbaudcs Zwickau-Glauchau, der Her- rcn Bronddircktorcn Weit c i; m üllcr - Crim mitschau, H ärtel - Oberlungwitz, Stabtrot und soll bis zur Höhe von 300 Mk. bcwüligt werden. In; Falle besouderer Bedürftigkeit kann sie bis ans 000 Mk. erhöht werden, wem; die Hälsie des 300 Mk. überschicßenden Betrages ans znr Verfügung gestellten kommunalen oder sonstigen Mitteln gedeckt wird. Die Beihilfe kann onntag eine Prüfung der beiden hiesigen Feuer- ehren statt. Vormittags 8 Uhr sammelten sich in Raten gezahlt werden, doch bleibt dies den Hilfsansschüssen überlassen. Das Hilfswerk soll beide Kompagnien auf den; Ncumarkt, wo unter Anwesenheit des PrüfungsauSschnsses des Kreis- Irauenliebe. Roman von Clara Aulepp-StübS. 84 Herr Vogt besaß eine jener reckenhaften Gestal ten aus dem alten Friesengeschlecht, wie man sie in Schleswig-Holstein vielfach antrifft, ein blon der Hüne, neben welchem Giovannis schmale, schlanke Figur fast beängstigend aufftel. Dies mochte Lotti nicht entgehen, denn fast angstvoll umklammerte sie plötzlich mit ihren bei den kleinen Händen Herrn Vogts wohlgepflegte, doch große, kraftvolle Männerhaud. „Also Sie meinen auch, mein Mann kann ab- tommen, es geht?" Und nochmals versicherte Herr Vogt ihr, daß einige Wochen Abwesenheit geschäft lich keinen Schaden' bringen würden; da konnte er jede Verantwortung übernehmen. „Aber mein Schwiegervater?" Es kam etwas zaghaft heraus: „Wird er wohl derselben Meinung ein?" Da freilich zog Herr Vogt die Schultern hoch. Ms er jedoch Lottis Blick voll Spannung auf sich gerichtet sah, äußerte er vorsichtigerweise nur: „Ich )euke doch! Es gilt doch das Wohl seines Sohues?" 11. Kapitel. In weiche Kissen gebettet ruhte die kraftlose Ge stalt des Kommerzienrats Arnheim in dein großen Lehnstuhl, welchen mau zu diesem Zweck in das Arbeitszimmer gestellt hatte, deun in dieses hatte der Komme;zieurat verlangt. Die Lähmung der rechten Seite hatte nur we nig nachgelassen ; meistens lag der Kranke auch in einer so ieilnahmloseu Lethargie, daß man fast be fürchtete, auch das Gedächtnis habe gelitten. Ein andermal jedoch verlangte er wieder mit einer so hartnäckigen Beharrlichkeit etwas, daß man von dieser Befürchtung abkam. Doch verhehlte der Arzt nicht, diese Willensäußerungen könnten auch nur das letzte Aufflackern eines starken Geistes sein und die Lethargie nur die Vvrbotiu der gänzlichen Er- schlassnng. Zn dieser Eröffnung schüttelte Fran Doktor Falk den Kopf. Sie war der festen Meinung, Kom merzienrat Arnheim würde in nicht allzu ferner Zeit vollständig genesen sein nnd hatte in dieser Beziehung an dem alten Klans einen treuen Bun desgenossen, während die Krankenschwester unrdie Achseln zuckte und sagte: „Man muß abwarten, und dein Leidenden jede Aufregung fernhalten!" Das hatte man ja bisher redlich getan und freute sich der kleinen Besserung, die eingelreten war.AustaudsloswnrdeGiovannizu ihm geführt. Wollte nun der Kranke die ausgestreckte Hand seines Sohnes nicht sehen, oder war auch seine ge sunde Linke zu kraftlos, um dieselbe erfassen zu könneu? Giovanni wußte es nicht, zog nach einer klei nen Weile des Harrens seine Hand verstimmt wie der zurück. Er blieb erst einen Augenblick lang unschlüs sig stehen, wußte nicht recht, ob er gehen oder bleiben sollte, nahm sich aber dann einen Stuhl und setzte sich seinem Vater gegenüber, dessen Lehn stuhl man dicht neben den Schreibtisch gerückt hatte, und zwar so, daß er mit der linken Hand imstande war, etwas von der Platte nehmen zu können. Er mochte wohl auch schon dieses und jenes Schriftstück berührt haben, denn der Briefbeschwe rer — ein Stück Lava mit einen; Makkaroni essen den Lazzaroni daranf, wie sie von Jtalienreisen- den so gern mitgebracht werden — war dem Her unterfallen nahe. Giovanni erhob sich, schob ihn etwas zurück, nahm dann wieder Platz und fing an zu plaudern. Der Kommerzienrat hörte vielleicht seinen Wor ten zu, gab aber kein einziges noch so kleines Zei chen seines Interesses. Er starrte mit fest zusam mengepreßten Lippen vor