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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 20.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191011205
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19101120
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19101120
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-20
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 20.11.1910
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Der König ist diesem Schritt nicht sehr ge neigt, und das Publikum auch nicht. — Ein revolutionärer Aufruhr von streikenden Koh lenarbeitern fordert zu einem Generalstreik in ganz England aus. Am kommenden Montag soll über die Forderung abgestimmt werden. Die englische Regierung hat zur Verhütung blutiger Krawalle ihre Maßnahmen getroffen und besonders alle Waffen von den Bewoh nern des Streikgebietes eingefordert. 82 Frauenrechtlerinnen verhaftet. Eine Abordnung der Anhängerinnen des Frauenstimmrechts in England versuchte ge stern nachmittag mit Gewalt in den Hof des Parlamentsgebäudes in London einzudringen, sie wurde jedoch durch eine starke Abteilung be rittener Polizisten daran gehindert. Die Po lizei räumte den Platz vor dem Parlament und verhaftete 23 Frauen. Bis um 4 Uhr wurden 82 Frauen verhaftet. Persien. Gegen die drohende Aufteilung ihres Lan des durch England und Rußland riefen die Perser in einer zu Teheran abgehaltenen Mas senversammlung die Hilfe des deutschen Kai- sers an, gerade so, wie es vor einigen Wochen die in Konstantinopel vereinigt gewesenen Pec ser getan hatten. Deutschland kann sich na- türlich nicht einmischen. Auch die anderen Re gierungen wurden gebeten, die Vergewaltigung Persiens abwehren zu helfen. Eine Verschwörung <;egen den Prasi» denken Mexikos wurde von Geheimagenten der nordamerikani schen Union in San Antonio in Texas ent deckt und ein mit reichen Mitteln vorbereitetes Attentat, das am Montag ausgeführt werden sollte, rechtzeitig vereitelt. Das ist ein Beweis, daß die Beziehungen von Regierung zu Regie rung gute sind, und daß die Reibereien zwi schen den Grenzbewohnern beider Staaten zu politischen Konflikten ernster Natur nicht füh ren werden. Alle Waffen sind beschlagnahmt worden. Ar Forls-imMike Mksimem zu Hohenstein-Grnsithal, , ein noch junger politischer Verein unserer Stadt, hielt gestern abend im Saale des Hotels „Ge werbehaus" seinen ersten öffentlichen Vortrags abend ab, der indessen nur einen mäßigen Be such aufzuweisen hatte. Herr Lehrer Rose-Oberlungwitz eröffnete die Versammlung mit einer Begrüßung der Er schienenen. Wenn auch die Ortsgruppe Hohen stein-Ernstthal sich noch in ihren Anfängen be fände, habe man doch erwartet, zahlreiche Gegner von rechts und links anwesend zu sehen. Leider habe sich diese Erwartung nicht erfüllt. Herr Rose erteilte sodann dem Referenten, Herrn Reichstagskandidaten Pudor aus Leipzig, das Wort zu seinem Vorträge über „Schutz der nationalen Arbeit—eine Wahlparole des neuen Kanzlers". Herr Pudor führte in etwa 1'/-stün diger, fließender und allgemein verständlicher Redeweise ungefähr folgendes aus: Eine der wichtigsten Fragen der gegenwärtigen politischen Situation ist die des Hochschutzzolles. Deshalb werden auch die nächsten Reichstags wahlen Kämpfe bringen, so schwere, wie sie bis her noch nicht zu verzeichnen gewesen sind. Nach der Rcichsfinanzreform bildete sich der schwarz blaue Block, der heute die Rechte darstellt, und links steht, in nationalen Fragen immer noch untätig, die Sozialdemokratie, deren letzter Par- teitag in Magdeburg wirklich notwendige und praktische Arbeit nicht geschaffen hat. Mitten da zwischen steht der Liberalismus, der unentwegt seinen Zielen nachstrebt. Der Reichskanzler von Bethmann Hollweg hängt immer noch an den Schößen der