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134,12. Juni 1926. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buckbanbel. gelesen habe und dadurch ihr Tun und Treiben mit Verständnis beobachten kann. Das ist ein trauriger Mensch, der keine Freude am Lesen hat. Die Bücher sind meine liebsten und treusten Freunde. Hoffentlich bekomme ich zu Weihnachten auch schöne Bücher. (Gymnasiast, 13 Jahre.) lila. Zu Weihnachten und zu meinem Geburtstage wünsche ich mir unter anderm immer einige Bücher. In früheren Jahren wünschte ich mir besonders Jndianergeschichten in der Art von Karl May. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man die für langweilig finden könne. Jetzt natürlich wünsche ich mir nicht mehr Jndianergeschichten, sondern ernstere Bücher, hauptsächlich Reisebeschreibungen, so z. B. las ich jüngst Sven Hedins »Zu Lande nach Indien« und »Abenteuer in Tibet«, weiterhin Filchners »Quer durch Osttibet«. Diese Werke sind lehr fesselnd, weil sie nicht trocken wissenschaftlich, sondern volks tümlich und anziehend geschrieben sind. Der Laie kann sie leicht ver stehen und bereichert seine Kenntnisse. Es kann sein, daß wissenschaft liche Bemerkungen van höchster Wichtigkeit sind, Bücher jedoch, welche, wie die obengenannten, für die allgemeine Bildung bestimmt sind, sollen nicht zu gelehrt geschrieben sein. Ein weiterer Vorzug dieser Bücher besteht darin, daß man ihnen wohl unbedingtes Vertrauen entgegenbringen kann. Die Persönlichkeiten der Forscher bürgen für die Wahrheit ihrer Werke. Vereinzelte Jrrtümer kommen vielleicht vor, aber sie sind unbeabsichtigt und höchst selten. Als Gegenteil dient das zwar spannende Buch von Osfendowski: »Tiere, Menschen und Götter«, welches aber von Fehlern wimmelt. — Reisebücher darf man nun selbstredend nicht durchblättern, wie man es etwa bei Zeit schriften macht, wo man beinahe nur die Überschriften liest und die Bilder anschaut. Ich denke immer über das Gelesene nach und suche einen Nutzen daraus zu ziehen; -denn die Bücher, die ich setzt lese, bedeuten nicht nur ein Vergnügen für mich, sondern auch eine Be lehrung. Flüchtig lesen meist nur die Leute, welche sich rühmen wollen, recht viel gelesen zu haben; spricht man aber mit ihnen über die betreffenden Bücher, so wissen sic gar nichts. Die Neisebeschrei- bungen darf man natürlich nicht so lesen. Ich lese sie immer mit der Karte und dem Atlas in der Hand und bin froh, wenn ich eine fremde Stadt oder einen Flußlauf seststellen kann. Ist das betreffende Buch auch zuweilen langweilig, so ist doch das Schlechteste, was man machen kann, Stellen zu überschlagen. Man wird dadurch vollständig aus dem Zusammenhang gerissen, man findet sich nicht mehr auf der Karte zurecht, das Buch erscheint fad, und man muß von vorn an fangen. Ich »arbeite« mich durch jedes Buch durch, mag es auch noch so langweilig sein, und freue mich, wenn ich ehrlich sagen kann: Ich habe das Buch ganz gelesen. (Gymnasiast, 15 Jahre.) III d. Die Kunst zu lesen ist nicht jedem gegeben. Der eine liest ober flächlich, ohne den Inhalt des Gelesenen in sich auszunehmen, der andere liest mit Herz und Verstand. Auch die Geschmacksrichtungen der Leser sind verschieden. Es gibt Menschen, die sich für leichte, lustige Literatur interessieren, während andere ernste oder wissen schaftliche Lektüre vorziehen. — Während ich mich an den sechs Wochen tagen mit Lesen und Studieren meiner Schulbücher beschäftige, ist meine liebste Unterhaltung am Sonntag, ein schönes Buch zu lesen. Besonders liebe ich die Werke Roseggers, in denen der Dichter aus seiner eigenen Kindheit, aus seiner geliebten Waldheimat erzählt. Sehr gut gefiel mir sein Buch: »Als ich noch der Waldbaucrnbub' war«. Ich las es nicht oberflächlich und mit Hast, sondern ver ständig und sinnig, als ob ich es mir selbst erzählte. Es erfreute mich sehr durch seine einfache, natürliche, herzliche Art. Ich sann mich gleichsam hinein in das Leben, in die Gedanken und das Empfinden des Waldbauernbuben. Ja, zuweilen war es mir, als sei ich selbst der kleine Peter. Ich sah vor mir das kleine Haus, den schattigen Wald, die blauen Berge und die grüne Talweide. Vor meinen Augen wandelten im Geiste Vater und Mutter des kleinen Peter. Auch wurde ich mit Vetter Jok, dem Meisenscpp und der Drachenbinderin bekannt. Ich war traurig, denn ich hörte den Vater schluchzen. Es war mir, als läge ich selbst in bitterer Neue neben dem Hiasl unter dem Kreuz. So dachte ich mich in die Person des Waldbauernbuben hinein und teilte Freud und Leid mit ihm. Einen ganz anderen Ge nuß bereitete mir das Buch: »Aus dem Leben eines Taugenichts« von Jos. Frh. v. Eichendorff. Ich bewunderte im Stillen den Tauge nichts, wie