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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 10.09.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-09-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191009103
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19100910
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19100910
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-09
- Tag 1910-09-10
-
Monat
1910-09
-
Jahr
1910
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 10.09.1910
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D>M W Wheiittkiit-Uihllltiitrr AiDgn Tageblatt Nr. 210. Sonnabend, den .0. September 1910. 37. Jahrgang. Der Türken-Barbarofia. Der Kauf der beiden deutschen Panzer schiffe durch die türkische Regierung hat, wie sich heute deutlich ergibt, nicht allein den Zweck gehabt, die Wehrkraft des Osmanen - Reiches zur See zu erhöhen, sondern auch dem Selbstbewußtsein der Bevölkerung einen neuen Aufschwung zu geben. Das ersieht man aus dem Namen Haireddin Barbarossa, den eins der Schiffe erhalten hat. Haireddin war es, der Algerien unter die Herrschaft des Sul tans brachte, und, obwohl wiederholt ge schlagen, den Flotten des deutschen Kaisers Karl des Fünften erhebliche Verluste bei brachte. Er kann wohl als der bedeutendste türkische Seemann gelten. In der neuesten Zeit, eigentlich schon seit Mehr als hundert Jahren, bildeten ja die Meisten Schiffe der ^genannten türkischen Kriegsmarine traurige Fahrzeuge, denen irgendwelche ernste Aktion überhaupt Nicht mehr zügemutet werden konnte. Jetzt sind die voN Deutschland gekauften ge- wllltigeN Schlachtschiffe vor Konstantinopel er schienen; kein Wunder, daß sie mit allgemei ner Begeisterung begrüßt wurden. Die tür kische Regierung hat es aber erreicht, daß die Aufmerksamkeit von den inneren Verhältnissen, die nicht gerade in allen Beziehungen die er freulichsten waren, zur Zeit etwas abgelenkt ist. Das ist also eine moderne Politik, die von dem Regiment des früheren Sultans Abd ul Hamid sich sehr erheblich unterscheidet. Die Türken von heute sollen sich fühlen ler nen, während früher jede leise Selbständigkeit von dem mißtrauischen Pädischah blutig un terdrückt wurde. Heute gebraucht Man das Selbstbewußtsein. Es ist selbstverständlich, daß dör Haupt antrieb für die Türkei, diese beiden schweren Panzerschiffe zu kaufen, in den immer noch nicht ganz Überwundenen Streitigkeiten mit Griechenland zu suchen war. Wenn es zu einem Kriege kommen sollte, könnten diese beiden Fahrzeuge durch ein Bombardement des Piräus, des Hafens von Athen, den Feldzug mit einem Schlage entscheiden, denn Griechen land kann den schweren Schiffsgeschütze» keine gleichwertige Artillerie entgegensetzen. Man darf aber hoffen, daß - jetzt die Kriegschancen gesunken sind, schon das Vorhandensein dieser beiden schwimmenden Festungen flößt den Chauvinisten in Athen Respekt ein. Ebenso sind sie auch eine beredte Warnung für alle die südslawischen Politiker, die die Möglich keit eines „Spaziergangs nach Konstantinopel" sich nicht abstreiten lassen wollen. Daß die Großmächte keine besondere Neigung haben, sich so, wie früher, in die osmanischen Hän del einzumischen, darf man ohne weiteres vor aussetzen. Das Boykottieren gegen Oesterreich im vorigen, und gegen Griechenland in die sem Jahre spricht da ganze Bände. Weniger