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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.10.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191010234
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19101023
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19101023
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-10
- Tag 1910-10-23
-
Monat
1910-10
-
Jahr
1910
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.10.1910
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Nmes Stadt-Theater, Chemnitz. Rcpertoir von Sonntag, den 23. Oktober bi« incl. Sonntag, den 30. Oktober 19>0 (Direktion: R. Jeffe). Datum: Vorstellung. Anfang. Zoaatag .23. Ermäßigt. Preise. D r Siebenbürger Ein deutsche« Spiet in 8 Ak.en von Anion Ohorn. 8 Uhr 2. Borst. i.2. Extra- Abonn. Der Waffenschmied. Komische Oper in 3 Akten von Albert Lortzing. 7>, Uhr Montag 24. 16. Vorst, im 2. Abonn. Madame Butterfly. Oper in 3 Akten von Giacomo Puccini. 7-/, Uhr Dteastag 28. 17. Borst, im 2. Abonn. König Lear. Trauerspiel in 3 Akten v. William Shakespeare. 7>„ Uhr Mittwoch 26. 18. Vorst, im 2. Abonn. Das Rheingold. Bon Richard Wagner. 7'/, Uhr Donnerstag 27. lv. Vorst, im 2. Abonn. König Lear. 7'/, Uhr Freitag 28. 20. Vorst, im 2. Abonn. Undine. Große romant. Zauber- Oper in 4 Akten von A. Lortzing. 7'/, Uhr Sonnabend Sv. 21. Vorst, im 2. Abonn. Die Journalisten. Lustspiel in 4 Allen von Gustav Freytag 7'/. Uhr Zonutag 30. 3. Vorst. i.2. Extra Abonn Das Rheingold. 7'/, Uhr Altes Theater. Mist Dudelsack Operette in 3 Akten von Rudolph Nelson. (23,/tv.) Anfang 6 Uhr Der fidele Bauer, Operette in l Vorspiel und 2 Akten von Leo Fall. «24./10., Anfang 8 Uhr. Miß Dudelsack. (28./t0.) Anfang 8 Uhr. Der Graf von Luxemburg, Operette, in 3 Akten von Franz Lehar. (26./10) Anfang 8 Uhr. Der Rastelbinder, Operrtie in l Vorspiel und 2 Alten von Franz Lehar. 27 /1O.) Anfang 8 Uhr. Miß Dudelsack. (28./t0.> Anfang 8 Uhr Die geschiedene Frau, Operette in 3 Akten von Leo Fall. <29./I0.> Anfang 8 Uhr. Die Rastelbinder. (30 /10. > Anfang 8 Uhr. Mrcheuuachrichten. Ms» Hlerkus-witz. Getraut: Ler Chauffeur Max Albert Barthel mit der Ella Minna Steiner, beide hier. Der Schlosser Jggs. Franz Oskar Wolf in Hohenstein-Ernstthal mit der Jgsr. Frieda Meyer hier. Der Baibier Arno Günther mit dec Jgsr. Ida Selma Vieweger, beide hier. Begraben: Frau Marie Luise verw. Landgraf geborene von Gablenz, 8b I. 8 M. 18 T. Johanne» Kurt, S. d. Strumpsw Emil Friedrich Hudock. Marie Martha, T. d »erst. Sirumpsw. Carl Ernst Drechsel, ledige Handschuh- näher in, 22 I. 8 M. LI L. Paula Helene, T. d. Nadel machers Wilhelm Richard Tetzner. Kleine Chronik. * Li» »e«e» Gr»te»«»glSck. Wie der „B Z. am Mittag" gemeldet wird, blieb auf Schacht I der Zeche „Westfalen" der ausgehende Förderkübel aus unbekannter Ursache unter der Seilscheibe hängen. Durch den mit großer Heftigkeit niedergehenden Kübel wurde ein Bergmann erschlagen und einem zweiten der Fuß abgcquclscht. Sechs Bergleute trugen leichtere Verletzungen davon. — Die Opfer der Grubcnkatastrophc bei Sarstedt wurden gestern vormittag zur letzten Ruhe bestattet. Eine gemein schaftliche Lrauerfeier konnte nicht abgehalten werden, da die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute die Beerdigung in ihren Heimatorten wünschten. Die Beisetzungen fanden in den einzelnen Ortschaften unter großer Teilnahme der Einwohnerschaft statt * Wettere Opfer -e- Sturme«. Auch in der Labiauer Gegend hat der letzte Sturm, der, wie wir meldeten, entlang der Küste der Ostsee wütete, Menschenopfer gefordert. Der