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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 24.06.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191906248
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190624
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190624
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-06
- Tag 1919-06-24
-
Monat
1919-06
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 24.06.1919
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Mehrheit meiner Partei sich entschlossen hat, dem vorliegenden Friedensvertrag ihre Zustimmung zu versagen. Wir haben uns gesagt, daß, wenn ein Polk einmal seinem Untergang ins Gesicht blicken muß, eS wenigstens mit dem Gesühl tun muh, in Ehren unterzugehen. Die Stimmen unserer Kriegsgefangenen sind uns zu Herzen gegangen. wir haben auch Stimmen gehört: Obwohl wir uns nach der Heimat sehnen, nehmt auf uns leine Rücksicht. Das Vaterland ist uns mehr. (Stürmischer Beifall.) Wir stimmen durchaus überein mit dem, was der Vorredner gegen die unsittliche Zumutung gesagt hat, daß wir wider besseres Wissen ein Schuldbekenntnis ablegen und daß wir Reichsangehörige ausliefern sollen. Wir »vollen unsere jetzige Stellung einhalten, wollen sie aber nicht zu einer grundsätzlichen Opposition ausnutzen. Die Folgen dieses Verhaltens sind, dah wir mit Ausnahme der Abgeordneten, die für die Unterzeichnung sind, gegen die Erklärun gen der Negierung in der Friedensfrage stimmen werden, dah wir aber bei der Abstimmung über das Vertrauensvotum uns der Stimme enthalten werden. Abg. Graf Posadowsky (Deutfchnat. Vollsp.): Wir können der neuen Regierung un ser Vertrauen nicht aussprechen. Es war ein großer Tag, als wir uns am 12. Mai in Ber lin gegen die Friedensbedingungen erklärten. Was hat sich seitdem geändert? Die Zugeständ nisse sind unserem Auge kaum sichtbar. Woher der Umschwung? so frage ich. Die Folgen der Ablehnung sind nur vorübergehend, während der Vertrag ungezählte Generationen unseres Volkes dem Elend preisgeben wird. Deshalb muß das lebende Geschlecht den Todesmut besitzen, die gegenwäriigen Folgen zu ertragen, um die Au- kunU zu retten. Für uns ist der Vertrag nach wie vor' unannehmbar, zunächst aus militärischen Gründen. Die Polen sollen Gebiete erhalten, die Deutschland erst kulturfähig gemacht bat. Wir haben unsere Kolonien rechtmäßig erworben. Man nimmt sie uns. Warum führt England das Selbstbestimmungsrccht nicht in Irland und Indien ein? Wir sollen nicht nur Frankreich entschädigen, sondern auch Serbien, Montenegro, Rumänien und Italien. Das werden so unge heure Entschädigungen sein, daß wir sie in Jahrhunderten nicht abtragen können. Abg. Haase (Unabh.): Der Friedensver trag entspricht nicht unseren Grundsätzen. Wenn wir ihn trotzdem aunebmen, so geschieht es un ter der zwingenden Gewalt. Wegen der zwei Punkte: der Schuld am Kriege und der Aus lieferung der Schnldigen darf der Vertrag nicht scheitern. Die Entente läßt eine geteilte Antwort mit Vorbehalt nicht zu, und wir brauchet» den sofortigen Frieden, um den Wiederaufbau zu be- ginnen. Gewiß, es wäre töricht, wenn man auf eine in den nächsten Wochen sich vollziehende Weltrevolution rechnen wollte. Ministerpräsident Bauer: Der Abgeordnete Haase hat erllärt, die Regierung, habe eure Noß täuscher-Potitik betrieben. Von Roßtäuschcr-Po litik verstehen alle Mitglieder der vergangenen Negierung nicht so viel wie der Abgeordnete Haase. (Große Heiterkeit > Herr Haase erklärte: Kein Mensch, insbesondere nicht die Entente, habe an das Unannehmbar geglaubt. Soweit das zutresfen sollte — wer trägt denn die Schuld daran? Die unabhängige Sozialdemokratie, die fortgesetzt erklärt habe: Der