schnell, als das Geschäft mit den Panzerschiffen, vollzieht sich der türkische An leiheversuch in Frankreich, wenn ja auch heute auf einen Abschluß sicher gerechnet wird. Es ist bei Anleihen von Staaten nicht mehr da mit getan, daß der in Finanzsorgen befind liche Teil einen angemessenen Kurs für die vermittelnden großen Banken und nicht zu ge ringe Zinsen für das Publikum zugesteht, wel ches die neuen Papiere kaufen soll, auch der darleihende Staat will gewissen Nutzen haben, die Industrie große Bestellungen. Wenn es nicht ei» bischen sehr despektierlich wäre, könnte man solche moderne Staatsanleihe nicht ganz mit Unrecht ein „Krawattengeschäst" nen nen. Aber die türkischen Staatsmänner haben eingesehen, daß aus Freundschaft in Europa nichts geliehen wird, müssen also wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Vielleicht entsteht ihnen einmal ein neuer Haireddin- Barbarossa, der vieles wendet. Christentum und Kirche. Die Oberammergauer Pas sionsspiele 1910. Die bekannten, un ter dem Schrecken des 30jährigen Krieges ent standenen Passiönsspiele in dem oberbayrischen Dorfe Oberammergau werden nach zehnjähriger Unterbrechung in diesem Sommer wieder ver anstaltet und üben ihre alte Anziehungskraft aus. Es sind dreißig Spieltage vorgesehen, aber obwohl der Zuschauerraum über 4000 Menschen faßt, müssen wegen des großen An dranges oft außerordentliche Spieltage einge legt werden. Eisenbahn, Automobil, Stell wagen befördern nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich und Italien und vornehmlich aus England und Amerika eine Menge Gäste in das abgelegene Gebirgstal, so daß man die Zahl der Besucher im ganzen wohl auf 150 000 wird veranschlagen dürfen. Ein beträchtlicher eil dieser Gäste bekennt den evangelischen Glauben, wiewohl die Dar steller und die Bearbeiter des Passionsspieles katholischen Bekenntnisses sind. Und in der Tat enthält das Oberammergauer Passions spiel nichts, was ein evangelisches Gemüt ver letzen könnte oder im besonderen Sinne katho lisch wäre. „Die Passion", wie der Oberam mergauer sein Spiel nennt, entspricht der Er zählung der heiligen Schrift. Nur vereinzelt, Ivie bei dem Schweißtuch der heiligen Vero nika, wird die Legende mit herbeigezogen. Die Einsetzung des heil. Abendmahls wird z. B. in Uebereinstimmung mit dem Bibelwort nicht nach katholischem, sondern nach evangelischem Brauch dargestellt, und das Vorwort zu dem offiziellen Textbuch preist es mit Recht als einen Vorzug, daß der Text des Spieles im Laufe der Jahre zu einer „einfachen und evan gelischen Ausgestaltung und Entwicklung" ge langt sei. Wenngleich man über die dramati sche Wiedergabe biblischer Stoffe verschieden urteilen und über diese und jene Einzelheit im Oberammergauer Passionsspiel eine abwei chende Meinung haben kann, so muß doch an erkannt werden, daß die Darstellung würdig ist und ihrem hehren Inhalt entspricht. Die Darsteller, schlichte Bauern und Handwerker, für ihre Rolle nicht nur nach äußeren, sondern auch nach sittlichen Gesichtspunkten ausgewählt, gehen ganz anders wie ein berufsmäßiger Schauspieler in ihrer Rolle auf. Sie leben in ihrer Rolle und tragen, durch alte Ueber- lieferung geschult, einfach und natürlich, aber doch ansprechend und angemessen vor, was ihr Herz bewegt. Obwohl die Vorstellung — mit nur zweistündiger Unterbrechung — von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends währt, beobachten die Tausende der Zuschauer eine lautlose Stille. Was sie fesselt und in feierliche Stim mung versetzt, ist in erster Linie der Gegen stand des Spiels. Die leibhaftige Vorführung dessen, was dem Christen das Heiligste ist, ruft einen tiefen Eindruck hervor. Einzelnes, wie z. B. die Fußwaschung, die Einsetzung des heiligen Abendmahles, Christus vor Pila tus, die Kreuzabnahme bleibt unvergeßlich. Mancher verfolgt den Gang des Spieles an der Hand des Neuen Testamentes, und vielen sicht man es an, wie sehr sie im Innersten ergriffen sind. Somit bietet das Oberammer gauer Passionsspiel nicht nur künstlerische Ge nüsse, sondern erweckt auch religiöse Gefühle, und es ist ein erfreuliches Zeichen, daß in un serer meist auf das Irdische gerichteten Zeit Zehntausende weder eine weite Reise noch be deutende Geldopfer scheuen, um „das größte geschichtliche Ereignis, die Lösung der Mensch heit aus Sünde und Irrtum durch den Opfer tod des Einen" leibhaftig vor ihren Augen vorüber ziehen zu lassen. „Noch heute," schreibt die Leitung des Oberammergauer Passions spieles, „übt die evangelische Sprache ihre Macht, noch heute ragt der Geopferte im Tode sieggewaltig empor, ein Fels im Wandel der Zeiten und Völker. Auch die Oberammergauer Passion ist ein Zeugnis des alten Wortes: Christus vincit, Christus regnat, Christus im- perat, d. h. Christus siegt, Christus herrscht, Christus regiert." Kleine Chronik. * Das Hochwasser in Echtesten, heivorgcrufen durch wolkenbruchartige Regengüsse, hat ernsten Charakter angenommen. Bei Oppeln und Ratibor steht die ganze Odcrnicderung bereits unter Wasser, die niedrig gelegenen Stadtteile von Ratibor sind vollständig überflutet. Ein Verlust an Menschenleben ist im Ueberschwemmungsgebiet bis heute noch nicht zu verzeichnen, dagegen ist der aus den Feldern an gerichtete Schaden sehr groß. Die Bevölkerung in den betroffenen Gegenden hat unruhige Nächte ver lebt. In anbetracht des fortwährenden Steigens des Wassers blieb man meist aus. Die Wehren standen fortwährend in hilfsbereitem Zustand. Eine Anzahl Brücken, so besonders bei Schweidnitz, wurden von den hochgehenden Fluten wcggerissen. In Reichenberg i. Schl, steht das Hotel Kaiserhof einen Meter tief unter Wasser. Auf der Strecke Dietersbach-Glatz ist bei der Haltestelle Ludwigs- dorf der Bahndamm aus eine Strecke von 50 Meier abgestürzt. Der Güterverkehr ist eingestellt. Der Personenverkehr kann nur durch Umsteigen aufrecht erhalten werden Neuerdings hat der Regen wieder verstärkt eingesetzt, sodaß die Lage kritisch ist. ' Die Choler». Furchtbare Verheerungen richtet die Cholera im Kaukasus an. Viele Dörfer sind total verseucht, die Menschen sterben massenhaft ohne jede Hilfe und bleiben unbcstattet liegen. Die Bauern meiden ängstlich die alten Wohnstätten und sind in die Berge geflohen. * TyphuSepidemie. In den Arbeiteivier ein Brüssels wurde eine auffallend große Zahl Typhus kranker festgcftellt. In den Spitälern befinden sich bereits 100 Kranke, zwei Personen sind gestorben. Die Krankheit wird auf übermäßigen Genuß ivher Muscheln zurückgesührt * Bei eiuer Grubeuexplofio« zwei Arbeiter getötet. In einem Schacht der Rordböhmischen Zinnbergbaugesellschast in Hirschcnstand wurden bei einer Explosion zwei Arbeiter gelötet. * Bergmaunslos. Von den seit Dienstag