Keitclkahn deS Schiffers Seydack, in dem sich die Fischer Matull auS Laba- gicnen und Clemens aus Juwendt besandcn, kenterte und beide Insassen ertranken. Beide hinterlassen Witwen mit sieben rcsp. sechs unerzogenen Kindern. * Die Uuterschlaguuge« deS Berliner Buch- häkdlerS Eyriacus. In der Buchhandlung I. Bachmann in Berlin, Schützenstraße 29, find riesen hafte Unterschlagungen aufgedeckt, die zum Teil jahrelang zurückliegen und von dem 34jährigen Mit- inhaber der Firma, Otto CyriacuS, begangen worden find Der Defraudant hat sich gestern aus seiner Wohnung unter der Andeutung, Selbstmord be gehen zu wollen, entfernt und seinen Beschluß in zwischen ausgeführt, indem er sich in vergangener Nacht im SchleusenwirtLhau- am Teltowkanal in Kleinmachnow erschoß Die Unterschlagungen sollen ca. 900000 Mark betragen. Die Berliner Firma ist eine Filiale der weltbekannten großen Leipziger Verlagsfirma S. Volkmar. * Der diesjährige Nobelpreis für Medizi«. Der diesjährige Nobelpreis für Medizin ist vom Karolinischen Institut dem Heidelberger Professor der Physiologie Dr. Albrecht Kossel zuerkannt wor den Die Höhe eine« jeden Nobelpreises für 1910 beträgt 193 360 FraucS. " Verhaftung eiueS Bergtoerldirektor» i« Kassel. Aussehen erregt in Kassel die Verhaftung deS Bergwerkdirektors von der Gewerkschaft „Graf Schwerin", Boschmann, der in Kassel vor dem KönigStor eine Villa bewohnt. Die Verhaftung ist auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft in Hannover erfolgt. Boschmann steht im Verdachte, einen dortigen Rechtsanwalt dadurch betrogen zu haben, daß er ihm beim Verkauf von Kuxen falsche Vorspiegelungen machte; außerdem wird Boschmann der Unterschlagung bezichtigt. Auch die Kasseler Staatsanwaltschaft hat ihn seit längerer Zeit scharf beobachtet, da er viele Leute durch Verkauf fauler Kuxe geschädigt haben soll, doch konnte man bisher ihm strafrecht lich nicht- anhaben. * LiebeStrigddie. In Schierke a. H. haben sich der Drogist Georg Franke auS Hamburg und seine 22 Jahre alte Geliebte vergiftet * Löblicher U»fall. Der Advokat Dr. Schwäger in Laibach hantierte mit einem Revolver so unvor sichtig, daß der Schuß loSging, der ihm die Schläfe durchbohrte. Schwäger, der kurz vor der Heirat stand, war auf der Stelle tot. " Raubaxfall. Aus Großalmerode im Kreise Witzcnhausen wird geschrieben: Der Arbeiter Künzel wurde nacht- aus dem Wege von Rommerode nach Epterode von einem Strolch überfallen Dieser schüttete ihm eine ätzende Flüssigkeit in da- Gesicht, versetzte ihm einens) Schlag und raubte ibm seine Barschaft von I bO Mark. Der Täter entkam un erkannt * Bei einer Explosion schwer verbrannt ist der Schlossermcistcr Eller in Berlin. Während er in der Gleditschstraße einen Fahrradmotor reparierte, explodierte dieser und die sich entwickelnde Flamme ergriff die Kleider des Eller. In seiner Bestürzung eilte er auf die Straße, wo ihm ein Passant einen Ueberziehcr überwarf, um die Flammen zu ersticken. Er hatte bereits schwere Brandwunden davongetragen und wurde nach dem Krankenhause gebracht. * Ein bedauerlicher Uuglllck-fall trug sich in Roben bei Köstritz zu. Die neunjährige Marie Weber, Tochter deS Landwirts Richard Weber, war von ihrer Großmutter aufgesordert worden, das große Tor zuzumachen. In demselben Augenblicke fiel der große Torflügel nach der Straße zu um und begrub das Mädchen unter sich. Nur als Leiche konnte das arme Mädchen unter der schweren Lost hcrvor- gezogen werden. * Doppelter Selbstmordversuch. Gestern früh versuchte sich die 27jährige ArbeitcrSehesrau Therese KaS in Wien mit