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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 16.07.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191907164
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190716
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190716
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-07
- Tag 1919-07-16
-
Monat
1919-07
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 16.07.1919
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die Abgabe nach dein Satze erhoben, der sich für dös' gesanite abgabcpslichlige Vermögen ergibt. Die Zahlung der Abgabe erfolgt als Rente in der Weise, das; der Ab- gabebctrag zuzüglich einer <nn 1. Januar 1920 beginnenden Verzinsung in Höhe von 5 vH. innerhalb dreißig Jahren in gleichmäßigen Teil beträgen, von denen der erste am 1. Oktober 1920 fällig ist, getilgt wird. Für die geschul dete Rente hat der Abgabepflichtige Sicherheit zu leisten. Der Abgabepflichtige ist berechtigt, die Rente ganz oder in Teilbeträgen abzulösen. Wer bis zum 31. Dezember 1929 die Abgabe zahlt, kann überdies Kricgsanleihestücke und andere Schuldverschreibungen des Deutschen' Reiches in Zahlung geben, und zwar werden den Kriegs- anleihezeichuern ihre fünfprozcntigen Schuldver schreibungen zum Nennwert angereehnet. Für die übrigen Eigentümer von Kriegsanleihen und für die Eigentümer sonstiger Schuldverschreibungen des Reiches werden besondere Steuerkurse sestgc- ftellt, zu denen die Werte bis zum 3l. Dezcm- .ber 1920 an Zahlungsstatt angenommen werden. Verstöße gegen das Gesetz sind mit hohen Strafen belegt. Die Einnahme aus den Tilgungsbeträgen des Reichsnotopfers ist ausschließlich für die Abminderung der Neichs- schuld zu vertuenden. In dieser Bestimmung kommt das große Ziel zum Ausdruck, das sich die Neichsfinanzverwaltung mit der Erhebung des Neichsnotopfers steckt. Nur durch eine Her abminderung der Schulden des Reiches, insbe sondere seiner schwebenden Verpflichtungen kann ein Gesnndungsprozeß herbeigeführt werden, der nicht nur für die gesamte Volkswirtschaft, son dern auch gegenüber dem Auslände, das nach dem Friedensvertragc so große Forderungen an nnS stclsi, von größter Wichtigkeit ist. Rundschau. Die Heimkehr nuferer Kriegs gefangenen Wie aus Versailles gemeldet wird, verläßt am 2S. Juli der erste deutsche Kriegsgefangenen- transport in Stärke von 3000 Mann das Ge- fangeneüsammellager bei Reims. — Der erste große Heimkehrzug, umfassend 38 Offiziere und 600 Mann, passierte den Bahnhof Heidelberg. Die Heimgekehrten hatten bis zum Waffenstill stand gegen die Bolschewisten bei Odessa ge kämpft, waren dann von Frankreich interniert und über Konstantinopel nach Saloniki gebracht worden. — Die Heimkehr der pfälzischen Kriegs gefangenen vollzieht sich jetzt regelmäßig. In St. Ingbert treffen täglich mehrere Sonderzüge mit Kriegsgefangenen ein, wo sie aus dem fran zösischen Transport ausgeladen und in Extrazügen der Heimat zugeführt werden. Rückkehr der deutschen Internierten aus Ungarn, auch Mackensens. Wie ein Wiener Korrespondenzbureau be richtet, werden die in Ungarn interniert gewesenen deutschen Soldaten mit Generalfeldmarschall Mackensen in den nächsten Tagen auf dem Wege nach Deutschland nach Wien kommen und sich einige Tage aufhalten. Die Schnlfrage. Zwischen Zentrum und Sozialdemokraten ist, wie aus Weimar berichtet wird, nunmehr das Kompromiß für die Verfassung abgeschlossen. Artikel 123 Absatz 2 lautet in seiner jetzigen Fassung: Ob die Schule innerhalb der Gemeinde für alle Bekenntnisse gemeinsam, nach Bekennt nissen getrennt, oder bekenntnisfrei (weltlich) sein soll, entscheidet