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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 22.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191011222
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19101122
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19101122
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-22
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 22.11.1910
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WlM nm PhklNitii EriMWIrrMkiUl Tageblatt. Nr. 270.^Dienstag, den L^.Novcmber 1910. "37. Jahrgang. Kkiikslagsakg. Dr. Magner über ltie pokt Me Lage. Auf Veranlassung des Konservativen Vereins für die Amtsgerichtsbezirke Glauchau und Meerane sprach am Freitag abend im Schützenhause zu Glauchau vor einer großen Versammlung konigs- treuer Männer Herr Landgerichtsrat Ist. jur. Wagner aus Dresden, M. d. R., über „Die po liti sch e La g e". Sowohl aus Glauchau und Meerane, wie auch aus Hohenstein-Ernstthal, Lichtenstein und Waldenburg hatten sich die Be sucher sehr zahlreich ciugefnnden, besonders stark waren aber die ländlichen Ortschaften der Um gebung vertreten, die es sich nicht nehmen lassen wollten, den bekannten Parlamentarier, der, wie bekannt sein dürfte, aus Meerane stammt, ein mal in ihrer Mitte zu begrüßen und zu hören. Herr Rittergutspächter Kretzschmar (Renife) eröffnete die Versammlung, die einen Auftakt für die kommenden Neichstagswahlen darstellte, mit Dankesworten an die Erschienenen für die lebhafte Teilnahme und erteilte dann Herrn Reichstagsabgeordneten Dr. Wagner das Wort, der einleitend bemerkte, daß er gern dem Rufe gefolgt sei, in seinem Heimatbezirke zu spre chen, und die Versicherung abgab, daß er nicht gekommen wäre, um die Gegensätze zu ver schärfen, sondern zu überbrücken. Zu seinem Thema übergehend, warf Redner zunächst ei nen Rückblick auf die Reichsfinanzreform, je nen großen gesetzgeberischen Akt, der so viel Staub aufgewirbelt hat und uns noch immer nicht zur Ruhe kommen läßt. Er schilderte an der Hand eines reichen Zahlenmaterials, wie dringend notwendig die Finanzreform war, um die drückende Schuldenlast zu beseitigen, die uns in unserer inneren Entwickelung hemmte und unser Ansehen nach außen schmälerte. Er trat der Behauptung entgegen, daß die Schutz zollpolitik es gewesen sei, die das Reich in finanzielle Nöte gebracht habe. Die Statistik beweise im Gegenteil, daß gerade unter der Herrschaft des Schutzzolls der deutsche Handel einen nie geahnten Aufschwung genommen hat, der Konsum und das Einkommen ganz erheb lich gestiegen sind, die 'Arbeitslosigkeit abge nommen und die Verhältnisse in der Land wirtschaft sowohl wie in der Industrie bedeu tend gesündere geworden sind, was auch der sozialdemokratische Volkswirtschaftler Calwer unumwunden zugibt. Ebensowenig wie die Schutzzollpolitik, die das deutsche Volk gesund und kräftig gemacht hat, seien es die Aufwen dungen für Heer und Marine gewesen, die das Reich in Schulden gestürzt haben, sondern die Zaghaftigkeit der Regierung und die Furcht des Reichstages vor den Massen, die nament lich die Steuergesetzgebung so ungünstig beein flußte. Auf die Reichsfinanzreform an sich näher eingehend, sührte Herr Abg. Dr. Wagner u. a. aus: Hätten wir noch den alten Kartellreichs tag gehabt, in dem Konservative und Natio nalliberale die Mehrheit hatten, die Frage wäre ohne weiteres gelöst worden; so aber ka men noch die 50 Freisinnigen dazu, die sich nicht frei machen konnten von ihren Prinzi pien und ihre Zustimmung stets von Partei Konzessionen abhängig machten. Redner ver urteilte die demagogische Ausbeutung der Reichssinanzreform zu agitatorischen Zwecken und bezeichnete es im Interesse der Selbstän digkeit der Einzelstaaten für notwendig, dem Reiche allein die indirekten, den Einzelstaaten und Gemeinden die direkten Steuern zu be lassen. Durch sozialdemokratische Urteile („Vor wärts" und Engels) stellte er das Gegenteil der