Vertrag muß unter schrieben werden! ?lbg Kabt (Deutsche Vp): Tie Deutsche Voskspanci lelmt einmütig diesen Frieden ab und sieht sich daher nicht in der Lage, einer Negiernng, die sich zu dem Zwecke gebildet bat, diesen Vertrag zu unterschreiben, ihr besonderes Vertrauen zu bekunden. Es ist der beste Welt geschichtliche Fall, daß ein Friede ohne münd Uche Berlmndlnngen abgeschlossen worden ist. Das. ist ein Zeichen des Hasses, der Gering schätzung und der selbstgefälligen Stimmung des Siegers. Mit der Drohung des Einmarsches sucht man uns zu schrecken. Sie mögen einmar ¬ schieren. In unserem Volke gibt es noch Tau sende, die da meinen, daß wir uns jetzt nicht vor der Gewalt beugen, sondern über uns er gehen lassen sollen, was an Leid unvermeidlich ist. Abg. Hörsing (Soz): Im Namen der sozialdemokratischen Vertreter der Gebietsteile, die durch diesen Friedensverlrag unmittelbar vor der Gefahr stellen, von Deutschland losgerissen zu werden, habe ich folgendes zu erklären: Wir er- heben voll tiefsten Schmerzes unsere Stimme, um in der leidenschaftlichsten Weise gegen die Los- trennung von unserer Heimat, vom Mutterlaude Protest zu erheben. Aber um unsere Heimat nicht ' dauernd zum Schauplatze neuer blutiger Kämpse zu machen, haben wir uns dennoch entschlossen, dein Friedensvertrag unsere Zustimmung zu geben. Ein Schlnßantrag wird gegen die Stimmen der Rechten angenommen. Abg. Schultz- Bromberg (Deutfchnat. Pp.): Wir haben keine Aufklärung betonunen, wie die neue Fassung der Entschließung der MehrbeitS- parteien zu verstehen ist. Danach soll sich die ! Nationalversammlung mit der Unterzeichnung deS Friedensvertrages einverstanden erklären. Soll das heißen, daß auch ohne die Erfüllung der ver langten Voraussetzungen der Vertrag unterzcich net werden soll? ' Präsident Fehrenbach: Die Geschicke des deutschen Volkes liegen allen Parteien gleicher maßen am Herzen. Auch anderen Rednern ist dnrch den Schlnßantrag das Wort genommen worden. ! Abg. Dr. Heim (Zentr.): Hier, wo es sich um Geschichte handelt, bat man mir das Mort dnrch einen Schlußantrag meiner eigenen Partei nnmöglich gemacht. Die Abstimmung ergibt die Annahme dieses Antrages (die Na tionalversammlung ist mit der Unterzeichnung des FriedensvertrageS einverstanden) mit 237 gegen 138 Stimmen bei fünf Stimmenthaltun gen. Die Mehrheit besieht aus Sozialdemokra ten, Zentrum und Unabhängigen nnd eimr Minderheit der Demokraten; die Minderheit aus den Mitgliedern der Deutschnationawn Volkspar tei, der Deutschen Volkspartei nnd der Mehrheit der Demokraten. Es folgt die Abslimmnng über den Antrag: Tie Nationalversammlung spricht der Negierung ihr Vertrauen aus. — In namentlicher Abstim mung wird dieses Vertrauensvotum mit 236 ge gen 8!) Stimmen bei 38 Stimmenthaltungen tDcmokräten) erteilt. * BedirMUgSlose Unterzeichnung. Tie deutsche Neichsregierung hat in einer vom Reichspräsidenten Ebert unterschriebenen und vom neuen Ministerpräsidenten Baner gegengezeich- neten Note dem Gesandten Hantel, der zurzeit die deutsche Delegation in Versailles leitet, die Vollmacht übertragen, Verhandlungen über den Abschluß des Friedens zu führen, Unterschriften zu geben und Unterschriften in Empfang zu nehmen. Die Antwort auf die Note der dem scheu Regierung, in der sie die Bereitschaft zur Unterzeichnung des Friedens mittelst, und die abends st Uln überreicht wnrde, ist bereits er teilt. Ter Rat der Alliierten besteht ans einem bedingungslosen Ja oder Nein innerhalb der festgesetzte» Frist bis benle abend. Minister Erzberger, der das Reübssinanzmini sterinm übernommen hat, wird auch weiterhin die mit der deutschen Wassenstillslandskommission verbundenen Geschälte führen. — Gerüchte von einer