der Wille der Erziehungsbe rechtigten, soweit dies mit einem geordneten Schulbetrieb zu vereinen ist. Das nähere be stimmt ein bald zu erlassendes Neichsgesetz. Bis zum Erlaß dieses Gesetzes bleibt es bei den be stehenden Vorschriften. (Alle bisherigen Schul ¬ reformen bleiben daher bestehen) Absatz 3 lautet n der bisherigen Fassung: Für den Zugang Un bemittelter zu den mittleren und höheren Schulen ind,öffentliche Mittel bereitzustellen. Dieser Ab- atz erhält jetzt folgende erweiterte Form: Für den Zugang Minderbemittelter zu den mittleren und höheren Schulen sind durch das Reich, die Länder und Gemeinden öffentliche Mittel bereit- zustellen, insbesondere Erziehungsbeihilfe für Kin der, die zur Ausbildung auf mittleren und höheren Schulen für geeignet erachtet werden. Zusammenschluß Hessens und -er Rheiupfalz. Wie verlautet, erwägt die hessische Regierung im Einverständnis mit der Volksvertretung und ? mit der bayrischen Regierung den Zusammen- : schluß der besetzten Teile Hessens mit der Rhein- s Pfalz zu einer Wirtschaftsgemeinschaft. Die hessi- f sche Negierung hat dabet nicht etwa reichsfeind- j ltche Absichten, sondern sie ist lediglich bestrebt, ; die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die in den ? einzelnen, von einander getrennten Staatenteilen durch die Besetzung heroorgerufen werde.!, aus zugleichen. — Man wird gut tun, bemerken die L. N. N. hierzu, diesem Zusammenschluß Auf merksamkeit zu widmen. Dor allem soll die Neichsleitung nach dieser Richtung hin ja nichts versäumen. Bisher haben sich noch alle Los trennungsbestrebungen eine harmlose Maske zu geben gewußt. Der Berliner Verkehrsstreik. Das Ergebnis der Abstimmung der Straßen bahner auf etwa 26 Bahnhöfen ist folgendes: 10043 Stimmen für Fortsetzung des Streikes und 3335 für die Wiederaufnahme der Arbeit. 167 Stimmen waren ungültig. — Die Angestellten der Hochbahn haben sich nach dem Ergebnis der Abstimmung am Montag mit 1266 Stimmen für den weiteren Streik ausgesprochen. 650stimmten für die Wiederaufnahme der Arbeit, so daß also bei der Hochbahn mit der Weitersührung des Streiks gerechnet werden muß. — Die Angestellten der Omnisbusgesellschaft haben die Wiederauf nahme der Arbeit beschlossen. — Der Arbeitgeber verband will alle Streikenden, die bis Donnerstag die Arbeit nicht wieder aufnehmen, entlassen. Die Uebernahme deutschen Landes durch die Polen. Die militärischen Missionen der Koalition sind in Danzig nnd Thorn eingelrossen, nm die llevennchme des Landes durch die Polen vor- zubereiten. Die Uebernahme von Thorn und Weslpreußen dnrch Polen beginnt am 25- Jnli. Den Deutschen wird nicht gestaltet sein, die Ernte fortzubringen. Der Einzug der polnischen Truppen in Thorn' ist zum 21. Juli iu Aus sicht genommen. Keine Einigung innerhalb der Sozialdemokratie. Sonntag sand in Vreslan eine sehr' stark be suchte Versammlung aller sozialdemokratischen Richtungen statt, zu dein Zweck, eine Einigung innerhalb der Soziatdenwlratie herbeizuführeu. Die Versammlung ist aber ergebnislos verlansen. Die Wiederbelebung des dentsch-finnischen Außenhandels. In finnischen Handclskreisen macht sich das ' dringende Bedürfnis geltend, die seit einiger Zeit Taniederliegenden Handelsbeziehungen mit Deutschland wieder umfangreicher zu gestalten; insbesondere rechnet man mit der sofortigen Auf nahme des Butlerexports nach Deutschland. Die ! Finnische Zcntralexport-Gcnossenschast Dalio hat § um völlige Freigabe des Butterhandels und um ; Ausfuhr nach Deutschland bei der Negierung - nachgcsucht. In der letzten Woche sind bereits s 2000 Faß Butter nach deutschen Häfen abge- ! gangen. Die finnische Regierung -ist bestrebt, s auch die Ausfuhr von Holz und Zellstoff, Ma- : schinen und Werkzeugen nach Deutschland zu ! beleben. 