Behauptung der linksstehenden Parteien fest, daß die indirekten Steuern am meisten den kleinen Mann bedrücken. Hierauf begründete der Referent seine zustimmende Stellungnahme zur Erbschaftssteuer und ging dann auf die Gründe näher ein, die die Mehrzahl seiner Fraktionskollegen zu ihrer ablehnenden Hal tung veranlaßten. Er stellte fest, daß die stärk sten Argumente gegen die Steuer die freisinni gen Abgeordneten Dr. Wiemer und Müller- Meiningen, sowie die nationalliberalen Abge ordneten Paasche und Dr. Weber geltend ge macht haben und bezeichnete es als ungerecht, denen, die die Erbschaftssteuer ablehnten, den Vorwurf der Stenerdrückerei zu machen, denn die Steuern, die an ihre Stelle getreten sind, bedeuten für die Landwirtschaft eine erheblich höhere Belastung als die Erbschaftssteuer, mit der übrigens die Finanzreform durchaus nicht besser geworden wäre, denn die Konsumsteuer auf Bier, Kaffee, Tee und Streichhölzer wä ren auch mit der Erbschaftssteuer gekommen. Die Besitzsteuern, die anstelle der Erbschafts steuer getreten sind, (Talonsteuer, Besitzwechsel abgabe, sowie der Emissions- und Effekten- stempel) belasten die breiten Massen keineswegs, schädigen aber auch die Kreise nicht, die da von betroffen werden. Herr Dr. Wagner be ruft sich hier wiederum auf das Zeugnis Cal- wers und stützt sich ferner auf die Abschlüsse unserer Großbanken, von denen z. B. die Deutsche Bank und die Dresdner Bank, die ün letzten Jahre 400 000 Mark bezw. 200 000 Mark Rücklagen für die Talonsteuer schaffen mußten, ganz bedeutend erhöhte Dividenden und Tantiemen zahlen konnten. Auch die Ur teile der Handelskammern Bochum und Dort münd, sowie der „Deutschen Jndustriezeitung" bewiesen, daß durch die Reichsfinanzreform der Beginn einer aufstcigenden Entwickelung ein geleitet wurde. Auch die Schäden in der Ta bakindustrie seien überwunden. Er gebe zu, daß die Form der einzelnen Steuern noch mangelhaft sein möge, aber das rechtfertige kei neswegs die im Volke künstlich geschürte Er regung, die für die Zukunft nichts gutes er hoffen lasse. Im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen wandte sich Herr Abg. Dr. Wagner gegen die Beschuldigung, daß die Konservativen bei der Finanzreform das Zentrum wieder in den Sattel gehoben haben. Es fehle an jedem An halt dafür, daß die Konservativen ultramon tanen Ideen Vorschub geleistet hätten, wohl aber sei die Aera Windthorst—Richter—Grillen berger Beweis genug, daß früher gerade die Parteien mit dem Zentrum einen Bund schlossen, die heute den Konservativen falsche Motive unterschieben, nur uni das Volk gru selig zu machen. Das Zentrum würde aller dings dann wieder hoch kommen, wenn Kon servative und Nationalliberale auf Kosten der Sozialdemokratie geschwächt aus den nächsten Wahlen hervorgehen sollten; im Interesse der ultramontanen Machtbestrebungen müsse das verhindert werden und darum sollten gerade in Sachsen, wo keine bürgerliche Partei ein Mandat allein erringen könne, alle nationalen Elemente immer nur das Einende betonen, nicht das, was sie trennt. Nachdem Redner noch festgestellt hatte, daß die Uneinigkeit innerhalb der bürgerlichen Par teien auch den Liberalen nichts genützt, den Vorteil vielmehr nur die Sozialdemokraten ge habt haben, streifte er kurz das Gebiet der auswärtigen Politik und wandte sich schließ lich den neuen sozialpolitischen Aufgaben des Reichstages zu. Was auf diesem Gebiete für die Arbeiter noch getan werden solle, das könne man daraus ersehen, daß für den Ansbau un serer Arbeiterversicherungsgesetzgebung von den Arbeitgebern und vom Reich zusammen 123 Millionen jährlich mehr ausgebracht werden sol len. Bei aller Rücksicht auf die Arbeiter müsse aber auch Rücksicht auf unser Unternehmertum genommen werden, dem das Reich sein Em porblühen in erster Linie mit verdankt. Auch in der Sozialpolitik gebe es eine Grenze, und die liege in der Konkurrenzfähigkeit der Fabri kanten dem Auslande gegenüber, deshalb