einem Messer den Hals zu durch schneiden; als sie an der Ausführung ihres Vor habens gehindert wurde, ergriff sie ihr 12jähriges Töchterchen und stürzte sich mit diesem aus dem Fenster des dritten Stockwerkes in den Lichthof, wo sie tot liegen blieb. Häusliche Zwistigkeiten haben die Bedauernswerte zu der Tat getrieben. * Räuberischer Ueberfall. In Karmin bei Mäh- risch-Ostrau wurde der Bergmann Krison überfallen und durch Bcilhiebc zu Boden gestreckt, dann wurde ihm die Barschaft und die Uhr abgenommen. Als Täter wurde der 17jährige Sohn eines Hausbesitzers namens Dombran ausgeforscht und verhaftet. ' Grotzer Vilberbtebstahl. Auf dem Gothaer Schlosse sollen gegen 60 Bilder durch Diebstahl entwendet wordcn sein. 12 Bilder wurden bereits in Eisenach beschlagnahmt. Ein Diener und ein früherer Kellner wurden als mutmaßliche Täter ver haftet. ' Einbruch in ei» Dameukousektios-geschäft. Einbrecher raubten auS den Geschäftsräumen deS DamenkonfektionSgeschäfts von Max Aron in der Breiten Straße in Berlin Kostüme und Blusen im Werte von I0000 Mark, indem sie den Fuß boden einer leerstehenden, über den Geschäftsräumen befindlichen Wohnung durchbohrten und sich mittels einer Strickleiter in den Laden hinunterließen * Einbruch i« ein Poltumt. In DirgeS im Westerwald wurde nachts in daS Postamt ringe- krochen. Die Diebe entwendeten eine Kassette mit 6000 Mark Wertpapieren. * Die Affäre Arndt. Die Unterschlagungen des Stadtratcs Arndt in Preußisch-Stargard, der sich, wie berichtet, mit seiner ganzen Familie durch Leuchtgas vergiftet hatte, sind nunmehr aus 23000 Mark festgestellt. * Der Urbrrsull »uf dea Küster vo» Friede nau. Die Taten der Karl Mohrschen Räuberbande, die eine Zeitlang die Umgegend Berlin- unsicher gemacht har, beschäftigten die vierte Strafkammer deS Landgerichts Berlin ll. Aus der Anklagebank saßen die l 8jährigen ArbeitSbnrschcn Paul Kawitzke, Willi Loesche und Erich Bohlmann, die sich wegen bandcnmäßigen Diebstahls, PompadourraubS und verfuchten Raubmordes an dem Küster Rösener in Friedenau zu verantworten hatten. Der Anführer der Räuberbande, Karl Mohr, der erwachsen ist, wird später erst wegen seiner Taten vor daS Schwur gericht gestellt werden. Der Gerichtshof nahm bei Loesche an, daß er nicht mit der Möglichkeit einer Tötung des Rösener gerechnet habe, hielt dies aber bei Kawitzke für nachgcwicsen. Kawitzke wurde zu 7 Jahren 6 Monaten, Loesche zu 4 Jahren 6 Mo naten, Bohlmann zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt. * Verurteilung russischer Grenzsoldaten. Das Schöffengericht m Rosenberg in Oberjchlesicn ver handelte unter großem Andrang des Publikum» gegen vier russische Grenzsoldaten, darunter einen Wachtmeister und einen Unteroffizier, wegen Sach beschädigung, Erregung ruhestörenden Lärms und Wersen mit Steinen. Die Angeklagten waren un befugt über die Grenze gekommen und hatten in K'cken bei Bohanowitz Zäune beschädigt, mehrere Bäume auSgerissen und Steine in ein Gehöft ge worfen, bis sie verhaftet wurden. Das Gericht ver urteilte die Angeklagten zu je vier Wochen Hast und einer Woche Gefängnis. * Weitere Grabschändungen in Hamburg. Auch auf den alten Begräbnisplätzen im Innern der Stadt Hamburg sind ähnliche Grabschändungen verübt worden, wie auf dem Altonaer Friedhof. l6 Grabdenkmäler wurden demoliert. Die Täter sind noch nicht ermittelt. " Eigenartiger Unfall. Die ältere Frau eines Beamten in Lyck in Ostpreußen stellte einen Blumen- topf, in dem ein dünner Blumenstab steckte, von der Erde aus daS Fensterbrett. Hierbei drang ihr der Stab so heftig in« rechte Auge, daß