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DIM IM NchkNNII-WIIOl^IN MklUl Tageblatt. Nr. 217. Sonntag, den 18. September 1910. 37. Jahrgang. TageSgcfchichte. (Fortsetzung aus dem Hauptblatt.) Kaiser und Zar. Das Thema wird immer verwickelter. In Pariser, der russischen Botschaft nahestehenden Kreisen tvird mit aller Bestimmtheit versichert, das; Kaiser Wilhelm im November dieses Jah res dem Zaren von Rußland einen Besuch ab statten werde. Man beschäftige sich gegenwär tig damit, alle Einzelheiten festzustellen, na mentlich über die Frage, wie der private Cha rakter dieses Besuches zum Ausdruck gelangen soll. In der russischen Botschaft selbst seit man nicht in der Lage, diese Meldung zu be stätigen oder zu entkräften, weil offizielle Nachrichten fehlen. — Es versteht sich von selbst, bemerkt hierzu der „Lok.Anz.", das; diese Nachricht jeder inneren Wahrscheinlichkeit ent behrt. Bis jetzt darf wohl daran festgehalten werden, das; die bevorstehende Begegnung zwi schen dem Kaiser und dem Zaren im Hessen lande oder jedenfalls in Deutschland vor sich gehen wird. Dopcscßenweckfcl zwischen Kaiser Wi1- kelm und dem Präsidenten vvu Merito. Die „N. A. Z." berichtet: Der Kaiser rich tete an den Präsidenten von Mexiko ein Tele gramm, worin er ihm und der mexikanischen Nation zur Jahrhundertfeier der Unabhängig keit des Freistaates seine und des deutschen Volkes wärmste Glückwünsche ausdrückt. Das im Namen des Kaisers aufgestellte Denkmal Alexander v. Humboldts möge stets ein Wahr zeichen der Freundschaft und gegenseitigen Hochachtung zwischen Deutschland und Mexiko sein. Zum Zeichen seiner persönlichen Wert schätzung für Porfirio Diaz verlieh der Kaiser dem Präsidenten die Kette zürn Großkreuz des Roten Adlervrdens. Auch zu dem 80. Ge burtstage des Präsidenten am 15. d. Mts. hat der Kaiser Porfirio Diaz telegraphisch be glückwünscht. — Der Präsident richtete an den Kaiser ein Telegramm, worin er ihm im Na men des mexikanischen Volkes, der Regierung und zugleich in seinem eigenen Namen für die Ueberweisung der Humboldt-Statue den leb haftesten Dank abstattet und hervorhebt, daß l die Statue mit großer Feierlichkeit auf einem der schönsten Plätze der Hauptstadt Mexiko aufgestellt worden sei. Die -Hofhaltung des Kaisers gegen die einheimisAe (Geschäftswelt? Einer Berliner Korrespondenz geht aus den Kreisen der Berliner Bekleidungsindustrie ein Schreiben zu, in dem lebhaft Klage geführt wird, das; das Kaiserhaus in hohem Maße ausländische Firmen den deutschen bei seinen Einkäufen vorziehe. Es wird daraus hinge wiesen, daß der Kronprinz erst kürzlich für die Freimachung des Deutschen von ausländischen Gebräuchen lebhaft eingetreten sei. Der Hof bevorzuge aber in der Bekleidungsindustrie Paris und London, und soweit Berliner Fir men in Frage kämen, seien ihre Inhaber größtenteils Semiten. Die Zuschrift nennt eine Reihe von ausländischen und Berliner Fir men, die für den Hof liefern, ohne den Titel „Hojlieferapr" zu erstreben, da sie ohnedies von der besten Berliner Gesellschaft mit Rück sicht aus den Hof frequentiert werden. Selbst der Zahnarzt des Hofes sei Ausländer. Es wird der Wunsch ausgesprochen, das; der Hof sich endlich mehr der deutschen Industrie zu wenden möge, die hinter der französischen und englischen nicht zurückstehe. Die jeßt herr schende Antipathie des Hofes gegen die Bcr liner Geschäftswelt habe auch politisch unan genehme Nachwirkungen. 