dürfe nur vorsichtig auf der betretenen Bahn weiter geschritten werden, um die Absatzfähigkeit un serer Industrie nicht zu gefährden. Weiter wies der Referent auf die Ge'ahren der Kon zentration des Kapitals hin und bezeichnete die Forderung, man müsse demokratischer werden, als ungerechtfertigt in einem Staat mit dem freiesten Wahlrecht der Welt, mit dem unbe stechlichsten Beamtentum und einer Gesetzge bung, die die natürlichen Rechte des Menschen schützt. Das konstitutionelle Prinzip gewähr leistet eine ruhige gesegnete Wechselwirkung. Daß die Länder mit demokratischer Verfassung, wie z. B. Frankreich und die Vereinigten Staaten von Nordamerika, viel ungünstiger re giert wurden, geben selbst die Sozialdemokra ten zu; es zeige sich nur zu deutlich, daß, je demokratischer ein Volk, um so größer die Gefahr der Plutokratie ist. Nicht die Gesetze, sondern die Menschen müssen sich bessern und nach den Grundsätzen der christlichen Nächsten liebe handeln, ihre Pflicht tun und nicht ab seits stehen, wenn sich immer wieder neue Kämpfe nötig machen. Verhetzung, Mißstim mung und Verärgerung unter sich herbeizufüh ren, diese alten Erbfehler der deurschen Parteien müssen abgestreift werden, soll die Sozialde mokratie nicht noch größere Triumphe feiern, jene Partei, die uns an der ruhigen Fortent wickelung hindert, die das Mcnschenlos freund licher gestalten will und allen die Freude ver gällt, die den Frieden predigt und den Klas seuhaß schürt, die die Menschheit veredeln will, aber immer den gewöhnlichsten und gemeinsten Ton nicht nur den Gegnern, sondern auch den eigenen Genossen gegenüber anschlägt. Mit der ernsten Mahnung an alle bürger lichen Parteien, einig zu sein und den nativ nalen Gedanken wieder hell aufleuchten zu las sen, schloß Herr Dr. Wagner unter langem hallendem Beifall seine länger als zwcistün dige, auf einen versöhnlichen Grundton ge stimmte Rede. Herr Kretzschmar zollte dem Referenten Worte des Dankes für seine Aus führungen und schloß darauf die Versammlung mit einem dreifachen Hoch auf das deutsche Vaterland. _„_ (Gl- Ag.) Oertliches und Sächsisches. * — Ueber die Erlasse, Stun dungen und Nachforderungen von Einkommen- und Ergän- zungssteuer sind jetzt auf Grund des Ge setzes vom 16. Juni 1910 vom König!. Fi nanzministerium neue Bestimmungen getroffen worden. Hiernach werden die Bezirkssteuer einnahmen und die Gemeindebehörden ermäch tigt, auf Antrag im Falle besonderen Bedürf nisses Einkommen- und Ergänzungssteuerbe träge, für die ihnen die Anordnung der Zwangsvollstreckung zusteht, bis zur Höchst- dauer von 4 Monaten von jedem Steuerter mine, bei Nachforderungen von der Bekannt gabe der darauf gerichteten Verfügung ab zu stunden. Ueber den Zeitpunkt des Abschlusses der Ortsregelung hinaus dürfen Gemeindebe hörden Stundung nicht bewilligen. Bei der Ausübung der Stundungsbefugnis durch Ge meindebehörden darf das Gemeindeinteresse nicht vor dem staatlichen Interesse bevorzugt werden. Insbesondere sollen die Gemeindebe- Hörden wegen der Staatseinkommensteuer Stun dung nur bewilligen, wenn ivegen der zurzeit der Bewilligung fälligen Gemeindeeinkommen steuer eine entsprechende Stundung gewährt wird. Gemeindebehörden, die diesen Vorschrif ten zuwiderhandeln, kann die Stundungsbe fugnis durch Verfügung des Finanzministe- riums entzogen werden. Ferner sind die Be zirkssteuereinnahmen ermächtigt worden, aus Antrag Erlaß von Einkommen- und Ergän zungssteuer in Fällen eines außergewöhnlichen Notstandes und wegen persönlicher Verhält- nisse bis zum Betrage von 50 Mark auf die Jahressteuer oder auf einen Nachzahlungsbe trag zu bewilligen. Den Gemeindebehörden, denen die Anlegung der Kataster und die An ordnung der Zwangsvollstreckung wegen der direkten Staatssteuern übertragen ist, kann auf Ansuchen die Befugnis verliehen werden, in den gleichen Fällen wie oben auf Antrag Er laß von Einkommen und Ergänzungssteuer bis zum Betrage von 25 Mark auf die Jah- rcssteuer