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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 08.01.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-01-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191901085
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190108
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190108
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-01
- Tag 1919-01-08
-
Monat
1919-01
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 08.01.1919
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Hand der Arbeiter- und Soldatenräte zu lieg u 4. Wahl der Führer durch die Kameraden. 5. Völlige Auflösung der alten. Armeen und sofor tige Entwaffnung reaktionärer Sonderformationen. 6. Einführung einer wirklichen Volksregierung. 7. Stellung des Kriegsministeriums unter das Oberkommando. Aus anderen Quellen verlautet noch, daß die Spartakusbündler auch auf das Reichskanzler- Palais einen Sturmversuch unternommen haben, über dessen Verlauf jedoch noch nichts gemeldet wird. Ein Gerücht, daß auch die ReichSbank be setzt sei, hat sich bisher nicht bestätigt. Da? Oberkommando über die Truppen und bewaff neten Zivilisten der Regierungspartei hat Noske Übernommen. Liebknecht hat vom Schloß au?, das sich in den Händen seiner Anhänger befin det, die Regierung Ebert-Scheidemann für rb- gesetzt erklärt. Ei« Ausruf des Zentral! llte; der deutsche« sajiilltslischcn Republik. Berlin, 6. Jan. (Amtlich.) An alle Arbeiter- und Soldatenrätf Deutschlands! Der Kongreß aller Arbei ter- und Soldatenräte Deutschlands hat, wie Euch bekannt, uns zu seinem Vollzugsorgan ernannt und uns seine Vollmacht übertragen. Wir haben in den ersten Wochen unserer Tätigkeit uns fast ausschließlich mit den zum Himmel schreienden Zuständen in Berlin beschäftigen müssen, wo eine kleine Minderheit gegen den allgemeinen Willen des Volkes, besonders mich der Berliner Bevöl kerung, und gegen den ausgesprochenen Willen der Arbeiter- und Soldatenräte in ganz Deutsch land eine brutale Gewaltherrschaft zu errichten be strebt ist. Das verbrecherische, alle Errungen schaften der Revolution gefährdende Treiben be waffneter Banden hat uns genötigt, der Rcichs- leitung außerordentliche Vollmachten zu erteilen, damit in Berlin endlich einmal die Ordnung und Rechtssicherheit, die unter dem freiheitlichsten Regime erst recht notwendig sind, wicdcrhcrgesteM werden können. Alle Meinungsverschiedenheiten im einzelnen müssen jetzt zurückgestcllt werden hinter das Ziel, die schwer erkämpfte VolkSfrci- heit zu schützen, den Frieden nach innen und außen zu sichern und damit das ganze werk tätige Volk vor neuem furchtbaren Unglück ;.u bewahren. Es ist die Pflicht aller Arbeiter- und Soldatenräte, uns und die Reichsleitung dabei init allen Mitteln zu unterstützen. Haltet alles, was dazu erforderlich ist, bereit. Je einmütiger sich die Arbeiter und Soldaten Deutschlands in den von ihnen gewählten Räten zusammen schließen, desto rascher wird der Kampf nach dem Willen des Volkes entschieden sein. Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik. Sie KSMeM bk« -»le«. Jede Verbindung zwischen Schneide rn ü h I und Kolmar ist unterbrochen. Kolmar wurde Sonntag nachmittag von den Polen angegriffen. Eine Abordnung, be stehend aus dem Bürgermeister, dem katholischen Geistlichen und dem Rektor Fratzkc, begab sich in das Lager der PolLii und vereinbarte die Ucber- gabebedingungen. In Schneidemühl erwartet inan jeden Augenblick das Eintreffen der Polen. Die Be unruhigung in der Stadt hat ihren Höhepunkt erreicht. In Wissel soll ein schwerer Kampf zwi lchen der deutschen Besatzung und den Polen stattgefundcn baden. Hierbei haben, wie verlau