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^7 IK6, IS Juli 1S12. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 8573 besteht auch die Gefahr, daß die von der Zuführung privater Mittel abhängigen Unternehmungen sich eines Tages von der praktischen Anteilnahme des Publikums verlassen finden, na mentlich wenn dieses erst gemerkt hat, daß ein Bedürfnis zur Schaffung neuer Bücherkollektionen gar nicht vorliegt. Die Schenkungen erfolgten doch Wohl in dem guten Glauben zweck mäßigster Anwendung der Mittel. Es läßt sich daher darüber streiten, ob im Sinne der Geber gehandelt wird, wenn diese Mittel der riskanten Spekulation des Selbstverlages, dessen Unzulänglichkeit doch durch die Erfahrung erwiesen ist, zu geführt werden; die Gefahr, daß die geschäftliche Spekulation aus Unkenntnis oder Leichtsinn mißglückt, liegt nur allzu nahe. Wir haben in dieser Beziehung ein Schulbeispiel in dem Schicksale der Gesellschaft zur Massenverbreitung guter Schrif ten in Weimar, in der seinerzeit mit dem Vereins vermögen in geradezu verschwenderischer Weise gewirtschaftet worden ist. Die Wirkung dieser von der Bildfläche vollständig verschwundenen gemeinnützigen Gesellschaft ist heute nicht im geringsten mehr zu verspüren. Was haben nun diese Gesellschaften und Vereine erreicht, und was soll erreicht werden? Die sog. Schundliteratur ist un streitig in den Hintergrund gedrängt worden, sie ganz zu be seitigen, ist das Ziel. Hier begegnen sie aber auch den Ab sichten des guten Buchhandels, der stets seine Pflicht erfüllt hat, wenn es galt, das Lefebedllrfnis des Volkes in gesündere Bahnen zu lenken. Ob das billige Buch, namentlich das belletristische, ein Bildungsfaktor im wörtlichen Sinne ist, möchte ich fast bezweifeln. Bildung ist mehr, als daß sie von Vereinen und Gesellschaften verbreitet und eingeimpft wer den könnte, ist mehr, als das; sie auf dem Boden der billigen Unlerhaltungslektüre cmporzuwachsen vermöchte. Ist sie nicht die blaue Wunderblume, die vor den Schatzkammern des Lebens blüht, und gab es jemals Gärtner, die sie in Massen zu züchten vermochten? Müssen es nicht Sonntagskinder sein, denen sie zuteil werden kann? Steht sie immer auf dem frucht baren Boden der Wissenschaft, der dafür doch so geeignet er scheint? Handelt es sich nicht auch dabei um eine zunehmende Verfeinerung der Generationen, die vom Wohlstände des Volkes und von der Umgebung der Individuen in sehr erheb lichem Matze mitbestimmt wird? Gewiß, das billige Buch vermag dazu zu helfen; man muß aber bescheiden sein und nicht zu viel verlangen. Ein viel wichtigerer Faktor ist der immer schärfer werdende Wettbewerb der Individuen, der zwingende Kampf ums Dasein, der die Menschen dazu drängt, in Wissen und Bildung, auch in Herzensbildung, mit ihren Brüdern gleichen Schritt zu halten oder es ihnen zuvor zu tun. Ein solches bewußtes Streben, das aus dem Menschen selbst geboren wird, ist ein ganz anderes und ein viel ver heißungsvolleres Fundament, als das etwas widerwillige Ge fühl, mit dem der Brunnen begrüßt wird, den die Bildungs- leute an die Menschheit so augenfällig herantragen. Wir wür den hier auf die Meinung Goethes zukommen, der ausge sprochen hat, daß die sogenannte Lektüre oder die Büchcrwelt allerdings ein Element von großer Bedeutung sei; aber gewiß sei es auch, daß im Grunde der Mensch doch immer nur sich selbst aus dem Buche heraus- oder in das Buch hineinlese, daß nur das Leben den Mann bilde und daß er durch die Lektüre nicht werde, sondern nur zeige, was er sei. Es fei daher ganz vergebens, durch Schriften des Menschen schon entschiedenen Gang und seine Neigung zu wenden. Das Volk ist immer mißtrauisch und verkennt gern die guten Ab sichten, auch wenn es sich um die Überweisung eines im Kampfe des Lebens brauchbaren Rüstzeuges handelt. Es mutet fast wie ein aorriß--r In kartuns an, wenn die billigen Schriften in Massen in das Volk hineingeworfen werden, statt die Ent wicklung einer Volkskultur abzuwarten, deren Erzielung viel weniger eine Zeitfrage als eine Frage der Zeit ist. Was der Börsenblatt sitr den Deutschen Buchhandel. 