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4108 Nichtamtlicher Theil. (v 258, 4.'November. zu den Anfängen des modernen Buchhandels zurückzugchen — und was war der deutsche Buchhandel damals? — so erklärte schon Schiller, daß er sich auf den Buchhandel besser verlassen könne als auf die deutschen Universitäten. In Goedeke'sGeschichte der deut schen Dichtung finden sich zahlreiche unddankenswerthe Notizen über die Einnahmen desDichters undseine Stellung zuden ihnumwerben- den Verlegern. Vom Jahre 1801 an verlangte er für jedes neue Stück beim ersten Abschluß 300 Ducaten. Goedeke's Mittheilun gen modificiren ziemlich erheblich die bekannten Ergüsse über die ärmlichen, dem Dichter selbst zu gute gekommenen Erträgnisse seiner Werke. Ohne Frage hätten sie ihm viel mehr einbringen kön nen; daß dies nicht geschehen ist, lag bei den Manen des großen Dichters sicherlich nicht an seiner Unerfahrenheit, mit Verlegern zu unterhandeln — das hatte ihm sein erster Verleger zu Mannheim beigebracht —, sondern an seinem kurzen Leben. Schiller starb, ehe der wahre Goldregen für ihn beginnen tonnte, und daß seine Erben leer ausgegangen seien, hat meines Wissens noch Niemand be hauptet. Goethe war ein großer Dichter und kein schlechter Geschäfts mann. Durch Sulpiz Boisseree's Vermittelung übergab er nicht etwa das Verlagsrecht, sonder» den zwölfjährigen Pacht des Verlagsrechts seiner Gesammtausgabe in Taschenformat sür 60,000 Thlr. an Cotta. Goethe strebte für diese zwölf Jahre 80,OOOTHlr. an, kam aber bei den verschiedenen Mitbewerbern nicht zum Ziel. Falls innerhalb dieses Zeitraums 20,000 Exemplare abgesetzt werden sollten, war eine Octavausgabe unter den nämlichen Be dingungen vorgesehen, so daß die contrahirende Vcrlagshandlung schon vor Ablaus der zwölf Jahre mit 120,000 Thlrn. gegen Goethe cngagirt sein konnte. Göschen zahlteMüllner sür den„Bngurd" I200Thlr.sür jede der beiden eisten Auflagen. Für das Drama „die Albaneserin" be kam Müllner im I. 1820 — er hat den Contract selbst veröffent licht — von Cotta 3000 Thlr. sächs.; dabei konnte der Autor nach Ablauf von sechs Jahren zu Gunsten einer Gesammtausgabe über die „Albaneserin" von neuem verfügen. Das sind reelle Ziffern, deren Ursprung etwa SO—70 Jahre hinter uns liegt; man übertrage einmal diese Ziffern aus den heu tigen Geldwcrth und in die mehr rasselnde Frankenrechnung! Vielleicht hat sich das jedoch in der Zwischenzeit geändert, und je mehr Verleger entstanden sind, desto mehr wird der deutsche Autor gedrückt. Aehnlichcr Widersinn ist in der That über dies Kapitel im Reichstag behauptet worden. „Vergleichen Sie die Honorare deutscher Romanschrift steller mit den englischen und französischen" — rief Braun. Das geht gewöhnlich so. Wo vom „Loos des deutschen Schriftstellers" die Rede ist, da ist auch gewöhnlich der Romanschriftsteller gemeint. Daraus kann man zweierlei folgern: entweder sind die Roman schreiber die geistigen Leuchten der Ration, denen nicht genug Ocl- »ahrung zugeführt werden kann, oder sie werden ganz besonders schlecht abgelohnt. Hier wird das erstere angenommen, denn das letztere ist nicht thunlich nach dem, „was man sich im Buchhandel erzählt". Kein Schriftstellerkreis ist mehr umworben als dieser, und wie nicht mehr alz recht und billig ist, macht er seine Preise nach dem kolossal ge stiegenen Bedürfniß an Unterhaltungsliteraiur. Die Zeitungen und Journale auf der einen und die Leihbibliotheken auf der anderen Seite verlangen immer nach neuem Lescsuttcr. Zeitungen und Jour nale gehen voran, d. i. der frisch fertig gewordene Roman wird zu erst aus diesem Wege veröffentlicht und dann als Buch. Auf diese Weise kommt cs vor, daß über einen und denselben Roman bis ein schließlich der ersten Buchauflage viermal contrahirt wird, beispiel- weise mit einer Berliner Romanzeitung, mit einem