9kegierungsuiafruahmen zur Fle ischuot. Wie Berliner Blätter erfahren, bereitet der preußische Landwirtschaftsminister Freiherr v. Schorlemcr - Lieser zur Ergänzung seiner schriftlichen Antwort an die Abordnung des Deutschen Fleischerverbandes und der Mittei lung in der „Norddeutschen Allgemeinen Zei tung" eine umfangreiche Darstellung über den Stand der Fleischerfrage mit einem großen Zahlenmaterial vor. Die schriftliche Antwort ist am Donnerstag der Abordnung zugegan gen und entspricht ini Wesentlichen der Mit teilung in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung". Der seitens der bayerischen Regie rung angekündigte Antrag auf Erleichterung der Einfuhr von Schlachtvieh aus Dänemark durch Aufhebung oder Einschränkung der See- guarantäne und der Tuberkulimpfung ist bis her in Berlin nicht eingegangen. Sollte er noch eingehen, so würde er voraussichtlich sehr bald im Bundesrate seine geschäftsordnungs mäßige Erledigung finden. Aber nach der Stellungnahme des preußischen und des würt- tembergischen landwirtschaftlichen Ministeriums ist vorauszusehen, daß dem Anträge vorläufig wenigstens ein Erfolg im Bundesrate nicht beschieden sein tvird. Fürst Euieudurq »ickt im Auslände. Die von Wien aus verbreitete Nachricht, daß Fürst Philipp Eulenburg nach Oesterreich gereist sei und dort ein Sanatorium aufgesucht haben soll, wird von dem Rechtsbeiftand des Fürsten, Justizrat Wronker, als unrichtig be zeichnet. Der Fürst ist nach wie vor in Lie benberg und fein Gesundheitszustand sei so schlecht, daß an eine Reise gegenwärtig nicht zu denken sei. Die Genossen BKürttemver«;s zur Bud- getbewilrigun«^ Die sozialdemokratische Fraktion des würt- tembergischen Landtages hat beschlossen, au den Magdeburger Parteitag das Ersuchen zu richten, die Nürnberger Entschließung dahin abzuändern, daß den Landtagssraktionen die Zustimmung zum Budget in zwingenden Fäl len ermöglicht werde. Die Genossen Slutt garts sind mit dieser Stellungnahme der so zialdemokratischen Parlamentarier keineswegs einverstanden. Sie haben ihrerseits einen Be schluß gefaßt, in dein das Vorgehen der Frak tion entschieden verurteilt wird. Gin russischer Militäräailon auf deut schem Boden. Wie die „Pillkall. Ztg." meldet, landete ein russischer Militärballon im Kreise Pillkallen vor einigen Tagei: auf der Feldmark des Nit tergutes Lindicken. Der Ballon war in dem Orte Orany bei Kowno, wo gegenwärtig Ma növer abgehalten werden, aufgeftiegen. Die Insassen, ein Offizier mit seinem Burschen, landeten trotz längerer Schleifenfahrt unver sehrt und fanden bei dem Gutsbesitzer Schulz gastfreundliche Aufnahme, der die völlig intakt gebliebenen Instrumente und die Ballonhülle verpacken hals und gemäß dem Ersuchen des Landratsamtes die Russen nach Schiwindt bis zur Grenze befördern ließ. Die Luftschiffer waren des Deutschen nicht mächtig und sollen sich, wie bekannt geworden ist, später sehr lo bend über die ihnen zu teil gewordene freund liche Aufnahme ausgesprochen haben. Sie hat ten dazu umsomehr Ursache, als deutschen Ballons aus oder über russischem Boden, wie bekannt, stets eine ausgesprochen feindliche Auf nahme bereitet wird. Ein deutsckcr Dampfer von der hollän dischen Negierung beschlagnahmt. Vor einigen Tagen hatte der deutsche Dampfer „Minerva" von der „Neptun-Gesell schaft" aus der Höhe von Plissingen ein hol ländisches Lotsenboot angerannt und schwer beschädigt. Daraufhin ist die „Minerva" jetzt von der holländischen Regierung beschlagnahmt worden. Der Fall erregt großes Aufsehen. Die deutsche Schiffahrts-Gesellschaft beabsichtigt, Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Es wird bei dieser Gelegenheit die Frage