tet, die Polen schwere Verluste erlitten. Nähere Einzelheiten fehlen noch. In Danzig hat sich in den letzten Stun den nichts Wesentliches ereignet. Die Stadt bie tet ein Bild vollkommener Ruhe. Weiter wird berichtet, daß Rakel wieder in deutschem Besitz ist. Damit ist die Eisen bahnverbindung Schneidemühl—Berlin—Bromberg wiederhergestellt. Ueber die VerkehrSverhältrnsse aus den anderen Bahnlinien liegen noch keine Einzelheiten vor. ArlillerlekSmpfe k» In Hohensalza sind seit Montag srüh Artil- leriekämps« im Gange. Der Bahnhof wurde in Brand geschossen. Bis zur Stunde fehlen nähere Berichte, da die Verbindungen mit Hohensalza gestört sind. Jie SrWWn ber «nnM- aW« Lebe«mitltlse«bmM. Der Vorsitzende der amerikanischen Lebens mittelkommission, Hoover, gab einen Bericht über die Ernährungslage Europas, in welchem er sagte: Wir haben über die Lage in Deutschland Untersuchungen angestellt, sind aber bisher noch nicht so weit, um irgendwelche endgültigen Be schlüsse zu fassen. Die Bevölkerung Deutschlands hat sicher genug Vorräte, um noch eine Zeitzang auszuhalten, von der Versorgung mit Fett ab gesehen, das ohne Zweifel sehr knapp ist. Die Festsetzung der Bedingungen über Maßnahmen, welche notwendig sind, um den befreiten Gebie ten zu- helfen, muß indessen unsere erste Socgc sein; sie umfaßt insgesamt Länder mit etwa 125 Millionen Menschen. Damit in der Lebensmiltel- licfcrung während der Zeit der Untersuchung und der Schaffung der Organisation keine Ver- f zögcnmg entsteht, haben wir durch gemeinsames Zusammenwirken des Kriegsamtes und der Le- bcnsmitlelverwaltung bis heute etwa 150 000 Tonnen Nahrungsmittel nach verschiedenen euro päischen Häfen gesandt. Daneben geben wir bis- ber monatlich 150 000 Tonnen nach Belgien md Nordfrankreich. Das TranSportproblcm bietet außerordentliche Schwierigkeiten infolge der schlech- - len Zustände der Eisenbahnen und des rollenden > Materials in den ganzen in Frage kommenden t Gebieten. Daher entstanden nach der Landung der Lebensmittel neue Schwierigkeiten. In Bel gien und Nordfrankreich mußten wir für die Ver teilung einen Dienst mit Lastautomobilen ein- riclüen und werden wahrscheinlich auch in den anderen Ländem dieses Verfahren einschlagen müssen. Außerordentlich schwierig ist ferner lie finanzielle Frage. Die Ernährung Europas wäh rend der nächsten 6 Monate bildet ein großes ökonomisches Problem, sie ist auch von aller größter politischer Bedeutung. Wenn wir An archie verhindern wollen, wenn wir den Wunsch liegen, daß die Welt zu irgend einer Form ord nungsmäßiger Regierung zurückkehrt, und wenn wir die Errichtung von Regierungen, mit denen wir Frieden schließen können, sichern wollen, müssen Ivir auf irgend eine Weise für Nahrungs mittellieferung sorgen. Das finanzielle Problem zerfällt in drei Kategorien: l. An Deutschland und einige Alliierte und Neutrale können wir die benötigten Nahrungs mittel in der Form eines richtigen Handelsge schäfts gegen angemessene Bezahlung in annehm baren Werten verkaufen, 2. sind es die befreiten Gebiete und einige Alliierte, denen Amerika nach den gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen zeitweilige Anleihen geben kann, ,0 . die Völker, welche die Unterstützung Ame rikas in erheblichem Maße benötigen, denen diese Unterstützung aber aus den gegenwärtig verfüg baren Fonds nicht gewährt werden kann. ES erlchcint den Alliierten und der amerikanischen Regierung nur gerecht, daß, da ein großer Teil i der Schwierigkeiten der befreiten Länder durch i die rücksichtslosen Handlungen der deutschen Ar- meen verursacht ist, die Deutschen veranlaßt wer- , den sollen, Schiffe für den NahrungsmüteltranS- s Port nach diesen Gebieten zu stellen. ES