7s. Jahrgang. Buchhandel, der stets seiner Zeit in der Produktion voraus geeilt ist, in seinen Erzeugnissen in dieser Beziehung in den billigen Kollektionen zu bieten vermag, ist mehr, als heute unser Volk braucht, mehr auch, als alle Bildungsvereine zu sammen leisten können. Denn »auf keinem andern Markt«, so sagt S. Fischer in der bemerkenswerten Jubiläumsschrift seines Hauses »Das 25. Jahr«, »bleibt die Konsumfähigkeit des Volkes so weit hinter den technischen Produktionsmöglich- keiten zurück, wie im Buchhandel-. Die Wege des Verlagsbuch handels bewegen sich in der gleichen Richtung wie die der Bil dungsvereine; eine Verständigung liegt gewissermaßen in der Luft, und es wäre Wohl am besten, wenn alle Meinungsverschie denheiten einmal durch eine offene Aussprache friedlich und schiedlich beseitigt würden. Wenigstens für das Volk selbst und für die Frage der Volksbildung wäre es am besten, wenn diese einzig richtige Taktik befolgt werden könnte. Es wäre dann auch Gelegenheit gegeben, die Stellung zu erörtern, die das vielgeschmähte Sortiment zu diesen Dingen einnimmt. Der Handel macht dem Buchhändler den Vorwurf, daß er zu wenig kaufmännisch denke und handle, das Publikum, daß er die Interessen der Allgemeinheit hinter die eigenen stelle. Was soll nun der Sortimenter tun? Ist er Ideologe, so ver spottet ihn der Kaufmann, ist er Kaufmann, so empört sich die Lehrerschaft und das Publikum darüber. Ob und wie er mit seiner Familie das nötige Auskommen findet, danach fragt niemand. Philanthropisch richtig wäre vielleicht, wenn er alle die Kollektionen und Kollektiönchen vorrätig hielte, kaufmännisch aber ein grober Fehler. Man vergesse nicht: erstens ist er vermöge seines bibliographischen Handapparates fast immer imstande, nicht vorrätige Bücher auf denkbar schnell stem Wege zu besorgen, zweitens gibt es keinen Ladenraum auf der Welt, wenigstens keinen erschwinglichen, in dem er alle Bücher, die das Publikum verlangt und die die Verleger Ver trieben wissen wollen, unterbringen könnte. Den von den Bildungsvereinen neuerdings angewendeten neuen Vertriebs formen (Gefälligkeitskolportage usw.) braucht er nicht feind lich gegenllberzustehen; schließlich werden diejenigen Leute, deren Leselust auf diese Art geweckt worden ist, auch einmal den Weg zu ihm finden. Mit einer feindlichen Stellungnahme denBildungsvercinengegenllberwirdernursich selbst schädigen. Er darf natürlich die guten billigen Bücher nicht aus seinem Vertrieb ausschalten und sollte davon immer ein ausgewähltes Lagerhaben. Daß übrigens die oft bemängelte Lethargie des Buchhandels gegenüber der Benutzung moderner Vertriebssormen zum großen Teile ein Märchen ist, geht zum Beispiel daraus hervor, daß die Aufstellung der Reclamschen Bücher-Auswahl-Automaten von ihm in energischer Weise un gefaßt wird. »Der Gedanke«, so urteilt die Schriftstellerin Jda Boy-Ed über den Bücher-Automaten, »in seiner groß artigen Einfachheit ist förderlicher, als die Tätigkeit all der vielen Vereine gegen die Schundliteratur-. Eine Gefahr ist aber für den Buchhandel in der Tätigkeit der Bildungsder- eine zu erblicken: Wenn nämlich, wie es bereits vielfach von den Gesellschaften geschieht, die Besorgung aller Bücher angeboten wird, zu dem ausgesprochenen Zwecke, die Vereins mittel zu stärken, dann erwächst dem Buchhandel die unab weisbare Pflicht, die Existenz seiner Angehörigen mit allen verfügbaren Mitteln zu schützen. Diese Gefahr besteht nicht nur für das Sortiment, sondern in erheblichem Maße auch für den Verlag. Wenn sich einmal die Herstellung der billigen Schriften seitens der Bildungsvereine als nicht mehr lohnend herausgestellt haben wird und Publikationen in höheren Preis lagen mehr Gewinn versprechen, dann werden aus den Ver einen und Gesellschaften Unternehmer, die auch die Existenz des zünftigen Verlegers bedrohen können. Man darf die Bedeutung des billigen Buches nicht unter- III8