er stecken blieb und nur mühsam entsernt werden konnte. Trotz sofortiger ärztlicher Hilse dürste daS Auge verloren sein. * TodeSspruug auS der Kaserne. In Frank- furt a. M. sprang der S2jährige Musketier Heinrich Eeichelhardt aus dem I. Stockwerk der Jnsanterie- kaserne in den Hof hinab und erlitt einen schweren Schädel- und Armbruch, sowie schwere innere Ver letzungen. Er wurde inS Garnisonlazarett gebracht, wo er nach kurzer Zeit verstarb. Eichelhardt war erst einige Tage beim Militär und war, trotzdem er auS Frankfurt war, vom Heimweh ergriffen. ' -chltmme Folgen etncr Wette. AuS B u chen wird gemeldet: Ein galizischarArbeiter erkletterte infolge einer Wette daS Dach deS SchlashauseS der Schlesiengrube. Er stürzte ab und blieb mit zer schmetterten Gliedern tot liegen. „Meine Frau ist auSgegangen, und ich bin ganz allein, und erbärmlich genug ist mir zu Mute, kann ich Ihnen sagen. Ich glaube, sie ist nur ausgegangen, um zu sehen, ob sie uns et- was zu essen austrciben kann; wir haben gestern nicht zu Mittag gegcssen, und wie ich Sie heute bezahlen soll, sehe ich auch noch nicht ein." Ein langer, tiefer Seufzer begleitete diese oft unterbrochene Rede und erzählte ohne Worte eine ganze traurige Geschichte leiblichen und geistigen Leiden«. Ein Stillschweigen folgte und David sprach nachrcchnend zu sich selbst: „Ein halber Taler zu Hause? nun wohlan, ich will," und fuhr dann zu Herrn Müller gewendet fort: „Herr Müller, machen Sie sich darüber keine Sorgen; das Beste, was Sie tun können, ist, daß Sie sobald als möglich besser werden; — tragen Sie diese Stiesel und reißen Sie nur recht bald wieder ein neues Loch hinein, daS der alte Kolb flicken kann, wenn Sie ihn werden bezahlen können — o, lieber Herr Gott!" Der Kranke öffnete weit seine großen, tief eingesunkenen Augen und starrte die gebeugte, schmierige Gestalt, die vor ihm stand, an; dann, seine welke, abgemagerte Hand ihm darreichend, sagte er mit leiser, bewegter Stimme: „Gott segne Sie, das ist wahre christliche Milde! — Ziehen Sie doch gesülligst den Vorhang zu, lieber Freund, das Licht ist zu stark für meine schwachen Augen." Ein breiter Strom von Sonnenlicht ergoß sich in das kleine Gemach und einer seiner glän zendsten Strahlen blieb auf deS Schuhflickers Haupt ruhen. Ein paar Augenblicke später und wir finden David aui seinem Wege, — aber er fühlte sich ganz anders, cs war eine seltsame Veränderung mit ihm vorgegangen; eine Art klopfender Be wegung machte sich fühlbar bei ihm in der Herzgegend — ein jugendliche- Empfinden, wel ches ihm eine gedämpfte Erinnerung an eine sonnige Wiese und Ballspiel zurückbrachte, wo er der Sieger geblieben war; sein Schritt war sester geworden und schneller, und ein vermischter Klang solcher Worte: „das ist wahre christliche Liebe" — und: „in solchen Herzen, wie diese, wohnen wir," schien in seinem Ohre sich ver nehmbar machen zu wollen. Ein lauter Schrei auf der Straße erweckte ihn aus seinen Träumen: ein Pferd kam die Straße herab und auf ihn zugerannt, aus wel- chem die Reiterin kraftlos schwankte — eS war ein junges blühendes Mädchen. Unglück hier — o du mein Herr Gott! wa rum hält denn keiner das Pferd auf? — irgend Einer? — nun, ich will'sl" Gesagt, getan; das Pferd ward ausgehalten, und des ohnmächtigen Mädchen- Haupt ruhte auf deS alten schmierigen Schuhflickers Schulter. Eine dichte Menge hatte sich um die beiden ge sammelt, jeder etwa- vorbringend, und jeder et was verschiedene-, als ein seiner Herr herantrat, mit todeSvleichcm Gesicht fragend: ob das arme Kind Schaden genommen? „Nein, Herr, es