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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.07.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191907237
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190723
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190723
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-07
- Tag 1919-07-23
-
Monat
1919-07
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.07.1919
- Autor
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Gegenüber den von einigen Rednern vertretenen Aufteilungsbestrebungen Preußens setzte sich Abg. Fischbeck sür die Erhaltung Preußens ein. In der weiteren Aussprache, die sich stundenlang hinzog, ohne im wesentlichen neue Gesichtspunkte zu bringen, machte sich teilweise eine Opposi- tion geltend. Unter den letzten Rednern hielt Dr. Obst-Breslau der Partei den Spiegel vor, aus dem kein sehr erfreuliches Bild heraus sah. Er machte ihr den Borwurs, es mangele ihr an der großen eigenen Parteiidee, die eine Partei beseelen müsse. Wenn die Partei das Rätesystem und die Planwirtschaft ablehne, .so müsse sie auch etwas anderes an ilste Stelle setzen. Der Rednern schlug deshalb vor, eine Kommission zur Prüfung der Rätefrage und eine weitere Kommission zur Prüfung der Wirtschafts lage zu ernennen, und zwar sollten in der letz teren demokratische Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Zusammenarbeit vertreten sein. Zum Schluß wurde eine Entschließung angenommen, in der der Fraktion für die Haltung in der National versammlung Zustimmung und Dank ausgespro chen und ferner Protest erhoben wird gegen die unerhörte Vergewaltigung des deutschen Volkes. Der Montag war der Erledigung der Anträge und der engeren Programmfestlegung gewidmet. An Anträgen waren nicht weniger als 224 ein gegangen, von denen sich die meisten auf Pro gramm- und Satzungsänderungen bezogen, die übrigen u. a. den Abbau der Kriegswirtschaft, Steuerfragen, Errichtung eines eigenen Prefse- bureaus usw. zum Gegenstand hatten. Sie wurden zum größten Teil der Geschäftsstelle der Fraktion zur Erledigung überwiesen. Dann er hielten die Referenten das Schlußwort. Zur Friedensfrage wurden die Anträge, die die Hal tung der Fraktion in der Frtedensfrage billigten, angenommen. Angenommen wurde der Haupt antrag Gerland-Iena, worin der Parteitag der Fraktion ebenfalls seine Billigung ausspricht und flammenden Protest gegen das Deutschland zu gefügte Unrecht des Gewaltfriedens erhebt. An weiteren Anträgen wurde der Antrag über die dreijährige Legislaturperiode sowie darüber, daß den Arbeiterräten keine politischen Rechte zuge standen werden sollen, angenommen. Mischt MiMlottsWtlllmg. Weimar, 21. Juli. Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung. Die zweite Beratung des Verfassungsentwur fes wird bei dem 5. Abschnitt der Grundrechte und des Wirtschaftslebens, Artikel 148 bis 162 fortgesetzt. Abg. Sinz heim er (Soz.) erstattet den Bericht über diesen Abschnitt. Dieser Teil der Verfassung behandelt das Wirtschaftsleben. Einer seiner Hauptgrundsätze bildet die Rechtsanerkennung des Eigentums. Von größter Bedeutung ist die in dem Abschnitt enthaltene Regelung des Ar beitsrechts, für dessen Gesamtgebiet die Verein heitlichung angestrebt wird. Endlich bringt dieser Teil der Grundrechte die Regelung der Räte frage. Dabei wird von dem Gedanken ausge gangen, daß die wirtschaftlichen Kräfte nicht frei und ungebunden wirken dürfen, sondern organi satorisch festgehalten werden müssen, nach Grund sätzen, nach denen sich die Entwickelung der wirtschaftlichen Kräfte abspielen soll. Artikel 148 gewährleistet im wesentlichen die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen und die Han dels- und Gewerbefreiheit. Die