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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 03.01.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-01-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191901036
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190103
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190103
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-01
- Tag 1919-01-03
-
Monat
1919-01
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 03.01.1919
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Tie SiMWeit ter WiedttavsmhM der Kampser. Die Entente erblickt, wie die Tentsche Waf- fenstillstaudskommission mitteilt, den Hauptzweck des Waffenstillstandes darin, eine Wiederaufnah me der Feindseligkeiten durch Deutschland zu verhindern. Der Geist, in welchem alle weite ren Verhandlungen van feiten der Entente ge führt werden, hangt also davon ab, die Entente zu überzeugen, daß Deutschland die Demobil- machnng ohne jeden Hintergedanken tatsächlich und so schnell wie möglich durchführt. Darum war es von Wichtigkeit, der Entente eine Ucbcr- sicht über die Fortschritte der deutschen Demo- bi'machung zu bieten. Das ist von feiten der Dentschen Waffenstillstandskommission zum Jah resschluß in Form einer Note geschehen. Aus dieser Uebersicht geht hervor: An der gesamten Westfront befinden sich, abgesehen von den Frie densgarnisonen, nur noch einige 20 geschlossene deutsche Divisionen, deren älteste Jahrgänge auch bereits entlassen sind. Die Armeeoberkomman dos und Heeresgruppcnkommandos sind bereits in der Auflösung begriffen. Damit geht die mi litärische Kommandogewalt an der Ostgrenze der neutralen Zone vollständig in die Hand der Friedensgeneralkommandos über. Dieser Zustand wird bei der Heeresgruppe A bis 2. Januar, bei dec Heeresgruppe B zwischen 10. und 13. Ja nuar, bei der Heeresgruppe C etwa um dieselbe Zeit erreicht sein. Im Bereiche der früheren Heeresgruppe D übt schon jetzt das Generalkom mando des 16. Armeekorps die alleinige mili tärische Kommandogewalt aus. Damit ist deut scherseits die völlige Unmöglichkeit einer Wieder eröffnung der Feindseligkeiten erwiesen. Es wurde desbalb von der Deutschen Waffenstill- . standskommission angeregt, nunmebr weitere Er leichterungen sür den Verkehr und die Verwal tung im besetzten Gebiet zu' gewähren und an al'en geeigneten Sitzen der alliierten Komman- dobebörden deutsche Verbindungsoffiziere einzu stellen. Diese sollen die Kontrolle der Polizei truppen in der neutralen Zone, die Regelung örtlicher Anfragen, sowie die Einreiseerlaubnis usw. erleichtern. Ferner wiederholte die Deutsche Waffenstillstandskommission ihr Ersuchen, zum Rücktransport der deutschen Trnppen aus der .Ukraine (rnnd 250 000 Mann) den Seeweg frei zugeben. Nach den letzten Meldungen ist die Babn für den Abtransport aus Nikolajew be reits in den Händen starker bolschewistischer Ban den. Der Landweg ist völlig abgeschnitten, einen deutschen Balmschutz gibt es nicht mehr, die Ge fahr^ wächst täglich, da mit Angriffen übermäch tiger russischer revolutionärer Kräfte zu rechnen ist. Die Kampfkraft der noch auf russischem Bo den siebenden deutschen Trnppen ist infolge der Abgabe von Waffen rind Munition an die En tente, kowie durch Mangel an Geldmitteln und ausreichender