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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 03.07.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191907034
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190703
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190703
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-07
- Tag 1919-07-03
-
Monat
1919-07
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 03.07.1919
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— „Daily Mail" meldet, daß die englische Ne gierung endgültig beschlossen habe, keine Anklage gegen die deutschen Seeleute zu erheben. Rundschau. Die ReichSregierrmg bat sich gestern — mit Ausnahme des Wehrmi nisters Noske — nach Weimar begeben, um an den Verhandlungen der Nationalversammlung teilzunehmen. Es besteht die Absicht, sofort den Friedensausschuß einzu berufen, da die Ausführung der einzelnen Bedingungen eingehende Beratungen erforderlich macht. — In der gestrigen Sitzung des Aeliestenausschusses der Nationalversammlung wurde über die Ein bringung der großen Vermögens abgabe beraten. Die Abgabe kann hauptsäch- lich in Kriegsanleihe erfolgen und soll u. a. zum Ankauf von Kriegsanleihe dienen. — Die N e u- Wahlen zum Neichstag erfolgen vor aussichtlich Anfang 1920. Armeetrauer in Sachsen ist vom Minister für Militärwesen anläßlich der Unterzeichnung des Gewaltfriedens auf die Dauer von 14 Tagen ungeordnet worden. Allen Offi zieren, Beamten, Unteroffizieren und Mann schaften wird anheim gegeben, auf die Dauer von 14 Tagen Trauerflore um den linken Unter arm anzulegen. Bis zum 26. Juli darf außer Feuerlärm und Alarm kein Spiel gerührt wer den. Alles Flaggen auf militärischen oder von Militär besetzten Gebäuden und Anlagen hat bis auf weiteres zu unterbleiben. * Kulturkampf iu Sachsen. Eine überraschende Wendung hat, wie die „L. N. N." schreiben, die Beratung des Ueber- gangsschulgesetzeS im Gefctzgebungsausschuß der Volkskammer- genommen. Der Regiernngsent- wurf läßt es bekanntlich in der Frage des Reli gionsunterrichtes bei dem bisherigen Zustande, d. h. der biblische Geschichtsunterricht bleibt in der Schule, der Katechismus Unterricht fällt weg. Diese Regelung ist vorgesehen, vorbehaltlich der Beschlüsse der Weimarer Naiionalversammlnng. Ausdrücklich bat Kultusminister Buck bei Vor beratung der Vorlage erklärt, daß die in Wei mar zu fassenden Beschlüsse selbstverständlich bin dende Kraft amh für die sächsischen Volksschulen haben würden. Diesen Gedankengängen hat sich die sächsische Volkskammer angeschlossen. Nament lich hat auch der Dresdner Lehrer Arzt, der sich seit dein Ausbruche der Revolution der Mchr- heitssozialdemokratie angeschlossen bat, diesen Standpunkt als berechtigt anerkannt. Um so grö- ßer ist jetzt die Ueberraschung, wenn wenige Stunden später der Abgeordnete Arzt bei den Beratungen des Gesetzgebungsausschusses einen wesentlich anderen Standpunkt einnimmt. Unter seiner Führung gerade hat die sozialdemokratische Mehrheit des Ausschusses beschlossen, schon jetzt unbeschadet der Weimarer Beschlüsse den Reli gionsunterricht völlig aus der Schule zu besetz tigen. Sicher ist, daß dieser Beschluß einen Sturm der Entrüstung im ganzen Lande Hervor rufen wird. Es ist ein offenes Geheimnis, daß viele Anhänger der Mehrheitssozialdcmokratie von einer völligen Beseitigung des Religions unterrichts aris der Schule nichts wissen wollen. Verstaatlichung eines Bergwerks. Im Freislaate Sachsen soll aus sämt lichen S t e i u k o h l e n w e r k e n, mithin sowohl den Werken des Zwickauer und Luga u- Oelsnitzer