Wied ' zweifellos eine Vorbedingung für die Gewährung von Lebensmiltelsendungen au Deutschland sein, daß deutsch« Schiff« stir die Versorgung aller befreiten Länder benutzt werden. -le SttMtitimi Gtreik »er E>se»vah,«nk»^«t Die Eisenbahnarbciter des Eisenbahndirektions- bezirks Danzig traten am Freitag mittag in den Streik und unterbanden den gesamten Eisenbahn verkehr (Personen- und Güterverkehr) im Tirek- tionsdezirk, weil ihre Lohnsorderungen, die auf einen Stundenlohn von 2,40. Mk. hinauslaufen, nicht bewilligt worden waren. Aus den Ver handlungen mit dem Vollzugsausschuß wurde an die Regierung in Berlin ein Telegramm gerichi trt mit der Bitte, einen Kommissar nach Danzig zu entsenden. Es wurde beschlossen, daß der Zugverkehr sofort' wieder zugclassen werden soll, jedoch bleiben die Arbeiter der Eisenbahnhaupt- werkstälte vorläufig im Ausstand. Sollten die Verhandlungen in den nächsten drei Tagen nicht zu einem günstigen Abschluß geführt werden, so wird der Streik fortgesetzt. St» ts» Gtretk» t» visrschleßi». Aus Kattowitz wird gemeldet: Bergrat Jo- kiszh vom Borsigwerk isl freiwillig aus dem Le ben gegangen. Er hat diesen Schritt in folgen dem Schriftstück begründet: An die oberschlesischen Berg- und Hütten leute! Nachdem wir uns vergeblich bemüht ha ben, Euch durch Worte zu belehren, habe ch mich entschlossen, Fs durch eine Tat zu versuchen. Ich will sterben, um Euch zu beweisen, daß 'die Sorgen, die Ihr über unser beneidetes Dasein verhängt, schlimmer sind als der Tod. Wohlge merkt also: Ich opfere - mein Leben, um Euch darüber zu belehren, daßs Ihr Unmögliches, for dert. Tie Lehren, die ich Euch aus dem Grabe zurufe, lauten: Mißhandelt und vertreibt Euwe Beamten nicht! Ihr braucht sic und findet keine anderen, die bereit sein werden, mit Wahnsinni gen zu arbeiten. Ihr braucht sie, weil Ihr den Betrieb ohne Leiter nicht führen könnt. Fehlen die Leiter, dann erliegt der Betrüb und Ihr müßt verhungern. Mit Euch Euere Frauen, Euere Kinder und Hunderttausende unschuldigen Bürger. Tie eindringliche Mahnung, die ich an Euch richte, ruft Euch zu eifriger Arbeit. Nur, wenn Ihr mehr arbeitet als vor dem Krieg und Euere Ansprüche bescheidener werden, könnt I' r auf Zufluß von Lebensmitteln und auf crtmg liebe Preise rechnen. Ta ich sür Euch in den Tod gegangen bin, schützt meine Frau rind meine lieben Kinder und helfet ihnen, wenn sie durch Eure Torheit in Not geraten. Skßs Htttlilp f. Nach einwöchigem Krankenlager ist in Ruh polding in Oberbayern Graf Hertling gestorben Tie Kunde kommt überrascbend. Man wußte freilich, daß Graf Hertling schon während seiner .Kanzlerschaft schwer leidend war und sich im Amte nur deshalb halten ließ, weil er einen Wechsel in der schwierigen Zeit nicht sür ratsam dielt. Der Heimgegangene war einer jener Po litiker, der sich durch große Sachkenntnis auS- zeichnete und dessen Wissen selbst den Gegnern Respekt abforderte. Das Zentrum hatte in Hert ling einen seiner besten Führer. Sein verbind liches Wesen neigte freilich viel zu Konzessionen, und eben dieses Entgegenkommen war cs wohl, was seiner Kanzlerschaft nicht von großem Nutzen gewesen ist. Er übernahm das Erbe des Herrn von Bechmann Hollweg, das Herr Dr. Michaelis nicht bewältigen konnte, und fand also schon eine schwierige Situation vor. Tie Parteien befanden sich im Kampfe und die Kriegsschwierigkeiten hatten den Ruf nach Frieden laut werden lassen und die Friedensbewegung geweckt. Hier suchte Herstmg zu vermitteln. Einesteils gelang cs ibm, durch Konzessionen an die Parteien, sie zu beruhigen, Kundgebungen, die er Uch außen 't- ließ, bewiesen, daß der starre SiegeSwiN« Deutsch lands nicht mehr vorherrschte. Aber die Laz« wurde immer