schwarz-blauen Partei, die unserem Volke großes Verderben gebracht hat. Die Haupt aufgabe des Kanzlers ist es, für die kommenden Wahlen eine zugkräftige Parole zu finden. Als die erste Nachricht über die Kanzlerparole kürzlich in den Zeitungen auftauchte, hieß es in vielen Kreisen: es ist noch zu früh! Aber dies ist nicht der Fall; denn es ist Zeit für die Regierung, eine zugkräftige Parole zu finden und der Kanzler-Philosoph wird schließlich ja auch noch mit seiner wahren Parole hervortreten. „Schutz der nationalen Arbeit" und „nationale Parteien sammelt euch," heißt es, sei die wirkliche Parole. Wir Liberalen können uns beim Reichskanzler für eine solche Wahlparole eigentlich bedanken; denn sie ist die Grundftage der ganzen Wirt schaftspolitik, um die wir nicht herumkommen. Eine Verständigung der gesamten Linken sucht der Kanzler zu hintergehen und einen Block für nationale Arbeit oder, richtiger gesagt, für Hoch schutzzollpolitik zu schaffen. Die Frage muß nun lauten: Soll das bestehende Prinzip der Hoch schutzzölle erhalten bleiben oder sogar noch lücken los ergänzt werden, oder soll allmählich mit diesem Prinzip gebrochen werden? Der Volks wirtschaftler Liszt hat sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt und ist hierbei zu folgendem Ergebnis gekommen: Es ist notwendig, daß die einheimischen, inländischen Betriebe solange durch Zölle geschützt werden, bis sie einen Vorsprung gegenüber der ausländischen Industrie besitzen. Dies kann durch Zölle erreicht werden, und müssen die hierdurch entstehenden Lasten vom Volke getragen werden. — Dieser sogenannte Erziehungszoll hat Deutschland in den 70er Jahren zu manchem Erfolge verholfen. Der Zoll muß aber fortfallen, sobald damit erreicht ist, was man mit ihm bezweckte. Der Schutzzoll soll die Preise für das Inland erhalten und schützen, sie aber gegenüber dem Ausland verteuern. Durch den Liberalismus wurde die Gewerbe- uud Wanderfreiheit geschaffen und für die Han delsfreiheit hat er lebhaft gekämpft. Der Frei handel war bereits in deutschen Staaten vor- Händen und glaubte man, er würde eine gewisse Gleichmäßigkeit der wirtschaftlichen Beziehungen herbeiführen. Preußen war früher ein Frei handelsstaat; nachdem man 1865 die Getreide zölle aufgehoben hatte, beseitigte man 1877 die letzten Zölle auf Eisen. Es entstand sodann in folge der vorhandenen reichlichen Ueberproduktion eine allgemeine Depression, wodurch die Preise rapide sanken. Damals riefen Industrie und Landwirtschaft nach Zöllen, um das Inland besser ausbeuten zu können und um so ihren drohenden Ruin aufzuhalten. Diese Depression ergriff aber nicht nur Deutschland und andere europäische Länder, sondern auch Amerika; also Länder, die nicht nur freihändlerisch, sondern auch schutzzöllnerisch waren. Die wachsenden Reichs- auSgaben ließen damals den einstigen Freihändler Bismarck zum Hochschutzzoll greifen. Er schloß in jener Zeit sein berühmtes Zollbündnis ab: „Ich gebe, und Du gibst". Den Liberalismus, der gegen den Schutzzoll Front machte und großen, dauernden Schaden damals schon befürchtete, ver tröstete man damit, erst einmal abzuwarten, ob seine Befürchtungen eintreffen würden. Erst dann, als der folgende glänzende Geschäftsgang wiederum durch eine tiefe und nachhaltige Depression ab gelöst worden war, sahen die Fabrikanten die schädliche und künstliche Verteuerung der Roh produkte ein. Aber in ihren ganzen schädlichen Wirkungen zeigten sich die Zölle erst da, wo die Absatzgelegenheit bezw. die Kaufsmöglichkeit syn- difiziert waren. Aus dem Erziehungszoll wurde so ein Strafzoll. Die Auslandskonkurrenz bezog hierdurch die Rohstoffe LO»/, billiger und den alleinigen Schaden hatten die Fertigfabrikanten. Die einzige Rettung in diesem Falle wäre die Syndifizicung der Fertigfabrikanten gewesen, die