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01-Ausgabe Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 02.08.1914
- Titel
- 01-Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-19140802011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-1914080201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-1914080201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-08
- Tag 1914-08-02
-
Monat
1914-08
-
Jahr
1914
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stein der Gewächshäuser in die stille Abend lüft und verbreitete jenen eigentümlich herben Geruch, der entsteht, wenn mit Reisern geheizt wird. Die brennende Laterne in der Hand, schritt Josef Kraus um die Ecke der Gebäude und betrat das dahinterliegende, weite Gar tenland. Es war bereits dunkel und der Himmel bedeckt. Neber dem Fluß, ani Ende des Terrains, durchdrang an einer Stelle den Horizont ein verschleierter Glanz. Wie ein großes Glühwürmchen glomm das Licht der Laterne bald hier, bald dort auf. Dann erlosch es. Die Arbeit war endlich be endet, endlich auch für Kraus Feierabend. Schwingende Glockenschläge hallten von der Stadt, jenseits des Flusses, her — 10 Nhr! Da wollte er noch ein Stündchen die herrliche Sommerabendluft genießen. Bis herher drang der Rauch nicht; hier dufteten süß und schwül die Nelken und Levkojen, die weißsternigen Zigarrenblumcn, frühe Reseden und Helio trops, die in langen Reihen blühten. Heim lich und traut tönte das Zirpen der Grillen durch Dust und Schweigen. Kraus liebte die Abendstimmungen in der Natur, zumal zur Sommerszeit; wer da jung ist, dem wachsen seiner Seele Flügel. Heute aber, heute schienen seine Schwingen gestutzt; der Aufflug der Gedanken nach des Tages Mühen wollte ihm nicht gelingen. Ein dump fes Qualgefühl war in ihm; unruhig kreisten die Gedanken immer um das eine, dessen Zu sammenhang er erriet: Susanne Wenk litt nm denjenigen, der morgen mit einer anderen in dem blumengeschmückten Wagen Brautvisiten fuhr. So grübelnd, war der junge Mann den schmalen Seitenpfad hinabgeschritten bis ans Nfer, das von Weiden eingesäumt war. Die Wolken hatten sich zerstreut. Aus dem ver schleierten Glanz am Himmel trat eben in bieichschimniernder Größe der Mond hervor, warf sein magisches Licht auf die kleine Land zunge, die vom Ufer ins Wasser führte und auf die Gestalt, die auf der äußersten Spitze stand und in die Flut starrte. Jetzt hatte Kraus die Gestalt entdeckt, denn sie war die einzige im Umkreise. Still lag der Fluß; dort, wo der Mond sein Bild hin- cintauchte, ruhten Seerosen auf der klaren Fläche. In den Weiden raschelte es leise; ein Fuß hatte zwischendurch gesetzt. Jetzt stand Kraus aus der Landzunge, hinter der Gestalt dort, und legte den Arm um sie. — „Erschrecken Sie nicht, Fräulein Wenk, und verzeihen Sic mir meine Dreistigkeit. Ich sah Sic hier stehen und fürchtete, Sie könnten abgleiten. Ich Rheinländer sollte eigentlich das Wasser lieben," fuhr er lebhaft fort und tat, als sehe er ihr bleiches Erschrecken nicht. „Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil. Diese Abneigung rührt her von einer Episode, einer traurigen, die ich erfuhr." Er hatte ihren Arm in den seinen gelegt und führte sie mit sanfter Gewalt ans Ufer. Als werde es ihr schwer, mit den Gedan ken sich zurückzufinden, fuhr Susanne sich über die Stirn. Sinne und Glieder waren ihr wie gelähmt; ihre Füße zitterten, als sie mit inneren. Widerstreben ihrem Führer gehorchte. Aber es war etwas eigentümlich Zwingendes in seiner Art, daß sie folgen mußte. Aber auch zart und fürsorglich war er, und diese Fürsorge und dieses Zwingende zugleich tat ihr in ihrer Haltlosigkeit wohl. „Auch Sie — haben — schon — Schwe res erlebt?" brachte sie, nur um doch etwas zu sagen, hervor. „Miterlebt, liebes Fräulein. Aber vergessen werde ich es nie." Und unaufgefordert