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Tageblatt. Nr. 235. Sonntag, dm 9. Oktober 1910. 37. Jahrgang. Die Revolution in Portugal. Der gestürzte König Manuel ist mit den Angehörigen seines Hauses glücklich nach Gibraltar entkommen und befindet sich wahr- scheinlich schon unter britischem Schutze aus der Fahrt nach England, wo die entthronte Königsfamilie bis auf weiteres Aufenthalt nehmen wird. Die republikanische Regierung ist zwar noch nicht im ganzen Lande aner- kannt, doch hat sie die Mehrheit des Volkes und der Truppen schon jetzt in dem Maße für sich, daß sie als befestigt gelten kann, wenn ihr nicht innerer Hader das Genick bricht. Der Präsident der neuen Republik, Theo phil Braga, machte einem Londoner Blatte telegraphisch ziemlich eingehende Mitteilungen über die augenblickliche Lage. Danach ist die Republik vom Volke wie vom Heere aner kannt. Die republikanische Regierung hat alle Maßnahmen zum Schutze der Angehörigen des Königshauses und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ergriffen. Nicht nur Lis sabon, sondern auch viele Landstädte sind enthusiastisch auf die Seite der Republikaner getreten. Die Dauerhaftigkeit der Republik ist durch den Wunsch des ganzen Volkes gesichert. Die Republik wird alle bestehenden Verträge anerkennen und besonders an dem Bündnis mit England festhalten. Präsident Braga berichtete dem Londoner Blatte weiterhin noch, daß viele Offiziere, die anfangs zur Monarchie hielten, freiwillig zu den Republikanern übertraten, darunter der bisherige Kriegsminister und Gouverneur des befestigten Lagers von Lissabon, General Al- veo Cardeira. Dieser ist also das Gegenstück des Palast-Kommandanten Gorjas, der, als alles verloren war, Selbstmord beging. Die Königs-Familie entkam in der Revo- lutionsnacht zunächst nach der Stadt Mafia und brachte sich in dem dortigen Kloster-Pa last in Sicherheit. Da das Kloster jetzt eine Militärschule birgt, hatte die königliche Familie so lange Schutz, bis es gelang, die Jacht „Amelie" mit einer zuverlässigen Besatzung zu bemannen, welche die Vertriebenen nach dem 4 englischen Gibraltar in Sicherheit brachte. Dort, sanden die Flüchtigen zunächst Unterkunft im Palais des britischen Gouverneurs So schnell wie möglich wurden alle Vorkehrungen zur Seereise der entthronten Königsfamilie nach England getroffen. . Mit dem König flohen die Mutter des Kö nigs Manuel, Königin Amalie, sowie des Kö-- nigs Oheim, der Herzog von Oporto; die Großmutter, Königin-Witwe Marie Pia die eine Tante des Königs Viktor Emanuel' von Italien ist, scheint sich für den ersten Augen blick in der italienischen Gesandtschaft zu Lis sabon in Sicherheit gebracht zu haben Das italienische Kriegsschiff „Regina Elena" ist un terwegs, um die Greisin, die in Portugal so unsäglich viel Schweres erfahren hat in die alte Heimat zurllckzuführen. Die Straßenkämpfe, die zur Errichtung der Republik führten, waren noch blutiger, als es die bisherigen Berichte erkennen ließen. Die Revolution, die erst am Mittwoch beginnen sollte, brach schon in der Montagnacht los, weil der König und mit ihm der größte Teil der Flotte abreisen wollte. Sie wurde mit der Steinigung von zwei Priestern eröffnet, die ein den Mord des Dr. Bombarda verdammendes republikanisches Ma nifest von den Mauern gerissen hatten. Das Bankett im Königsschloß zu Ehren des brasi lianischen Präsidenten hatte viele Offiziere der Garnison dorthin gezogen, andere weilten au ßerhalb der Residenz. Beim Ausbruch der Re volution