jedoch außerordentliche Schwierigkeiten hätte überwältigen müssen. Für die Volkswohlfahrt selbst wäre hierdurch aber nichts erreicht worden; denn schließlich wären nur die Konsumenten die einzigen Leidtragenden gewesen. Die kleineren Fabrikanten waren hierdurch gezwungen, ihren Betrieb einzustellen oder aber, wenn sie hierzu in der Lage waren, die Rohstoffe selbst herzu stellen und so vom Auslande unabhängig zu werden. Ein solcher Weg mußte schließlich wirt schaftlich in den Abgrund führen. Wir müssen heute Ernährungsgelegenheit für 64 OOO OOO Men schen haben und außerdem den jährlichen Zuwachs von 900000 in Berücksichtigung ziehen. Um leben zu können, ist da der Export unsere alleinige Rettung. Aber nicht allein Rohstoffe, sondern in der Hauptsache gute einwandfreie fertige Fabrikate nmssen es sein, um gegenüber dem Auslande bezw. in dem Wettkampf der Völker bestehen zu können. Dies ist jedoch unmöglich, wenn wir die schweren Gewichte des Hochschutzzolls an unseren Beinen mitschleppen. Der Hauptzweck der Syndikate ist die Ausnutzung des Schutzzolls und die Ausbeutung der Konsumenten. Die Trusts und Syndikate haben sich zu einer natio nalen Gefahr ausgewachsen und werden zu einer wirtschaftlichen Gefahr im ganzen Reiche. Deutsch land muß vom Ausland einen großen Teil seiner notwendigen Rohstoffe beziehen und muß hierfür als Gegengewicht einen guten Export, jedoch nur in Qualitätswaren besitzen. Die berüchtigte Schutzmarke „macke in 6lerman^" muß zu einer Eh renmarke deutschen GewerbefleißeS in der ganzen Welt werden. Der Schutzzoll ist lediglich ein Berei cherungszoll für die Jndustriebarone und Groß agrarier geworden; für uns Konsumenten aber wurde er zum Unterdrückungszoll. Wie weit man mit der Schutzpolitik kommt, beweisen die fast durchweg demokratischen Wahlen in Amerika, wo jetzt allgemein eine fast wahnsinnig zu nennende Verteuerung herrscht. Roosevelt wird kaum wieder den Präsidentenstuhl besteigen; denn das amerikanische Volk hat einsehen gelernt, daß die ganze Verteuerungspolitik lediglich dem Schutz zoll zu verdanken ist. England steht bekanntlich vor der Auflösung seines Parlaments, doch ist es als vollkommen sicher anzusehen, daß es auch in Zukunft Freihandelsstaat bleiben wird. Auf der einen Seite stehen so die Jndustriezölle, während auf der anderen die Getreidezölle herrschen. Redner ergeht sich sodann in längeren Ausführungen über das Wesen der Zölle, den Wert derselben und was der Bauernstand davon hat, und wendet sich hierauf der Frage zu: „Wer trägt den Zoll?" Von den Gesamtein wohnern des deutschen Reiches leben 18,5 Millionen von der Landwirtschaft, der Rest von etwa 45 Millionen aber muß von Industrie, Handel und Gewerbe leben. Deutsch land war früher eins der ersten Getreide exportländer und blieb es bis zum Jahre 1852, wo man den ersten Roggen einführte. Mit ihm wurde Deutschland vom Ausland abhängig; später, im Jahre 1876, wurde auch Weizen ein geführt. Im Jahre 1862 dachte hier noch kein Mensch, am wenigsten die Grundbesitzer selbst, an einen Schutzzoll. In damaligen konservativen Flugblättern wurde gesagt: wir brauchen vor allen Dingen billiges Salz, Brot, Fleisch, billige Wohnhäuser und eine billige Schiffahrt rc.; damals standen diese Kreise vollkommen auf dem Boden des Freihandels. Wenn wir dies heute einem Konservativen oder Bündler cntgegenhalten würden, dann lacht man uns aus. Noch im Jahre 1872 sagte ein Herrenhausmitglied: Brot, Fleisch und Eisen dürfen nicht verteuert werden. Als Bismarck damals den Kulturkampf resultatlos aufgeben mußte, da schuf er 1878 den Schutzzoll, der in dessen niedrig war und nur 1 M. pro Sack be trug. Die Verbilligung der Frachtsätze ließ diesen ersten Zoll nicht besonders blühen und darum wurde er 1885 verdreifacht. Bismarck sagte, der