Unabhängigen beantragen, den Artikel 148 zu streichen und da für die Umbildung der kapitalistischen Wirtschafts ordnung in die sozialistische auszusprechen. Abg. Henke (Unabh): Die Verfassung wird kein langes Leben haben. An ihre Stelle tritt der Sieg des Sozialismus und die Diktatur des Proletaüats. Artikel 148 wird in der Fassung des Aus schusses angenommen. Artikel 150 gewährleistet das Eigentum. Enteignet kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage gegen angemessene Entschädigung werden. Der Gebrauch des Eigentums soll zugleich Dienst für das Gemeinbeste sein. Artikel 150 und 151 (Erbrecht) werden angenommen. Nach Artikel 152 soll die Verteilung und Nutzung des Bodens jedem Deutschen, beson ders kinderreichen Familien, Wohnung und wirt schaftliche Heimstätte sichern unter besonderer Be rücksichtigung der Kriegsteilnehmer. Grundbesitz kann zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Förderung der Siedelung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Ar- beits- oder Kapitalaufwendung entsteht, ist der Gesamtheit zuzuführen. Alle Bodenschätze und Naturkräfte stehen unter Aufsicht des Staates. Ein Antrag des Abg. Arnstadt (D.-N.) will die Auflösung der Fideikommisse streichen und die Wertsteigerung des Bodens ohne Arbeits und Kapitalsaufwendung durch Besteuerung für die Gesamtheit nutzbar machen. Ein Antrag des' Abg. Haußmann (Dem.) will statt „der Gesamt heit zuführen" sagen „für die Gesamtheit nutzbar zu machen". Abg. Waldstein (Dem.) beantragt, statt „Naturkräfte" zu sagen „wirtschaftlich nutz bare Naturkräfte". Abg. Auer (Soz.) beantragt: Alle Bodenschätze und Naturkräfte sind in das Gemeineigentum überzuführen. Abg. Oste rot h (Soz.) begründet den Antrag. Dieser will lediglich den Rechtszustand wieder Herstellen, welcher vor Einführung der Bergfreiheit bestand. Er will vor allen Dingen es auch aus ländischen Kapitalisten unmöglich machen, deutsche Naturschätze auszubeuten. Die Aufhebung der Mutungsrechte und Regale ist eine Forderung der Gerechtigkeit und Billigkeit. Nachdem die regierenden Fürsten entthront und ihre Zivillisten gestrichen haben, geht es nicht an, nichtregierenden Fürsten und Magnaten Rechte zu lassen, aus welchen ihnen Millionen auf Kosten der Allge meinheit zufließen. Abg. Hampe (D.-N.) wendet sich gegen die Auflösung der Fideikommisse. Eine Reform mag angezeigt erscheinen, die glatte Aufhebung des gebundenen Grundbesitzes würde mehr Nachteile als Vorteile im Gefolge haben. Abg. Dr. Billig (D.-N.) bezeichnet die Rede des Abg. Henke als russischen Salat mit Erfurter Aromatik. Dem Gedanken der sogenannten Bo denreform steht meine Fraktion wohlwollend gegenüber, aber getrennter Meinung ist sie, wie weit die Bodenreform gehen soll. Abg. Dr. Raschig (Dem.): Nachdem wir eben erst die Gewährleistung des Eigentums be schlossen haben, ist es nicht möglich, die Boden schätze ohne weiteres zu beschlagnahmen oder in Gemeineigentum zu überführen. Anch praktisch ist es undurchführbar und in verstärktem Maße gilt beides von den Naturkräften. Abg. Katzenstein (Soz.): Wir lehnen die Fi deikommisse als Bestrebungen konservativer, ja radikaler Art ab. Regalien und Mutungen in den Händen Privater sind nichts als vom Staate verschenkte Hoheitsrechte. Die mit grammophon- mäßiger Regelmäßigkeit erhobenen Vorwürfe der Unabhängigen lassen uns kalt. Abg. Dr. Waldstein (Dem.): Die Fideikom misse erfüllen die ihnen zugeschriebene Aufgabe nicht. Nur, anstatt wie die Demokratie will, dem Tüchtigen freie Bahn zu schaffen, stellen sie den Untüchtigen für alle Fälle sicher. In der Abstimmung wird Artikel 152 mit der Aenderung angenommen, daß bei Wertstei gerungen des Bodens der Erlös für die Gesamtheit nutzbar zu machen, nicht der Gesamt heit