abend aus der Zeche „Zollverein" in Stoppenberg bei Essen verschütteten drei Bergleuten sind am Donnerstag früh 4 Uhr zwei Mann lebend und einer tot geborgen worden * Verhängnisvolle Explosion. In Gandia in Spanien wurde» bei einer Kcsselexplosion drei Arbeiter getötet und mehrere schwer verletzt. Einsturz -er Wendeltreppe eines Gaso meters. Am Gasometer in Unterbarmen stürzte eine 38 Meter hohe Wendeltreppe ein. Drei Arbeiter stürzten dabei ab. Zwei wurden gelötet, einer töd lich verletzt. * Ein Karnffel mit 8V Kindern eiageftkrzt. Wie die „Pfälzische Presse" mitleill, stürpe in Albertsweiler bei Kaiserslautern ein Karuüel ein, auf dem sich 80 Kinder befanden. Sie wurden sämtlich mehr oder weniger schwer verletzt. ' Zwei Kinder verbrannt. Tie beiden 7 und 10 Jahre allen Töchter der Familie Schröder in Langenberg bei Pilsen machten Feuer an und be nutzten dazu Petroleum. Tee Perroleumkanne exvlv- dierle und im Nu standen dm Kleider der Mädchen in Flamme». Ta- älteste Kind ist Len Brandwun den bereit- erlegen, au- ras ünaere Lürne kaum mit dem Leben daoanlommen. * Unter Berglstungsericknn^;!-» zetzorbeu. Nach dem Genuß von Braikara:"!-. und Salz heringen erkrankte die Frau de- L:ve.t«nS in Dvrlmuird so schwer, daß sie sofort rni Kranken haus gebracht werden mußte, wo sic alt bald ver starb. Der Mann liegt hoffnungslos darnieder. Das einjährige Kind der beiden erkrankte gleich':»-. * Im Streite erschossen. Der Händler Fried- rich Lchmilt in Mannheim mochte sich in einen Wirtshausstreit und gab dabei au' den Fuhrmann Georg Boppel, Vater von 'ün.i Kindern, einen Schuß ab, der den Kutscher am Unterleib schwer verletzte. Nach der Einlieferung inS Krankenhaus starb der schwer Verletzte * Blutige KirmeS. Während der Kirmes im holländischen Grenzdorfe Hobclermeer wurden die beiden Brüder Korstenberg erschlagen Den Be- Hörde» gelang es nicht, die Täter zu ermitteln. ' Polizeihund und Mörder. Der Mörder dcS in Brunsbüüel am Elbdeich am Dienstag abend ermordeten 13jährigen Mädchens K. ist verhaftet worden Am Tatort wurde ein Polizeihund auf die Spur gesetzt. Der Hund führte die Beamten in die Wohnung des Gärtners Erdmann. Erdmann, der festgenommen wurde, leu nete ganz entschieden die Tat, eilt aber als überführt, weil in seiner Wohnung blutbefleckte Kleider gefunden wurden, über deren Herkunft er sich nicht ausweisen kann. * Selbstmord riiies frauzöstscheu Offiziers. In Brest hat sich der Oberstleutnant Haye des 2 Kolonial-Jnsanteric-Regimcnts erschossen. Der Offi zier, der seine militärische Karriere größenteils in den Kolonien gemacht hat, sollte, wie der „Lok- Anz." meldet, neuerdings wieder nach einer Kolonie versetzt werden. Er fragte seine Frau, ob sie ihn auch diesmal wieder begleiten wolle, die Frau lehnte dies aber entschieden ab und alle Bemühungen dcS Offiziers, die Zustimmung seiner Frau zu erlangen, scheuerten an deren Widerstand. Darauf lötete sich Geerteer-. Novelle von E. Bely. H (Nachdruck verboten.) 