Zoll wird vom Ausland getragen, denn dieses müsse verkaufen und die Preise so dann entsprechend niedriger stellen. Seine Vor aussage traf nicht ein; denn der Gerstenzoll wurde ganz, der Roggenzoll aber zur Hälfte von den deutschen Konsumenten selbst getragen. Der kleine und mittlere Besitzer hat von den hohen Zöllen absolut keinen Vorteil, eher Schaden; der Nutzen an den Getreideverkäufen wird durch die Futtermittelankäufe, erhöhte Maschinenpreise usw. wieder verschlungen. Die Belastung des Konsumenten ist ungeheuer. Bei einem Zoll von 5 M. muß ein Arbeiter 14 Tage lang bei einem Lohn von 3.80 M. pro Tag ar- beiten, um allein den Bedarf für den Brotzoll zu decken. Gerade der Arbeiter mit seiner meistens starken Familie, der die geringste Ein nahme im Wirtschaftsleben hat, muß den meisten Zoll bezahlen. Dabei ist der Fleischverbrauch in Deutschland noch viel geringer als in England und Nordamerika. In Sachsen selbst ist der Verbrauch stark zurückgegangen; es ist das Land, wo mehr als die Hälfte aller in Deutschland überhaupt geschlachteten Hunde verzehrt wird. Mit dem erhöhten Getreidewert stieg auch der Bodenwert und mit ihm die Geldrente. Der Länderverkauf bringt dem Großgrundbesitzer einen unheimlichen Gewinn. Im Jahre 1894 wurde die Aufhebung des Identitätsnachweises be schlossen und das Einfuhrscheinwesen eingeführt, das wie eine Prämie auf die Getreideausfuhr wirkt. Sinkt der Getreidepreis im Inland unter den Satz des Weltmarktes, so gewinnt der in ländische Verkäufer und exportiert in Mengen, bis dann der Inlandspreis so hoch ist, daß der Auslandsexport nicht mehr lohnt. In der von der Regierung herausgegebenen Denkschrift hierüber wird dies auch selbst von dieser zuge geben. So konnte es bei dem Wesen der Ein fuhrscheine, die man wie ein Börsenpapicr handelt, im Sommer 1910 erstmalig seit Bestehen des deutschen Reiches passieren, daß in Ncwyork deutscher Roggen verkauft wurde. Dies Resultat brachte die Ausfuhrprämie der Einfuhrscheine. Die hohen Inlandspreise und Zahlung der Ein fuhrscheine durch den Konsumenten kann kein Schutz der nationalen Arbeit genannt werden. Von den 888 Millionen Mark, die die Getreide zölle im Jahre 1909 insgesamt erbrachten, sind nur 75 Millionen in die Kassen des Reiches, der Nest aber in die Taschen der Privaten ge flossen. Die Folge der durch die Zölle herbei geführten Verteuerung ist eine Schraube ohne Ende: Der Arbeiter verlangt höheren Lohn, der Beamte Gehaltsaufbesserungen, der Handwerker rechnet höhere Preise für seine Arbeiten und selbst der König von Preußen hat in diesem Jahre um Erhöhung der Zivilliste nachgesucht. Für die Witwen- und Waisenversicherung, für die man seinerzeit die Zölle mitgeschaffen hat, ist auch heute noch nichts übrig geblieben. Die ge radezu unheimliche Steigerung des ländlichen Grundbesitzes führt schließlich durch den regen Besitzmechscl zu einer Verschuldung des gesamten Bauernstandes. Die unglückselige Zollpolitik wird bei dem schließlich nicht ausbleibenden Zu sammenbruch unsagbares Elend anrichten. Auf diese Gefahren muß die deutsche Landwirtschaft aufmerksam gemacht werden; denn der Zu sammenbruch geschieht auf Kosten deS gesamten Nattonalreichtums. Wir sind an der Grenze der Leistungsfähigkeit der Steuerzahler ange kommen und müssen uns deshalb daran ge wöhnen, die Finanzfrage des Reiches als wich tigste überhaupt anzusehen. Die Anleiheschuld des Reiches ist auf über 5 Milliarden ange wachsen und schuld daran ist die verkehrte Finanzpolitik. Es gibt heute fast nichts mehr, was noch nicht besteuert ist, zollfrei sind nur auswärtige Orden, Leichen und Esel. (Gelächter.) Es ist nur noch eine Frage der Zeit, ob Schutz zoll oder Freihandel. Der Schutzzoll muß konse quenter Weise dahin führen, daß kein Land mehr an das andere verkaufen kann. Die