zuzuführen ist, und daß statt Naturkräfte gesagt wird wirtschaftlich nutzbare Naturkräfte. Nur über die Aufhebung der Mutungskräfte wird morgen namentlich abgestimmt werden. Artikel 153, Vergesellschaftung, Artikel 154, Schutz der Arbeitskraft und einheitliches Arbeitsrecht, 155, Schutz der geistigen Arbeit, 156, Vereinigungsfrei heit zur Wahrung und Förderung der Arbeits und wirtschaftlichen Bedingungen, 157, Sicherung der freien Zeit zur Wahrnehmung staatsbürger licher Rechte, 158, Arbeitsversicherungswesen, 169, Zwischenstaatliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Arbeiter, und 160, Arbeitspflicht und Arbeits recht, werden in der Ausschußfassung ange nommen. Artikel 161, Schutz des Mittelstandes gegen Ausbeutung und Aufsaugung wird ange nommen. Artikel 162, Räteartikel; bestimmt im wesentlichen: Arbeiter und Angestellte wirken mit den Arbeitgebern an den Lohn- und Arbeits bedingungen und der gesamten wirtschaftlichen Entwickelung der produktiven Kräfte mit. Die Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. Arbeiter und Angestellte erhalten ge setzliche Vertretungen in Betriebsarbeiteräten, Be zirksarbeiterräten und einem Retchsarbeiterrat. Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat bilden mit den Vertretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise bezirkswirtschaft liche Räte und einen Reichswirtschaftsrat, in denen die wichtigsten Berufsgruppen vertreten sind. Grundlegende sozialpolitische und wirt schafspolitische Gesetzentwürfe sind dem Reichs wirtschaftsrat zur Begutachtung vorzulegen. Dieser kann solche Gesetze selbst beim Reichstag bean tragen, seine Vertreteter können an den Reichs tagsverhandlungen darüber teilnehmen. Ein Anttag Haußmann (Dem.) will neben den Be triebsarbeiterräten ausdrücklich auch die Ange stelltenräte aufgeführt sehen. Die Abg. Arnstadt (D.-N.) und Genossen beantragen an Stelle des Entwurfs die Errichtung eines nach allen Berufs ständen gegliederten Reichswirtschaftsrates als öffentlichrechtliche Vertretung des gesamten Wirt schaftslebens. Die Unabhängigen beantragen die Wahl von Betriebsräten durch die Arbeiter und Angestellten, die an der Leitung der Betriebe entscheidend mitwirken und die Sozialisierung fördern sollen. Die Arbeiterräte sollen die Ver waltung im Reich, Staat und Gemeinde beauf sichtigen und haben das Recht des entscheidenden Einspruches gegen gesetzliche Maßnahmen. Abg. Dr. Delbrück (D.-N.): Artikel 162 enthält eine Reihe von Bestimmungen, die für uns unannehmbar sind. Trotzdem liegt in dem Gedanken eine Tendenz, die auch bei uns An klang gefunden hat, wenn sich die Entwickelung nämlich als Gegengewicht gegen eine Ueber- spannung des Parlamentarismus in der Richtung der Schaffung einer berufsständigen Kammer bewegt. Abg. Erkelenz (Dem.): Wir stehen dem Rätesystem grundsätzlich sympathisch gegenüber, lehnen es aber ab, den Räten irgendwie geartete politische Rechte zu gewähren und ebenso sie all gemein als Kontrollorgane einzusetzen. Wir sind dagegen für die Arbeiterräte als Organe der sozialen Selbstverwaltung. Den Reichswirt schaftsrat neben dem Reichstag wünschen wir nicht, aber wir wollen ihm das Recht geben, Gesetze einzubringen. Äbg. Lohn (Unabh): So wie die Regierung den Rätegedanken in den Generalstreiktagen des März versprochen hatte, hat sie ihn nicht ansge- fiihrt. Diese Vorlage wird keine Beruhigung schaffen. — Die Sitzung dauert fort. MWMtt Protest. Der sogenannte „internationale" Proteststreik hat im Reiche im allgemeinen, in Sachsen im besonderen versagt. Nicht ganz so versagt, wie dies in den Vielverbandsländern der Fall ist, die noch dazu die Anreger des Demonstrations- streiks waren, aber die U. S. P. hatte sich die Sache doch wohl etwas anders gedacht. InLeipzig