ideal er das Leben ansieht. Jedes Blllmlein, jedes Vög- lein hat ihm etwas zu sagen und zu geben. Er genießt die Schön heiten und Wunder der Natur und sorgt sich nicht um den nächsten Tag. Gefällt es ihm nicht mehr an einem Platze, so zieht er weiter. Die ganze Welt steht ihm offen. Er ist ein gutherziger, leicht gläubiger Geselle, dem zum Schluß das Glück in den Schoß fällt. Ich dachte mir bei dieser Erzählung, daß es das Vernünftigste ist, die Freuden, die das Leben uns bietet, mögen sie noch so gering sein, von Herzen zu genießen. Gute Bücher können einer Menschenseele viel Nutzen bringen, sofern sie langsam und denkend gelesen werden. Leider enthält der Büchermarkt aber auch eine Menge seichter und unchristlicher Lektüre, die den Menschen an Seele und Leib schadet. Mein Vorsatz ist darum, nur gute Bücher zu lesen und solche, die mein Wissen fördern und mein Gemüt vervollkommnen. (Lyzeistin, 16 Jahre.) IV a. Viele interessante Bücher habe ich schon gelesen. Einzelne gefielen mir ausgezeichnet. Es freut mich besonders, wenn ein Buch nach meinen Wünschen ausgeht. Sehr gut gefiel mir »König Ludwig ll. und sein Schützling« von Hedwig Brandt. In diesem Buche rührte mich die kind liche Liebe Walpurgas zu dem kranken Könige. Sehr gefiel mir auch die Dankbarkeit des Fürsten, der für jede Aufmerksamkeit des Kindes überschwenglichen Dank empfand. Er fühlte sich verpflichtet, Wal- purga ausbilden zu lassen. Mit Vorliebe lese ich auch Bücher, in denen die tropische Pracht der südlichen Länder geschildert wird, z. B. Robinson. — Man soll langsam und mit Verstand lesen. Viele Men schen lesen nur zum Zeitvertreib. Stellen, die mein besonderes In teresse erregen, schreibe ich mir dann auf. Meine Mutter meint, ich lese zu viel. Das ist oft der Anlaß zu Zwistigkeiten. Ich bin aber der Ansicht, daß ein Mensch nie zuviel lesen kann, denn gute Bücher bilden den Verstand und das Herz. Die Lektüre muß dem Alter entsprechend sein. Ein schönes Buch macht mir die größte Freude. Man Uot mit dem Dichter, sieht im Geiste all' die phantastischen Orte, in denen sich z. B. Märchen und Erzählungen abspielen, und vergißt dabei die öde Wirklichkeit. (Volksschülcrin, 13 Jahre.) IV b. Von jeher haben mir die Reisebeschreibungen Karl Mays sowie die Hefte »Der Jugendfreund« gut gefallen. Das Lesen dieser Werke verschaffte mir nicht nur viele Anregungen, sondern auch Kenntnisse, die mir später von großem Nutzen sein werden. Ich habe dem Lesen der genannten Bücher sicherlich auch zu verdanken, daß ich durch Nacherzählen bei Freunden und Bekannten mir eine Nedefertigkeit aneign-ete, die mir oft schon sehr zustatten kam. Freilich hat mich mancher blutrünstige Titel eines Buches oder eines Heftes schon oft verleitet, es zu lesen, mußte aber erfahren, daß ich einen Gewinn für Schule und Leben daraus nicht ziehen konnte. Aufregende Gedanken, unruhige Träume und sogar Furchtgefühl waren die Folge, dazu der Verlust der wertvollen Zeit, die ich mit dem Lesen solchen Schundes verbrachte. Hs ist deshalb von unschätzbarem Werte, daß mich meine Lehrer und Erzieher auf wertvolle Bücher Hinweisen, damit ich nicht im Dunkeln zu tappen brauche. Aber nicht allein darauf kommt es an, was ich lese, sehr wichtig ist auch, wie ich lese. Zu vieles Lesen auf einmal hat wenig Wert, weil ich gar nicht alles behalten kann, nur kapitelweise merke ich fast jede Einzelheit. Ich denke dann über das Gelesene nach. Beim Lesen habe ich immer den Bleistift in der Hand, streiche mir ohne Beschädigung des Buches interessante Stellen an und finde sie dann leicht beim Nachschlagen wieder. Manche Stel len, die mir besonders nützlich schienen, habe ich abgeschrieben und in einem Büchlein gesammelt. Ich überspringe nie Seiten, auf denen Landschaften und ähnliches geschildert sind, wie es viele machen. Auch ist neben dem geistigen Gewinn die körperliche Gesundheit und Sicher heit nicht zu übersehen. Die Elektrische, die belebte Straße, das Bett usw. sind keine Plätze zum Lesen. Die Bücherausstellung im weißen Saal hat mir wieder viele gute Bücher gezeigt. Ich brauche nur noch jemanden, der mir auch zeigt, wie ich einige Pfennige ersparen kann, um mir diesen Genuß erlauben zu können. (Fortbildungsschüler, 14 Jahre.) Interessant ist eine Zusammenstellung der in diesen Auf sätzen genannten Lieblingsbücher. Von 79 Jungen waren ge nannt: Karl Mays Bücher 23mal, Robinson 14mal, Sven Hedin 7mal, Nibelungen, Kriegsgeschichten, Deutsche Heldensagen, Reife beschreibungen je 6mal, Neues Universum 5mal, Deutscher Jugendfreund 4mal, Gang Hofer 4m al, Ben Hur, Rulaman, Biene Maja, Mark Twain je 3mal, Onkel Toms Hütte, I. Verne, Don Quichotte, Bingo und andere Tiergeschichten je 2mal. 741