Steinkohlenreviers, als auch den Werken des Steinkohlenreviers iin Plauenschen Grunde ein besonderes Vczirkssyndtz kat gebildet werden. In beiden sächsischen Stein kohlenrevieren zusammen betrug im Jahre 1918 die Förderung der privaten Stcinkohlenwcrke 4 366 991 Tonnen, der staatlichen Steinkohlen Werke 226 013 Tonnen. Das prozentuale Ver hältnis der staatlichen Steinkohlenwerke in der Förderung sämtlicher Stcinkohlemverke beträgt mithin 4,9 Prozent. Der Einfluß, den hiernach der sächsische Staat als Kohlenwerksbesitzer auf die Beschlüsse des sächsischen Steinkohlenbezirks- fyndikats auSzuüben vermag, ist ein sehr gerin ger. Um ihn nach Möglichkeit zu steigern, hat sich die Regierung bemüht, einzelne private Steinkohlenwerke für den Staat zu erwerben oder doch dem Staate eine maßgebende Beteili gung an ihnen zu sichern. Während die Ver handlungen hierüber größtenteils noch schweben, ist es gelungen, über das Steinkohlenwerk des Freiherrn v. Burgk im Revier des plauenschen Grundes einen Kauf abzuschließen. Nach diesem Vertrage erwirbt der Staat das genannte Wert am 1. Oktober 1919 zum Preise von 3 000 000 Mark. Sie llm-n im Reicht dauern auch weiterhin noch fort. Angesichts des gegenwärtigen Berliner Verkehrsstreiks steht die Regierung auf dem Standpunkte, daß es sich hierbei nm einen Entscheidungskamps bandelt, um die Diktatur des Proletariats durchzusetzen. Sie erklärte ihre Entschlossenheit, diesen Entscheidungskampf aufzunehmen. Zahl reiche Fabrikbetriebe sind in Berlin als eine Folge des Eisen- und Straßcnbahnerstreiks füllgclcgt worden, so u. a. die SiemenSwerke. Die Stärke der R e g i e r u n g s t r u p p e u vor und in Berlin beträgt 40 000 Mann. Es sind alle Maßnahmen gegen einen kommunisti schen Putschversuch getroffen. — Die unabhän gigen Führer Haase und Adolf Hoffmann wüh len in öffentlichen VeAammlnngen für die Dik tatur des Proletariats. Ausschreitungen in Bielefeld. Zu schweren Ausschreitungen, die mehrere Menschenleben forderten, ist es im Anschluß an die Lebensmittelunruhen in Bielefeld gekommen. Von den Demonstranten war zu Montag eine Volksversammlung unter freiem Hinunet einbe rufen worden, die von dem Reichskommissar Se vering verboten, wurde. Dieses Verbot wurde nicht beachtet. Die Menge stürmte vielmehr ge gen einen aus dem Platze stehenden Feuerwehr- türm vor, uni sich des dort befindlichen Maschi nengewehrs zu bemächtigen. Darauf wurden von der aus dem Turm postierten Sicherberls- webr zwei Handgranaten gegen die Menge ge worfen, durch die etwa 19 Personen verletzt wur den, darunter sechs schwer. Zwei von ihnen sind ihren Verwundungen bereits erlegen. Gleichzeitig erzwang die Volksmasse die Freigabe zweier fest genommener Rädelsführer. Sodann wurde die Sichcrbeitswache im Ratbaus entwaffnet und dieses besetzt. Weiter wurde die zurzeit leer stehende Kaserne in Besitz genommen, wo man sich zahlreicher Gewehre und großer Munition?-- vorräte bemächtigte. Schließlich besetzte, die in zwischen sebr stark ^angewachsenc Menge den Babnbof. Eine Anzabl Fabriken wurde czHwun gen, den Betrieb eiuzustellen. Regierungstruppen aus dem Sennelager haben die Stadt besetzt und einige Unruhestifter verhaltet, so daß wieder Eube eingekebrt ist. Hamburg ist gestern von Regierungstruppen besetzt worden, ebenso Altona. An einzelnen Stellen kam ec zu bewaffnetem Widerstand, doch gelang es den Truppen Lettow-Vorbecks, sich überall schnell Geltung zu verschaffen. Vom RathauSturm weht erstmalig seit der Revolution wieder die Ham burgische Fahne. 