herrschte daher unter den royalistischen Truppen von vornherein großer Wirrwarr. Ihn benutzten die Offiziere der Flotte, sie ka men an Land, machten sich mit Droschkenpfer den beritten und setzten sich an die Spitze der aufständischen Truppen. Es kam dann zu ei- ner zwei Tage und zwei Nächte währenden Schlacht, in der auf beiden Seiten mit Todes verachtung gekämpft wurde. Der Uebermacht der Republikaner, die von den Marine-Ge schützen gedeckt wurden, mußten die königs treuen Truppen schließlich unterliegen. Die größte Kaltblütigkeit in der Gefahr soll König Manuel selber bewiesen haben. Er wei- gerte sich, das Schloß zu verlassen, obwohl dort eine Granate nach der andern hineiupras- j feite. Als der König sich schließlich doch dem Verlangen seiner Getreuen, die Flucht zu er- g-veisen, fügte, verließ er das Schloß erhobenen Hauptes, die Zigarette im Mund. Die Flucht der portugiesischen Königsfa- «milie schildert ein Augenzeuge der „Köln. Ztg.": 'Der Herzog von Oporto erklärte weinend, daß er mit tiefem Schmerz das geliebte Vaterland verlasse. Die Schuld an dem Verlust der Mo narchie sei aus den verhängnisvollen Einfluß seiner Schwägerin zurllckzuführen, die es ihm unmöglich gemacht habe, seinem Neffen, dem König, liberale Ratschläge zu geben. Der Kö- nig verabschiedete sich mit Handschlag von der Fischerbevölkerung und war sehr bewegt, aber doch froh, daß er mit dem Verlust der Krone davongekommen war. Die Königin Amalie soll zähneknirschend mit Rache bei ihrer Rück kehr gedroht haben. Der Führer der aufstän dischen Truppen, Candido dos Reis, verübte Selbstmord in jenem kritischen Moment, als er an dem Gelingen der Erhebung verzweifelte. Der Ausbruch der Revolution war ursprüng lich auf Ende November festgesetzt. Die Re gierung erließ Maueranschläge, in denen sie die Lebensmittelverkäufer aufforderte, bis Henie nachmittag 3 Uhr sämtliche Läden zu öffnen, im anderen Falle würde zwangsweise die Oeff- nung erfolgen. Freitag früh 8 Uhr flaggten die im Hafen von Gibraltar liegenden englischen Kriegs schiffe sowie ein anwesender amerikanischer Kreuzer und feuerten den Königssalut zu Eh ren des vertriebenen Königs Manuel von Por tugal. Man glaubte, daß der König in Gib raltar noch einige Zeit verweilen wird, bevor er nach England übersiedelt. — Bei den Stra- ßenkämpsen in Lissabon soll der Herzog Al fonso von Oporto, der Onkel des Königs Ma nuel, leicht verwundet worden sein. Der Her zog befehligte die königstreuen Truppen im Kampf gegen die Revolutionäre. Die Trup pen ergaben sich, als die Revolutionäre den Palast mit Dynamit in die Luft sprengen wollten. Das Programm der Provisorischen portu giesischen Regierung umsaßt zunächst sorgende Punkte: 1. Anerkennung aller bestehenden Ver träge, 2. große Vollmachten für die Selbstver waltung der Provinzen und Städte, 3. Spar samkeit, 4. weise Kolonial-Politik, menschliche Behandlung der Eingeborenen, 5. Trennung von Kirche und Staat, endlich 6. Einführung des Freihandels-Systems. In dem Ausruf der republikanischen Regierung an das Volk heißt es: Das Haus Braganza, das den sozialen Frieden böswillig störte, ist für immer aus Portugal verbannt. — Die Truppen ganz Portugals schlossen sich den Republikanern an. Bericht über die 10 diesjährige öffentliche Se- «einderntSsitzung in Oberlungwitz am 5. Oktober 1910. Anwesend waren sämtliche Mitglieder des Gemeinderates. Vor Eintritt in die Beratung begrüßte der Vorsitzende den neueingetretenen Herrn Gutsbe- sitzer Emil Kretzschmar und bat ihn um rege Anteilnahme an den Beratungen. 