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Tageblatt. «r. 177. Sonntag, den 2. August 1814 41. Jahrgang MM M HcWmMWln Ameisn Gerettet. Novellette von A. Hinze. (Nachdr. verboten.) Jin Blumenpavillon der Kunst- und Han- dclsgärtnerei von Martin Wenk ging die Klingel. „Su — se, fix!" schrie im Hausflur Frau Wenk, die etwas schwerfällig war. Und schon huschte ein schlankes, bildhübsches Mädel an der Mutter vorbei, durch die offene Haustür hin zum Verkaufspavillon in der Mitte des großen Vorgartens. Heute stürmten die Käufer ja förmlich den Pavillon! Das gab eine gute Einnahme! Der kinderreiche Haushalt aber kostete auch nicht wenig, trotz aller Einschränkung. Sieben ge sunde Mäulchen, Vater und Mutter und ein Gehilfe. Mehr als einen zu halten, warf das Geschäft nicht ab. Der „Neue aber war ein tüchtiger und patenter Mensch, an dein hatte Wenk eine wirkliche Stütze. Er hieß Josef Kraus und war vom Rheine her. Er hauste in dein GehiHenhäuschen, das Wenk einst selbst aufgeführt. Es bestand nur aus einem Stübchen und grenzte an die Ge wächshäuser. In ihrer feuchtschwülcn Atmosphäre ge diehen prächtig die Topfpflanzen, Pelargonien, Begonien, Gloxinien und Fuchsien in den herrlichsten Farbenschattierungen, Azaleen und Kamelienbäumchen, Alpenveilchen, blühende Zitronenbäumchen, Kirschlorbeer- und Gummi bäume, mit frischglänzenden Blättern. Aspi- distras in wunderschönen Exemplaren und Nie- sen-Phönixpalme entzückten hier den Liebhaber und Käufer. Die Gewächshäuser umsäumten den weiten Hofplah, dahinter das freie Land lag, wo unter Glaskästen die Sämlinge zum Treiben ausgestellt waren und, in Feldern abgetcilt, der Sommerblumcnflor sich dehnte. Am Ende dieses Gartenlandes floß der Fluß vorüber, der die Vorstadt durchschnitt. Vom Hofplatz her scholl Kinderlärm. „Fritze und Klein-Willi sollen nicht mit- spiclen, sie sind noch zu dumm!" begehrte der neunjährige Rudolf auf. Trude, die Sechs jährige, stimmte mit ein: „Die sind noch zu dumm!" Die also Abgekanzelten hatten offenbar be griffen, denn sie erhoben ein Geschrei, als würden sie aufgespießt. Jetzt schoß Martin Wenk aus dem Ge wächshaus hervor. Er war beständig in Eile. Sein bärtiges, sonngebräuntcs Gesicht mit den etwas wildblickenden Augen, dazu der Gari baldihut, den er stets trug, und seine hasti gen Bewegungen gaben ihn, etwas Räuber hauptmannmäßiges. In Wirklichkeit aber war er ein biederer Thüringer, den nur ein Ueber- maß von „Orbeit" und die Sorge um die große Kinderschar leicht aufgebracht machte. „Wenn Ihr nicht sofurt Ruhe gebt, kummt Ihr z' Bett!" drohte er. „Fritze uno Klein- Willi schauen aus wie die Schurnsteinfäger! Rudulf, bring' sie mal geschwind unter d' Wasserleitung! Trude, Du hilfst jetzt Papa bei der Orbeit! Trag' mal fix die Tontüpfe, die ini Grünhaus stehen, herbei! Vier mit'm mal, kannst Wohl tragen! — Bau — le!" Wenk hatte die Hände zum Schallrohr gefügt und rief jetzt abermals mit Stentorstimme: „Bau - le!" „Ja, Papa, wir spielen man bloß „wilden Mann"!" scholl von fern eine frische Knaben stimme. „Du kummst sofurt, oder ich will Dir zei gen, >ver der wilde Mann ist!" Das half. Während Rudolf mit langem Gesicht die beiden Kleinsten fortschleifte, Trude ins Grünhaus sprang, kam der zwölfjährige Paul angejagt. Eine alte Matte als Schurz fell umgchängt, einen