50 000 Mann RegicrungStrup- pen sind in und um Hamburg untergebracbt. Der Eiseuvahnerstreit dauert fort Gestern abend hat der Eisenbahnminifter Oeser einen Aufruf erlassen, in welchen den Arbeitern, die morgen, Donnerstag, die Arbeit nicht aufge nommen haben, sofortige Entlassung angedrvht wird. Im übrigen wird sür Schutz der Arbeits- willigen gesorgt. Der für Lebensrnittel sorgende Verkehr, der bereits empfindlicher Stockung un terliegt, soll mit allen Mitteln durchgeführt'wer den. Auch der Personenverkehr soll unverändert aufrecht erhalten bleiben. — Der Streik bat ge stern noch eine Verschärfung erfahren. Tie Ver handlungen zwischen der Leitung der Allgemei nen Berliner Omnibusgesellschaft und den An gestellten sind abgebrochen worden, und die Om- nibnsangestellten schließen sich heilte früh Lem Verkehrsstreik an. Damit ist Berlin seines letz ten öffentlichen Verkehrsmittels beraubt. Mili tärische Lastautos wurden gestern in den Dienst der Pcasonenbeförderung gestellt, llebrigens sorgt das witde Fuhrwesen notdürftig für den Verkehr. In den nächsten Tagen hofft man, den Berliner Vorortverkehr so weit aufuehmen zu können, daß die Arbeiter wenigstens an ihre Arbeitsstätten gelangen können. Zu Ausschreitungen ist es ge stern nirgends gekommen. Auflösung der Eisenbahnwerkstätten? Wie verlautet, trägt sich die Staatsregierung mit der Absicht, falls alle VernunstSgründe ver sagen, die Eisenbabuwerkstälten ebenso Ivie die Spandauer Staatsbetriebe aufznlösen. Der Ober befehlshaber in den Marken untersagt auf Grund des Belagerungszustandes jeden Verkauf von Waffen, Munition und Sprengmitteln. ItMsHt RsliMlMsWMlW. Weimar, I. Juli. Präsident F c b r e n b a ch eröffnet die Sitzung. Auf der Tagesordnung sieben zuerst Anfragen. Abg. M u m m (Deutschuat. Pp ) fragt nach der Verwendung von Reichsgeldern für Partei zwecke, nne sie durch Versendung von Drucksachen durch den Werbediensl der deutschen Republik und die Zentrale für Heimatdienst durch porto freie Versendung erfolgt fei. GebeinneN Freiberr v o u W elfe r : ^eit Anordnung der Liguidatiou des WerbedienftcS wurden neue Druckautträgc nicht mehr erteilt. Eine Reibe von Aufträgen konnte aber nicht mehr rückgängig gemacht werden. Abg. M n m m (Deutschuat. Vp.) stellt spä ter fest, daß die Antwort in schroffem Wider spruch stebe zu der Antwort des früheren Mini sterpräsidenten Scheidemann, wonach der Werbe dienst bereits seil Februar sich jeder Propaganda enthalten habe. Abg. Frau Z i e tz Mnabh.) interpelliert wegen der lleberwachung der- Telcphvnanschlüsse zahlreicher Angehöriger der unabhängigen sozial demokratischen Partei in Berlin. Ein R egie r u n g svertret e r entgeg net, bei der Verhängung des Belagerungszuswu des könne die Militärbehörde daS Telegraphen geheimnis aufhebeu lassen und trage dann dafür die Veramworinng. Abg. Tr. Graf v o u D o b n a (Demichnai. VolkSp.) fragt nach der in Aussicht gestellten ge setzlichen Regelung der Haftpflicht für Aufruhr schädcn. Ein R e g i e i n n g s v e r t r e l e r erklärt, daß ein derartiger Gesetzentwurf in einigen Tä- geu der Nationalversammlung vorgelegt werden könne. ES solgt der Bericht des HmishaltSansschnsses über die Verordnung zur Beschaffung von landwirtschaftlichem Siedelungsland, die vom Ausschuß zu einem Gesetzentwurf um gearbeitet wurde, der in seinem § 1 bestimmt, daß die Bundesstaaten verpflichte, sind, gemein nützige Siedelnn isnnternehmungen zur Schaffung neuer Ansiedelungen und zur Hebung bestehen der Kleinbetriebe zu billigen. Abg. B l u in (Zcntr.): Im Interesse der Gesundheit unseres Polles noch, der Volkswirt fchaftlichen wie nach der ethischen Seite hin ist es sehr erfreulich, daß man heute beinahe