1. Der erste Octobersturm ist Nachts über das kleine gelbe Eiland hingebraust, die Springflut!) hoch dis zu den Dünen empvrgekommen und noch hat das Meer eine schwarz-graue Färbung und der wolkenbedeckle Himmel scheint in der Ferne mit der unruhig wogenden Wassermasse zu verschwimmen. Der feine Saud ist weit Hingetrieben und hat die schmalen Hvlzbrelter, die zu beiden Seiten der Dvrfstraße gelegt find, damit man festen Fuß fassen kann, bedeckt. An den niedern rothen Backstcinhäusern sind thcilweise die grünen Läden geschlossen, trotz der Mittagsstunde. Die vor nehmsten unter ihnen haben einen mit Latten abge- zäunten Platz, welcher einen Garten vorstellen soll. Aber nicht einmal niederes Buschwerk gedeiht iu dem Boden, zwei oder drei verkümmerte Zierpflanzen bilden den Stolz der Hausfrau, wenn sie halbwegs zur Blüthe kommen. Eines der größten Häuser steht am Ende der Straße, doch hat man auch hier der Dünen Halder keinen Ausblick auf das Meer. In dem Vorgärtchen desselben prangt aber als besonderer Zierrats) ein defectes Holzbild der Aphrodite, das einst am Bug eines Schiffes befestigt gewesen ist. Das nicht unschöne Profil ist noch intact, die hölzernen Locke» haben aber bei mancher Seefahrt, vielleicht auch bei einem Schiff bruch gelitten. Schreiende Spatzen haben sich ans dem Haupte der Mcergöttin niedergelassen, werden aber von der gebräunten Hand eines alten Mannes, welcher unweit auf einem Schemel sitzt und dicke Dampfwvlken in die Luft bläst, mit einem rauhen Fluche verjagt. Dann bringt er seinen Stuhl in eine schaukelnde Be wegung und ruft, dem Hause zugcwandt: Gecrtccrd! Zweimal muß er jedoch den krächzenden Laut wieder holen, ehe eine Stimme von innen eine undeutliche Antwort giebt. Geduldig hat er sich noch einige Male ans- und niedergeschankelt, dann ist in die HauSthür eine weibliche Gestalt getreten, ein hvchgewachsencs Mädchen, in das übliche blaue FrieSgewand, das die Insulanerinnen Sommer und Winter tragen, gekleidet. Lie hebt den Kops, den schwere, schwarze Flechten umschlingen, heftet die dunklen Augen mit einem bei nahe zornigen Ansdruck auf den Sitzenden und fragt nnwillig: Nun? Sie läuten drüben! sagt der Alte und kneift das eine gesunde Ange, das er besitzt, zu, das andere ist eine leere Höhlung. Ist Sonntag, giebt das Mädchen zur Antwort. Sonntag! Er nickt. Deshalb sind sie vorhin Alle fort — Du nicht, Geerteerd! Sie hat ein kurzes Lachen. Bin Maniel Hay sein Kind — zum Kirchen gehen hast Du mich nicht angehalten! Nein! knurrt er, halbvergnügt, streicht dann über sein struppiges, graues Haar, nimmt ein paar Züge aus seiner Pfeife und sagt, wie zu sich selber: Keine Ursache dazu, Geerteerd — keinen Anlaß. Geerteerd macht einige Schritte über den knir schenden Pfad, bis sic neben dcm Vater steht, legt ihm die Hand auf die Schulter »ad guckt in derselben Richtung, wie er, die Dvrfstraße entlang. Es ist eine Ausschau, welche sic jeden Tag haben — niedere Ziegelhäuser, gelber Sand, das eine Mal nur ist der Himmel gran, das andere Mal sonnig. Sic sind nicht verwöhnt, die Insulaner — und knapp, wie sic die Natur behandelt, die ihnen nichts zeigt, als das Meer und die reizlose Scholle, welche es täglich zu vernichten bereit ist, sind sie auch mit ihren Worten und Ge- berdcn. Mag sein, daß sic darum wenig reden, weil ihnen der Wind so leicht die Worte von den Lippen weht, ehe sie des Andern Ohr erreichen. Geerteerd hat zwar auch die äußerlich ruhige und sprachkarge Art der Inselbewohner, aber wie sie mit Haar und Augen von ihnen absticht, scheint auch eine innere Unruhe im Gegensatz zu Jenen bei ihr zu existiren — das beweist das häufige Vibriren ihrer Nasen flügel, das Zucken ihrer hochgeschürzten rothen Lippen. Maniel hat sich eine Weile mit