sich nieder auf den Bo den. Giovanni wurde ungeduldig; er ärgerte sich, daß sein Vater so teilnahmslos blieb. Wenn er sich so wenig erregte, konnte er ihm schließlich auch ohne Umschweife von seiner beabsichtigten Reise sprechen und vielleicht auch das andere sagen! Merkte denn Giovanni das unheimliche Funkeln und Flackern nicht, das in den halbgeschloffenen Augen zuweilen aufznckte? Sah er denn nicht, wie die Finger der linken Hand sich krampfhaft in die seidene Decke krallten, die über den Knien des Kranken lag? Nein, Giovanni achtete nicht auf diese aller dings kaum merkbaren Zeichen der Erregung. Der Hnsten, der ihn besonders jedeSmal quälte, wenn er von draußen kam, und die plötzliche Wärme des Zimmers die kranken Teile reizte, legte ihm seine Mitteilung ganz von selbst auf die Zunge. Er kleidete dieselbe jedoch in die Form einer Frage, zwar einer solchen, deren Bejahung für ihn unbe dingt fraglos sein mußte, da es sich hier um seine Gesundheit handelte. Er erzählte, wie sehr ihn dieser ewige Katarrh belästige, erwärmte sich an seinen eigenen Worten und als er nun einmal so weit gekommen war, vergaß er die nötige Vorsicht und ließ sich hinrei- ßen, dem Vater auch von seinen Kämpfen und sei ner Qual und der schließlichen Verletzung der Be dingung zu berichten. Und so ruhig, als ob ihn; die gleichgültigste Sache von der Welt vorgctragen würde, nah»; Kommerzienrat Arnheim die Mitteilung seines Soh nes entgegen, nicht eine Muskel des krankhaft fah len verzerrten Antlitzes bewegte sich. Selbst die Augen blickten seltsam starr immer auf einen Punkt — immer auf einen Punkt. Giovanni atmete auf. — So wußte es dann der Vater I Es hatte doch auf ihm gelastet, gedrückt, wie eine Schuld, ja, wie eine Schuld ! Und die war es ja schließlich auch. Aber er war doch kein Kind mehr; der Vater hatte doch nicht das Recht, ihn immer und ewig nur seinen Zwecken dienstbar zu machen! Er mußte ihm doch auch Rechte einräumen, vor allein das Recht des Mannes, der sich in seinem eigenen Haus ausleben will. Aber auch dieses hatte er ihm vorenthalten; die Mußestunden daheim verbitterte er ihn; durch die Versagung dessen, was ihnen erst den Wert, den Inhalt gab, was ihm Lethe ward I Das Ent behren erzengte die Sehnsncht, den Groll, die ner vöse Unrast, die ihn früher so oft in den wilden Strudel des Lebens gestürzt, peinigte ihn auch jetzt, trotzdem ein geliebtes Weib an seiner Seite saß und mit süßem Geplauder dieselbe zu bannen suchte nnd als sie sah, daß ihr das nicht gelang — daß die Sehnsucht zu tief saß, daß der Frieden, das Glii^ ihrer Ehe bedroht, — da war sie es, die ihm da' Ersehnte bot — ohne die Zustimmung des Va ters I Daß ihm diese aber noch nachträglich zu teil wurde, der Kommerzienrat ihm nicht zürnte, macht ihn doch aufatmen. Vielleicht hatte die Krankheit seinen Vater mil der gestimmt? — Es kam ja häufig vor, daß sanft, Menschen während eines Krankenlagers ungedul dig und reizbar wurden, während bei den harten, heftigen Charakteren eine ganz ungewohnte Mild' zum Vorschein kam. Ja, gewiß, so würde es auch bei seinem Vater sein, denn noch dentete nichts auf eineuWiderfpruch, nur den Kopf hatte er ein wenig, die gelähmte Seite mochte ihn wohl hindern, dem Schreibtisch zngewandt. „Möchtest Du etwas, Vater?" Giovanni bekam keine Antwort, aber er be merkte jetzt eine eigentümliche Unruhe, ein krampf haftes Anfschnellm der Glieder und ein kraftloses Zurückfallen. Bestürzt erhob er sich von seinen; Platz. Der Anblick war schauderhaft. Es war beinahe, als wollte sich der Kranke durchaus erheben, nnr sei nicht imstande dazn. „Vater, was ist? Kann ich Dir nicht helfen?" Ein unartikulierter Schrei antwortete ihn;;das Ringe»; wurde stärker — Giovanni stürzte nach der Tür, drückte auf den elektrischen Knops. „Um Himmelswillen, — gar schnell Hilfe — die Aufregung " Ihn; selbst wurde elend, der Hnsten schüttelte ihn, aber — vorwärts zum Vater — nur hin — er hatte sich aufgerichtet l - „Vater I" 219,17
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