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Redaktioneller Teil. X- 283, 7. Dezember 1918. thekerci« ganz individuell, unter Zuhilfenahme fachmännischer Lektoren und Beiräte, die alle Eingänge, Vorschläge und Ideen auf der reinen Grundlage unparteiischer Kritik und statistisch überzeugender Tatsachen gewissenhaft prüfen und verwerten. Ein gewinnbringender vielseitiger Austausch von Erfah rungen erfolgreicher Spezialtätigkeit zwischen Verlag und Sor timent würde sich hieran angliedern. Dies nur als flüchtige Anhaltspunkte des neuen Systems, das hundcr,fältigc Möglichkeiten konzentrierter Zweckreklame bietet, wenn sie richtig erfaßt werden. Das Schwergewicht muß immer auf die psychologische Be handlung und Bearbeitung des Publikums, des einzelnen wie der Masse, gelegt werden, — nur so kann sich die Buchreklame zur Volkstümlichkeit durcharbeiten und die moderne Literatm- anzeige ein selbstverständlicher Bestandteil der Tagespresse werden. Erst die auf experimenteller Grundlage beruhende Psycho logie der Reklame wird der propagandistischen Tätigkeit des Gesamtbuchhandels wirkungsvolle Geltung verschaffen und auch dem wirtschaftlich Schwächeren neben moralischen Erobe rungen zu den ebenso notwendigen finanziellen Erfolgen ver helfen. Der deutsche Buchhandel in Rußland nach dem Kriege. Nachdem das gewaltige Völkcrringcn seinen Abschluß ge sunden hat, müssen alle unsere Kräfte für eine neue segensreiche Friedensarbeit angespannt werden. Es wird unsere Aufgabe sein. Zerstörtes wieder aufzubaucn, gelöste Fäden von neuem zu knüpfen und ganz neue Wege für unseren Handel zu finden. Auch der deutsche Buch- und Kunsthandel, der sein Absatzgebiet wieder im Auslande und namentlich in Osteuropa suchen muß, steht vor neuen, gewaltigen Aufgaben, die ihrer Lösung harre». Blau ist neuerdings bei uns der Ansicht, daß der Haß gegen alles Deutsche im Auslände so groß sei, daß es sehr schwer sein dürsie, Handelsbeziehungen zu dem uns ehemalig feindlichen Auslande anzuknllpfen. Ich kann diese Meinung, soweit cs sich tun Ruß land und die besetzten Ostgebiete handelt, nicht teilen. Natür lich haben wir uns durch unsere unglückliche Ostpolitik einen ge wissen Hatz zugezogcn, aber trotzdem überwiegt noch immer die Bewunderung für unsere Taten, für unsere Wissenschaft und un sere Technik, und man weiß drüben recht gut, daß man an unse rer wissenschaftlichen Literatur nicht achtlos vorllbergehen kann. Wie groß in Rußland die Sehnsucht nach deutschen Büchern ist, kann wohl nur der ermessen, der mit den deutschen Buchhändlern und der Intelligenz beider Residenzen während des Krieges in Berührung gekommen ist. Als beispielsweise im Frühjahr >918 die ersten deutschen Bücher aus dem Markte in St. Peters burg erschienen, wurden die Scherlschcn u. n. Markbände mit 3.50 Rub. verkauft und fanden reißend Abnehmer. — Gleich zeitig wuchs die Nachfrage nach wissenschaftlicher, schöner und Zeitschriftenliteratur, und das Bedauern war groß, als den Käufern erklärt werden mußte, daß die regelmäßige Einfuhr deutscher Bücher noch nicht möglich sei. Auch der große Biicher- absatz im Ober-Ost-Gebiet nach der Besetzung zeigt, wie groß der Hunger nach dem deutschen Buche gewesen ist. Durch den Krieg und die chaotischen Zustände in Rußland ist allerdings die Kaufkraft der Intelligenz Rußlands stark her abgemindert worden. Sie wird sich jedoch mit der zurück kehrenden Ordnung wieder heben, und unsere vornehmste Auf gabe muß es sein, schon heute Vorbereitungen zu treffen, um uns die bücherkaufende Intelligenz zu erhalten, damit sie nicht dem englischen und französischen Brrchhandel in die Arme getrieben wird. Die deutsche Sprache ist in der bis zur Revolution führen den Oberschicht der Blut- und Finanzaristokratie stets gepflegt worden. Es war Verständnis, ja eine gewisse Liebe für die geistigen Erzeugnisse der deutschen Literatur und Kunst -in die sen Kreisen vorhanden, die gute Käufer waren, namentlich der großen Kunstwerke und des schönen Buches. Auf ihren Gütern 7 ,k hatten sie oft große Büchersammlungen, die mit viel Liebe und Verständnis zusammengetragen waren, und nicht der kleinste Teil der dort vorhandenen