Verpflegung sehr geschwächt. VeM-fm irr Eschen Vsl- schmiftti dir- dmscht Timen. Die Deutsche WasfenstillslandSkommission teilt mit: Ueber den Rücktransport der deutschen Trup pen ans Rußland und die damit zusammenhän gende Frage der Bekämpfung des russischen Bol schewismus durch deutsche Truppen erfolgt seil 1-1 Tagen ein politisch bedeutsamer Notenwech sel zwischen dem Oberkommando der Alliierten und der Deutschen Wasfenstillstandskommission. Der Ausgangspunkt dicseS Notenwechsels ist eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung deS den Rücktransport betrefsenden Artikels 3, Ab satz 2 des Waffenstillstands-Vertrages. Er lautet: Alle deutschen Trnppen, welche sich augenblick lich auf den vor dem Kriege zu Rußland gehö rigen Gebieten befinden, müssen ebenfalls hinter die deutschen Grenzen, wie sie am l. August 191-1 waren, zurückgehcn, sobald die Alliierten unter Berücksichtigung der inneren Lage dieser Geviete den Augenblick für gekommen erachten. Marschall Foch hat nun in einer Note den Artikel 12 so ausgclegt, als ob die deutschen Gruppen so lange in Rußland bleiben müßten, als es die Entente für richtig befindet,...im In- ceresse der Bekämpfung des russischen Bolschewis- mns durch deutsches Militär. Zugleich -beklagt sich Foch darüber, daß die deutschen Truppen in Rußland im Kampfe gegen die Bolschewisten nicht eifrig genug seien, ja, daß sie geradezu den Bolschewismus in den von ihnen noch be setzten russischen Gebieten begünstigen und unter stützen. Dieser Auffassung stellt General Winter- stldt die Entstehungsgeschichte des Artikels 12 gegenüber.- Ter ursprüngliche Wortlaut der Waf- enstillstandsbedingungen fordert die sofortige Zurückziehung der deutschen Trnppen von den besetzten russischen Gebieten. Tie deutschen Ver treter schlugen jedoch vor, im Interesse der Be wohner dieser Länder die deutschen Truppen vorläufig dort zu belassen. Die Berechtigung der Trnppen wurde zugestanden, eine Verpflich- lnng dMenübcr den Alliierten, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, hat Deutschland damit nicht übernommen. Deutschland kam der Aufgabe, im Osten für Ruhe und Ordnung zu sorgen, frei willig nach, solange es in seiner Macht lag. Nnnmehr hat neuerlich der Vorsitzende der Deut schen Wasfenstillstandskommission, Staatssekretär Erzberger, unter Bezugnahme auf diese Erklä rung des Generals Winlerfeldt die deutschen'Ver- reter in Spa gebeten, nochmals darauf hinzu weisen, daß die Aufwssnng, als ob wir in Ar tikel 12 die Verpflichtung übernommen haben, unsere Trnppen so lange im Ostgebiet zn belas sen, bis die Alliierten ihren Abzug für zweck mäßig halten, nicht der getroffenen Abmachung entspricht. Tie Annahme der Entente, als ob unsere Truppen eigenmächüg oder gar auf höhe ren Befehl dem Bolschewismus absichtlich Vor schub leisten, sei es dire l oder durch Behinde rung antibolschewislischer Maßnahmen, ist nicht zutreffend. Auch wir und unsere Truppen sehen in dem Bolschewismus eine außerordentliche Ge fahr und tun alles, um diese Gefahr abzuweh ren. Die Eniente wird zugeben müssen, daß die Gefahr sür unsere Völker größer ist. als sür sie elbst. Daß unsere Trnppen nach vierjährigem Kampfe und in Anbetracht der Lage' nur- noch den Wunsch nach Rückkehr in die Heimat haben und daher dem Vorrückcn der