1. Unter anderem nahm nian Kenntnis da von, daß die letzten Einquartierungsgeschäfte durch die verspätete Bedarfsmeldung und wieder holte Aenderung durch die Truppenteile sehr er- schwcrte waren. 2. Die für die Umbezirkung des Mitzscher- lingschen Grundstückes geforderte Entschädigung von 4000 Mk. erachtete der Rat zu hoch. Es wurde beschlossen, eine Entschädigung in Höhe der nach dem dreijährigen Durchschnitt kapitali sierten Einnahme aus dem fraglichen Grundstück zu zahlen. Bezüglich der Umbezirkung des Logenhauses verharrt der Gemeinderat bei dem gefaßten Be schluß, die Entschädigung in Höhe der voll kapitalisierten Durchschnittseinnahme zu fordern. 3. Ein Gesuch um Erlaß von Wasserzins wurde abgelehut und ein weiteres Gesuch zu den noch nötigen Verhandlungen vertagt. 4. Zur Einrichtung einer Lesehalle vermag mau zurzeit ein Bedürfnis nicht anzuerkeunen. 5. Nach dem Vorschlag des Bauausschusses wurde der Weg hinter dem Grundstück Kat.-Nr. 273 als ein durch Verjährung öffentlich ge wordener Fußweg anerkannt. Die Anstricharbciten im Rathaus werden für das nächste Jahr vorgesehen. » « Allerlei Kurzweil. « » Deuksprüche. Um keinen Preis gestehe du Der Mittelmäßigkeit waS zn, Hast du dich erst mit ihr vertragen, So wird't dir bald bei ihr behagen, Bis du zuletzt, du weißt nicht wie, Geworden bist so flach wie sie. * * ck Weine — nie entweiht die Träne Da- erhabenste Gesicht — Fühlen ist der Menschheit Ehre — Aber unterliege nicht. Rätselecke. Rätsel. 1. Ein Wörtchen, obzwar selber klein, Schließt doch ein kleine- in sich ein, Da-, fürcht' ich, mancher Leserin Steckt tief im Köpfchen und im Sinn Und daS oft ohne Reu' und Scham DaS Ganze siegreich mit sich nahm. 2. Als erste Silbe siehst du mich Hoch in die Lüfte steigen; Bin auch — manch Schöne ärgert sich — Dem Herrenzimmer eigen Als zweite Silbe bin ich dann, WaS Kirsch' und Hirsche haben; Wenn mich der Mensch nicht brauchen kann, So brauchen mich die Raben. Als Ganzes speist man mich bei Tisch In fcingSschnittenen Scheiben; Willst du mich haben gut und frisch, Mußt du nach Hamburg schreiben. 3. Ich bin der Chef der Kompagnie, Viermal im Bataillon. Die Uniform schwarz oder rot, Doch hüte dich, mein Sohn! Denn ob man gleich mich herzlich nennt, Ob trefflich oder auch pikant, Im Kampfe schlag ich alles tot, WaS wider mich erhebt die Hand Vuchstabeu-Rätsel Mit einem i in der Mitte Bin ich ein freundliches Ländchen, Wechselst du aber mein Herz, So hat jeder Mensch uns für sich SilbenrRStsel. DaS Erste existiert in vielerlei Gestalt, Unterhaltung bietet eS für Jung und Alt, Dem Äug' und Ohr gewährt's Genuß, Doch manchmal schafft eS auch Verdruß. Die Zweit' und Tritt' ist wohlbekannt, In olter Sage ost genannt; Im Reich der Töne läßt man'- melden, Wie meuchlings er erschlug den Helden. So weit die deutsche Zunge klingt, Des Ganzen Lob man freudig singt. Es führet unS durch Nacht zum Licht, Läßt's an Geistesnahrung fehlen nicht. «echsel-RStsel. Vom gespannten Bogen Kommen wir geflogen. Wird der Koos uns abgerissen, Kann der Schlosser un- nicht missen. Reißt man Kopf und Hals uns ab, Nun, dann lausen wir im Trab. Bilder-Rätsel. (Auflösungen inEnächster Nummer ) Auflösungen aus Nummer 40. Der Rätsel: 1. Der Hase. (Blut - Schweiß; ' Ohren -Löffel; Beine-Läufe.) 2. Er — ich, Erich. 