westeuropäischen Literatur stammt von den Lagern unserer deutschen Antiquare. Eine zweite große Gruppe von Käufern deutscher Bücher ist die Welt der Gelehr ten, Mediziner, Techniker und Künstler, alles Männer, die das deutsche Buch zu ihren wissenschaftlichen Arbeiten brauchen. Wie arm die russische Literatur an wissenschaftlichen Spezial werken aus dem Gebiete der Medizin, Technik usw. ist, sieht man in jedem russischen Sonderkatalog, der neben wenigen russi- schen Originalarbeiten Übersetzungen, in erster Linie aus dem Deutschen und dann erst aus dem Englischen und Französischen bringt. Viele aus dem Deutschen ins Russische übersetzte Werke sowohl der wissenschaftlichen als auch der schönen Literatur er schienen in großen Auflagen, und noch gibt es vieles, was über setzt werden könnte und in Rußland großen Absatz finden würde. Die letzte recht bedeutende Gruppe Käufer deutscher Bücher sind die russischen Staatsbürger deutscher Nationalität. Wie diese Kreise am Deutschtum fcstzuhalten bemüht sind und welche Rolle das deutsche Buch in ihrem Leben spielt, habe ich von neuem während meiner Tätigkeit als Redakteur der St. Petersburger Nachrichten vom Januar bis Juli 1918 feststellen können. Ich glaube, wir haben das Deutschtum in Rußland immer unter schätzt: cs blüht nicht nur in den beiden Residenzen und in den größeren Städten der Provinz, nein, in fast jeder kleinen Provinzstadt findet man einen deutschen Kreis, der deutsche Literatur pflegt und schätzt, ganz abgesehen von den nach Millio neu zählenden Angehörigen deutscher Kolonien, die als Bücher- käufer in Betracht kommen. Habe ich im Vorstehenden die Kreise umschrieben, die als Käufer des deutschen Buches in Betracht kommen, so will ich im Nachstehenden versuchen, Mittel und Wege zu zeigen, wie wir die durch den Krieg verlorenen Bücherkäufer wisdergewin neu und neue werben können, sowie klarzulegen, welche Auf gaben der deutsche Buchhandel in Rußland zu erfüllen hat. Eine Vorbedingung wäre, daß der Börsenverein bei den bevorstehen den neuen Handelsverträgen mit Rußland darauf hinwirken müßte, daß die Einfuhr von rohen, gehefteten und gebundenen Büchern nach Rußland in allen Sprachen zollfrei erfolgt. Wäre diese Vorbedingung erfüllt, so würde dadurch der Ver trieb von Büchern aus Deutschland wesentlich erleichtert wer den. Die erste Aufgabe des deutschen Buch- und Kunsthandels muß es sein, eine große gemeinsame Werbearbeit in die Wege zu leiten. Ich sage eine gemeinsame Werbearbeit, da dadurch die Sache vereinfacht und verbilligt würde. Zunächst müßte man eine kleine geschmackvolle Werbeschrift, die von der Tätigkeit des deutschen Verlagsbuchhaudels in den letzten fünf Jahren be richtet, zusammenstellen und ihr im Anhänge eine systematische Übersicht der Verleger beigeben, die sich an den Kosten der Werbeschrift beteiligt haben. Es wäre sehr gut möglich, auch das wifscuschaftlichc Antiquariat an der Werbeschrift zu be teiligen und ein Verzeichnis der Antiquariate nach Gruppen unter Berücksichtigung der Spezialitäten beizusügeu. Eine ge wisse Schwierigkeit dürste in der Verbreitung der Werbeschrift unter den deutschlesenden Bücherkäufern Rußlands liegen. So weit cs sich tun russische Staatsbürger deutscher Nationalität handelt, ist für den Vertrieb durch den allrussischen Verband russischer Staatsangehöriger deutscher Nationalität vorgcarbei tet worden, eine brecht starke Vereinigung, der die meisten Deutschen Rußlands angehören. Ebenso haben sich die deut schen Kolonisten z» mächtigen Verbände» znsammengeschlossen, sodaß das Adressenmaterial dieser beiden Körperschaften, das für Vcrtriebszwecke nutzbar gemacht werden könnte, recht um fangreich ist. Um die Werbeschrift unter der dcntschlcscndrn russischen Intelligenz zu verbreiten, würde man sich der deut schen Buchhandlungen in Rußland und der großen Anzahl wissenschaftlicher, technischer u. a. Vereinigungen bedienen müs sen. Ferner müßte die gesamte russische Presse veranlaßt wer den, auf die Werbeschrift und auf das deutsche Buch überhaupt hinzuweiscn. Im weiter.m Verlauf der Werbearbeit könnten sich dann wiederum bestimmte Verlegergruppen, die Fachlitera-