Länder ohne Nohproduktion haben dann einen schweren Stand gegenüber den Nohstoffeliefernden. Mit einem Schlage können wir natürlich die Hoch schutzzölle nicht abschaffen, da wir die größte Einnahme des Reiches, 680 Millionen M., den Zöllen verdanken. Aber wir müssen streben, daß die Zölle nicht noch höher hinauf geschraubt werden, und nicht, wie die Agrarier wünschen, eine lückenlose Zollpolitik stützen. „Schutz der nationalen Arbeit" ist ein Schlagwort und es fragt sich nur, ob die ostelbischcn Junker, die Rohstoffsyndikate und Trusts oder die wirklich nationale Arbeit, wovon wir leben, geschützt werden sollen. Im Jahre 1917 laufen die Handels verträge ab und im nächsten^Reichstag schon beginnen die Verhandlungen hierüber. Deshalb wird der kommende Wahlkampf von den Groß grundbesitzern, Jndustriebaronen, Kartellen und Syndikaten mit großer Heftigkeit geführt werden. Und deshalb muß sich der Liberalismus mit dieser für unsere ganze nationale Wohlfahrt wichtigen Frage auf das innigste beschäftigen. Dem sehr beifällig aufgenonunenen Vortrage folgte eine kurze Pause und wurde sodann von Herrn Johannes Bahner-Oberlungwitz die Debatte eröffnet. Redner hält den Bauern am Schutzzoll für nicht so interessiert, als am Wohl ergehen der Industrie, die ihm Absatzmöglichkeit aller seiner Erzeugnisse verschaffe. Dem Bauern würde heute die Ware fast entrissen, während der Fabrikant erst durch die Lande reisen müsse und ost seine Fabrikate wie Sauerbier anbiete, um Absatzmöglichkeit zu erzielen. Die Fort schrittliche Volkspartei müsse es als ihre wichtigste Aufgabe ansehen, Aufklärungsarbeit zu leisten. Redner forderte sodann auf, sich der hiesigen Ortsgruppe anzuschließen und die regelmäßig am 2. Sonnabend im Monat stattfindenden Ver sammlungen zahlreich zu besuchen. Das Heil liege weder bei den Konservativen noch bei den Sozialdemokraten, die niemals als eine Partei gelten könne, für die sich das ganze Volk be geistern kann, da sie auch nur als eine Klassen- vertretung gelten müsse. Das Heil liege einzig und allein in der Mitte und deshalb fordere er alle Anwesenden auf, sich in der Fortschrittlichen Volkspartei zu organisieren. Der nächste Redner, Herr Oberlehrer Dr. Böttcher-Glauchau, sprach ebenfalls im Sinne des Vortrages und geißelte den Erfolg der gegen wärtigen Wirtschaftspolitik, als deren natürliche Folge er die Lohnkämpfe ansehe, in scharfen Worten. Das Heraufschrauben der Prüfe wirke hemmend auf das ganze Wirtschaftsleben. In seinem Schlußwort bedauerte Herr Pu dor, daß sich nur Parteifreunde zum Worte ge meldet hätten. Der Liberalismus sei nicht Feind, sondern Freund des Bauernstandes, denn er habe ihn aus den Händen der großen Grundbesitzer befreit. Die Unterernährung auf dem Lande sei bald sprichwörtlich geworden und helfen könne nur eine wirkliche Aufklärungsarbeit in liberalem Sinne. Die neuen Steuern hätten bisher schon ein Fiasko von 126 Millionen gebracht und nach den nächsten Neichstagswahlen würde wieder eine neue Finanzreform zu erwarten sein. Hierauf schloß Herr Lehrer Rose gegen >/,12 Uhr die Versammlung mit dem Wunsche, daß sich der große Ruck nach links, der sich überall bemerkbar mache, durch nichts aufhalten lassen möge. Oertliches nnd Sächsisches. * — Wetteraussicht für Sonntag, den 20. Nov.: Westliche Winde, veränderliche Bewölkung, kalt, zeitweise Niederschlag, vorwiegend Schnee. * — Schneefall. Seit der vergange nen Nacht schneit es fast ununterbrochen, und schon türmt sich der Schnee stellenweise zu ganz respektabler Höhe. Blendendes, reines Weitz hüllt alles ein, die Straßen und Plätze, die Häuser, und selbst die Menschen, die länger draußen in der Natur zu tun haben. Der Ver kehr zeigt ein vom gewöhnlichen Bilde abwei- chendes Gesicht. Stolze Sechsspänner, sonst nur das Privileg der