grün und weiß schil lernden Tontopf umgestülpt auf dem Kopfe, in der Hand Speer und Schild. Um die Hofecke spähten kichernd die Spielgefährten nach ihrem Hauptmatador aus. Fünf Minuten später war es, als der Kunstgärtner in der offenen Pavillontür stand und den Gehilfen Kraus herbciwinkte, der im Vorgarten auf abgeblühten Rabatten neue Blumenpflanzen in das Erdreich setzte. Josef Kraus war ein schmucker Mensch. Rank und schlank, mit männlich-festen Ge sichtszügen, einem krausen Haarbusch über der Stirne und sprechenden blauen Augen. Eil- fertig kam er herbei. „Furt mit dem Plunder! Mach Dich sau ber, Du füllst den Girschlorbeer nach der Frau Professor Sörensen bringen, Kraus Hot kein' Zeit." „Martin — Martin!" ertönte in diesem Augenblick vom Hause her Frau Wenks Stim me. „Guck' doch bloß einmal in den Pavil lon! Ich kann von, Herd nicht fort, halt' aber die Unruhe nicht länger aus. Die Suse ist vor 'ner halben Stunde in den Pavillon gegangen, aber nicht wiedergekommen —" „Sllnd holt wohl Kunden do . . . ." „Dann wär' doch die Klingel gegangen! Es sind keine da. Aber so geh' doch, Mann!" „Was gibt es, Herr Wenk?" Die Frage blieb ihm in der Kehle stecken, als er das verstörte Gesicht seines Herrn er blickte. Stumm wies dieser in den Pavillon. Hier lag mit geschlossenen Augen und farblosen Lippen ohnmächtig Suse. „Helfen Sie mir, das Kind ins Haus zu schossen. Hob' keine Ahnung, wos do sein kann. Diesen Bestellzettel hielt sie in der Hand —" „Vor einer halben Stunde war ein Diener in Livree hier, Herr Wenk," sagte Kraus leise. Und er las: „Zu morgen vormittag 11 Uhr eine In nendekoration für einen Brautvisitenwagen, Prince noir- und Marschall-Niel-Rosen. Staatsanwalt Rasmuß, Villa Germania." „Dos ist der neue Stootsanwalt, der von auswärts hierher gezogen ist. 'n reicher Mann, sogen d' Leut' — —. Sie Wullen die Suse trogen ins Haus? Ist brav und Wohl auch das g'scheidst. Ich lauf' voraus und sog's meiner Frau — die halt' schon 'ne böse Ohnung." Josef Kraus, nun ist der Augenblick ge kommen, wo du die reizende Suse Wenk in den Arinen hältst! Gewünscht hast Du es Dir mit heißem Herzen, hast Dir ausgemalt den Moment und seine Süße, denn im Sturm hat das Mädel dein Herz gesangen, bist ja erst vier Wochen im Hause! Und nun? Wie anders schaut die Wirk lichkeit aus! Bekümmert und finster dazu blickst du auf die herzige Last nieder, finster, weil dir die innere Stimme sagt, es gibt einen, um den leidet sie jetzt . . . Die Schulmappe schwenkend, stürmte bald darauf die vierzehnjährige Elli ins Haus. Der Hut flog an den Riegel, die blonden Hängezöpfe in den Nacken, und schon scholl es wichtig-aufgeregt über den Hausflur hin: „Mutti, bist wohl in der Küche? Ich hab' 'ne Neuigkeit für die Suse, wird ihr schlecht gefallen! In der Schule haben sie erzählt, daß der Herr Assessor Bindemann sich mit Fräulein Erna Rasmuß, der Tochter von dem reichen Staatsanwalt, verlobt hat!" Eine Zimmertür öffnete sich, und der kleine Rudolf schlüpfte heraus. „Elli, Du sollst den Mund halten, hat Mutter gesagt. Suse ist nämlich krank gewor den, wer weiß, ob sie überhaupt wieder leben dig wird." Diese Schreckensaussicht erfüllte sich gottlob nicht. Blaß und still, aber doch mit leidlich gefaßter Miene saß Suse eine Stunde später mit der Familie am Mittagstisch. Den