der Neu tralität der Schelde zur Sprache gebracht wer den. Deutschland als Vorbild. Der englische Finanzminister Lloyd George hielt eine Rede, in der er die Lage der deut- jchen Lehrer mit der der englischen verglich. Deutschland habe die Frage der Lehrerbesok- duug gelöst. Eine Nation, welche die Bedeu tung des Lehrers im Leben des Volkes er kenne, sei es wert, in ihren besten Einrichtuu gen nachgeahmt zu werden. Ter Finanzmüü- ßer kündigte ferner au, daß er im nächsten Jahre einen großen Versicherungsentwurf vor legen werde, durch den der gewöhnliche Tages- arbeitcr den quälenden Sorgen um das täg liche Brot enthoben werden soll. Ein derar tiger Entwurf sei in Deutschland schon Gesetz. Er hosfe aber, daß der in England einzufüh rende Entwurf besser sein werde, als der deutsche. Ein russisch er General über die franzö sische Armee. Der Manöverberichterftatter des „Gaulois" > veröffentlicht eine Unterredung mit dem zu ! den Manöver« entsandten russischen General « « Allerlei Kurzweil. « « Denlsprüche. Wohl besser ist's, rhn' Anerkennung leben Und durch Verdienst des Höchsten wert zu sein, Als unverdient zum Höchsten sich erheben, Groß vor der Welt und vor sich selber klein * * * Das Herze fröhlich, der Mut recht ehrlich, Die Rede züchtig, die Taten richtig, Auf Gott vertrauen und auf ihn bauen, Das sind Waffen, die Frieden schaffen. Rätselecke. ASN-RAI-l. Dort geht mit ernstem Angesicht Herr Müller auf das Amtsgericht, Die Stirn voll krauser Fairen. Die Sonne brennt, es wird ihm warm, Schwer drückt das Päckchen unterm Arm — Was mag es nur enthalten? Wär nur ein „i" noch in dem Wort, Herr Müller würde wohl sofort Gern stundenlang es halten. Silbcn-RStscl. Hoffähig war die Erste nie, Doch darf sie manchen Hof betreten, Auch lehrt uns die Mythologie, Daß Zeus selbst sie sich nicht verbeten. Im andern Paar viel Blut ost fließt Für den Erfolg, der ihm verbunden, Nur wenn cs an ein Wort sich schließt, Verläuft es ohne äußre Wunden. Daß eine Riesenmeuge heut Das Ganze jubelnd noch bewundert, Spricht nicht für edle Menschlichkeit Im zwanzigsten Jahrhundert. Rätfcl. Die erste uns daS Ganze zeigt; Die letzten zwei nur der erreicht, Der ernst gestrebt hat lange Zeit, Und ist er endlich mal so weit, So setzt mit dem Ganzen den Trank er an, Ter immer den Menschen gar wohlgetan. Bnchstabcn-Rätscl. Durch seine Schriften hab' ich Mit o es lieb gewonnen, Mit « beim Tanzen gestern Zn lernen eö begonnen. Bilder-Rätsel. Vexierbild. Wo ist der Reiter? (Auflösungen in nächster Nummer.) Auflösungen a»S Nummer 37. Des Rätsels: Schauspieler. Der Scharade: Vogelbauer. Des Kapsel-Rätsels: fru(h und) — Hund. Der Scherzfragen: 1. Weil er jedem einen tüchtigen Brocken vorsetzt. 2. Die des Zigarrenmachels. 3. Die Pilze. 4. Maulaffen, ö- Matrosen 6. Die Krebsscheren. 7. Der Eingebildete. 8. Nach welcher sie den Schnabel halten. 9. Im Fichtenwaide 10 An dem Flusse, die Lippe, lt. Einen Hof. 12. Die Schnecke. Des Bilder-Rätsels: Treu bewährt sich e st in Leiden. Kulön-Itilllilll. Alle Rechte für den gesamten Inhalt Vorbehalten. Nr. 38. Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. 1010. Nixe«. Dichtung und Wahrheit aus der Vorzeit. 