oder auf einen Nachzahlungsbetrag zu bewilligen. Die Erlaßbesugnis der Bezirks- steuereinnahmen und Gemeindebehörden erstreckt sich nicht auf Steuerbeträge, die in der abge schlossenen Ortsrechnung verrechnet sind. Fer ner erstreckt sich die Erlaßbefugnis der Gemein debehörden nicht auf Steuerbeträge, gegen de ren Abforderung Rechtsmittel eingewendet sind und die nach 8 15 Nr. 6 des Einkommen steuergesetzes veranlagt sind. Die Entschlie ßung über Anträge auf Verleihung der Erlaß besugnis an Gemeindebehörden steht den Kreis- sleuerräten zu. *— Zur Frage der Fleischver- s o r g u n g. Von der sächsischen Regierung sind schon seit langem Erörterungen angestellt morden, wie eine Vermehrung des Fleischan gebotes ohne Verteuerung des Fleisches her- beigesührt werden kann. Die etwa zu treffen den Maßnahmen sind aber abhängig von Ent- Der rote Hof. Kriminal-Erzählung von Adalbert Reinold. 811 (Nachdruck verbaten.) An demselben Tage, als der alte Förster Scbwarz und der Anwalt seines zum Tode verurteilten Neffen sür diesen um Gnade bei König Ernst August baten, stand schon am frübci: Morgen der irrsinnige Bettel- Iakob auf dem roten Hose. Der Hofbauer Hartmann war anf der groben Diele beschäftigt: er trieb jeet noch mebr als sonst die Leute zur Arbeit an, war er doch nun alleiniger und un umschränkter Besitzer und Herr der schönen Laudstelle. Beim Stadtgericht war bald nach Martbas Tode alles rasch geordnet, nur einige cnnerule Verwandte des früheren Besitzers Wendel lebten in der Gebend von Slade, sie waren jedoch nicht erbberechtigt und dem Bauern Hartmann wurde Hof und Ländereien als volles Eigentum zugewrochcn. Die Augen des habsüchtigen Menschen leuchteten, seine Hand zitterte, als er das lebte Protokoll zu unter schreiben hatte; — nunmehr war er im vollen Besitze dessen, wonach seine Nimmersatte Gier schon so lange ge trachtet, die Person, welche ihm mit einem Schlage alles hätte rauben können, war nicht mehr, — Martha war tot. Man hätte denken sollen, Hartmann habe jetzt auf dem roten Hofe ein zufriedenes Leben geführt, und seine Wirtschafterin, womit er, wie das ganze Dorf wusste, schon bei Lebzeiten seiner verstorbenen Frau zngchaltcn batte, — geheiratet. Er tat dies nicht, er vermied viel mehr jede Gelegenheit, wenn seine Zuhälterin anf dies ihm unangenehme Kavitel zu sprechen kam; dazu wurde er täglich mürrischer und unwirscher mit Knechten und Mägden, so das; es niemand mehr auf dem Hofe aus ruhalten vermochte. Dem Bettel-Jakob hatte er den Zutritt auf den Hof ganz verboten, und gedroht, wenn er sich wieder blicken liebe, den großen, bissigen Kettenhund losznlassen, damit dieser ihn fortbrächte. Er hatte das ewige Geschwätz von der toten Martha und dem Moorgcspcnst nicht mebr hören mögen, was dem armen Irrsinnigen stets Thema war, sobald er mit irgend jemandem zu sprechen kam. Fast Abend für Abend machte der Bettel-Iakob den Weg nach dem Dcrfkirchhof, der dicht vor dem Städtchen N. lag und saß hier oft stundenlang anf dem Grab hügel des ermordeten Mädchens. „Sie ist nicht tot — sie spricht ja mit mir und hat sich hier bingelegt, weil der Jäger, der Steffen und das Moorgcspcnst sie mir alle rauben wollten. Keiner hat sic bekommen, war sic doch schon mciu Schatz, als wir beide noch ganz klein waren und Heideblumcukränze wanden, die aber nicht zmammenhaltcn wollten, sondern immer wieder auseinander brachen;" — so phantasierte der Unglückliche. Am Försterhause hatte er von dem Jägerburschen gehört, daß der junge Förster ins Gesängnis gesetzt worden und augcichuldigt sei. die Martha erschlagen zu haben. Mit soudervarer Gleichgiltigkeit hatte Iakob dies vernommen. „Er hat sic totgcschlagcn?" lachte er. „Sind die Herren dumm, das Moorgeipenst wollte die Martha in den Grund ziehen. — und sie ist zu ihrem Vater und meiner Mutter geflohen, — alle seid Ihr Narren, ich sehe sie ja jeden Abend." Da mar das Todesurteil über den Förster ab gegeben und wieder hatte