ist nur der Schreck, der sie ohnmächtig gemacht," war die willkommene Ant wort, „dieser Mann hat sie gerettet, dieser hier ift'S, Herr!" Aber schon hatte David die Ge rettete andern Händen übergeben und machte sich au- dem Gedränge hinaus. Der Neuangekommene schien nur Sinn für das ohnmächtige Mädchen zu haben; es wurde in die nächste Apotheke getragen, und er verwendete so ausschließlich jede Sorgfalt aus sie, daß David seiner Beachtung entging und der versammelte Haufen sich schon tadelnd darüber auSlicß: „Pfui, da- ist nicht fein gehandelt von dem Herrn, dem armen Manne nicht einmal etwa- anzubieten, der doch sein Leben gewagt hat!" Und al< sie schon nach verschiedenen Richtungen hin sich zu zerstreuen anfingcn, kamen noch zwei Polizeibe- amte herbei und begehrten, sie sollten den Platz räumen. „O du mein Herr Gott!" sagte David, als er eine gute Strecke Weges zurückgclcgt hatte, „mich soll nur verlange», ob die- nur das gewesen, was die Menschen Tatkraft nennen." — Sein nächster Arbeitgeber zahlte ihm seine achtzehn Groschen und gab ihm andere Arbeit wieder mit, damit machte David sich denn heiter auf den Heimweg. Der kalte, schneidende Ost wind, der schon seit einigen Tagen wehte und der ihm so unangenehm gewesen war, pfiff ihm auch jetzt frisch um die Ohren und trieb ihm Staub in die Augen, allein er empfand eS nicht, er fühlte sich nicht wie sonst dabei kalt und fröstelnd: er schien vielmehr wie aus einer Schlafsucht ausgewacht — eine wohltätige Wärme trieb sein Herz zu raschen Schlägen, und er dachte, des lieblichen Elscnkindcs Worte möchten doch wohl wahr sein, daß die Sonnenstrahlen zu Zeiten wirklich der Menschen Herz zu besuchen kämen; denn seines könnte sich sonst nimmer so warm und behaglich sühlen, da er doch eigentlich nicht- habe, was ihn so machen könne. Frau Wille stand vor der Tür, mit einem Nachbar redend, als er herzukam „Kommen Sic herein, Herr Kolb," sagte sie, „Ihre Stube ist in Ordnung, aber noch nicht ganz trocken und Sie dürfen uns Ihre Gesell schaft bei Tische nicht entziehen." So nahm David denn, wenn auch mit einiger Verlegenheit, die Einladung an, und folgte der gutmütigen Wirtin in da- Wohnzimmer, wo der Tisch bereit» gedeckt stand. Auch der Hausherr war zu dieser Mahlzeit nach Hause gekommen, und eine angenehmere hatte David seit vielen Jahren nicht erlebt; ehe er ging, hatte er noch versprechen müssen, am Weihnachtstage wieder mit ihnen zu essen. O David! Wohl magst du dastehcn, die Hände in deine zerrissenen Taschen gesteckt, und voll Verwunderung dein kleines Gemach angaffcnd und die Umwandlung, die damit vorgrgangen. Der Fußboden so schön gescheuert und mit weißem Sande bestreut, die Eisenplatte des HerdcS hübsch schwarz und ein lustig flackerndes Feuer darauf brennend. — Die Gerätschaften so nett Stück bei Stück aufgereiht, — das Fenster gewaschen, so daß er hinausschauen konnte; ja, er konnte Hinausschauen aus die Gasse und die Leute Vor beigehen sehen, und vor allem nun sehen — die untergehende Sonne, wie sie glitzerte auf den gegenüberliegenden Fenstern Und sein zinnencr Becher hell poliert und seine Pfeife daneben, und seine paar Schüsseln und Teller an der Wand in Reihen ausgestellt, — der kleine runde Tisch, der seiner Mutter gehört hatte, glänzend poliert und nach Terpentinöl und Wachs riechend, wic's Sonnabends zu seiner Mutter Lebzeiten der Fall gewesen David, nach einem langen Staunen, spr ch sein: „O du mein Herr Gott!" — aber nicht, wie er eS sonst gewohnt wor, — ganz und gar nicht so; nein, vielmehr wie Schulknaben ihr „Herr Golt" jubeln, wenn der