roten Truppen nicht überall den Widerstand entgegensetzen, der uns selbst erwünscht ist, tonnen wir nicht be streiten. Wenn die Entente die Auffassung hat, der Bolschewismus sei eine Gefahr, der auf jeden Fall und init allen Mickeln entgegengetre tcn werden müsse, und wenn sic der Ansicht ist, daß Misere Kräfte dieser Aufgabe nicht genügen, wäre es zweckmäßig, wenn fie s e I b st ihre Lö sung in die Hand nehmen oder wenigstens sich daran beteiligen würde. Jedenfalls müssen wir nochmals darauf hiuwei'en, daß wir die Auf gabe lediglich im Interesse der Allgemeinheit der besetzten Gebiete und unser selbst übernom men baben und auch gern weiter nach Möglich keit übernehmen wollen, daß uns aber eine ent sprechende Verpflichtung in Artikel 12, wie die Entstehungsgeschichte ergibt, nicht auferlegt ist. Die Erchvjsft i> P-ses. Die nmfich-n«iltv-e Pale«herrschast im Sstk» In Gnesen haben die Polen, wie aus Pol nischer One'Ie gemeldet wird, ohne Blulvcrgic- ßen die Jn'anterie- nnd Dragonerkaserne besetzt und die Verwaltung der Stadt übernommen. Am Sonntag kam eine Abteilung des Hcimat- 'chntzes aus Bromberg an, welche die lieber- gäbe der Stadt Gnesen forderte. Es entspann sich ein kurzer Feuerkamps, bei dem es einige Tote auf beiden Seiten gab. Darauf wurden Verhandlungen eingeleitet, welche damit ende ten, daß die Deutschen sich verpflichteten, Gnc- sen nnd Ilmgegend zn verlassen, während die Polen die Hälfte des eroberten Kriegsmaterial« Herausgaben. Die Gefangenen wurden fretgelis- sen. Verschiedene kleine Städte, wie Schrimm, Czembin usw., wurden auf Grund friedlicher Vereinbarungen in polnische Verwaltung über nommen. Lte svchfische« HKgr i» P«sea mit Artillerie »escheffmi. Aus Bromberg meldet das „B. T.": Die Vorgänge in Posen und Gnesen sind, wie jetzt festgeßellt werden kann, auf eine umfassende, lange vorbereitete Organisation der Polen Po sens zurückzilfllhren. Bei den Ausschreitungen in Posen wurden etwa 50 Tote gezählt. Tau sende voir bcwasfnelen Polen marschierten gegen das Artillcriedepot, stürmten es und verteilten Handgranaten und Munition unter die Menge. Auf diese Wci'e niit Wassen versehen, marschier ten sie gegen den Hauptbahnhof, nahmen diesen und besetzten auch die Bahnlinien bis zur Grenze der Provinz Posen. Am Sonntag früh wurde den in Posen. garnisonierenden Regimentern, so weit sie sich noch nicht ergeben hatten, ein Ulli- matnm gestellt, das zn Mittag ablaufen sollte. Als um diese Zeit die llebergabe noch nicht >r- folgt war, wurden die Fliegerkascrnc, dann die der sächsischen Jäger umstellt und unter Geschütz feuer genommen. In Pofen wurden auch evan gelische Geistliche verhaftet und durch die Stra ßen eskortiert. Ätrabevkamps t« «llcustet». Am Montag morgen rückte das Feldarlille- ric-Negiment Nr. 73 in Allcnstein ein. Am Babnbof Ivar eine Kommission des Arbeiter und SoldatenrateS erschienen, um die Truppen mit Mnsik nnd einer roten Fahne abzuholen. Die Truppen unter Führung ihrer Offiziere lehn ten es aber ab, mit einer roten Fahne einzu marschieren, nnd zerrissen die Fahne. Zwischen den ebenfalls znm Empfang erschienenen Mit- gliedern der Volkswehr und den Offizieren dcr zurück'ebrenden Truppen entspann sich ein Wort gefecht, in dessen Verlauf Maior von Pohl mit Hinweis auf die abziehenden Trnppen der