Crzbergerschen Sonderaklion werden von der Regierung dementiert. Die deutsche Kriegsflotte oerfeultt. Wie wir am gestrigen Sonntag schon bekannt gaben, haben Sonnabend mittag die Denlschen an Bord der internierten deutschen Kriegsschiffe in Scapa-Flvw (England) Plötzlich die deutsche Flagge gehißt, worauf sic die Schiffe versenkten. Alsdann schwammen sie an Land. Alle Kriegs schiffe und Schlachtkreuzer sind gesunken mit Aus nahme der „Baden", welche noch treibt. Wie ge- meldet wird, sind anch 5 leichte Kreuzer gesu» ken, wahrend 3 andere von Schleppbooten ans Strand gesetzt winden, was auch mit 18 Tor pedojägern der Fall war. Sechs andere treiben noch, die übrigen sind in der Diese verschwunden. Gemäß den Bestimmungen des Waffenstillstandes waren die Schisse mir dem Kern der dentschen Bemannung interniert, ohne englische Besatzung an Bord zu haben, nm die Schiffe zn unterhal ten. Ter deutsche Konteradmiral nnd die meisten Dentschen von Bord der Schisse befinden sich unter Bewachung ans britischen Kriegsschiffen. Einige Boole von den Schiffen, die znm Stop pen aufgefordert wurden, weigerten sich, dies zu tun nnd wurden beschossen. Eine geringe Anzahl Deutscher wurde getötet oder verwundet. Auf Frankreich nnd England bat die Tat deutscher Seeleute, die die Flotte den Gegnern nicht überlassen wollte, starken Eindruck gemacht. Nach den Bestimmungen des Waffenstillstandes bedeutet die Vernichtung militärischen Gutes einen Bruch des Vertrages. Da' nnsere Gegner aber gerade diesen Bruch schon vorher begangen haben, dürste nicht allznviel dabei herauSkom- men. Im übrigen aber wird man Deutschland unmöglich verantwortlich machen können für eine Tat, die von der Regierung »richt augeordnet wurde bezw. aus die ein Einfluß nicht ausgeübt werden konnte. SSchfischt Volkskammer. Dresd e-n , 20. Juni. Tie ans der Tagesordnung unter anderem stehende Interpellation der, Deutschnativnalen Fraktion: „Was geden't die Staatsregiernng zn tnn, damit den O r t s kohl e n st e I l e n in den Sommermonaten größere Mengen H-a u s b raud I o b l e n z n g e s ü h r t w e r d e n ?" wird von der heutigen Tagesordnnng abgesetzl, da die Regierung erklärt hatte, nicht in der Lage ;n sein, die Interpellation beantworten zu können. Darüber soll nach Mitteilung des Prä- sidenten Fräßdors zn gleicher Zeit mit einer von der Deutschen Volkspaitei eiugebrachten Inter pellalivn „Was gedenkt die Negierung zu tun, nm die für den W inIer drohend e K o tu Icnnot z u Verbinder n ?" in einer der nächsten Sitzungen verhandelt werden. Hierarif nimmt die Kammer die Berichte deS WnhIprüfungsausschnsseS über das Ergebiris der Prüf u ng von den Wahlen de r A b geordnet e rr z ri r V o lksk a m m c r in den drei sächsischen Wahlkreisen Dresden kl. Wahlkreis), Leipzig (2. Wahlkreis) und Edem nitz (3. Wahlkreis) entgegen und erklärt diese Wahlen einstimmig für gültig. Nächste Sitznng: Montag, den 23. Juni, mir 'olgender Tagesordnung: Beratung der Regie rnngSoorlagcn über Weilergetlnng sächsischer Ge setze nnd Verordnungen nnd des Ergün »mgS- nachtragSetats. T0W8 der ölte« VeMStMotlAndk; Zn Beginn der Freitag-Sitzung setzte eine rege Anssprache über ein am Schluß des Don nerstags gehaltenes Referat über Knappschgsts- nnd wzialpolitische Fragen ein, atS deren Er gebnis Anträge und Entschließungen angenom men wurden, die u. a. fordern: P e n s i o u s bere ch tign n g d e r B e r g arbeit e r n a ch 2 ü f ä h r iger Di e n st zeit bei einem gleichzeitigen Alter von ölt Iabreu, E r - li ö h n n g des G r u n d l o h n e s u m l 0 Markaus I2> Ml., Verstaatlichung der Kuapp schastskasseu, Erhebung der Pensionskassenbeilräge pro Tonne der geförderten Kohle mit den Ver- kausspreisen, einheitliche