Kin dern war eingeschärft worden, nicht an die Sache zu rühren. Die Mutter beherrschte die etwas beklommene Stimmung, indem sie eine lebhafte Unterhaltung mit Kraus anknüpfte, der mit am Tische saß. Wie immer, wenn sie innerlich erregt war, sprach sie viel und hastig. Dazwischen aber irrten ihre Gedan ken ab. Daß die Liebelei des Assessors Bindemann mit Suse nicht zur Heirat führen würde, hatte sic ja dem Kinde immer gepredigt! So einer wollte ja höher hinaus! Aber die Suse war ja vernarrt in den Menschen und Vernunfts gründen nicht zugänglich gewesen. Verbieten hätten die Eltern dies Techtelmechtel müssen. Aber schließlich hofften diese selbst, daß ihre reizende Suse Frau Assessor werden würde. Vorgehen ließ sich gegen diesen nicht, denn cs war ja nur ein Flirt gewesen — mehr gottlob! nicht. Das änderte aber nicht, daß die Suse ihr Herz gehangen an den Treu- losen und nun natürlich totunglücklich war. . Langsam stieg der Rauch ans dem Schorn » « Allerlei Kurzweil. » « Dentfprüche. Im Leben geht's nicht ohne Kampf, Denk' nicht, ihn zu vermeiden, Ring' mit der Welt um deinen Platz, Doch lerne dich bescheiden. * * * Um böse Zeiten jammre nie, Verbcssrc oder dulde sie, Und lege nichts der Zeit zur Last, Was selber du verschuldet hast! Rätselecke. Rätsel. 1. Wir sind's gewiß in vielen Dingen, In vielen aber sind wir's nicht, Die sind's, die wir zu Grabe bringen, Und eben diese sind es — nicht. Wir sind es eben, solang wir leben, An Geist und an Gesicht. Und weil wir leben, sind wir's eben Auch wieder nicht. — 2. Mit meiner Erste» haut man, Ans meine Zweite bant man; Mit mir spielt man Komödie Bei mancher Haustragödie. Worträtsel. Dem Lande bringt sie Unheil nur; Jntrigucn zeichnen ihre Spur. Und weh dem Fürsten, den sic umspannt. Doch wenn daraus ein Maß entschwindet, So ist's als Name wohlbekannt. Palindrom. Auf Heiden, in Wäldern, Auf Bergen, im Tal, In Wiesen und Feldern Steh ich überall. Nun leset die Zeichen Von rückwärts daher, Dann Armen und Reichen Ich Ruhe gewähr. Scharade. Im ersten gehst du ein und aus, Das And're geb' dir Gott ins Haus. Das Ganze zieret oft die Wand, Gefertigt von geschickter Hand. Buchstabeu-Rätsel. Mit M, mit D erregt es gar oft Streit; Steht B voran, so ists in Mensch und Tier; Veginnts mit L, bedeckt es Felder breit; Mit W dient es zur süßen Labung dir; Mit S kommts manchem unerträglich vor, Wenn das mit P stets mehr und mehr sich häuft. Mit N ertönt cs traurig unserm Ohr, Wenn es des Herzens Wunsch zuwiderläuft. Gar oft der bitteren Täuschung unterliegt, Wer das mit Sch als Wahrheit leget aus. Die Silb', die allem dem zu Grunde liegt Ist Grundstein auch des ganzen Zahlenbaus. Lauschrälsel. Bin kurz von Namen und Lauf, Bald nimmt ein schöner Strom mich auf, Doch stets von Anfang bis zu Ende Biel Reichtum ich und Segen spende. Stell um der Laute letztes Paar: Ich war eine Weile unfruchtbar, Fügst Du ein Doppelherz mir ein, Werd ewig ich unfruchtbar sein. «Uder-RStsel. (Auflösungen in nächster Nummer.) rluffSsunge« a«S Nummer 30. Des Rätsels: Studenten — Sudeten. Des Abstrich-Rätsels: Walzer — Walze — Des Logogriphs: Ammer — Jammer — Ham mer — Kammer. Der zweisilbigen Scharade: Windspicl. Des Homonyms: Eier — Leier. Des Scherz-Rätsels: Glocke — Locke. Des Bilder-Rätsels: Kannibalen. LillLer-Ieitnz Nr. 31. Redaktion, Druck und Berlag von Horn L Lehmann, Hohenstein Ernstthal. 