4. Forts. Von E. Thal. Nachdruck verboten. Drago und Wcllona nabmcn teil an der Hochzeit und als man sich zur Tafel setzte, die in Godros Bauernhöfe aufgeschlagcn war, da sprach Drago, indem er Marmkas und Liubis Rechte umfaßte: „Bevor wir das Mahl beginnen, lasset mich erst zum Zeichen unserer Dankbarkeit für Deine Trene, liebe Marinko, die Du uns be wiesen, Deineni Liubi das Stück Land schenken, welches an das seine ini Westen grenzt und be reits mit Grenzzeichen versehen ist." Da gab es große Freude und herzlichen Dank. Marinka aber fiel der Wcllona um den Hals und küßte sie. Wcllona ater sprach: „Bleibet uns immer treu, Marinka, das ist mir der liebste Dank von Euch." Einer aber saß ganz stumm vor Staunen über das Geschenk an der Tafel und konnte kein Wort reden; das war Gvdro. DaS Stück Land war ja größer als sein Gut, das hatte er doch nicht gedacht, daß Marinka soviel dem Liubi zu bringen würde. Aber er sollte noch mehr stau nen, denn jetzt brachte Liubi auch die Truhe her zu, setzte sie vor Godro auf die Tafel und sagte zu seinem Vater: „Das ist Marinkas Braut schatz, sieh ihn an, ob er Dir genügen wird." Mit zitternden Händen hob Godro den Deckel in die Höhe, ließ ihn aber bald vor Aufregung wieder fallen, als er hinein sah. Da kam Marinka zu ihm und streichelte ihm die Wangen, bat ihn, er solle sie nur freundlich behandeln, sie wolle ihm eine gute Tochter sein. Godro aber konnte nur der Marinka die Hände drücken und leise sprechen: „Vergib mir alle die bösen Worte, die ich über Dich gesprochen." „Alles fei vergessen, Vatcr, ich werde Dich nie daran erinnern", sprach diese. Die Hochzeiisgäste aber staunten den Schatz an und Marinka Ivar mit einem Male ihre liebe teure Verwandte. Nur Liubis Geschwister war sic dieselbe schon lange gewesen, denn sie waren ihr immer gut gewesen. Das Hochzeitsmahl aber war ein so fröhliches, wie lauge keins in der ganzen Umgegend gewesen war. Trotz aller Freude aber vergaß Marinka eins nicht. Sie nahm von den besten Speisen und vom Met und trug es mit Liubi hinaus an einen Ort, wo sie dachte, daß es die Lrdmännchen sinken würden, und sie hatte dcS anderen T«gcS die Freude, daß alles ausgezchrt war. Es begann nun ein schönes Familienleben aus dem Gute Godro war ganz verändert und tat alles, was er Marinka an den Augen ab sehen konnte. Liubi aber mußte sich Knecht und Magd und andere Arbeiter annehmcn, um seine Arbeit bewältigen zu können. Auch bauen mußte er, damit er die Ernte bergen konnte. Marinka richtete sich bald unter der Leitung von Liubis Mutter zur Bauersfrau ein Wenn sie ihre Er zeugnisse ins Städtchen trug, so kehrte sie stets ein Weilchen mit auf der Burg ein, um mit Wcllona zu plaudern. Alos aber erwarb sich ein großes Stück Land, am Strome abwärts gelegen, und ward ein Bauer. Nur Radios und Richilde waren noch im Fischerhäuschen und trieben den Fischfang nach wie vor. Nur einen Fischerknccht hatte sich Radios angcschafft, einen Sohn seines Bruders, dem auch die Fannlicnabstammung be kannt war und dcm cs deshalb nicht srcmd vorkain, daß nur am anderen Ufer gefischt wurde. So vergingen Jahre im ruhigen Stillcbcn. Drago und Liubi hatten jeder eine Anzahl Kinder, auch Alos hatte Frau und Kinder. Dieser Frieden wurde gestört durch den Ein fall kriegerischer Völker in das Land der Dale- minzier. Die Thüringer brachen über die Milde (Mulde) bei Grimmi (Grimma) und waren bald bis Dalcn (Dahlen) vorgedrungen, trotz aller tapferen Gegenwehr der Daleminzier. Die Thü ringer hatten diesen Weg gewählt, weil diese Gegend die am meisten angcbautc war, denn südlich davon war der Miriquidiwald. Schon kamen die Thüringer in die Nähe von Strelen und waren kaum noch Stunde en'.fernt, da traf die Nachricht hier ein, daß von Süden her auch das Heer der Daleminzier nahe und daß man Strelen ja behaupten solle. Drago und Liubi sammelten alle Bewohner der Umgegend und die massenhaften Scharen der vor dem