Pensionsleislungen für ganz Deutschland und eine bedentende Erhöhung der Pensivns- und Kraukenkassenleistungen. Ein radikaler Antrag, die Erfüllung dieser Fordern» gen von der Regierung in Form eines Ultima tums zu fordern, und falls diesem Wunsch nicht innerhalb sechs Monaten stattgegeben werde, in ganz Deutschland den Generalstreik zn proklamie reu, fand nicht die erforderliche Unterstützung. Rundschau. Ei« Gieipe« de« MarkkvrseS infolge des bevorstehenden Friedensabschlusfes wird aus allen neutralen Ländern gemeldet. Teilweise beträgt die Aufwärtsbewegung 15 Auch die Börsen können einen Aufschwung der Industriepapiere verzeichnen. Der Kriegsanleihe- Kurs besserte sich um 2 <"g. Eine Ei«igu«gsk„ufereuz der S-zialdemskraieu ist in Berlin zusammengetreten. Eduard Bern stein sprach zunächst einleitend Uber den Zweck der Verhandlungen. Dann hielt Cohen-Reuß sein Referat über die politische Notwendigkeit der Einigung. Ströbel (Unabh) erklärte, es sei nicht zu verkennen, daß zurzeit ein starker Ab fluß sozialistischer Stimmen in das bürgerliche Lager festgestellt werden könne, und diese Er scheinung sei nicht zuletzt eine Folge des Bruder krieges innerhalb der Sozialdemokratie. Ei« versöhnlicher Armeebefehl der Tscheche«. Das tschechische Oberkommando hat an die an der sächsischen Grenze stehenden Truppen einen Armeebefehl gerichtet, in dem die Soldaten aufgefordert werden, ohne Haß und Hader mit den Deutschen zu leben. Die Nationen müßten sich zu gemeinsamer Arbeit die Hand reichen und Verständigung miteinander suchen. Krieg«minister Reirhardt« Abschied Kriegminister Reinhardt hat um seinen Rück- i tritt ersucht, da er entgegen dem neuen Reichs kabinett gegen die Unterzeichnung des Friedens ; ist. Sein Rücktritt ist vom Reichspräsidenten genehmigt worden, doch nimmt Reinhardt an den Sitzungen des Kriegsministeriums als Be rater teil. Devtschösterreick wUd u«terzeich«e«. Der Entschluß zur Unterzeichnung des Gewalt- sriedens durch Deutschland wird von den Kleri kalen, den Sozialisten, aber auch von den Demo- Kralen zwar mit Bedauern vermerkt, aber doch mit einem deutlichen Gefühl der Erlösung als realpolitische Entscheidung gewertet. Fiir Deutsch österreich besteht nach Auffassung in Wien keine Möglichkeit, die Unterschrift zu verweigern. Rückkehr der Schwaczmerr-Teuvpe«. Nach einem Telegramm aus Saloniki sind 197 Offiziere und 3816 Mann der Saloniki- Truppen am 10. Juni von Gibraltar nach Ham burg abgefahren. Der Rest von 149 Offizieren und I852 Mann erwartet das letzte Schiff von Konstantinopel, worüber Verhandlungen schweben. Der Dampfer „Guldjeman" mit dem Rest der deutschen Truppen aus Konstantinopel wird in Hamburg ungefähr am 28. Juni erwartet Heiliges Kemern. Dr. Fr. Naumann schreibt in der „Hilfe": Gedenket euerer KriegstotenI — Es wird nicht nötig sein, daß ich euch dazu ermahne, denn sie stellen sich von selbst vor euren Geist. Je enger ihr mit ihnen verbunden wäret, desto stärker ist nun ihr Fortleben in euch. Auch ungerufen sind sie dal Wie kann eine Mutter ihres Kindes vergessen, selbst wenn cs weit im unendlichen Nebel wandelt? Es bleibt ihr die Lücke, die offene Wunde, dos Gebundensein an ein ver lorenes Teil des eigenen Ich. Aus dem undurch- dringlichen', Jenseits heraus fragt es sie bittend: Denkst du an mich? Wie können die Frauen, Krauensieve. Roman von Clara Aulepp-Stiibs. 