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I? 258 , 4. November. Nichtamtlicher Tkeil. 4107 alles sagt; sic ist auch meist der Anknüpfungspunkt jener öffent lichen Bemängelungen eines Geschästswesens, das man vernrlheilt und im Aetienwege resormircn will, ohne von seinem Wesen und feiner Bedeutung einen Begriff zu haben. Das „Loos des deutschen Schriftstellers" möge deshalb hier den Schluß bilden, »nd zur Würdigung des Nachstehenden werden die vorangegangenen Bemerkungen über das Ausland keinen unnützen Commentar bilden. Der Abgeordnete Braun rief dem Reichstage emphatisch zu: „Vergleichen Sie doch einmal die Honorare, die ein französischer und ein englischer Romanschriftsteller bekommt, mit denjenigen, die ein deutscher bezieht." Die deutschen Honorare nannte er nach einigen vergleichenden Bemerkungen über deutsche und französische Autoren — „allen wirthschastlichen Interessen Hohn spre chend". In Bezug auf die glänzende Stellung der französischen Schriftsteller, einige wenige für die Allgemeinheit unmaßgebliche Fälle abgerechnet, wäre wünschenswerth zu wissen, aus welcher Quelle Braun seine Materialien für die Reichstagsrede geschöpft hat. Vielleicht findet sich der Schlüssel in folgender Stelle eines neueren französischen Autors. Proudhon in seiner Schrift: „I-ss mngornts litlörniiso" sagt Se. 108 ungefähr wie folgt: „Die Kunst, ein Manuskript zu verwerthen und die Neugierde des Publikums aufs äußerste zu span nen, wird bei uns mit unerhörtem Raffinement betrieben. Zunächst eristirt keine Kritik; Journale und Revuen (für welche in Paris bei großen Sensationsunternehmungen ein sehr fetter Bissen für Reclamen abfällt) sind dieHelfershelfer der literarischenSpeculation. Das Hauptmittel aber, Erfolg herbeizuführcn, ist der hohe Preis, zu welchem sich ein Autor angeblich verkauft hat. Man berichtet, daß dieses oder jenes geheimnißvoll angekündigte und ungeduldig erwartete Werk nun endlich erscheinen werde; der Autor erhalte von seinem Verleger ein Honorar von 100,000 , 200,000 oder auch 500,000 Frcs. Wie es scheint, sind ähnliche Abschlüsse zwischen Verlegern und Autoren in der That vorgekommen. Der öftere Fall aber, wovon man das Publicum wohlweislich nicht unterrichtet, ist der, daß jene fabelhafte Summe von einem Consortium, in wel chem der Autor die Hauptperson spielt, zu zahlen ist, und kommt es dann zur Abwickelung des Geschäfts, so hat sich der Autor mit dem zehnten Theil des in der Reclame ausposaunten Honorars zu begnügen. Eine große Honorarziffer, wenn auch durchaus nominell, ist es, was unseren Schriftstellern am meisten schmeichelt! Man zieht deshalb den Charlatan, welcher 100,000 öous verspricht, um bald danach Bankerott zu machen, dem ernsthaften Verleger vor, der 50,000 Frcs. blank aus den Tisch legt. Zuweilen kommt es vor, daß junge Buchhändler, geblendet durch große Namen, so ein tolles Geschäft reell abschließen und dann den Ruin finden. Im französischen Buchhandel nennt man das: „tzoirs un bonillon"." So Prondhon, nur noch in etwas prägnanterem Französisch, und Proudhon war ein Mann von literarischem Anstand und Ge wissen. Die so zu Stande gebrachten Gründer-Reclamen werden nun von unseren deutschen Blättern für blanke Münze genommen und als dankbarer Feuilletonstofs mit sentimentalen Betrachtungen über das „Loos des deutschen Schriftstellers" in Umlauf gesetzt. Um an ein Beispiel zu erinnern: so berichtete im Jahre 1861 — selbstverständlich, ehe der Roman erschien — ein deutsches Blatt, Victor Hugo erhalte für seinen Roman ,,I-es misörnblss" 1,400,000 Frcs. Honorar. Die „Europa" sprach nur von 400,000 Frcs., so auch der Londoner „Loolrsollsr". Also eine Million Unterschied. Was mag nun Victor Hugo von seinem Brüsseler Verleger wirklich bekommen haben? Man wird mir die Berechtigung dazu nicht ab sprechen wollen, wenn ich annehme, daß Braun, natürlich unbcwußi, aus solchem