1 Heftige Kämpfe zwischen polnischen und litauischen Truppen. Nach amtlichen Meldungen sind bei Ziesmar zwischen polnischen und Manischen Truppen hef- lige Kämpfe entbrannt. Die litauische Bevölkc- ' rung hat in den Kampf eingegriffen, der bereits Hunderte von Toten nnd Verwundeten kostete. Militärisches Bündnis zwischen Estland, Livland und Litauen. Nach Meldungen ans Helsingfors hat sich die ! Ukraine von den Unterhandlungen mit Estland, Livland nnd Litauen, die auf ein militärisches ; Bündnis hinzielten, zurückgezogen, das nnr zwi- ! scheu den drei Ostseeslaaleu zustande gekommen ist. Die abgelchnte Mterepu-lil. ! General Francet d'Esperah richtete an den Oberkommandierenden der tschecho slowakischen t Truppen, General Pelle, ein Telegramm, in , dein dieser angewiesen wird, keine weiteren Ver- ' Handlungen mit der ungarischen Rätercgierung zu führen nnd keine ihrer Noten zn beantworten. !-General Franeet d'Esperap wird an die Buda- s Pester Regierung eine letzte Mahnung richten, i sofort abzndanken und einer vom Volke gewähl- >' len Regierung Platz zu machen. Die Note wird i kurz befristet sein. Sollte dieser nicht entspro- s chen werden, so wird die militärische Aktion s gegen- Ungarn sofort ausgenommen. Die Räteregierung zum äußersten Wider- l stand entschlossen. Das Wiener „Abendblatt" berichtet aus i Budapest: Der Rat der Volksbeauftragten hat die Verteidigung der Hauptstadt Budapest bis zum äußersten beschlossen. Neunhundert ange sehene Bürger sind als Geiseln verhaftet worden. ! Ueber Budapest erschien am Sonnabend ein feind liches Luftschiff, das Proklamationen abwarf, in denen für die Festnahme der Volksbeauftragten von der Bevölkerung Propaganda gemacht wird. RtWtijchMNleNsttNll SN- MchttMllfteim-VllMmlg. Aus der Tagesordnung der Beratung der Reichssinanzminister in Weimar stand, wie bereits kurz gemeldet, die Reichseinkommensteuer in Verbindung mit der Uebernahme der Steuer verwaltung auf das Reich. Da die direkten Steuern auf das höchstmögliche Maß ausgeschöpft werden müssen, ivird die einheitliche Reichsfinanz verwaltung unbedingt erforderlich sein. Formelle Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Das Reichs- finanzministerinm denkt sich die Gestaltung der Reichseinkommensteuer so, daß Zuschläge künftig hin nicht mehr erhoben werden sollen, daß viel mehr die gesamte Einkommensteuer vom Reiche eingetrieben wird, das dann ent sprechende Teile an die Einzelstaaten und Ge meinden abgibt. Das Interesse des Reiches an der Einkommensteuer wird auf 75 Prozent geschätzt, daher muß die Finanzverwaltung ein heitlich geregelt werden. Dazu ist erforderlich die Uebergabe der Finanzämter von den Einzel staaten an das Reich und deren entsprechende Ausgestaltung, weil nur dadurch das Reich die Einheitlichkeit der Erhebung sicherstellt. Die Reichseinkommensteuer selbst wird der National versammlung wohl erst im Oktober zugehen. Dagegen soll mit der Neichseigensteucrverwaltung tunlichst schon am 1. Oktober begonnen werden. Die süddeutschen Staaten > gegen Erzbergers Vorschläge. In Heidelberg hat eine Besprechung der Negierungen von Württemberg, Hessen nnd Baden über die neuesten Pläne des Reichssinanz- ministeriums stattgcfunden. Die Vorschläge des Reichsfinanzministeriums, die in ihrer Wirkung die Steuerhoheit der einzelnen.Staaten vollständig ausheben und das sogenannte Dotationsrecht an ihre Stelle setzen, wurden einheitlich abgelehnt. Man war darin einig, dem Reiche weit entgegcn- zukommen, doch nur in den Grenzen eines Edelmetallen, soweit