ist es nicht zu Arbeitseinstel lungen gekommen. Die von den Unabhängigen einberufenen Versammlungen waren zum Teil auffällig schwach besucht. Die Redner sprachen zumeist weniger gegen die Vergewaltigung des deutschen Volkes durch seine Feinde, als viel mehr in der bekannten Tonart gegen Regierung, Mehrheitssozialisten und Bürgertum. In Dresden war die Arbeit auch nicht eingestellt worden. Nachmittags hielten die Un abhängtgens abends die Sozialdemokraten Ver sammlungen ab. In Berlin ruhte der Betrieb natürlich völlig. Die Elektrizitätsarbeiter gaben keinen Strom ab, so daß Fabriken und Werkstätten, Straßenbahnen usw. die Arbeit einstellen mußten. Hoch- und Untergrundbahn, Gasanstalten usw. lagen still. Zu Zusammenstößen kam es im Lustgarten und Unter den Linden, wo ein etwa 17jähriger Bursche einen Reoolocrschuß in die Lust abgab. Die Regierungssoldaten forderten darauf die Menge auf, sofort auseinander zugehen. Als Antwort fielen wieder Schüsse. Nun wurde Befehl zum Feuern gegeben, wodurch einige Personen verletzt wurden. Nachdem die Straße Unter den Linden gesäubert worden war, zogen mehrere tausend Personen durch die Neue Wilhelm- und Luisenstraße über den Karlsplatz in nördlicher Richtung davon unter fortwährenden Rufen: „Hoch die internationale Weltreoolution! Nieder mit der Regierung I Nieder mit Noske!" Nach den bisherigen Feststellungen wurden drei Personen durch Schüsse verletzt. — Der Bezirks vorstand Ler Berliner Sozialdemokratie hatte zu gestern abend neun große Volksversammlungen in den bedeutendsten Sälen Großberlins ein- berusen, in denen bekannte Führer sprechen sollten. Die Anhänger der Partei waren jedoch nicht in großen Massen erschienen, denn bet Er öffnung der Versammlungen waren die Säle zum größten Teil durch Kommunisten und Unabhängige besetzt. Unter diesen Umständen konnten die Redner ihre Ansprachen nicht zu Ende führen, denn überall kam es zu furchtbarem Lärm, der verschiedentlich in Tätlichkeiten zwischen den Parteien ausartete. Im Gewerkschaftshaus kam es zu einem blutigen Tumult, bei dem Schüsse abgegeben und mehrere Personen verletzt wurden, darunter auch 8er Redner Redakteur Kuttner vom „Vorwärts". In Königsberg ruhte die Arbeit, es fan den Umzüge statt. In Halle demonstrierten bet völliger Arbeitsruhe 30000 Personen, ebenso in Kiel, wo der Verkehr völlig ruhte. In Braunschweig war teilweiser Streik, die Konseroenindustrie arbeitete. In München wurde überall ohne Ausnahme gearbeitet Auch die unabhängigen Sozialisten ließen durch ihr Organ erklären, das Münchener Proletariat streike und demonstriere am 21. Juli nicht. Auch in Augsburg kam cs zu keinerlei Streiks oder Demonstrationen. In Kassel war der Streik ein völliger, selbst die Post be teiligte sich hier. In Plauen ruhte nach mittags der Straßenbahnverkehr. Die Mehrzahl der mittleren Orte hat, soweit wir aus den uns vorliegenden Meldungen ersehen, an dem Pro testtag nicht teilgenommen. In Magdeburg feierten etwa 10 Prozent der Arbeiter, ebenso in Breslau. Soweit Nachrichten bisher vorliegen, scheint der Streik in Frankreich und Italien völlig ins Wasser gefallen zu sein. In Rom trugen z. B. die meisten Häuser nationalen Flaggenschmuck als Demonstration gegen den internationalen Charakter des Streiks. Rundschau. Sachsen und das Reich. Wegen des Widerspruchs Sachsens hinsichtlich des Uebergangsgesetzes für die Volksschule und der Entschädigung der Kohlengrundbesitzer hat der Abgeordnete Nitzschke (Dem.) zwei kleine Anfragen an die Nationalversammlung gerichtet. Bekannt lich sehen die Reichsgesetze eine andere Regelung vor wie die von der sächsischen Volkskammer beschlossenen Gesetze. Flucht des Prinzes Msx von Baden. Prinz Max von Baden, der sich am Boden see aufhielt, ist mit seiner Familie in einem Irauentieöe. Roman von Clara Aulepp-Sttibs. 