er zählte er: „Wir waren Nachbarskinder und Spielge fährten, die hübsche Lisbeth und ich. Als wir erwachsen, trennten sich unsere Wege; mitunter aber fanden wir uns noch zusammen zu einem Schwätzchen. Ausgelassen lustig war die Lisbeth geworden, und immer schöner blühte sie auf. Das mache das Glück, sagten die Leute — ein angesehener Mann und vor nehmer Herr liebe sie nnd wolle sie zu seiner Frau machen. Und dann schüttelte man den Kopf über das Unerhörte: die Eltern Lis beths, schlichte, klarblickende Leute, wollten nicht einwilligen in die ungleiche Heirat. Eines Abends rettete ein Passant das Mäd chen aus den, Fluß, darin es den Tod ge sucht, weil sein Lebenswunsch ihm versagt bleiben sollte. Was vorauszusehen war, geschah: die El tern gaben jetzt ihre Zustimmung, und Lis beth heiratete richtig den vornehmen Herrn. Drei Jähre vergingen. Ich war inzwischen aus der Heimat gegangen, hatte die Lisbeth und ihr Hciratsavancement fast vergessen. Da erhalte ich „„längst einen Brief von daheim. Der schloß: die Lisbeth Volkers ist jetzt zum zweiten Mal in den Fluß gegangen, und diesmal hat sie den Tod darin gefunden. Sie hatte das Leben an der Seite ihres Gatten, der seine Wahl bereut hat und alle Rücksicht gegen sie fallen ließ, nicht ertragen können." Der Erzähler schwieg. Er hörte, daß seine Begleiterin schwer atmete, und ließ ihr Zeit, sich zu sammeln. Und er — wie er so das junge, blühende Leben an seinem Arm spürte — bedurfte der Sammlung auch. Sie schritten das Gartenland aufwärts, dem Hause zu. Mondstrahlen irrten über den Pfad und die Nelken und Levkojen dufteten berauschend in der warmen Sommernacht. Eine Hand stahl sich aus Kraus Arm. In ehrlichem Vertrauen blickten zwei Augen zn ihn, ans, zwei heißgeliebte Augen, lind nm, flüsterte sie: „Ihre Erzählung hat — mir — einen gro ßen, großen Dienst geleistet — ich danke Ihnen." „Wenn das wahr ist, dann ist die arme Lisbeth nicht umsonst gestorben!" rief er glück lich. „Wolken ziehen vorüber. Sehen Sie" — seine Hand wies auswärts — „die Sterne tre ten hervor! Auch Ihnen, Fräulein Suse, wer den die Sterne wieder leuchten." Er fühlte einen brennenden Tropfen auf seiner Hand. Dann glitt sie an ihm vorbei ins Haus. Du hast sie gerettet — für dich. . rief die Stimme seines Innern. Und er sah im Geiste die Zukunft aufsteigen und über ihr einen Himmel voller Sterne . . . Eingesandt. (Für Einsendungen unter dieser Rubrik übernimmt die Redaktion nur die preßgesrtzliche Verantwortung.) Ei« Glanzpunkt der Münchener Ausstellung „DaS GaS". Hoch über den, weiten Eingänge einer offenen Haupthalle grüßt uns in weiß leuch tenden Riesenlettern das Wort „Auer". Wir betreten die Abteilung der Ausstellung, die unter dem Zeichen dieses weltbekannten Na mens steht, mit den höchsten Erwartungen — und wir werden nicht enttäuscht. Das Neueste und Vollkommenste, was die moderne Be- leiichtmigs- und Gastechnik geschaffen hat, wird uns hier in mustergültiger Aufmachung vorgeführt mit instruktiver und klarer Hervor hebung und Betonung aller technisch, ökono misch und künstlerisch wichtigen Momente. Der größere vordere Hauptraum ist für die syste matische Vorführung der drei Gasbeleuchtungs- fvrmen des „Pharos"-Lichtes (Preßgas- und Preßluft-Starklicht), des „Degea"-Normal-Lich les und des Niederdruck Starklichtes bestimmt „nd eingerichtet, die rechts und links in zwei raffiniert gegliederten Halbrotuuden i„ ihren verschiedenen Lampentypen und Lichtstärken (von 10 Kerzen bis 4000 Kerzen) mit pracht voller Uebersichtlichkeit und lehrreicher Einzel demonstrierung gezeigt werden. Vor jeder Halbrotunde steht ein Kiosk, in dem der Werdegang des berühmten „Degea"-Glühstrump- fes von der rohen Ramie-Faser bis zum ge brauchsfertigen Glühkörper naturgetreu plastisch veranschaulicht wird. Um die Mittelsäule des Hauptraumes ist eine von