ihr Gesamtwert den Be- trag von 20 000 Mark übersteigt. Das Vermögen der Ehegatten wird zusammengerechnet, sofern sie nicht dauernd von einander getrennt leben. Schenkungen, die der Abgabepflichtige oder seine Ehesran nach dem 31. Juli 1914 an Kinder oder an deren Abkömmlinge vorgenommen hat, sind dem Ver mögen des Schenkenden hinzuzurechnen. Ausge nommen- sind Zuwendungen im Werte von we niger als 1000 Mk., fortlaufende Zuwendungen zum Zwecke des .standesgemäßeu Unterhalts oder der Ausbildung, Zuwendungen aus Grund eines gesetzlichen Anspruchs und übliche Gelegenheits- gcschcnke. Eine Kapitalabsindung, die jemand als Entschädigung für den durch Körperverletzung oder Krankheit herbeigesührten gänzlichen oder- teilweisen Verlust der Erwerbsfähigkeit empfan gen hat, ist nicht abgabepflichtig. Wenn auch die Bewertung von Grundstücken im allgemeinen nach dem gemeinen Wert zu er- folgen haben wird, so erntzißigt sich doch bei Grundstücken, die dauernd land- oder forstwirt schaftlichen oder gärtnerischen Zwecken- zu dienen bestimmt sind, der Wertansatz um ein Viertel. Bei B a u g r u n d st ü ck c n kann der Abgadc- vflichtige verlangen, daß der gemeine Wert nach eigener Einschätzung festgestellt wird. In diesem Falle muß aber dem Reich, dein Staat oder der Gemeinde bis zum 31. Dezember 1929 das Recht eingcräumt werden, das Grundstück für den sclbstcingeschätzten Wert zuzüglich -Zinsen, Kosten und Aufwendungen zu erwerben. Die Höhe der Abgabe beträgt für die inländischen Aktiengesellschaften usw., für die sonstigen inländischen juristischen Personen, für nicht rechtsfähige Vereine, Stif tungen usw. 10 vom Hundert des der Abgabe unterliegenden Vermö gens. Das bedeutet gegenüber dem Abgabe- gcsetz für die fonstigcn Abgabevcrpslichtungen eine wesentliche Ermäßigung, die aber, soweit es sich um Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung handelt, schon wegen der Doppelbesteuerung berechtigt ist. Die für die sonstigen Abgabepflichtigen vorge sehene Abgabe beträgt sür die ersten angefangc- nen oder vollen 50 000 Mk. des abgabepflichti gen Vermögens 10 v. H., für die nächsten an gefangenen oder vollen 50 000 Mk. 12 v. H., für die nächsten angcfangcucn oder vollen 100 000 Mk. 15 v. H., für die nächsten auge- fangencn oder vollen 200 000 Mk. 20 v. H-., sür die nächsten angefangcncn oder vollen 200 000 Mk. 25 v. H. usw. bis 65 v. H. Abgabepflichtig i st n u r der dcn Betrag von 5 0 0 0 Mark ü b e r st e i g e n d c Teil d c s V c r- ni ögen s. Besitzt also jemand 50 000 Mark Vermögen, so würden nur 45 000 Mk. abgabe pflichtig sein und einer Abgabe von. 4500 Mk. unterliegen. Die Wirkung der Abgabe ist fol gende: Hat jemand 100 000 Mk. Vermögen, so muß er 11 Prozent ---- 11 000 Mk. abgeben, bei 200 000 Mk. 13 Prozent ---- 26 000' Mk., bei 300 000 Mk. 15,3 Prozent -- 16 000 Mk., bei 100 000 Mk. 16,5 Prozent --- 66 000 Mk. nnd bei 500 000 Mk. 18,3 Prozent --- 91000 Mark. Millionäre geben etwa Million, Multi millionäre 67! 000 Mk. rind die 10 Millionen Besitzenden 5 421 000 Mk. ab, während Vermö gen von 100 Millionen fast 61 Millionen ab- zngeben haben. Hat der Abgabepflichtige oder haben iin Falle der Zusannnenrechnung des Vermögens der Ehc- gatlen beide Ehegatten Zwei oder m e h r K inder , so wird für jedes Kind der Betrag von je 5000 Mk. von der Abgabe freigestellt. Zugleich lvird von dein der Zahl der Kinder entsprechenden Vielfachen von 50 000 Mark die Abgabe nur in Höhe von 10 v. H. erhoben. Boni Nesi des abgabepflichtigen Vermögens lvird Irauenkieöe. Noniau von Clara Aulepp-StiibS. 