Volks wehr plötzlich Befehl znm Feuern gab. Daraus griffen die zurückgebliebenen Mannschaften - er Volkswebr die Offiziere an. Hauptmann von Platz wurde bei dem Gefecht erschossen, mehrere Offiziere verwundet. Tie schuldigen Offizc re wurden in Haft genommen. Eine Bitie an die W»strnstiüstand4k»mmisston Der Volksrat Weslposen hat an die Deutsche WcNsenstillslcmdStommisiion folgende Bitte ge richtet: 600 000 Deutsche bilteu die Deutsche WaffcmsnllsiandSkommission, mit allem Nachdruck darauf hinzuwirken, daß bis zur Entscheidung der Friedenskonferenz die Grenzen des Deut schen Reiches vom 1. August 191-1 respektiert und ausrecht erhalten bleiben und daß unter sti neu Umständen einer Besetzung der Ostprovi.i- zen durch polnische oder Ententctruppcn zugc- stimmt wird. Dafür, daß der Friede im Ost.m nicht gestört wird, kann der deutsche Volks at für die Deutschen garantieren. Alle gegenteilig ui Meldungen find erfunden. Es kann auch keine Rede sein von irgendwelcher Hetz- oder Nu!c - drückungspolitik in der Provinz Posen. Tie neue Regierung verwirft sie im Prinzip und Vic im heutigen Volksrat zusammcngeschlossenen Deut schen sind ebenso ehrlich gewillt, beiden Natio nalitäten gerecht zn werden, d. h. anch den Po len reelles nationales Eigenleben zuzubilligen, und eben deshalb fordert er auch ebenso ener gisch die Anerkennung der deutschen Rechte und erklärt, daß Ruhe und Ordnung obne jede frem de Beihilfe gewahrt bleiben werden. kirr ischeMt -»mißt ii MttleUM. Der Prager Korrespondent des Wiener Abend blattes „Telegraph" will erfahren haben, daß nach der Ankunft Masarhks in Prag eine streng vertrauliche Beratung aller maßgebenden Führer der böhmischen ^Republik stacksem», in der Masa- ryk die Ziele darlegte, die er im Einvernehmen mit Wilson, Clemenceau und Lloyd George fest gesetzt habe. Diese Ziele umfassen folgende sech» Punkte: 1. Friedlichen Ausgleich mit den Deutschen innerhalb und außerhalb des deutschen Staates. 2. Errichtung einer Föderation der neuen, auf dem Gebiete der ehemaligen alten österreichi schen Monarchie entstandenen Staaten unter tschechischer Führung. 3. Ausgleich mit Deutsch-Oesterreich und An schluß Deutsch-Oesterreichs an die deutsche H»- deration. 4. Errichtung eines neuen deutschen Bunde«- staates unter Führung Bayerns. 5. Vernichtung von Preußen, indem es durch Wegnahme von Posen, Schlesien und der Rhein provinz zu einen, Kleinstaat hcrabgedrückt wird. 6. Vernichtung von Ungarn, das alle seine nichtmadjarischen und gemischtsprachigen Gebiete an die Nachbarländer abzugeben hat und ledig lich ans rein madjarische Gebiete beschränkt wer den soll. Der tschecho-slowakische Minister des Aeutzeren Tr. Benß ist beauftragt worden, diese Pläne in Paris zu fördern. ZU Laßt. Ladendorff als Moh»rr zn» Friede». In einem Leitartikel über „Das Jahr der Entscheidungen" teilen die „Leipziger Neuesten Nachrichten" mit, die Oberste Heeresleitung habe keineswegs nur im Oktober und auch nicht nfl im August erstmals zum Frieden geraten, viel mehr sei schon am 2. Jnni vvn Ludendorff .n vertraute Parteiführer folgender Wink gegeben worden: „Wir stehen jetzt auf der Höhe der militärischen Erfolge. Ob die nächste Offensive gelingt, weiß ich nicht. Es ist aber zweifelhaft, da die Voraussagen de» Admtrai- stabes über das Eintreffen der