Haupt- und Residenz städte, sind gar nichts seltenes, wenn es gilt, größere "Lasten auf unsern steilen Straßen hoch zu bringen. Ungeübten Fußgängern macht der auch auf den Fußwegen teilweise bis zu 40 Zentimeter Höhe liegende Schnee mancherlei Beschwerden, und die Anstrengun gen, vorwärts zu kommen, wirken ost komisch. Hoffentlich hält der Winter nun auch einige Zeit an; besser wie das ewig nasse Wetter ist er immerhin. Der Rodelsport wird in diesen Tagen dann eine freudige Auferstehung feiern. Die ersten Schlitten sind bereits hervorgeholt und auch Lastschlitten waren schon verschie dentlich zu sehen. * — Völkerschlacht-Denk mals- Lotterie. In der gestrigen vierten Zie hung sielen: 5000 Mk. auf Nr. 164 159; 2000 Mark auf Nr. 91031; 1000 Mk. auf Nr. 149 360; 500 Mk. auf Nr. 55 492; 30<) Mark auf Nr. 34 608, 125 561; 200 Mk. auf Nr. 43 173, 124 801, 125 511, 151085; 100 Mark auf Nr. 2216, 18 011, 22 616, 40 891, 88 698, 90 174, 122 523, 138 005, 154 903, 163 301, 165 258, 193 287. * Hohenstein-Ernstthal, 19. Nov. Der Erzgebirgsverein hielt gestern abend im „Gol denen Ning" eine Extra-Hauptversammlung ab, die in anbetracht der Wichtigkeit der Tages- ordnung besser' besucht sein konnte, als dies der Fall war. Schon deshalb, weil gegenwär tig ein Vergnügen das andere jagt, eine Ver anstaltung der anderen auf dem Fuße folgt, mußte die Versammlung verlegt werden, und das mag der Grund zu dem mäßigen Besuch gewesen sein. Der Vorsitzende, Herr Stadttat Anger, eröffnete die Versammlung um 9 Uhr mit Begrüßung der Erschienenen und gab zu nächst einen Rückblick über das geplante Pro jett (Errichtung eines Wirtschaftsgebäudes, Aussichtsturmes und Festplatzes) in unseren Anlagen. Nachdem er das ausführliche Gut achten vom Verein „Heimatschutz" über den Parkplan zur Kenntnis gebracht hatte, ent wickelte sich eine stundenlange Debatte über dasselbe. Das Hosgärtner Wildnersche Projekt, zu dem eine Zeichnung vorlag, empfiehlt der „Heimatschutz" aus mehrfachen Gründen nicht zur Annahme. Für einen von Herrn Privat mann G. Friedrich entworfenen und gezeich neten Plan, der manches für sich hat und ausführlich erläutert wurde, konnte sich die Versammlung ebenfalls nicht entschließen, die sem zuzustimmen. Vielmehr erachteten verschie- dene Redner das Projekt vom Heimatschutz für ausführbarer, obwohl dasselbe größere Geld- opfer erfordert. Der Heimatschutz empfiehlt, die Gesamtanlage, wenn sie den beabsichtigten Zweck erfüllen soll, den Fremdenverkehr zu he ben rc., mehr nach Süden, also am Höhen rand, zu verlegen, weil dort die Lage am zweckentsprechendsten ist, der Fernblick der schönste und das Ganze auch von fern sichtbar sei, überdies in Nähe der Stadt liege und von da aus bequemer zu erreichen sei, als die nörd liche Hälfte, wo man den geplanten Aussichts turm errichten wolle, den der „Heimatschutz" für nicht erforderlich hält. Da die Versamm lung sich wiederholt für die baldige Ausfüh rung des Projekts aussprach, stellte Herr Bür germeister Dr. Patz den Antrag, darüber ab stimmen zu lassen: 1) ob man geneigt ist, dem Heimatschutzplan grundsätzlich zuzustim men, 2) ob man die Stadt angehen will, den Bau finanziell zu unterstützen, 3) hie Schenk geber darum befragen will, ob sie geneigt sind, die Gelder, die sie für den Bismarckturm ge stiftet haben, auch in anderer Form, z. B. für den Ausbau der Anlagen, für dep geplanten Bismarckstein, verwenden zu lassen. Die Ab stimmung ergibt, daß Punkt 1 mit 16 gegen 5 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung, Punkt 2 mit 18 gegen 3 Stimmen und 1 Stimment haltung, Punkt 3 mit 16 gegen 5 Stimmen und 1 Stimmenthaltung angenommen wird. Somit dürfte die Sache nunmehr in schnelleren Fluß kommen und die Ausführung im nach-
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