23 Einen recht traurigen Eindruck auf sie aber machte eines Tages das kleine Zeitungsmädchen. Das Wetter war jetzt kalt und regnerisch, von der See herüber wehte ein scharfer, ungesunder Nord ost und ließ die Behaglichkeit des angenehm durch- wärmteipHanses doppelt empfinden. Lotti kam vom Oberstock herunter und wollte in das Wohnzim mer, oa wurde in demselben Augenblick die Haus tür geöffnet. Sie sah durch die Fensterder das Vesti bül anschließenden Glastür ein sehr dürftig geklei detes Kind hereiuhuschen und die Zeitung dein aus den» Souterrain kommenden Stubenmädchen ge ben. Tas Mädchen schien etivas zn sragcn, denn die Kleine schüttelte den Kopf, wollte eiligst wie der zur Tür hinaus. Da sah Lotti ihr Gesicht. Das war ja aber fast gar kein Kindergesicht mehr! Wie alt sah das aus, wie blaß und verfal- lcn? —Mit einigen raschen Schritten war sie an der Glastür, riß dieselbe auf. „Kind, Kind I Komin mal herein 1" In ihrem hastigen Eifer mochte sie die Worte wohl etivas kant und heftig gesprochen haben, die Kleine fuhr erschrocken zusammen und sah sie mit angstvollen Augen an. Da faßte Lotti gütig nach ihrer Hand, die sich eiskalt und feucht anfühlte. Arines Kind, komm, Du sollst etivas Warmes zu essen bekommen, ehe Du weüergehsl! Emma, ein Teller Suppe ist wohl noch da, und wenn nicht, bringen Sie rasch warme Milch; Zucker nnd Gebäck steht ja auf dem Büfett. Und nun komm, Kleine!" Das Kind fing an zu weinen, es war ein bitter liches, angstvolles Schluchzen. „Nee, ick Han keen Tid! Ick muß heeme!" jam merte es uud rang das Händchen ans der weichen Frauenhand, deren Wärme so wohlig die klammen Finger durchdrang. „Einen Augenblick nur! — Eine Tasse Milch, schnell, Emma!" Das Mädchen verschwand; Lotti zog die Glas tür hinter dem Kinde zu und beruhigte es. „Ich will Dich ja gar nicht aufhalten, Du kannst ja gleich weiter gehen, sage mir nur, wie Du heißt, ja?" „Betty Larsen. — Ick Han keen Tid, ick muß heeme 1" „Gleich, Betty! Nun sag' mir nur noch, wo Du wohnst, dann trinke die Milch hier und lauf'weiter. — Wohnst Du hier?" „Ja, ins letzte HuS!" Das Kind schlürfte schon die Milch. Die junge Frau sah das Mädchen fragend an, sie kannte sich da nicht aus. „Ich weiß eS, gnädige Frau, es ist ein Elend dort—" Mit einen; bedauernden Blick aus dieKleine schwieg sie. . Lotti eilte ins Speisezimmer, nahm von der sil bernen Kuchenschale einige Stückchen, raffte schnell ein weiches, wollenes Tuch, welches sie zuweilen über den Schultern trug, von der Stuhllehne und legte es draußen dem Kinde um. „So, Betty, nun frierst Du nicht mehr so sehr, nicht wahr?" „Nee I" Die Kleine stopfte eilig den Kuchen in die schwarze Ledsrtafche, die sie an; Arin unter dem Zeitnngspaket trug. „Na, so iß ihn doch auf dein Weg, wenn Du es hier nicht willst I" „Nee, den bring' ick Mntting und Hinrichsen mit I" Betty rief es schon von der Tür her, so eilig hatte sie es mit dem Fortkommen. „Wissen Sie näheres über die Familie?" Lotti wauvte sich dein Mädchen zn. Dieses nickte mit Vein Kopfe. Ein verächtlicher Ausdruck glitt über ihr frisches Gesicht. „Der Mann ist ein Trinker!" Weiter sagte sie nichts, und als ob in diesen wenigen Worten die ganze Skala widerwärtigster Szenen, Bruta lität und Roheit, Verarmung und Elend enthalten sei, so schwer, so wnchtig klangen dieselben nnd so legten sie sich auch der jungen Fran aufs Herz. Ein furchtbarer Druck, ein beklemuicndcs Ge fühl schnürte ihr die Brust zusammen, sie wich dem Blick des Mädchens aus, drehte sich hastig um, sie ivar nicht imstande, auch nur ein armseliges Wort zu erwidern. „Nicht wahr, das ist schlimm?" „Ja, das ist sehr schlimm — furchtbar I" Wie unklar die Stinnne klang. Herrjch, wie das der gnädigen Frau doch so nahe gehen