Amerikaner uns im Stiche lassen. Es ist jetzt Zeit, zum Frie den zn gelange». Es empfiehlt sich, aus sie westlichen Kriegsziele zu verzichten und zu ver suchen, im Osten zu halten, was zn halten ist." Im Angnst hat dann Ludendorsf eine neue, Bot schaft geschickt, folgenden Inhalts: „Wir können den Krieg nur noch Hinhalten, aber nicht Mehr gewinnen. Sorgen Sie sür Frieden!" Die glei che Mahnung sei ohne Zweifel auch der Neichs- regierung zugegangen. Llvy» Searge für riven baldiglU Friede» Wie die Londoner „Times" meldet, sprach Lloyd George am ersten Weihnachtsfeiertag beim Empfang der Vertreter der größeren englischen Hafenstädte, er sehe den Frieden nahegerückt, wenn Deutschland zu einer stabilen Negierung gelange. Sobald in Deutschland das Volk ge sprochen, eine Nationalversammlung und eine verbaudtnugSfähige Regierung eingesetzt habe, sei er für seine Person entschlossen, in wenigen Ta ge» ei»en Frieden mit denn Gegner abzuschlie- ßc» — das daniederliegende wirtschaftliche.Le ben Englands bedürfe ebenso des schnellen Frie densschlusses, wie ibm die Mittelländer brauch ten —, dann die Blockade anszuheben und Le- bcmsnürtel in das Land zu bringen. Lloyd Ge orge betonte, Voranssctznug sei immer, daß in Deutschland keine bolschewistische Negierung zur Herrscbast gelange. Trete das letztere ein, s» bleibe Deutschland nach dem Willen Wilsons bom Völkerbund ausgeschlossen. Tis Varsorguvg Teutschlaod« mit ArreuSwtttrl» Die Deut'che Wasfenstillstandskommission gibt/ bekannt: Tic Frage der Versorgung Deutsch lands mit Lebensmitteln wird gegenwärtig durch eiste Kommission der Alliierten geornft, welche ihren Sitz in London hat. Das Obertommando der Alliierten bat Ler Deutschen Wassenstill- stmdskvmmissiou mitgetcilt, die Beschlüsse dcr LebenSmittelkonferenz würden der TentschewWas- fenslillslandskomunssion übermittelt,- falls diese Zlnler schwerem Wrdacht. Roman von F. Arnefcld. 30 „Mutter, Muller, Du kannst nicht glauben, daß lack—" „Karlas Mitschuldiger am Morde ihres Ben ders ist!" fiel die alte Frau ein und setzte mit einem fcböueu, zuversichtlichen Lächeln hinzu: „Nein, ein solcher Gedanke liegt mir weltfern. Aber" — sie ward wieder sehr ernst und nachdenklich — „ich musste meinen Sohu sehr schlecht keimen, müßte nicht gewohnt sei», i» seiner Seele wie in einem ausgeschlogenen Buche zn lesen, wenn ich nicht be merkt hätte, daß er mir irgend etwas verbirgt — etwas, das im Zusammenhänge mit dem plötzli chen Tode des Hafner steht." „Aber was könnte das sein ?" sagte Justine nnd fuhr daun mit allen Zeichen des Entsetzens auf: „Mutter, Muller, wäre es möglich, kömttest Du der gleichen Ansicht wie Nelha sei», daß Karla al lein die surchtbare Tat begangen hätte?" Sie hatte die letzten Worte mehr gehaucht als gesprochen und Frau HelmerS hatte sie ihr tatsächlich von den Lip pen gelesen. „Nicht so, wie es Nethameint,nicht so, wieDu es argwöhnst, liebe Tochter," antwortete sie leise, „aber mir ist die Besorgnis aufgestiegen, Karla habe, «!s sie dem Bruder das Pulver eingerührt, einen verhängnisvollen Jniim» begangen und Paul weiß darum." „lind er sogt es nicht, nm ihr nicht zu schade», obwohl er sich dadurch retten töunle?"srggleJnstine, die Hände faltend. Frau HelmerS uickte. „Hast Du ihn nicht darauf hingeführt?" „Er weicht mir ans nnd