29 Giovanni legte den Arm um Lottis Schultern. ,Ja, Arbeit genug wird es geben, ich will auch gleich ms Kontor gehen; fehlt man einmal, häuft sich eine Menge an, was keinen Aufschub erleiden darf. Zs wird spät werden, ehe ich zurückkvmme." Mit einem Seufzer zog Giovanni die junge Frau an sich. „Bring' mir doch etwas Arbeit mit, Gio l" „Wenn es geht, ja! Aberdas meiste muß ja gleich drüben erledigt werden. Adieu, Liebl" Er küßte seine Fran. Da fühlte Lotti, wie seine Lippen brannten. „O, wie bist Du heiß!" Sie hielt ihn fest, sah ihni besorgt ins Gesicht. „Du glühst ja ordentlich!" „Das macht die Lust," lächelte Giovanni et was gezwungen und ging dann rasch hinaus, als ob er weiteren Erörterungen ans dein Wege gehen wollte. Und da die Fenster des Wohnzimmers nach der Landseite läge», konnte ihn die Frau sehen, bis daß er drüben in das Gebäude eintrat. Sie sah dann auch im ersten Stock seinen dunklen Locken kopf sich über die Schriften neigen, die ans seinem dicht am Fenster stehenden Schreibtisch lagen. Da preßte sie die Handflächen gegeneinander. O, wie sie ihn liebte, diesen Mann! Wie gern würde sie jetzt mit ihm gegangen sein, um an seiner Seite zu arbeiten. Allein er wünschte das nicht und so wollte sie ihm wenigstens das Heim so traulich und behaglich wie möglich machen. Sie schellte der Köchin, wählte sorgfältig die Speisen für das späte Mittagessen aus und reichte dann Martha die neue Liste der Armen, die sich ihr Mittagessen hier hol ten. Denn Lotti war sich dankbar des bevorzugten Platzes bewußt, auf den sie gestellt war, und suchte nun so viel wie möglich die Not derer zu lindern die um kargen Lohn kämpften. Als Martha ge gangen war, stand sie einen Augenblick in Sinnen verloren inmitten des Zimmers. Doch nein, sie wollte nicht grübeln. Mit des Stubenmädchens Hilfe ging sie daran, das Fremdenzimmer herzurichten. Sie wußte zwar noch nicht, ob Ria Forster kam, aber „sie wird schon kommen, denn ich weiß doch, daß sie gern ihres Heinz Heimat kennen lernt," sagte sie sich. „Doch ein bißchen öde wird es für sie werden und lustig auch nicht," setzte sie in Gedanken an ihren Schwie gervater bedrückt hinzu. So verging die Zeit. Ein Bote kam und brachte Nachricht aus der Villa Arnheim; sie lautete nicht direkt ungünstig. Im Eßzimmer war der Tisch ge deckt; die Hausfrau stellte noch eine Vase mit dun- kelroten Nelken in die Mitte, dann legte sie eitle Rose zwischen die Falten von ihres Mannes Ser viette. „Gio liebt die Rosen so, und gerade heute, wo so viel Trübes auf ihn einstürmte, soll er wissen, daß meine Gedanken sich mit ihm beschäftigt haben." Im Dämmer des unfreundlichen Märzabends saß die Frau dann in ihres Mannes Zimmer und wartete. Es war merkwürdig, daß sie gerade in Giovannis Abwesenheit so gern diesesGemach auf suchte. Den leichten Zigarettenduft, Gio rauchte keine Zigarren, das ganze Aroma des Zimmers empfomd sie wie eine leise Liebkosung ihres Man nes. Sie schmiegte sich in einen der großen, weiten Ledersessel, die um den Tisch gruppiert waren und ließ die Hände müßig im Schoße ruhen. Traum verloren glitt ihr Blick über das geschmackvolle Jn- terienr. Unangenehm in ihrem Empfinden berührt, blieb er dann an einem kleinen Tisch haften, des sen Platte von einem Tablett mit mehreren Fla schen und Gläsern bedeckt war.Das Tischchen stand in einer Ecke zwischen Bücherschrank und Chaise longue. Halte Gio Besuch gehabt? Doch jedenfalls! — Aber dann war ihr ja gar nichts bekannt. — Müßte denn heute, während sie bei ihrer Mutter weilte und ihr beim Packen einiger Garderobe half, je mand dagewesen sein? — Gewiß, so würde es schon sein ulid Gio es nur vergessen haben, zu er wähnen. Sie sah aber jetzt nichts