schwieriger, weil neben der Regie- rung im Hauptquartier eine andere Regt«run- waltete und so die Arbeit der ReichSregierung erschwert wurde. Diese mußte sich schließlich nur darauf beschränken, mit der sich zuspitzenden inne ren Hage abzusindcn. Und während sie den Kampf, den der alte Kanzler schweren Herzen» mit den Parteien sllhrte, ausfocht, kam jener Unisturz, der den Rücktritt Hertlings bedingte und Prinz Max von Baden zum Kanzler machte Hertlings Kanzlerschaft war domenvoll. z« kW. »ie »estfG« v»r «ir He1«k»tzr. I Wie die Würstembergische Pressekorrespondenz von zuständiger Stelle-»erfährt, -ist zu erwarten, ' daß die in der Gewalt der Entente befindlichen deutschen Kriegsgefangenen nun doch in abseh barer Zeit freigegeben werden. Es handelt sich i um etwa 800 000 Mann, von denen die eine I Hälfte auf dem Landwege, die andere aus dem Wasserwege in die Heimat zurückgelangen soll, und zwar wird damit gerechnet, daß die Rück beförderung schon im kommenden Monat be ginnt. Tie Schnelligkeit des Verlaufs der Heim kehr wird sehr wesentlich von den vorhandenen TranSportmöglichkciten abhängen. An den Grenz- übergangsstationen (Häfen) werden die Zurück kehrenden von deutschen Abnahmekommissionen übernommen und möglichst rasch den an ver schiedenen Punkten Deutschlands zu errichtenden Durchgangslagern zugeleitct. Dort verbleiben die Leute zwecks ihrer gründlichen gesundheitlichen Untersuchung und Entseuchung etwa zehn Tage und gelangen von da zu ihren Stammtruppen teilen, von denen aus die Entlassung erfolgt. RLckkehr »«ifchrr gefa»«»«er D e deutsche Wnffenstillstandskommission teilt mit: In der Frage der Erleichterung des schwe ren Loses unserer Kriegsgefangenen haben die Bemühungen der deutschen Wafscnstillstandskouu mission endlich ein Anfangsergebnis gebracht. Die Engländer haben nunmehr versprochen, daß aus England- 800 schwerverwundete Deutsche auf dem Seewege über Rotterdam zurückgesandt wer den sollen, und erklärten sich ferner bereit, 400 gleichfalls schwer verwundete kriegsgefangene Deutsche auf dein Wege über die Front nach Köln zurückzubefördern. Außerdem ipplleu die Amerikaner das in ibren Linien verbliebene Sa nitätspersonal über Koblenz nach Deutschland zurückschicken. Tie deutsche Wasfenslillstandskom Mission hat die Alliierten dringend gebeten, die sem Beis. irl baldmöglichst allgemein zu folgen. Krise »«»erl"»« a»tz«r der des Snartr^««» Fu der französischen Kammer erklärte Frank lin Bouillon, Frankreich müsse das Haardecken unter allen Umständen behalten. Anderseits sei Frankreich jedoch gegen jede Annexion von Fremdvölkcrn gegen deren Willen. Tie links rheinischen Gebiete dürsten aber trotzdem nie wie der einer Frankreich feindlichen Koalition ange hören. Ferner verlangte Bouillon die Interven tion in Rußland. Kt», ve-nRnfUg» ttalst Nische Oti»«». „Eoruüere della Sera" verlangt sür Italien sowohl wie für Frankreich Staatsmänner, die die Kraft besitzen, den Siegestaumel einzudäm men. Selbst Bismarck habe nicht verhindern kön nen, daß die Angliederung Elsoß-Lothringeus zuni Grabe des Deutschen Reiche? wurde. Ein ähnliches Schicksal werde den Verbündeten blühen, wenn gbre Politiker uns nichts anderes bedacht feien, als den biöberigen Feinden eine Revanche unntöglich zu machen. Italien dürfe Wilson auf der Friedenskonferenz nutzt allein lassen, müsse ihm vielmehr mit aller Macht Helsen. Anter schwerem Verdacht. Noma» von F. Arnefeld. SS Netha ivar aus dem Innern der Stadt auf die diese umziehende Promenade gelangt. DaS sehv rege, bunte Treiben, das anch hier geherrscht, war setzt schon sehr stark im Abfluß begriffen, denn der Tag neigte sich bereits, eS wurde kühl und feucht. Tie Kinder, die unter Aufsicht