ich weiß es ja, erwürbe sich eher in Stücke reißen lassen, als etwas anSsa- ge», was ihr schaden könnte. Er bleibt dabei,Haf ner habe durch Selbstmord geendet." „WaS ist da zu tun?" fragte Justine. „Ich weiß es nicht!" cingegnete Fran Helmers niedergeschlagen, anfblickcnd fügte sie indes hinzu: -Ganz möglich die Hände aber doch nicht in den Schoß legen; ich habe schon vom GsrichtSgebäude ans ein paar Zeilen an den Rechtsanwalt Schlei den, der Paitls Verteidigung übernommen und ihn anch schon besucht hat, geschrieben. M) erwarte sei nen Besuch diesen Abend nnd werde ihm meine Wahrnehmungen mitteilen." „Und versprichst Dn Dir etwas davon?" Fran Helmers zuckte die Achseln. „Ich will tnn, ivas in meinen Kräften steht und im übrigen laß uns still sein nnd hoffen. Wenn die Nvl am größ ten, ist Gottes Hilfe am nächsten." Mit gefalteten Händen, die Augen znm Him mel empvrgerichtet, hatte die alte Fran gesprochen nnd leise nnd andächtig sprach es Justine nach; dann legte sie den Arar nm die Schultern der al ten Fran nnd führte sienach demhinterdemWohn- zimmer befindlichen fensterlosen Alkoven, welcher der Schwiegermutter als Schlnfgemach diente, war ihr beim AnSkleiden behilflich und entfernte sich dann. 15. Kapitel. Netha BleichS Verkehr mit Konstantin Geiger war nicht so vorübergehend gewesen, wie sie ihn ihr en beiden Zuhörerinnen dargestellt halte. Der reiche Lebemann, der in der Avenne Ma lesherbe ein sehr elegantes Jnnggesellcnquartierbe- wohnte zmd alle Freuden nnd Annehmlichkeiten genießen konnte, war im Hanse des Börsenagen ten Brisard ciu häufiger Gast und hatte schon seit einiger Zeit für den bevorzugten Anbeter der Ma- dame Brisard gegolten. Das hatte sich etwas geändert, seit Retha dort Angeführt und von der für alles Nene und Unge wöhnliche schwärmenden Engenie Brisard mitöf- fenen Arinen ausgenommen worden war. Eine Zü richer Studentin, die in Paris den Doktorhut er werben wollte, das war für sie etwas sehr Inte ressantes gewesen, zmnal die junge Danie keine an gejahrte Vogelscheuche mit blauer Brille üud nach- iässigem Anzuge, sondern ein zierliches, pikantes Persönchen in gewählter Kleidung war. Daß sie außerdem eine Deutsche, erhöhte noch ihren Reiz, denn Madame Brisarb besand sich zur Zeit im Stadum^ der Vorurteilslosigkeit und Unparteilich- keit. Triumphierend hatte sie ihren Fremid Kon stantin mit der neuesten Erwerbung für ihren Sa lon bekannt gemacht und neidlos dessen schnell er wachendes Interesse für die junge Landsmännin gewahrt. Geigers Herrschaft als Verehrer hatte für die unbeständige Dame schon viel zu lange gewährt, sie sehnte sich nach einem Wechsel nnd qkanbte,einen solche» am sichecsten »»d schmerzloseste» herbeiz»- führen, indem sie den Hausfreund anderweitig ver sorgte. Die Züricher Studentin erschien ihrdazndie geeignete Persönlichkeit nnd znr Abwechslung ge dachte sie sich einmal miss Heiralstiften zu verlegen. Retha, deren Eifer für die Wissenschaft nicht so weit ging, daß sie ihr bescheidenes Stübchen in der Pcmsion der Madame Renard im Quartier latin nnd deren sehr mäßig bestellten Tisch nicht gern mit den Salons nnd der wohlbesctzten Tafel im Brisard- schen Hanse vertauscht hätte, kam Madame Brisard in ihren Bemühnngen anscheinend sehr entgegen. Sie verschmähte eS nicht, unter ihrem Schlitze