von einer Stadtslucht sprechen kann. Immerhin wird man nicht annehmen dürfen, das; sich nun die Entwickelung Deutschlands auö einem Jndustrie- in einen Agrarstaat rasch vollziehen wird. Die Aufgabe für die Siedelungstätigkeit muß zunächst die Schaffung von Bauerngütern mittlerer Größe kein, da diese am besten in der Lage sind, sich den wechselnden Bedingungen der Erzeugung und des Absatzes anzupassen. -Die Siedelungs- lätigkeit wird vor allen Dingen auch die Auf gabe haben, die Landarbcilersrage lösen zu hel fen, denn mein, als je brauchen wir auf dem Lande einen Stamm intelligenter und leistungs fähiger Arbeiter. Abg. Z ch midthaIs (Dem.): Es müßte in der Landwirtschaft weniger Großbetriebe ge ben und dafiir sollte mau mehr Kleinbetriebe schaffen. Por allem wird die landwirtschaftliche Arbeit im Kleinbetrieb viel sorgfäliiger gemacht, als es in einem großen möglich ist. Abg. Löbe (Soz.): Wir begrüßen dieses, Gesetz, weil eS endlich ein Versprechen erfüllt, welches den Kriegsteilnehmern gegeben worden ist. Wir haben die besondere Bitte, daß die SiedelungsgcseUschaften nach Fertigstellung des Gesetzes nun endlich mit Polldampf zu arbeiten ansangen. Abg. Dr. R ö s i ck e (Deutschnat. Vp): Die Siedelung soll zufriedene Menschen machen. Zu sriedcnheit ist die Grundlage für die Wieder- erstarkung Deutschlands. Bei der Gründung von Siedelungen ist darauf zu achten, daß die Ren- t-abilität gesichert bleibt, sonst bringen sie keine Vorteile, sondern Gefahren. Der Landwirtschaft wird gerade in der nächsten Zukunst größte Be deutuug beizumesseu fein. Wir haben immer für den Gedanken gekämpft, daß Deutschland sich möglichst selbst ernähren solle. Abg. Dusche (Deutschuat. Pp ): Man sollte möglichst viele neue Siedclungen schaffen und dabei auch die Kriegsbeschädigten und diejenigen beriicksichligen, die aus den jetzt verlorenen Ge bieten zurückwanderu. Ganz besonders begrü ßenswert ist die Bestimmung über die Beschas suug von Pachtlaud für die Landarbeiter. Wenn mau städtische Arbeiter auf das Laud bekommen will, daun wird mau sich entschließen müssen, die Arbeitslosenunterstützungen sebr erheblich her- abzusetzeu. Abg. Wurm lUnabh.): Das Gesetz erweckt trügerische Hoffnungen, deshalb wird meine Fraktion dagegen stimmen. Für neue Siedelun gen ist kein Augenblick ungünstiger als der jetzige bei den hoben Bau und GnmdslückSpreisen. An Stelle der Privatbetriebe muß die Gcmeinwirt- schalt lrcum. Regiermcgskommiisar Prof. S ering : Der Großbetrieb wird in Deutschland immer eine Rolle spielen. Pon den heutigen Besitzern wird gro ßes soziales Empfinden verlangt. Tas Volk kann sich.über das Gesetz freuen. Abg. Heim (Zentr): Die Schaltung eige ner Eristenzen ist ein konservativer Gedanke, er läßt sich nur genossenschaftlich verwirklichen. Sv- zialisiernug würde die Produktion erschweren Wir müßen unS darauf ciustellen, daß wir wie der mehr Agrarland werden. Das Gesetz wird darauf iu erster und zweiter Lesung angenommen. Die drille Lesung wird ausgesetzt. SSSfische VMiaMtr. D resd e u , 1. Juli. Die Kammer beschäftigt sich zunächst mir dem Kirchenaustrittsgesetz, welches von der Tagesordnung de.r gestrigen Sitzung abgesetzt worden war. Abg. Menke (Unabh.) wünscht, daß schon junge Leute nach Vollendung des 1 i., und nicht, ivie die Vorlage vorsieht, nach dem 16. Lebensjahr zum selbständigen Austritt aus der Iranentieöe. Roman von Clara Anlepp-StübS. 