Geruch frischen Kuchens in ihre Nase dringt, oder sie sich um Weihnacht an des Bäckers Schaufenster drängen, um die zur Schau ausgestellten Herrlichkeiten zum Christbaum zu bewundern. David wa vor Erstaunen stumm; er stand vor der Tür und guckte diese an, dann vor dem Fenster und blickte auf dieses, dann bei dem Feuer und schaute auch das au, endlich setzte er sich nieder aus den Stuhl, bedeckte sein Antlitz mit beiden Händen, als glaubte er, cs sei alle« Schein, welcher schwinden würde, so bald er sein Gl sicht wieder enthülle Doch nein! cs war kein Gesicht, keine Täu schung, wahre, tatsächliche Wiklichkeit der an mutigsten Art, und David steckte noch einmal seine Hände in seine Taschen und ries: „O du mein Herr Gott!" Dann öffnete cr sein altes Gebetbuch, welches auch auf dem reinen Tische nicht fehlte — ein Helles glänzendes Licht fiel auf die Blätter und blieb ruhen auf den Worten: „Lasset uns Gute- tun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch reichlich ernten," welche über einer Ermahnung zur Räch- stenliebe standen — und eine Stimme, dieselbe liebliche Stimme, die er früher vernommen hatte, sprach: „Dies ist für uns ein LieblingSaufenthalt, David, hier kannst Du uns immer wieder finden." Sobald sein Erstaunen über alle-, wa« er gesehen und gehört und über die Wunder, die Betty gewirkt hatte, etwas nachgelassen halte, nahm cr seine ganze Entschlossenheit zusammcn, um sich nochmals hinaus in Frau WillcS Woh nung zu begeben, um dieser zu danken und sür den geleisteten Dienst eine Erkenntlichkeit anzu- bietcn. „Ich bin gekommen," sprach er, als sie die Tür aus sein bescheidenes Klopfen gk-ffnet hatte, „um Ihnen zu sagen, wie dankbar ich dafür bin, daß Sie meine Wohnung mir so nett und freund lich gemacht haben, und ich bitte Sie, mir zu sagen, was ich dafür Ihnen schuldig bin; wenn es nicht mehr als einen Taler und etliche GroschlN beträgt, kann ich's Ihnen gleich auszahlen, wenn aber mehr, dann muß ich Ihnen das andere schuldig bleiben." „Ach was, Herr Kolb, schweigen Sie doch davon! Meine Betly freut sich, daß sie die Wohnung so nett und sauber hat machen dürfen, und wir freuen unS alle daß Sie so zufrieden damit sind, und daS ist Lohns genug. Ucber- dies ist daS eine gute Vorbereitung für meine Betty, wenn sie einmal ihr Brot außer Hause verdienen soll, und damit sie in der Uebung bleibt, soll sie Ihre Stube jeden Morgen in Ordnung bringen, allerdings nur, wcnn'S Ihnen recht ist." „Nun, ich bm Ihnen unendlich dankbar — ich bin kein Mann von vielen Worten und schönen Redensarten, aber ich sage nie etwas, was ich nicht auch so meine, und ich kann nicht immer sagen, was ich tue, und so scheint mir- eben jetzt zu gehen — aber vielleicht erlauben Sie mir, daß ich Ihnen die Hand dusür drücke." — Indem er die seinige ihr hinhielt, und ihre Schwärze bemerkte, sägte er hinzu: „Sie wird .nicht ab schwärzen." Frau Wille lächelte und sprach: „Das fürchte ich auch eben nicht, Herr Kolb, und eS ist mir lieb. Ihnen die Hand drücken zu dürfen — daS Händedrücken, das ist so recht mein Fahrwasser; da gibl's kein Wesen in d.r Welt, dem ich nicht die Hand reichen möchte, reich oder arm, schmutzig oder rein, gut oder schlecht Was nun den Schmutz anbetrifft, der wäre bald abgetan mit etwas Seife und Wasser, wenn die Hand, die Euch dargeboten würde, die Eurige beschmutzen sollte, — und ich meine, so ein recht herzliches Händedrücken müßte den Leuten auch geradenwegs zu Herzen gehen und beredter zu ihnen reden, als schöne Worte (Fortsetzung folgt).
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