seinen Gedanken beschäftigt, jetzt giebt er ihnen Ausdruck. Von Keinem hättest Du solch ein Erbe! Das Mädchen guckt zurück auss Hans, nickt und erwidert: Ist Dir arg, daß ich kein Junge bin! Der Alte kneift das gesunde Auge zn. Jetzt denk' ich nicht mehr dran! Geerteerd steht wieder eine Weile unbeweglich, die Windstöße führen immer eine Wolle seinen Landes mit sich, der sich über alles legt, anch wie Puder auf des Mädchens dunkle Haare. Bianiel schencht die schreienden Spatzen aui's Neue, hat ein kurzes Lachen und meint dann: Wir» mir Einen in's Haus bringen, der ein tüchtiger Schiffer ist. Das ist abznwarteu! erwidert sie mit einem dumpfen Tone. Ter Alte nimmt stammend die Pfeife aus dcm Munde und macht eine ordentliche Anstrengung, nm den Kopf nach ihr zu wenden. Mädchen! ruft er und dann zeigt er mit dem Damnen hinter sich, cs ist nicht sicher, ob dam» das Hans oder Geerteerd gemeint ist. Wenn Keinem darnach der Sinn stehen sollte! Abwarte», kommt cs noch cinmal von ihren Lippen und dann gellt sic wicdcr dem einstöckigen .nause zu, von dessen rolhcr Ziegelsarbc der hellblaue Ociauflrich vcm Fenstern und Thür wunderlich abnicht. Tie.vans- diele ist geräumig, sie enthält den .nerd, über dem ein blanker Wasserkessel hängt, unter welchem das Feuer tagsüber nicht erlischt. Es ist alles sauber, der stcinbelegte Boden, die Hvlzbreller an den Leiten, auf denen der HauSrath prangt. Die verschiebbaren Hvlzwändc im Hintergrund verbergen die Lchlasstellen. Geerteerd schürt ein wenig am Herd und guckt aus die große Standuhr, tritt dann in die niedere Stube und spricht noch ciumal: Abwarten — vor sich hin. Weiße Vorhänge an den Lchiebfcnstcrn zeigen, daß Maniel Han's Einzige aus's Modische hält. Die Decke des Gemachs ist ans mattblau bemalten Brettern, die Wände sind getüncht. Ein Schiffsmodell in einem Glaskasten bildet den Hauptschmnck, daneben sind auf Leitcnborden und Evmmvden viel chinefisches Porzellan und javanische Laciiachen, sogar ein zierliches Lchräuk- chcn zu sehen, Erinnerungen von des Hausherrn Mecr- fabnen. Gccnccrd streift ihr Bild im Spiegel mit einem flüchtigen Blick, seufzt leise und sagt: Jo Toben ist wieder da. Daun glättet sic mit beiden Händen ihr Haar und setzt hinzu: Gesund ist er wieder da — ihm gönn' ica's. Dann leuchtet es seltsam aus iu ihren Augen und im zischenden Ton kommt es »ach: Ter alten Reick nickn — und ist doch seine Mntter. Tas Warum muß :. . wobt zn denken geben, den» sie setzt sich am Fenster nieder und stützt den Kopf in beide Hände. Zn de!» Alten, den so leicht kein derber Wind von seinem Platz neben dem Hvlzbild draußen hinwcg- briugt, ist ein zweiter getreten, ein gebräunter junger Mann in Matroscutracht. Er tehut sich mit beiden Armen ans den Bretterverschlag, welcher das Vvrgärlche» umGebt, hält seine kurze Pseiie zwischen de» Lippen und guckt so eine Weile den Maniel au und der ihn. Ab und an kommt ein Windstoß und umwirbelt sie Beide mit Flugsand, aber darum ändern sie weder Stellung, noch Gesichtsansdruck. Endlich sagt der Jüngere: War hübsch diese Nacht. Hm! macht Maniel. Tie Springflut!) ist hoch gegangen und hat am Ostend eine Badckarrc mitgerissc». Hm! Wieder eine Panse; der Alte schiebt die Pfeife in den anderen Mundwinkel und dann ist er cs, der sie unterbricht. (Fortsetzung folgt.)
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