mildweißem „De- gea"-Licht tageshcll überstrahlte Gruppe arran giert — ein Rundtisch mit Korbklubsesscln, ans dem sich Zeitschriften, Zeitungen, Adreß und Kursbücher, belehrende Schriften aller Art, Schreibmaterial w. befinden. Diese Gruppe dient lediglich für den Empfang und zur Bequemlichkeit der Besucher. Ein breiter Durchgang führt von der Vvrderhallc in die zweite Hauptabteilung. Hier sehen wir die Erzeugung des Preßgas-Starklichtes und der Preßluft-Heizung mit ihrem Maschinenbetrieb. Von den Spezialitäten der Preßluft-Heizung, welche die Auergesellschaft geschaffen hat, seien besonders erwähnt: ein Gas-Bügeleisen, ein Gas-Lötkolben, eine Gas-Kcsselbeheizung und ein Apparat zur Gas-Kesselbeheizung. Auch hier wie in der ersten Abteilung werden die in vollem Betriebe gezeigten naturgetreuen Modelle durch eine sinnreich ausgewählte Se rie instruktiver bildlicher Darstellungen (Pho tographien, Zeichnungen, Tabellen rc.) auss zweckmäßigste ergänzt. In drei mit erlesenen, modernen Geschmack eingerichteten Wohnräu men kann man schließlich die neuesten Be- leuchtungs- und Heizungstypen der Auergesell- schast in ihrer praktischen Amveuduiig, in ihrer technischen Vollendung und künstlerischen Wir kung bewundern. So präsentiert sich uns alles in allem die Abteilung der „Deutschen Gasglühlicht Aktien gesellschaft" (Auergesellschaft), Berlin, auf der großen Münchener Gasausstellung als eine musterhaft organisierte Einheit und ein vor bildliches Werk reifster moderner Ausstellungs kultur, dessen Besuch für jeden hochinteressant und lehrreich-fruchtbar ist. Gerade im Sommer haben viele Kinder ein Stärkungsmittel nötig, gerade im Sommer erweist sich ihnen Scotts Emulsion als eine Wohl tat; denn nichts Besseres gibt es, als diese Zubereitung, welche ihnen alle Vorteile des Lebertrans bringt und sich in der warmen Jahreszeit ebenso gut nehmen läßt wie in der kalten. Also auch im Sommer beförde,t sie die Ent wicklung kräftiger Muskeln und vor allem den Aufbau fester Knochen. Wer Scotts Emulsion — doch nur die echte — gebraucht der wird auch im Sommer die besten Erfahrungen nüt ihr machen. Scotts Emulsion. Fah.r. Bc-lr.: Ernst Nobis, Oberlungwitz. nimmt und abends gerade wie die Frösche in steter Wiederholung einen bestimmten Ton von sich gibt. Aus der Ferne klingt cs dann ähn lich, als ob Glocken aus dem Grunde des Teiches, aus dem die Unkentöne kommen, her vorläuteten. Gefangene Kröten gewöhnen sich leicht ein, wenn sie gut mit Nahrung versorgt werden, und machen nicht viel Mühe. Hat man sie täglich vor Augen, so gewöhnt man sich an ihre Mißgestalt und entdeckt sogar manche Schönheiten an ihnen; sie können ganz zu traulich und zahm werden. Also, liebe Freunde, niemals eine Kröte verjagen und quälen, nicht wahr? Der Zaunkönig. Der Zaunkönig ist der kleinste unserer ein heimischen Waldvögel, er ist nur etwa 9 Zenti meter groß, wovon nur 6 Zentimeter auf den Körper entfallen, denn der Schwanz mißt 3 Zentimeter. Sein Gefieder ist rostbraun mit dunklen Querstreifcn, an der Kehle und an der Brust ist er röllichweiß gefärbt, am Unter leibe und an den Seiten ziehen sich braune Wellenlinien hin, und auch der hochgctragene Schwanz hat dunkle Querstreifen. Der Zaun- könig verläßt uns auch im kältesten Winter nicht, und man hört das ganze Jahr hindurch seine Hellen Pfciftöne, die mit einem Triller enden. Oft, wenn man einen Winterspazier gang macht, sieht man den kleinen Sänger auf dem schueebedeckten Zweige eines Baumes oder auf einer Hecke sitzen, und hört ihn sein Liedlein herunterpfeifen. Aber sobald der letzte Ton verklungen ist, ist der kleine Kerl ver schwunden, irgendwo untergeschlüpft, ohne daß man ihm mit den Augen folgen konnte. Er ist ein sehr beweglicher Gesell, und wir sehen ihn von der Hecke auf einen Zweig, vom Zweig auf eine knorrige Baumwurzel, von der Wur zel