4 Jeder Sonnenstrahl ließ wohl ihre Augen freudig erglänzen und ihre junge Brust in dem frohen HoffnungSgefühl, eS muß doch einmal wie der besser werden, sich weiten, aber da« reale Leben mit seiner täglich wiederkehrenden Anspan nung aller Kräfte, die Sorge, die sich daheim in den Winkel gehockt und ihr so gern das grinsende Antlitz zuwandte, hatte» alle ihre Gefühle vertieft und ihre eigenen Seelenkämpse ihr das Verständ nis für fremdes Leid erschlossen. — Nein, sie war Nicht zu jung, Giovannis Klage zu verstehen. Eie hatte sich zurückgelehnt und sah mit großen Augen in die glanzvolle Pracht des schimmernden LichleS empor. Unsichtbare, seelische Fäden spannen sich von ihm zu ihr; sie sah nicht ein einziges Mal zu ihm hin, aber jede Saite ihres Innern vibrierte, klang mit, litt und betete mit, als der Spieler dann, den sinnenden Blick auf ihr siißes Antlitz gerich tet, in die Ouvertüre aus den „Hugenotten" über ging ! Ein' feste Burg ist nufer Gott, Ein' gute Wehr und Waffen. — Sie hatten beide nicht bemerkt, daß inzwischen die Tür geöffnet wurde und Bankier Czerny erst er staunt hereinsah, dann leise eiutrat und nun schon eine ganze Weile am Türpfosten lehnte. Mit einem Scherzwort über ihr langes Aus bleiben halte er Lotti holen wollen und nun er starb es ihm aus de» Lippen, stand er schweigend, regungslos, erschüttert an der Türe. Lottis blasses, «trcgtes Gesicht, die Waffe auf dem Tisch, das lei denschaftliche Spiel Giovannis und nun dieser Schluß redeten eine tief ergreifende Sprache. Als sein Neffe geendet, trat er rasch auf ihn zu und streckte ihm die Hände entgegen. Doch da kam plötzlich ein trotziger Ausdruck in die eben noch so weich und sehnsuchtsvoll blickenden! Angen Gio vannis; er wollte sich schon brüsk abwenden, da ries Lotti ihm zu: „Herr Arnheim!" und erlegte gehmsam seine estkasteu Finger in seines Oheims warme, sie fest umschließende Hand. Beider Augen trafen sich, und zum ersten Mal las der Neffe kein VerdanummngSurteil, sondern stumme? Verstehen und warmes Mitgefühl in des Bankiers klarem Blick. Ohne ein Wort an ihn zn richten, wandte sich dieser daun Lolli zu und bot ihr de» Arni. „Nun lassen Sie uns rasch zn den Damen ge hen. Ihre Fran Mutter möchte nach Haus." Sein Ton Ivar herzlich, väterlich; er betrachtete das junge Mädchen besorgt. Diese neigte zustimmend' das Köpfchen, dann aberflog ihr Blick zu dem jungen Maune hinüber, der — von ihr abgewaudt — am Flügel stand. Einen Moment zögerte sie, ratlose Unentschlossen heit huschte über ihre Züge, doch dann ging sie zn ihm. „Gute Nacht, Herr Arnheim! Auf Wiedersehen!" Er drehte sich rasch um, erfaßte die kleine Mäd chenhand, die sich ihm darbot und führte sie wie dankend an seine Lippen. „Auf Wiedersehen Die Tür schloß sich, Gipvanni war allein. Er stand einen Augenblick und saun, wie überlegend, zog den goldenen Chronometer ans der Tasche und warf einen Blick auf das Zifferblatt. „Es wäre gerade noch Zeit," dann schüttelte er den Kopf, „nein, ich will nicht mehr, mögen sie ohne mich soupieren, ich will mich bessern, anch in der Beziehung!" Sein Blick streifte suchend über den Tisch. „Wo ist denn die Waffe ?" Er fand sie nicht. Da glitt der Schimmer eines Lächelns über sein dunkles Gesicht. „Liebe, kleine Lotti, ohne Dich läge ich jetzt hier, blutend, mit durchschossenem Kopf. Vielleicht wäre eS besser gewesen, vielleicht auch nicht. — Ich will versuchen, wieder Hoffnung zu fassen, ich muß es versuchen, aber denk' ich daran, daß mein Vater hart bleiben, ans seinem Willen bestehen wird nnd eS dann ganz gewiß ist, daß auch diese neue, kleinste Hoffnung wieder sterben muß, v, daun stirbt in mir auch alles Leben, Herz, Seele — und dann kommt die Verzweiflung wieder, das Granen vor den lange», öden Stunden, wo die Zahlen vor meinen schmerzenden Augen tiefe, ironische Kaire machen und mich dabei höhnisch angrinsen, als spotteten sie meiner; wo ich innerlich verdurste, verschmachte und mir dennoch der Trunk vvreut- halten wird, nach dem meine Seele lechzt." Er ging einigemal hastig