WienerZeitungs- feuillcton, sodann mit einem deutsch-amerikanischen Organ und end lich als Buchausgabe, so daß ein dreibändiger Roman, ohne daß er gerade den Vogel abschießt, bis zur ersten Buchauflage unter Um ständen ein Honorar von S—6000 Thlr. und auch mehr eintragen kann. Und ein solcher Roman entsteht heutzutage ungleich firer, als Goethe das verstand. Bei Arbeiten auf diesemFelde, denen ein besonderer Erfolg zur Seite steht, stellt sich das Rechenerempel noch etwas anders. Mar- litt's Goldelse (25 Bogen stark), zuerst in der „Gartenlaube" ver öffentlicht, hat bis jetzt der Verfasserin etwa 7000 Thlr. ein getragen, binnen Jahresfrist, wo voraussichtlich 21,000 Exemplare abgesetzt sein werden, wird das Honorar die Höhe von 7935 Thlr. erreicht haben, und die jetzige Auflage wird doch nicht die letzte sein. Wo bleibt da der vielverschlungene Marryal! Von dem buchhänd- lerischen Freunde eines sehr bekannten Unterhaltungsschrislstellers, der nicht im hochdeutschen Idiom schreibt, ist mir berichtet worden, daß derselbe innerhalb fünf Jahre 70,000 Thlr. von seinem Verle ger erhalten habe. Obschon die Quelle eine glaubwürdige ist, gebe ich diese Notiz doch unter Reserve. So einträglich der Roman dem Autor ist, so wenig Ansehen genießt bei der vielen, die Honorare steigernden Concurrenz der Romanverlag im Buchhandel. Mancher unerfahrene Neuling hat hier, aus bekannte Namen ausgehend, nach französischer Art „Bouillon trinken" müssen. Einzelne Ausnahmen abgerechnet, wo Tradition und Zufall ihre Rolle spielen, muß daher hier eine sehr combinato- rische Verlagsthätigkeit entfaltet werden, wenn ihr nicht bei Zeiten der Athem ausgehen soll. Wie kläglich dagegen im Vergleich mit dem Romanschriftsteller ist die Stellung des dramatischen Dichters! Welcher Verleger würde es heutzutage wagen, selbst bei einer hervorragenden Leistung auf 10,000Exemplare zu contrahircn, wie esCotta bei Müllncr's Alba- neserin that? Wie hat sich in dieser Beziehung der Sinn des Publi- cums geändert! Steht kein Bühnenerfolg zur Seite, so hat selbst das wahre und echte Dichterwerk Noth, bei den bescheidensten oder auch gar keinen Ansprüchen in würdiger Form zur Publication zu gelangen. Die wissenschaftliche Literatur der verschiedenartigsten Zweige und Bchandlungsweisen weist wiederum bei uns Autoren nach, welche sich mittelst ihrer Schriften entweder ansehnliche Ver mögen erworben oder mindestens sich und ihren Familien schätzbare Renten gesichert haben. Aus den Naturwissenschaften, der Medici», Jurisprudenz >c. ließen sich hierfür zahlreiche Beispiele anführen — zumal, wenn die Verleger etwas mitlheilsamer sein wollten. Vor kurzem wurde in einem Londoner Literaturbcricht der Augsburger Allgemeinen, der übrigens keinen sehr kundige» Eindruck machte, die Behauptung aufgestellt, daß im „praktischen" England wissen schaftliche Mcdicin von den Verlegern nicht honorirt werde. Vom deutschen Geschäftsstaudpunkte erscheint eine solche Behauptung geradezu als unsinnig. Wenn gegenwärtig Jemand in Deutschland die Neugründung eines wissenschaftlich-inedicinischen Verlagsgeschästs im größer» Style sorciren wollte, so würde er zwischen wahre Mühlsteine von Concurrenz gerathen, welche die vorhandenen Fach verleger im Norden, Süden und in Wien bereiten. Daß daneben die populärwissenschaftliche Literatur auch nicht leer ausgeht, zeigt der bekannte Familien-Rathgebcr, Bock's Buch vom gesunden und kranken Menschen (in letzter Auflage 60 Bogen stark), welches in 109,000 Exemplaren verbreitet, dem Autor bis jetzt die Summe von 42,000 Thlrn. eingetragen hat. Doch hier von neuem die Kehrseite der Medaille — diejenigen Männer der Wissenschaft nämlich, welche entweder auf geschäftlich schwierigen Gebieten thätig sind oder neben der großen Heerstraße der Wissenschaft neues Forschermaterial im Schweiße ihres An-