Jakob den fürchterlichen Spruch beim Försterhause erfahren. Diesmal jedoch von dem allen Förster selber. Der alte Mann batte den Irrsinnigen zn sich ins Haus gerufen. „Jakob", hatte er gesagt, „Du bist eia braver, guter Junge, der die Martha licb gehabt hat, — sag' einmal, weißt Du Dich denn garnichts weiter zu erinnern, als daß an dem Abend, wo die arme Martha tot am Moor see gesnndcn wurde. Du Wimmern und Hilferufen hörtest, hast Du niemand gesehen, keinen erkannt, — hast Du nicht irgend eine Ahnung, wer die Martha erschlagen hat? Mein Neffe ist zum Tode verurteilt." Der Irrsinnige blickte den ernsten Greis, dem oie Hellen Tränen bei diesen Fragen über die Wangen liefen, starr an; es war, als ob für einen Augenblick der Verstand des unglücklichen Jakob sich lichten wollte, seine Angcu sahen plötzlich so vernünftig, so teilnehmend den alten Förster an, er schien seine Gedanken sammeln zu wollen; aber nur einen Augenblick dauerte es, dann grinste er: „Totgeschlagen? — Das Moorgcspenst tat es — der schwarze Mann riß sic hinab nnd als sie cmpor- klimmlc, wollte er sie lotschlagen, aber sic lebt und ich weiß, wo ich sie treffen kann, — ja, das möchtet Ihr missen. Euer Herr Friedrich erhält sie dock nicht." — Damit eilte der Bettel-Iakob fort. „Der Arme ist ganz wahnsinnig geworden", seufzte, das Silbcrhanvt schüttelnd, der alte Schwarz, — »es würde nur schaden, ihn als Zeugen vorznschlagen." lind nun, an demselben Morgen, an welchem der Advokat Dr. W. nebst dem alten Förster in Hannover vor dem königlichen Schlosse warteten, stano der Bettel- Iakob Himer der Einfahrtstor auf dem roten Hofe, dicht neben dem Hundchaus, einem großen, braunen Hunde den Kopf streichelnd. „Du tust mir doch nichts, alter Karo", schmeichelte er das Tier, „Dil bist noch lauge nicht so bissig, als Dein Herr, lab ihn nur Hetzen, wir beide kennen uns." Der Hosbaner trat nach einer Weile ans der großen Tür; er gewahrte den Bettel-Iakob nicht, erst als er die Einfahrt fast erreicht hatte, lief ihm der Bursche nach. „He! Hofbauer Hartmann, ans ein Wort", ries der Bettel-Jakob. Hartmann wandte sich rasch um. seine kleinen, grauen Augen sprühten Wut, sein feistes Gesicht wurde blutrot. „Verdammter Bengel, habe ich Dir nicht verboten, den Hof zu betreten?" schimpfte er roh und zornwütcnd. packe Dich sogleich, oder ich lasse den Karo los, der soll Dir den Weg zeigen." „Spart die Muhe, Hofbauer, der Karo beißt nicht", nnd der Irrsinnige eilte an die Hundehütte und streichelte das große Tier. „Faß ihn. Karo!" zischte der Bauer. Der Hund fletschte die Zähne, schlug an, svraug aber wedelnd au dem Bettel-Jakob empor. „Verflucht", murmelte Hartmann. „Seht Ihr, wir kennen uns", rief Jakob, „will Euch auch nicht lange aufhalten und nur etwas fragen." Er trat dickst an den Hofbauern, seine großen, wirren Augen funkelten wie düstre Flammen; die kleinen, häß lichen Angen Hartmanns vermochten den Blick des Irren nicht zu erwidern. „Sagt, Hofbauer, ist es wirklich wahr, soll der junge Förster geköpft werden?" fragte Iakob mit leiser Stimme. „Das Todesurteil ist bestätigt", antwortete mechanisch der Bauer. «Oho — er soll sterben? — Daraus wird nichts, — denn der Förster hat die Martha ja garnicht tot- geschlagen", rief der Wahnsinnige. „Gehe zum Teufel, verrückter Junge!" fluchte Hart mann, „laß mich mit Deinem Gewäsch in Rube nnd schere Dich jetzt vom Hof, wenn ich die Peitsche nicht mit Deinen nackten Beinen Bekanntschaft machen lassen soll." „Geh schon, — Ihr braucht die Peitsche nicht erst zu holen, wollte nur hören, ob der Förster wirklich geköpft werden soll, wie es die Dorfleute und der Andres vom Waldhaus mir sagten, — wollte Euch fragen, Ihr mutztet cs wissen." Der Beitel-Jakob senkte bei diesen, mit einer ihm sonst nicht eigenen Ruhe gesprochenen Worten das struppige Haupt, sein großes, düsteres Auge war auf den Bauern gerichtet. sFortsetzung folgtJ
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