12 Duste erlaubte sich anSzusprechen, was ihr noch Immer im Kopfe herumging: „Ob er sie wohl hei raten wird?" Lie zeigte mit dem Daumen nach oben. Ein vernichtender Blick ihrer Herrin traf die Vermessene. „Wie Du so etwas fragen kannst." Bei sich dachte sie: „Na selbstverständlich hei ratet er sie. Es ist doch eine sehr feine Familie, die Doktors, und ihnen auch recht zu gönnen nach dem vielen Unglück." Als Lotti mit dein Schlüssel, welchen sie stets bei sich trug, die Korridortür« geöffnet, trat ihr Frau Doktor Frank schon entgegen. „Liebling, Kind, wo bleibst Du? — ich habe mich so geängstigt," sagte sie besorgt. In dem dunklen Zimmer bemerkte sie LottlS erregtes Gesicht nicht gleich. Erst als diese ihr an die Brust flog und die Arme um ihren Hals schlang, fühlte sie die' Erregung am Beben des schlanken Körpers. „Was ist Dir, Kind, waS ist?" „Mutti, »teine süße, herzliche Mutti — Gio vanni kommt, sei gut zu ihm; er hat keine Mut ter mehr!" Frau Doktor Falk fuhr jählings zurück: „O, Kind!" Aber da war keine Zeit mehr zu irgend einer Erwiderung, Lotti hatte sich schon wieder von ihr losgelöst, war hinausgeeilt und trat nur einen Au genblick später an der Hand des Geliebten ein. DaS gegenüberliegende HauS besaß nur zwei Stockwerke und geiade als das junge Paar ein» trat, stahlen sich über das Dach desselben noch einige Strahlen des rotgoldeuen Schimmer-, der heute nach dem Gewitter den Untergang des Ta» geSgcstirnS bezeichnete. Sie fielen durch die Fenster und zuckten über die bewegten, ernste», Gesichter der Liebenden. Frau Doktor Falk konnte nicht an ders, sie mußte dem jungen Mann, der so denili« ^'9 bewegt vor ihr stand, die Hände enlgegenstrek- ken, die er dann, eine nach der anderen, ehrerbie tig an die Lippen zog. „Mutti, wir lieben unS I" Lotti hing weinend an ihrem Hals. „Ruhig, ruhig Kind," ermahnte Frau Doktor Falk. Ach, und ihr war eS doch selbst zum Weinen. Sie hätte aufschreien mögen vor Unruhe und Angst, denn sie sah kein Glück in dieser Verbindung, die in pekuniärer Beziehung zwar überaus glänzend war, ihr Kind aber sicherlich iu HerzenSkümmer- nisse führen würde. Die erfahrene Frau sagte sich zwar: Vielleicht ist cs Gottes Wille und kannLotti ein bindendes, vermittelndes Glied zwischen Va ter und Sohn werden, allein, eS fragte sich doch noch, wie überhaupt der alte Herr Arnheim über die beabsichtigte Verbindung seines SohneS mit einem unvermögenden Mädchen dachte. Und als sie sich nun in diesem Sinne gegen Giovanni äußerte, mußte er zugeben, daß er das nicht wisse, aber hoffe, sein Vater werde ihm freie Gattinwahl gestatten, besonders, da doch keine wür diger sein könne als Lotti. Zu dem letzten Argument mußte Frau Doktor Falk unwillkürlich lächeln. AuS demselben sprach die echte Logik des Liebenden. „Versuchen Sie es, und wenn Sie die Einwil ligung Ihres Vaters besitzen, dann werde auch ich Ihnen mein Kind gern anoertrauenl" sagte sie ernst. Giovanni schaute sie bestürzt an! „Gnädige Frau! — O Gott — nur dann? — Aber wenn mein Vater seine Einwilligung versagt?" Frau Doktor Falk hob die Schultern. Eine ab- Anende Antwort schwebte ihr schon aufderZunge, km sah sie jedoch nochmals prüfend in das schöne, ftuige Männerantlitz und sagte einlenkend: „Das will ich nicht hoffen und deshalb heute noch nicht darüber bestimmen. Kommt Zeit, kommt Nat, da nach wollen wir unS richten. ES wird für heute das Beste sein l" Sie neigt« wie verabschiedend daS Haupt. Giovanni wagte keinen Widerspruch, seine Au gen hingen aber so bittend an dem schmalen, edlen Gesicht von Lottis Mutter, daß diese verstand, waS in ihm vvrgehen mochte, und nun ergriffen seinen dunklen Kopf zwischen ihre beiden Häüdenahm und die Stirn küßte, die sich ihr entgegenneigte. „Haben Sie Dank!" sagte Giovanni, dann trat er zurück und streckte Lotti