ihrer Bonnen den schönen Sonnenschein genossen, wurden nach deitz elterlichen Wohnungen zurückgeführt, auch die Spa ziergänger verschwanden mehr und mehr. Aber Nelha ging und ging und hatte all dieser Vorkommnisse nicht acht. Es war ihr, als höre sie eine Stimme, die sie taub machte für alle anderen Geräusche, die an ihr Ohr schlugen—eineStimme, die ihr nnaufhörlich zurief: „Er muß gerettet wer den um jeden Preis." Und plötzlich stand sie still, drückte beide Hände gegen die Brust, in der das Herz in wilden Schlä gen hämmerte, und murmelte: „Er muß gerettet werden, wenn eS nicht ohne sie geht, daun mit ihr!" Da ivar es heraus, das vernichtende, aber auch das befreiende Wort! Retha holte tief Atem. Es war ihr, als habe sich ihr plötzlich ein Alp von der Brukt gewälzt. Einen Augenblick ward ihr so leicht und frei zumute, als könnte sie hinaufsteigeuzu dem schwärzlich-blauen Himmel, an dem die Mondsi chel jetzt schon einen goldige« Schein angenommen hatte. Wie aus einem Traum erwachend, schaute Retha um sich. Erst jetzt besann sie sich, daß sie lange von Hause sortgewesen. Ein paarmal hatte sie den Weg ruigs um die Stadt durchmessen. Schon flammte überall in den Straßenlaternen daS GaS auf, die Fenster der umliegenden Häuser begannen sich zu erhellen. DaS junge Mädchen wandte sich, um auf dem kürzesten Wege die Reichsstraße zu erreichen. Der erste schwere Sieg über sich selbst war auf diesem Spaziergänge errungen. „Wo sind die beiden Damen?" fragte sie das ihr die Tür öffnende Machen, geleitet von dem Wunsche, der Schwester und der alten Frau Hel- merS nicht sogleich unter die Augen treten zu müs sen. „Die junge Fran Helmers ist bei den Kindern und die alte ist in ihrem Zimmernder sie hat Be such." G Die letzteren Worte flüsterte daS Mädchen mit geheimnisvoller Miene und warnender Geberde, in der Meinung, Retha wolle ihre Herrin aufsu- chen. Dadurch aufmerksam gemacht, fragte das junge Mädchen: „Wer ist denn da?" Die Magd drückte erst den Finger auf den Mund und erwiderte dann in noch leiserem Tone, als lasse sie sich zum Verrat eine? schweren Geheimnis ses herbei: „Rechtsanwalt Schleiden, waSjawohl der ist, der unsern armen Herrn Doktor bei Gericht verteidigen soll. Ach, Fräulein Retha, wird denn das was helfen?" Sie wischte sich mit dem Zipfel der Schürze die nas- sen Augen und fügte hinzu: „Ich soll niemand her einlassen, so lange er da ist. Als ob überhaupt jetzt jemand käme! Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot! Gehen Sie lieber in Ihr Zimmer, bis er fort ist," riet sie dann in verändertem Tone und kehrte nach der Küche zurück. Retha nickte und schlug den Weg nach ihrem Zimmer ein, als aber daS Mädchen um eine Ecke des Ganges verschwunden war, blieb sie stehen, blickte vorsichtig nach allen Seiten und huschte dann durch die auf den Gang mündende Tür des an Frau HelmerS Wohnzimmer stoßenden Alkoven. 16. Kapitel. Die Unterredung zwischen Frau HelmerS und Rechtsanwalt Schleiden, der als einer der geschick testen Verteidiger nicht nur in Leipzig, sondern in ganz Sachsen einen großen Ruf genoß, hatte schon eine Weile gedauert, als Retha in den Alkoven schlüpfte und sich zur Lauscherin machte. Die Vorhänge an den Fenstern waren jetzt her- abgelassen, eine heNbrennende Lampe erleuchtete das Zimmer in angenehmer Weise; die Wärme, die der große Ofen ausstrahlte, und die am Tage bereits zu stark gewesen war, hatte nunmehr erwaS sehr behagliches, die sorgsam gepflegten Blumen verbreiteten einen süßen Duft. RechtSanwaltSchlei- den, der der in ihrem Lehnstuhle sitzenden Frau in einem Sessel gegenüber saß, empfand mit seinen dafür recht geschärften Sinnen das Traute, Wohl tuende dieses Heims der alternden Frau, die