in Geigers Begleitung im Bois de Boulogne spazie ren zn fahren nnd nicht mir das Theater zu besu chen, sondern sie nahm anch keinen Anstand, sich ohne ihre Beschützerin von Geiger auf die Prome nade, nach Museen, Ausstellungen und dergleichen sichren zn lassen Die Französin würde erstaunt gewesen sein, hätte sie den Gesprächen, die von den beiden Landsleu ten, wenn sie init einander allein waren, stets in dentscher Sprache geführt wurden, zuhören nnd sie verstehen können. Es war dabei nicht von Liebe die Rede, ivohl aber von Haß, von gransamem, nn- erbittlichem Haß, den Geigers Worte ausströmten nnd die Nethas Ohr mir gar zn willig anfnahm. Schon bei ihrem ersten Znsammentreffcn hat ten sich ihre gemeinschaftlichen Beziehungen znm Hafnerschen Hanse heranSgestellt nnd die klnge Netha dem sich bloß klag nnd verschlagen blinken den Geiger schnell genug alles entlockt, was ihm dort geschehen war. Noch mehr: eS erschien ihm wie eine Erlösung, sich einmal recht gründlich ansspre chen zu köuueii, waS sich au Zorn, Haß und Bitter keit in seiner Seele anfgespeichert und durch die er mit Hafner wechselte, immer neue Nahrung er- hakten hatte. Durch letzteren wußte er anch vander Liebschaft, die Karla jetzt mit dein Doktor Helinec-i angefangen, nnd wiederholt versicherte er, daß hier der Pnnkt sei, ivo er ausetzen werde, um sein« Rache endlich Genüge zu verschaffen. Netha hatte sich ivohl gehütet, ein wärmeres Interesse an Paul HelmerS zu verraten; sie hatte Geiger viel zn schnell dnr hschaut, um ihn in ihre Karten blicken zu lallen. Weit mehr al-sein lieben des Herz' halte Karla seine Eitelkeit verletzt; wer mil der rechnete nnd sie schont«, der halte gewon nenes Sviel bei ihm, nnd so dnrft« er nicht ahnen, daß eS einen Mann gebe, der Netha höher stand als er, durste nicht ahne», daß st« ihm da« Mittel sei, ihr de» Weg frei zn mache» zn dein Geliebten. Sic kannte die Briefe, die Hafner von Zeit zn Zeit an Geiger schrieb, voll hämischer Bemeckun- gen über seine Schwester und Doktor DlmerS, voll von Drohungen, wir er «» ihnen besorgen w«lle und eS schon einrichten werde, daß sie auch nach seinem Tode, den sie am liebsten herbeisührrn möch ten, nie zu ihrem Ziele gelangen sollten. Sie hatte geschürt und geschürt und datzeidach stärker mit dem Feuer gespielt, al« e« in ihr« Ab« sicht gelegen hatte und der Klugheit, mit der fie bisher verfahren, angemessen ivar. Ans dem Frennde nud Vertranten hatte Gei ger sich mehr nnd mehr in den Liebende» »mze- wmidelt, mid mit Schrecken hatte Retha kemerkt, daß es dabei er»st war, ja, daß die Neigung zu ihr in ihm viel tiefer ging, al- dies früher mit der Karla Edelberg der Fall geioesen sein mochte von Madame Brisard nnterstützt, war er mit seine« Werbungen immer deMlicher hervorgelreten, nnd eS hatte ihrer ganzen Geschicklichkeit nnd Gewandt heit bedurft, nm ihn davon znrückz,»halten, da« « das entscheidende Wort sprach. So glänzend das Los war, das ec ihr, dem we nig bemittelten Mädchen, dessen väterliche- Erd teil kann» znr Bestreitung de« gewählten Studium« anSreichte, zu bieten halte, sie dachte nicht daran, ihn zn erhören, da ihr Doktor Helmer« im Sinne lag nnd sie dnrchanS noch nicht die Hoffnung auf- gegeben hatte, ihn doch für sich -u gewinne».
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