die Hände hin: „Lebe wohl!" Frau Doktor Falk war ans Fenster getreten, zwei heiße Tropfen rollten über ihre Wangen; sie mußte mit Gewalt ihre Bewegung Niederkämpfen. Ihr armer Liebling! Mußte ihr denn die voll erblühte Rose erster, reiner Liebe auch gleich die Dornen zeigen? Und mußten diese schon jetzt ihr junges Herz verwunden? Nach einer Weile hörte sie die Tür gehen und als sie sich umwandte, fing sie noch gerade das taumelnde, zitternde Mädchen auf, das mit trä nenüberströmtem Gesicht ihr entgegeustürzte. „Lotti, Kind, fasse Dich!" Sie führte die Wei nende zum Sofa und hier an der Mutter Brust be ruhigte sich Lotti bald wieder. O, es war doch sonst gar nicht ihre Art, so verzagt zu sein. Aber heute — heute war zu viel aus sie eingestürmt! Erst Giovannis Fortbleiben im Kontor, ihre Angst, dann der Brief, das Gewitter und daun die Aufregung der Aussprache — sie senkte immer wieder das Köpfchen, wie eine regenschwere Blume. Es war späT geworden. Frau Doktor Falk bet tete die Tochter aufs Sofa, brachte die rosa ver schleierte Lampe und deckte den Tisch. Ihr stilles, geräuschloses Walten tat LotiiS er regten Nerven wohl. Sie ließ sich bestimmen, ein weiches Ei und ein besonders zart belegte» Bröt chen zu verzehren, und konnte daun auch ziemlich ruhig der Mutter alles mitteileu, was geschehen war. Nach der Aussprache, die sie erleichtert hatte, suchte sie endlich ihr Lager auf. Heute ließ sie es geschehen, daß zärtliche Mut terhände ihr behilflich waren, die goldene Haarflnt bürsteten und den Körper ins weite, weiße Nacht gewand hüllten. Sie war sich bewußt, mit dem heutigen Tage trat sie erst ins eigentliche Leben hinaus. Die «tue Bürde würde sie abwerfeu, die andere aufnehmen. — Welche von beiden würde die schwerere sein? — — Als die Mutter gegangen war, versuchte sic di. Stelle iiber ihrem Bette zu erkennen, wo ihr Liebt liugsspruch hing. Das matte Silber der Schrij schimmerte hier und da im Dämmer der Sommer nacht. „Wer nur dein liebcuGott vertraut, der hat auf keinen Sand gebaut!" Ja, sie wollte ihm vertrauen, stark und mutig bleiben. Ihr Heim, ihr Haus sollte auf keinen Saud gebaut sein. 5. Kapitel. „Sind Fräulein Merten« Handschuhe schon ab geholt worden?" fragte Fränlein Pretzel ihre Ge hilfin. „Nein, daS gnädige Fräulein hat bestellen las sen, sie würde selbst Vorkommen," beeilte sich dies« zu erwidern. „So, so; und ist sonst etwas vorgefallen?" „Nein, im Geschäft nicht mehr als sonst. Per- kauft sind mehrere Paar Handschuhe und etliche Krawatten. Es ist ja noch früh am Tage." „Ja, ich komme heute früher wegen deS Som» merfestes des Kolonialvereius. Wissen Sie, ich dachte, da kommen doch mehr Kunden." „Na, einen unserer besten haben wir verloren; der Czernysche Wagen mit dem Bankier und seinem Neffen fuhr vorüber, augenscheinlich nachderBahu Der junge Herr scheint abzureiseu!" „Ach, was Sie sagen, das ist aber ärgerlich Ge rade heute vor dem Sommerfest. Er nahm immer zwei Paar auf einmal, gewaschene trug er nicht." „Nee, gewaschene trug er nicht. Es war ein gu ter Kunde!" Fränlein Pretzel hatte sich mit einem Seufzer in ihren Korbsessel hinter der Ladenkasse niederge lassen. Sie war iu eine unznfriüdene Stimmung hin- eingekommeu und unu kam wie gerufen als erste nach ihrer Ankunft in den Laden tretende Kundin: Mand MerteuS. Sie sah bildhübsch aus. Fränlein Pretzel erhob sich und dienerte mit devoter Beflissenheit. Sie schien ganz hingerissen von MandS Erscheinung. 2l9,l7 „Wie liebenswürdig, sich selbst zu bemühen; ich hätte Ihnen die Handschuhe doch gern gesandt."
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