konnte, nee, mußte die doch ein mitleidiges Herz haben? — Na, ja, das hatte sie ja auch, sonst hätte sie sich die Betty doch nicht hereingeholt, und das schöne, rote Tuch halte sic ihr geschenkt, nee, .so was, bei dem Regenwetter wurde es doch gleich verdorben, da hätte es doch ein altes getan. Während dieser Reflexionen war Emma in der Küche angelangt. Martha Steffens, die dicke Köchin, eine Friesin von altem Schrot nnd Korn, die ihr Szepter über jeden schwang, der in ihre Nähe kam, schob Emma energisch die Kaffeekanne hin, als diese, ohne sich zu rühren, schon eine ganze Weile auf dem Schemel neben dem Herd hockte und vor sich hinstnrrte. „Na, wat sinnierst denn ? Trink lieber en Tröpp- chen, dat is gescheiter!" „Uh — trinken?" Emma schüttelte sich. „Na, denn segg doch, wat hast denn? — Bist en dolles Mensch!" Mißbilligend betrachtete Martha die vor ihr Sitzende. „Na segg! Het wat gewwt niit de Gnädige?" „I Gott bewahre bist, wohl dusselig. Mit de Gnädige: Als ob man sich mit die verkrachen könnte, — nee, sie hat mich mir nach Betty gefragt, na nnd Du weißt ja, was Bettyn ihr Vater ist, der trinkt doch! — Das hat sie nun mächtig aufgeregt, es schien mich wenigstens so, weißt Du. Es tat mich ordentlich leid, aber' ich konnte doch nichts davor, sie hat mich doch gefragt I" „Ja, dor häst recht, wann sie hei fragt hett — äwer ick denk mi nun Deel!" , Martha Steffens brach kurz ab, wiegte nach denklich den Kopf. Dann schenkte sie zwei riesige Tassen bis an den blanen Rand voll Kaffee. Dann setzte sie sich breit auf ihren ganz beque men Küchenstnhl, langte sich eine Schrippe her und tunkte sie ein. „Süh, Emma, dat is mi. so, as wenn dit noch nich aller Tage Amend — dat liggt as so'n son derbare Ahnung in min Gemä.ld!" Mit einem Blick nach der Decke zeigend, führte sie mit der freien Hand eilt paar Bewegungen aus — „Ick wull äwer «lischt seggt yewwe — sähst De?" Emma starrte, sprachlos vor Schrecken, cher Köchin ins Gesicht. Endlich stammelte sie: „Martha, Martha —" „Pst, stille käste — ick heww uicks seggt!" Da faßte Emma wieder still nach ihrer Tasse Man hörte eine Weile nichts weiter als das lang same Schlürfen nnd Schwatzen der Mädchen, nur im Herd knisterte noch leise das Feuer und de; Nordostwind peitschte den Regen an die Fenster. 8. Kapitel. Sobald der Februar von seinem Nachfolger in der Reihe der Monate abgelöst wird, hat der Win ter wohl endgültig nusgespielt. Im Monat März ergreift der Frühling das Szepter und beginnt sei nen Triumphzng über die Lande. Uud nun fängt alles an zu knospen und zn blühen und die kahlen, dürren Zweige der Bäume nnd Sträncher schmük- kcn sich mit lichtem Grün; das öde, trostlose Aus sehen der Natur wandelt sich nm in ein solches voll Glanz und heiterer Farben. 219,17 Doch an der Kieler Föhrde war es nmy nicht so weit. Noch machten kalte Luftzüge sich bemerk bar und ehe man sich's versah, schüttelte der Him mel eine Wolkeuladnng Schnee herunter. Meistens ein grauer, bewölkter Himmel, uud als es weiter in den März hinein ging, wieder trübe Regentage. An einem solchen war Lotti bei Betty Larsen, dem kleinen Zeitungsmädchen. Frau Larsen wai noch eine junge Fran, doch ihr magerer, ausge- mergclter Körper, ihr hohläugiges Gesicht uudZ-as spärliche Haar ließen sie bedeutend älter erscheinen. Doch das junge Weib schielt eine bedeutend, Willenskraft zu besitzen. Es war Lolli wenigsten? ein Rätsel, wie sie es fertig brachte, Jahre hindurch von früh vier Uhr bis Abends spät in rastloser Ar beit tätig zu sein. Man hatte ihr gesagt, Frau Lar sen ernähre sich nnd ihre vier Kinder ganz allein.
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