Qucllenmatcrial geschöpft und damit dem ihm gläubig zuhörende» Reichstag ausgewartet habe. Einzelne Spitzen abgerechnet, ist die Stellung des französischen Schriftstellers eine notorisch schlechte und unzuverlässige. Bei dem eben erfolgten Tode Theophile Gautier's spricht die „Kölnische Zei tung" von dem „glänzende» Elend", worin sogar theilweise die Spitzen der französischen Romantik in Paris eristirt hätten. Der Selbstverlag ist in Frankreich auch mehr ausgebildet als sonstwo. Spazier in Paris, der zu Ludwig Philipp's Zeiten eine sehr um sichtige und eingehende Charakteristik des französischen Buchhandels lieferte, nahm als zweifellos an, daß der deutscheBuchhandeljährlich mindestens das Vierfache an Schriftsteller-Honoraren zahle, was der französische Buchhandel zahle, der nur hohe an einzelne be willige und nichts dabei verdiene. Jndeß mag Braun sich trösten. Es scheint nämlich, daß man anderwärts noch schlimmer angelaufen ist. Jedenfalls gestützt auf die öfteren Mittheilungen jener Art aus Frankreich, veranstalteten vor länger als dreißig Jahren englische Schriftsteller eine En- quste, um die Ursache zu ermitteln, weshalb das englische Schrift steller-Honorar so außer allem Verhältniß niedrig gegen die Bezah lung französischer Autoren sei. Mir ist nicht bekannt, zu welchem Ergebnis; diese Untersuchung gediehen ist. Möglicher Weise kam man der Sache auf den Grund und hatte damit hinreichend Veran lassung, von der Enquöte nicht weiter reden zu machen. Aus der Darlegung der damaligen Commission, die in deutsche Blätter übergegangen ist, erhellte eine keineswegs glänzende Dnrch- schniltsstcllung des englischen Schriftstellers. Zur Verherrlichung des Amerikanerthnms bringt Carey in seinen oben besprochenen I-sttsrs ebenfalls verschiedene Materialien über die Honorare in England bei, die das bestätigen, und bemerkt, daß selbst Capt. Mar- rhat ihm persönlich versichert habe, niemals ein Honorar in England empfangen zu haben, welches dem Ladenpreis von Tausend Erem- plaren gleichkomme; ganz natürlich, wenn die Auflagen nicht höher als 1500—2000 Eremplare vom Verleger gegriffen werden konnten. Von Bulwer soll nach ihm, wenigstens bis dahin, das Nämliche ge golten haben. Trotzdem halte ich dafür, daß von allen Ländern England einzelnen seiner Autoren auf längere Zeit die größten Einkünfte zugesührt hat. Ich erinnere an Walter Scott und Dickens, beides große specnlative Geldmänner, lieber Dickens, der ein bedeutendes Jnseratgeschäft gemacht haben mag, findet man Näheres über die Art der Steigerung seiner Einkünfte bei Carey, in Bezug auf Scott erinnere ich an den Passus, den ihm Gervinus in der Geschichte des 19. Jahrhunderts widmet. Anderer Art ist Macaulay, der Nebeneinkünfte wie z. B. aus der llebersetzung sogar verschmähte, und dem Longmans in London für seine llistorx ok klnglnnel ein Honorar gezahlt haben, wie es wohl schwerlich jemals ein deutscher Historiker empfangen hat. Doch haben wir auch keinen Geschichtschreiber, der unserem Volke so familiär ist, wie Macaulay den Engländern. Auch bleibt bei solchen außergewöhnlichen litera rischen Erfolgen zu berücksichtigen, daß die englische Sprache von allen Sprachen der Welt das größte Territorium beherrscht und außerhalb derselben noch überall von Gebildeten verstanden wird, die nicht einige Brocken Deutsch zu bemeistern im Stande sind. Außer den hier genannten Beispielen gibt es noch eine Anzahl an derer Namen in England, deren glänzende Honorirung durch glaub würdige Ziffer» verbürgt ist. Was aber die Durchschnittsbezahlung englischer Schriftsteller betrifft, so kann Deutschland kühn damit in die Schranken treten, und Deutschland honorirt mehr Schriftsteller als England. Die deutschen Honorare haben dieEigenthümlichkeit für sich, daß sie im voraus nicht mitgetheilt werden, und daß man auch spä ter selten etwas darüber ersährt. Um mit einigen Daten bis etwa 556*