weiter, als diese bis auf einen kleinen Rest geleerten Weinflaschen. Sie starrte intensiv nur immer dorthin, wo der letzte Tagesschein das Helle Viereck der Etiketten scharf hervortreten ließ, als wollte er ihr die drohende Gefahr zeigen, sie warnen Zuletzt vermochte sie es nicht mehr zu sehen, sie schloß die Augen. Nach einer Weile stand sie auf. Es war nun ganz dunkel im Zimmer, auch die Etiketten konnte man nicht mehr erkennen. Lotti tastete sich nach der Türe. Ihre Glieder wa ren schwer wie Blei. Als sie ins Eßzimmer eintrat und die ganze trauliche Behaglichkeit des schönen Raumes emp fand, würgte es sie in der Kehle. Doch sie bezwang sich, warf nur einen Blick auf die Uhr. Schon sieben! — Um fünf Uhr wurden die Bureaus gewöhnlich geschlossen. Doch Giovanni würde heute länger arbeiten! Unruhig ging sie ins Wohnzimmer, zog die ge schlossenen Vorhänge zurück und lugte durch die Spitzenstores. — Alles dunkel drüben!— Bedrückt blieb sie am Fenster stehen. Ob ihr Mann gleich mit dem Beamtenfahrdampfer nach Villa Arnheim hinüber gefahren war, um nach seinem Vater zu sehen? Sie legte die Hand an die Stirn, dann nickte sie mit dem Kopf. „Die Sorge um den Vater wird ihm keine Ruhe gelassen haben; er hat sich viel leicht auch erst im letzten Augenblick entschlossen, sonst würde er mir Botschaft haben zukommen las sen," versuchte sie sich zu beruhigen. Sie stieg selbst in die Küche hinunter, sah nach, daß Martha das Essen, so gut es ging, warm und bereit hielt. Dann begab sie sich wieder ins Wohn zimmer zurück. Sie setzte sich mit einer Handarbeit auss Sofa. Der feine, weiße Flanell, durch welchen sie den blauseidenen Faden zog, ruhte ihr mit einem Mal so schwer in der Hand, der Arin tat ihr weh, die Hand sank auf die Tischplatte, die andere legte sie darüber, dann neigte sich der Kopf wie von einer geheimen Last niedergedrückt, und Frau Lotti weinte, weinte. Wie lange sie so gesessen hatte, sie wußte eS nicht. Durch ein Klopfen an der Tür wurde sie aufgestört. Es war das Stubenmädchen. Sie fragte, ob die gnädige Frau nicht etwas essen möchte. „Nein, nein, ich warte!" wehrtediese hastig ab. „Der Herr ißt aber gewiß in der Villa Arn- heim, es ist doch schon zehn," erlaubte Emma sich in bescheidenem Ton zu bemerken. „Schon zehn? Nicht möglich! Dann allerdings wird mein Mann schon gespeist haben. Vielleicht ist es mit meinem Schwiegervater schlimmer ge. worden." Lotti sprach möglichst ruhig, aber das Mädchen merkte doch die verborgene Qual im Toue de Stimme. „Gnädige Frau sollten sich aber nicht so ängsti gen und etwas essen," meinte sie gutmütig. „Nein, nein, ich kann nicht! Bringen Sie mi' nur eine Tasse Tee, sonst nichts weiter." Das Mädchen ging. Lotti packte mechanisch die Arbeit in den Näh korb. Ihre Gedanken gingen ihrem Manu «ach, sie kreisten immer nur um seine Person, marterten und folterten sie. Ganz müde schleppte sie sich ins Eßzimmer und trank einige Schluck von dem Tee, den Emma eben brachte. Sie hatte sich auf ihren gewohnten Platz gesetzt und zerbröckelte nun lang sam ein Cakes zwischen den Fingern. Das Mädchen wollte die Bestecke vom Tisch nehmen. „Lassen Sie doch das!" fuhr sie auf. Da entfernte sie sich still; ihr tat ihre Herrin leid. Diese stützte den Kopf in die Hand. Ein süßer, lieblicher Duft zog über den Tisch. Da hob sie d<m trostlosen Blick. Er siel auf die Rose in Giovannis Serviette. Die nahm sie heraus, sag tränmerisch den Duft ein. Die Blume war am Verwelken und Gio hatte ihr gesagt: „Eine sterbende Blume wirkt berauschend, wie ein Glas edelsten Weines!" Und wieder und wieder preßte die Fran ihr Gesicht auf die Blume, derweilen die Zeiger der Uhr langsam, aber stetig vorwärts rückten. 2l9,17
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