1914. -«> -8- -K- Der Dau. -«> <8- n Wenn alles Feierabend macht, Da kommt der Tau um Mitternacht Ganz still und mild aus Gottes Hand Herab aufs durstge dürre Land Und macht die Blnmen wieder frisch Gießt Balsamtropfen aufs Gebüsch, Erquickt die Wiese, Au und Flur Und stärkt die schlafende Natur. Das tut der Tau in stiller Nacht, Wenn alles schläft und nichts mehr wacht — Der Tugend gleich, die mild und gut Auch nur im stillen Gutes tut. Frau Kröte Von Marie Be Vielleicht habt ihr schon einmal das schöne Lied gehört, das sogar von einem ganz berühm ten Dichter herstammt und so anfängt: „Eine Wafsermaus und eine Kröte Gingen eines Abends späte Einen steilen Berg hinan . . ." Wenn euch das Paar auf seinem Spazier gange begegnet wäre, würden viele von euch sich gewiß entsetzt haben und ihm aus dem Wege gegangen sein, denn Frau Kröte und ihre Verwandten sind wirklich häßlich, so häß lich, daß törichte und unwissende Menschen sogar glauben, sie seien giftig und verübten allerlei Schandtaten; denn, so meinen sie, ein Tier mit einem so plumpen, warzen bedeckten Leibe, einem so breiten Maule, so vorquellenden Augen, das bei Tage meist träge herumsitzt, aber bet Nacht äußerst lebendig wird und eifrig und gelenkig umherhüpft und -läuft, müsse sicherlich auch allerhand Heim liches und Böses tun; und deshalb wurde und wird die arme Kröte noch heute von so törichten Leuten ganz unschuldigerweise ver folgt und, wenn sie sich blicken läßt, fortgejagt. Und doch trügt auch hier der Schein. Für ihre häßliche Gestalt kann die arme Kröte ja nichts, sie hat sie sich ja nicht selber gegeben; aber ihr Charakter ist gerade das Gegenteil von dem, was unwissende Menschen ihr nach sagen. Könnt ihr euch wohl denken, daß in England und auch in Frankreich Kröten in großen Mengen gesucht und gekauft und in hne. (Nachdruck verboten.) Gärten ausgesetzt werden, damit sie diese von Ungeziefer reinhalten? Frau Kröte ist näm lich die geschworene Feindin alles Ungeziefers; Raupen, Schnecken, Würmer, Käfer jagt sic wie der Jäger das Wild und fängt sie mit so erstaunlicher Geschicklichkeit, wie man ihrem schwerfälligen Gange gar nicht zugetraut hätte. Uebrigens ist sie nur an Hellen Tagen so schwerfällig, weil die Sonne ihr unangenehm ist, vermutlich sie blendet. An trüben Tagen, wo der Himmel bedeckt ist, nnd abends, nach dem die Sonne zur Ruhe gegangen, kommt sie hervor aus ihren Schlupfwinkeln, die sie gern in und unter Steinhausen, Mauern, Buschwerk, kurz überall da, wo sich ein ziemlich dunkles Versteck bietet, anlegt. Und ist die Sonne untergegangen, das für Frau Krötin allzu Helle Licht von der Erde verschwunden, dann wird sie lebendig. Einige Mitglieder der Fa milie laufen dann ganz schnell, andere Hüpfen wie Frösche, mit denen sie ja auch verwandt sind; wieder andere können ganz vortrefflich schwimmen und suchen sich ihre Nahrung zu Lande und zu Wasser. Brausen die kalten Herbstwinde, so ziehen sie sich in ihre Höhlen zurück oder graben sich tief in die Erde ein, wo sie dann bewegungslos den Winter über liegen. Eine Verwandte der Frau Kröte, die gern in unsern Kellern wohnt und sie von Unge zieferreinhält, ist die Unke, die auch in Morästen, Sümpf«,, Teichen und dergleichen Wohnung