in ihrer Weltabgeschiedenhcit sich mit den Erinnerun gen an die dahingeschwundene Jugend umgeben hat. Um so lebhafter drängte sich ihm der Gegensatz auf zwischen dem äußeren Frieden nnd dem Sturm, der Augst iu dem Herzen dieser armen Mutter um den einzigen ihr übrig gebliebenen Sohn, den Schlim meres bedrohte als der Tod. Und als ehrlicher Mann konnte er ihr so wenig Hoffnung machen, wenn er sich auch bemühte, sei nen Worten die schonendste Form zu geben. Sie bemerkte das sehr wohl und sagt«, seine Hand ergreifend: „Geben Sie sich keine Mühe, mich die Sache in einem günstigen Lichte erblicken zu lassen. Ich weiß, daß sie verzweifelt steht —" „Man darf niemals verzweifeln —"schalteteer ein, aber ohne sich unterbrechen zu lassen, sprach Frau HelmerS weiter: „Hätte ich das noch nicht gewußt, so würde mich der Besuch, den ich heute meinem Sohn gemacht, darüber belehrt haben; wäre dies nicht der Fall, ich würde nicht gewagt haben, Sie zu niir zu bitten." „Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung," er widerte nicht nur artig, sondern warm der RechtS- walt. „Ich danke Ihnen herzlich. ES tut mir so wohl, daß ich meinen Sohn unter dem Beistand eines Mannes weiß, der nicht nur ein anerkannt geschick ter Jurist, sondern auch ein edler Mensch ist." Ohne ihm Zeit zu einer Entgegnung zu lassen, fügte sie hinzu: „Ehe ich zu der eigentlichen Veranlassung zu meiner Bitte komme, gestatten Sie mir eine Frage: Sie halten meinen Sohn doch für schuld los?" Schleiden fuhr zur Hälfte von seinem Sitz em por, sein« Stirn sverdüsterte sich und mit schärferer Stimme entbegnete er: „ES ist nicht meine Ge pflogenheit, m Fällen, wie der vorliegende, frei willig die Verteidigung eine» Angeklagten zu über nehmen, den ich für schuldig halte. Ich bin von der Schuldlc sigkeit des Herrn Doktor HelmerS fest überzeugt." „Verzeihung, eS lag mir fern, Sie kränken zu wollen," bat die alte Frau, „und wie denken Sie über Karla Edelberg?" „Auch sie halte ich für schuldlos, und ihr Ver- teidigert eilt ganz meine Meinung; wenn damit nur viel gewonnen wäre," antwortete Schleiden besänftigend, jedoch recht traurig. „Doch, doch! Der Glaube kann Berge versetzen, heißt es in der Schrift, und dre volle, ehrliche Ue- berzeuguiig hat etwas fortreißeudeS." „Sehr wahr, meine gnädige Frau, deshalb sollte ein Anwalt, der etwas auf sich hält, zur Verteidi gung eines notorisch Schuldigen nur als Offizial verteidiger sich hergeben, obwohl er allerdings in den meisten Fällen mildernde Umstände gibt, und zumal iu diesem —" „Was wollen Sie damit sagen?" fragte sie, al» er stockte. „Nun, obwohl eS in diesem Falle fast n«he ge legen hätte, die Tat, wäre sie wirklich bigaugen, z« verteidigen." „Um GotteSwillen!" ries Frau Helmer» er schrocken. „Es könnte mich wohl reizen, nachzuweiseu, daß der Ermordete und nicht die sogenannte Mö» derin der eigentliche Schuldige gewesen ist, daß erstes in einer unerhörten Weise au seiner Schwester ver- gangen, einen Seeleumord au ihr verübt, und sie zu der Tat getrieben hat." „Herr Rechtsanwalt, Sie werden das nicht tun!' rief ganz entsetzt die alte Fran. „Nein, ich werde eS nicht tun, schon darum nicht, weil ich nicht Karla EdelbergS Verteidiger bin. Aber seien Sie auch sonst unbesorgt, ich würde j« damit zugebeu, daß eine fremde Hand Hafner da» Gift gereicht hat, und ich-bin vom Gegenteil fest überzeugt. Noch mehr, ich muß mir Zurückhaltung auferlegen, Richtern und Geschworenen, und der verehelichen Zuhörerschaft da-; Bild de» Verstor benen so zu zeichnen, wie ich gern möchte, weil ich eS sonst allzu begreiflich mache, daß inan einen sol chen Menschen anS der Welt schafft." SIS,17
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