3. Verwendung — Verschwendung. Des Silben-Rätsel»: Jurist Der Scharade: Königgrätz. Der Hieroglyphen: Vergeben ohne Vergessen ist keine Verzeihung. DeS Vexierbildes: Man betrachte das Bild von recht- oben. Der Kops ist unter dem Kopfe des Manner. Kiildn-Ititllng. Alle Rechte für den gesamten Inhalt Vorbehalten. Nr. 41. Redaktion, Druck und Vertag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. I 1910? Das Märchen vom Hähnchen.*) Von Clara K r am er-Wencel i de S . ES war einmal ein alter Mann und eine alte Frau. Die lebten einsam am Ende eines Dorfes in einem niedrigen Häuschen Sie halten ein kleine- Hähnchen, das sie wie ihr eigenes Kind liebten, es hegten und pflegten Eine- Tages mußten sie in den Wald gehen, und Holz für den Winter fällen. Sie stellten eine Schale mit Roggenkörnern und eine andere mit Wasser neben den Ofen und sprachen dann zum Hähnchen: „Hier hast du zu essen und zu trinken Bleibe nun hübsch in der Stube. Die Füchsin lauert draußen vor dem Haus, undw.nn du dich zeigst, wird sie dich fressen. Darum sei hübsch brav." DaS Hähnchen versprach alle- zu tun, was die Alten ihm befohlen hatten, und so machten sie sich auf den Weg in den Wald. Kaum aber hatten sie sich vom Hanse ent- sernt, so kam die Füchsin ihres Weges und sah, daß die Alten sorlgingen. Gleich dachte sie, jetzt könnte sic da- Hähnchen verlocken, aus dem Fenster zu schauen. Und fing an zu singen: Hähnchen, Hähnchen, Mit dem goldnen Kämmchen, Schau zum Fenster hinaus. Edelleute suh en vorbei, Lin Sack Erbsen riß entzwei, lind niemand ist da, Ihn zu picken. DaS Hähnchen aber war sehr gierig, sprang auf daö Fensterbrett, machte das Fenster auf und wollte sehen, ob die Erbsen auch wirklich auf der Straße lägen. Diesen Augenblick benutzte die Füchsin, er griff das Hähnchen und schleppte eS mit sich fort, ihrem Hause zu. Da fing daS Hähnchen an jämmerlich um Hilfe zu rufen und zu schreien: Bauer und Bäuerin Es schleppt mich die Füchsin Uebcr Stock und Stein, Helft mir, Helft mir! Der Landmann und seine Frau waren eben dabei, einen Baum zu fällen, da sprach die Frau: „Horch mal, mir schien, als hörte ich die Stimme unseres Hähnchen-!" Und richtig, da hörten sie auch daS Hähnchen um Hilf« rufen. Sie ließen Arbeit — Arbeit sein, und liefen der Stimme nach Bald holten sie die Füchsin ein und nahmen ihr das arg zerraufte Hähnchen ab. Zu Hause angekommen, wurde daS Hähnchen wegen seines Ungehorsam» sehr gescholten und es versprach gute Besserung. Es verging einige Zeit, da mußten die beiden Alten wieder in den Wald, um Holz zu fällen. Sie ermahnten das Hähnchen, ja recht folg sam zu sein, gaben ihm ein Schälchen mit schönem Futter und ein Schälchen mit Wasser und machten sich auf den Weg. Kaum aber waren sie fortgegangen, da kam die Füchsin vor das Haus. Die hatte schon die ganze Zeit auf das Hähnchen gelauert und hoffte, daß ihr die-mal die Gelegenheit günstiger sein würde. DaS Hähnchen aber saß vor seinem Napf mit Gerste und sprach: „Heute will ich nicht s» dumm sein und mich von der Füchsin fangen lassen. Gerste ist doch viel schmackhafter als Erbsen." Da fing die Füchsin zu singen an: Hähnchen, Hähnchen, Mit dem goldnen Kämmchen, Schau zum Fenster hinaus. Edelleute fuhren vorbei, Ein Sack Weizen riß entzwei, Und niemand ist da, Ihn zu picken. DaS Hähnchen fraß ein Körnchen Gerste, aber sie wollte ihm gar nicht schmecken, immer mußte eS an den Sack Weizen denken, der draußen verstreut lag. Und wieder fing die Füchsin ihr Lied an. Da dachte da» Hähnchen: „Wenn ich nur mit einem Auge hinausschaue, so kann mir doch nicht» Aus der Zeitschrift „Kind und Kunst" sVerlag von Alexander Koch, Darmstadt.)