auf einen Stein und vom Stein in einen Reisighaufen flattern. Bald sitzt er oben und singt sein lustiges Liedlein, bald schlüpft er in eme Spalte, die uns kaum groß genug er scheint, um ihn aufzunehmen, in ein Astloch, in eine Bodenvertiefung, immer ist er in Be wegung und wippt mit dem Schwänzchen. Er fürchtet sich nicht vor der Kälte, er flieht nicht vor dem Schnee, und auch in der här testen Winterzeit findet er überall ein „Tisch lein deck dich" an den Larven und Eiern, die in den Löchern und Ritzen versteckt sind, zu denen kein anderer Vogel Zutritt findet als dieser Kleinste unter den Kleinen. Und wenn er wirklich einmal gar nichts finden sollte, dann geniert er sich auch nicht, den Menschen einen Besuch abzustatten; er erscheint in den Ställen und Schelmen und holt sich sein Scherf- lnn von dem Ucberfluß. So ist er immer vergnügt und schmettert sein fröhliches Lied. Ja, man kann wohl sagen schmettert, denn im Verhältnis zu der Größe des Vogels ist der Gesang so hell und laut, daß man kaum he g'eisen kann, wie er aus dieser kleinen Brust kommt. Trotz seiner Lebhaftigkeit und Beweglichkeit ist der Zaunkönig ziemlich wenig bekannt, und das kommt daher, daß er sich bei der leisesten Ahnung einer Gefahr sofort versteckt, und zwar au einer Stelle, wo es ziemlich schwer halten würde, ihn zu entdecken. Es liegt vielleicht auch daran, daß das Fliegen nicht gerade seine starke Seite ist; so schnell er im Laufen und Schlüpfen ist, so wenig geschickt ist er im Flic- g-n, man sieht ihn daher sehr selten in der Luft. Er hält sich auch stets in buschigen, laubreichen Gegenden auf, wo er keine Gefahr zu fürchten braucht, weil seine Schnelligkeit ihn stets rettet. Das Nest deS kleinen Zaun königs ist ein großes Kunstwerk, cs ist kugcl- artig aus Moos und Reisig und Fasern zu sammengewebt, und das Merkwürdige ist, daß das Zaunkönigmännchen cs baut, und zwar ist es nicht zufrieden damit, nur eines herzu- stcllen, sondern es baut zwei, ja sogar drei an verschiedenen Orten. Das, was ihm am besten gcfällt, polstert er dann auch von innen fein aus, und dieses wird nun das eigentliche Heim der Zaunkönigfamilie. Stets aber ist das Nest der Oertlichkeit angepaßt, so daß es nur sehr schwer zu entdecken und die kleine Brut in vollständiger Sicherheit rst. Wie Till Eulensi>jegel fliegen wollte. In der heutigen Zeit, wo man so viel vom Flugsport hört und ihr gewiß auch schon man ches Luftschiff und manchen Flieger gesehen habt, macht es euch gewiß Spaß, zu hören, wie Till Eulenspiegel fliegen wollte. Der Schalksnarr befand sich gerade in Magdeburg und hatte, wie es bei ihm sehr häufig vorkam, keinen Kreuzer in der Tasche. Er überlegte hin und her, wie er sich wohl Geld verschaffen könne, und endlich hatte er's gesunden. Er ließ in der Stadt verkünden, er wolle am Tage darauf, mittags um 12 Uhr, vom Erker des Rathauses auffliegcn. Wer ihu sehen wolle, brauche nur auf den Marktplatz zu kom men und einen Batzen (4 Kreuzer ----12 Pfg.) zu zahlen. Am anderen Tage wimmelte es auf dem Marktplatz von Menschen, alt und jung, hoch und niedrig war gekommen, um Till fliegen zu sehen. Dieser ging herum, um das Geld einzusammeln, und es war so viel, daß seine Taschen es nicht fassen konnten, er hatte auch noch die Mütze voll. Eben war Eulenspicgcl mit Einfammeln fertig geworden, da schlug cs vom Turm des Rathauses 12 Uhr, und er stieg auf den Erker. Erwartungsvoll blickten alle hinauf und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Till aber stand oben, bewegte seine Arme, als wären eS Flügel, und stellte sich, als wolle er in die Luft aufsteigen. Als es gar nicht losgehen wollte, wurden die Zuschauer unten ungeduldig und feuerten ihn durch Zurufe an. Er aber rief lachend: „Ihr dummen Leute, ihr nennt mich einen Narren, aber seid Ihr denn nicht viel größere Narren als ich? Wie könnt