im Zimmer ans nnd ab, wie in tiefer Onal, dann blieb er vor dem Flü gel stehen, atmete tief auf, warf de» Kopf in den Nacke», setzte sich n»d ließ die schlankenFingerüber die Taste» gleite». Ah, das war Lethe, Lethe für ihn. Draußen wölbte sich ein weiter Sternenhim mel über de» schimmernden Blnteiircichtum einer duftende» Frühlingsnacht, dnrch die Lotti heim fuhr in die schmucklose, kalte Straße mit de» ho hen Mietskasernen nnd de» sie bewohnenden, gleich ihr um die Existenz rnigendeu Menschen. Die'Hufe der Pferde klappten auf dem Pflaster, das Rollen der Gnmmiräder hörte man fast nicht. Aus kleinen, anständigen Restanragts kamen solide Familienväter, de» glimmenden Zigarren stengel im Mund. Sich umschlungen haltende Paare, sie ein Büschel Blüte» vorn cm der Jacke, kehrten langsamen Schrittes vom abendliche» Spaziergang zurück und fanden imn den Heimweg viel zu kurz ; sie hatten sich viel zu sagen. — Als der Wagen hielt, fuhr Lotti wie aus einem Traum empor; sie hätte ewig so weiterfahre» kön nen. Ganz mechanisch stieg sie ans, reichte ihrer Mut ter die Hand und half ihr aus dem Gefährt. Der Kutscher steckte dankend das Trinkgeld ein, grüßte ehrerbietig und drehte um. Lotti stand mit ten auf dem Trottoir und sah ihm nach. Als sie sich umwandte, war die Mutter neben ihr, umfaßte sie zärtlich. Sie sahen sich a», verstanden sich ohne Worte, — nur ein zitternder Seufzer stahl sich über deS pmgen Mädchens Lippen, der seinen Wider hall in dem bangen Mutterherzen fand. 8. Kapitel. Ein glanzvoller, nicht allzu heißer Hochsommer ging bald zur Rüste. Lotti Falk stand am Fenster nnd wischte mit einem dunklen Tnchläppchcu langsam die Feder i aus. Dabei kam ein wenig Tinte an ihre Finger. Pfui, wie häßlich, sie war wohl doch nicht vorsich- : lig gewesen, hatte vielleicht auch auf einen jugend lich elastischen Schritt gehört, der sich der Tür nä herte. Hastig legte sie Feder nnd Lappen ans das dicht am Fenster stehende Pult und drehte den Warmwasserhahn der Leitung auf, die sie mit we nigen Schritten erreichte. Sie ließ den Strahl über ihre Finger in da? varmtter befindliche Marmor, bassiu laufe», schien anch so eifrig beschäftigt, den Fleck" uiit Bünssteinseife abznreiben, daß es dein eintretenden Giouanni gar nicht aufficl, wenn sü nicht gleich anfsah. Er war im tadellos weißen Sportanzug und Hellen Schuhen. Den runden Strohhnt hielt er in der Hand. Bildhübsch sah er ans, trotzdem über seinen feinen Züge» eine leise Schwermut lag, anch die dunkle» Augen nichts weniger als fröh lich in die Welt schauten. Er warf eine» forschenden Blick dnrch die weit vffcmstehende Dir ins Nebenzimmer. „Alles leer, alles ansgeflagen, mir dem gnädigen Fräulein be liebt es, noch' zu arbeiten," warf er spöttisch hin. Unmutig de» H»t auf den Tisch werfend, fragte er: „Sie wolle» also wirklich nicht mitkommen, Fräulein Lotti?" Sie legte die Seife fort, drehte das Wasser ab und »ahm ein Handtuch vom Ständer, alles in llurnhe, in Hast. Nnn begann sie, sich die Hände zn frottieren. „Nein, ich kann mchU" Es klang jo gequält; sie schaute ihn nicht an. Da stampfte er mit dem Fuß, war auf einmal neben ihr und faßte ihr Handgelenk. 219,17 „Fräulein Lotti!" Seine Auge» flammte» über sie hin. Eine» Augenblick lang drohte ihn der Zorn zu übermanne», doch gleich darauf besann er sich. — Nein, sie war ja nicht schuld, ihre Weigerung entsprang triftigen Gründen, nnd obwohl er die selben anerkennen mußte, so kamen sie ihm doch wiederum so nichtig, so kleinlich vor, daß er sich sortwälpeud gegen dieselben empörte. Warum sollte Lotti nicht wie früher an den Vergnügmigeu und Belnjtignngen der Jugend teilnehmeu können ?
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