Ihr glauben, daß ich fliegen könnte, ich habe nur gesagt, ich wollte." Damit verschwand er im Innern des Nat- hanscS, und bald war er mir dem Geld über alle Berge. Die Leute aber, die er gefoppt hatte, lachten und sagten: „Ein Vogel ist er doch, aber ein Spaßvogel, und die habeir allerdings keine Flügel."' Die Rotzdecke (Alte Sage.) Es war einmal ein König in Frankreich, der war alt und schwach geworden, und da er die Regierung nicht mehr recht versehen konnte, gab er sic an seinen Sohn ab. Dieser, dem der alte Vater auch sein ganzes Hab und Gut gegeben, versprach ihm, ihn bis an sein Lebcnsende getreulich zu pflegen und seinem Stande gemäß zu kleiden. Dies tat er auch längere Zeit. Mit liebender Sorge bemühte er sich um den alten Vater, und dieser ent behrte nicht das geringste. Aber nach ein paar Jahren holte sich der junge König eine stolze Gemahlin, und dieser war vom ersten Tage an der alte Vater ein Dorn im Auge. Sie beklagte sich bei ihrem Gemahl, der Alte verderbe ihr durch sein Hu sten den Appetit beim Essen, sie könne nicht mit ihm an einem Tische sitzen. Der junge König, der seine Gemahlin über alles liebte, ließ dem Vater das Essen in sei nem Schlafgemach auftragen. Aber auch jetzt war die Königin noch nicht zufrieden und er klärte, sie könne den Anblick des alten Man nes überhaupt nicht vertragen, der König solle ihn in sein Schlafgenrach cinschließen. Dies geschah, aber es genügte der Königin immer noch nicht; nach einiger Zeit behauptete sie, sie brauche das Zimmer, in dem der Vater des Königs schlief, zu anderen Zwecken, und obgleich ihr Gemahl meinte, cs seien doch so viele Zimmer im Schloß, ob es denn gerade das sein müsse, ließ sie sich nicht davon ab- bringen. Und so dauerte es denn gar nicht mehr lange, da war für den armen Alten, der sich bei seiner zunehmenden Schwäche alles gefallen lassen mußte, kein Platz mehr im ganzen Schlöffe. Mau bereitete ihm in einem Verschlag unter der Treppe ein Lager aus Hell und Stroh, und der König, der ganz dun Wil len seiner Gemahlin untertan mar, ließ es ge schehen. Da lag denn der Alte viele Jahre laug, und kaum das notdürftigste Essen wurde ihm gereicht. Unterdessen war dein Kömgspaar ein Sohu geboren worden, der zur Freude der Eltc-n heranwnchs. Als er die Jünglmgc-jahrc ei reicht hatte, entdeckte er eines Tages das La ger unter der Treppe und den elenden ulten Mann darauf. Freundlich fragte er nach seinem Ergehen, und der Alle erzählte ihm seine Lei densgeschichte. Der junge Prinz wollte sofort zn seinen Vater gehen und mit ihm über die Sache jure- chen, aber der Großvaier sagte: „Laß cs li ber, mein Sohn; Dein Vater kann es doch nicht ändern. Ec ist nicht böse, er ist nur zn schwach " Von diesem Tag an brachte dec Jnuglmg dem Großvater gutes Essen nnd Trinken, aber er mußte cs heimlich tim, denn der Alte wollte nicht, daß er sich dem Zorn seiner Eltern aus- srtzte. So kam wieder einmal der Winter heran, und der alte König sprach zu dem P iuzcn: „Lieber, mich friert, tonnst Du mir nicht eine Decke besorgen, wenn es auch nnr eine alte Roßdecke ist?" Sofort eilte der Jüngling in den Marstall, nahm die beste und wärmste Decke, die er finden konnte, und riß sic mitten durch In diesem Augenblick kam sein Vater da zu und fragte: „Was ist's mit der Decke? Warum zerreißt Du sie?" Der junge Prinz aber antwortete: „Die halbe Decke bringe ich dem Großvater, damit er nicht friert, die andere Hälfte aber hebe ich für Dich auf, für die Zeil, wenn Du alt und schwach geworden bist und auch da liegen wirst, wo jetzt Dein Valer liegt!" Dem Kinde nicht den süßen Glauben, Die Hoffnung nicht dem Jüngling rauben, Dem Manne Mut und Tatkraft nähren, Dem Greise stille Rast gewähren: Das sind der Menschheit Licbespflichten, Nach ihnen wird die Gottheit richten.
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