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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 06.12.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191412066
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19141206
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19141206
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-12
- Tag 1914-12-06
-
Monat
1914-12
-
Jahr
1914
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 06.12.1914
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3 Lage tüchtigen Regen und sind froh, daß wir die nassen Kleider mit trockenen vertauschen können. Seit 8 Wochen liegt unser Regiment auf ein und derselben Stelle und hat den Be fehl, den Feind nicht durchbrechen zu lassen. Wir liegen hier in Höhlen, die wir uns gegraben haben, mit Rasen und Reisig bedeckt; wenn eS regnet, ziehen wir unsere wasserdichten Zeltbahnen über den Körper, dann kann der Regen ruhig über uns htnweglaufen. Unter diesen Umständen verleben wir nun einen Tag wie den andern und ich danke Gott, wenn er mich nur immer mobil erhält. Gestern abend, kurz vor der Ab lösung, versuchten die Franzosen einen Durch bruch, der ungefähr 1 Stunde andauerte. Die Granaten und Gew hrkugeln boten eine schauer lich-schöne Musik, richteten aber Gott sei dank nur 2 Verwundungen an. DaS bedauerliche Be gebnis, das ich in einem Gedicht zusammengefaßt habe, spielte sich in der Nacht zum 14. November ab. Und zwar ist eS ein Lehrer aus der Plauener Gegend, der seinen besten Freund beim Ablösen der Fernpatrouille erschossen hat. Ich stand am Drahtverhau, das die Pioniere errichtet haben, Posten. Drei Mann kriechen durch das Draht verhau zirka 100 Meter weiter vor. Letzteres ist die Fernpatrouille. «et, «r»er Kamerad! Bei St. Hilaire, am Drahtverhau, ich pflichtgetreu auf meinem Posten stand. Trotzdem der Regen das Gesicht mir peitschte, mit festem Auge ich zum Feind hinüberspannt. Vor mir in einiger Entfernung die Fernpatrouille ihre Pflicht vollzieht, und recht« von ihr seh ich drei andere Gestalten, und heimlich schleicht mir's durch'S Gemüt. Jst'S Feind, ist's Freund ? Das kann ich nicht erkennen, denn furchtbar dunkel ist die Nacht; und ehe ich mich recht besinne, hat schon der unheilvolle Schuß gekracht. Zur Ablösung war'n jene drei gekommen, ein lauter' „Haiti Wer da?" hinüberschallt; doch keiner von den dreien hat'S vernommen — des Freundes Kugel hin zum Freunde knallt. Ein schwacher Schrei, sein Freund, er sank zu Boden, die Kugel hatte ihm die Brnst durchbohrt. „O, Kamerad, was hast Du jetzt verbrochen?", so klang ein schwerer Vorwurf an sein Ohr. Am Schützengraben liegt ein kleiner Hügel, auS Birkenholz ein leichtes Kreuz darauf. Hier liegt er nun in st llem Frieden und manche FreundeSträne rollt darauf. „Verzeih mir i" Höri den Freund man klagen, „vergib mir diese unglücksei'ge Tat; der Herr im Himmel mag darüber richten, „verzeih, mein guter Kamerad!" AuS Bl. schreibt uns unter dem 21. No vember ein Hohenstein-Ernstthaler: Werte Redaktion I Vielen Dank für die mir frdl. zugehenden Nachrichten; ich kann eS kaum erwarten, wenn unsere Postkutsche erscheint und die Post austeilt. Auch habe ich wie der einen französischen Bericht über einen Sieg bei Licey gelesen, wonach eine Abteilung von un« gefangen worden sem soll. Da ich Gelegenheit habe, m t Li ey in telepho ¬ nischer Verbindung zu sein, haben wir bet dem dortigen Kommando angefragt, und eS ist «eiter nichts gewesen, als daS: die Franzosen hatten einen gefallenen Unteroffizier von uns der Uniform beraubt und diese nun als Trophäe behandelt. Da« bedeutete eine gefangene deutsche Abteilung. Gleichzeitig will ich über den geplanten Um gehungs-Durchbruch einiges berichten. Nachmit tags 2 Uhr mußte unsere Brigade marschbereit gemacht werden und in Alarmbereitstellung sein, da unsere Nachbarbrigade — auch Sachsen — arg bedrängt war. Es wurde seitwärts vorge gangen und die Flanke des Gegner- sollte be droht werden. Da eS aber schon dunkel wurde, zog ein Teil von uns wieder zurück und die andere Hälfte blieb zur Verstärkung der Vor posten draußen liegen. Am andern Morgen in aller Frühe ging eS noch in völligem Dunkel vor und kamen wir auch unbehelligt weit vor, wo wir eine geschützte Stellung an einem Wald rande einnahmen. Hier lagen wir nun stunden lang auf nassem Waldboden. Es war Gott sei Dank nicht umsonst : eS kam eine feindliche Spitze anmarschtert. Diese wird durchgelafsen, eS dauert nicht lange, kommt eine feindliche Kompagnie auSgeschwärmt an. Diese wird bis auf 100 Meter herangelassen und dann unter Feuer ge nommen. Hinter der Schützenlinie kamen zwei Kompagnien in Marschkolonne an, die unsere beiden Maschinengewehre unter Feuer nahmen. Es waren kaum einige Minuten vergangen, da wimmelte eS auf dem Boden von Toten und Verwundeten, ohne daß wir einen Verlust hatten. Dies Manöver war uns geglückt und die be drängten Kameraden bei Cirey waren vor einer feindlichen Umgehung gesichert. Dasselbe pas sierte auch auf dem linken Flügel unserer Brigade, wo ein Bataillon von uns zur Unterstützung der anderen Brigade schon seit einigen Tagen abkommandiert war. Hier kamen wir mit noch größerem Erfolg für unS durch. Ich glaube, durch diesen abgeschlagenen DurchbruchSversuch sind die Rothosen etwas zurllckgeschreckt und werden uns wieder einige Zeit in Ruhe lassen. Sollten sie wieder einen Spaziergang unter nehmen wollen, nun, dann geht es diesen Herren genau wieder so wie bisher. Von einer franzö sischen Siegesmeldung ist keine Rede, wahrschein lich sollte es erst ein Sieg werden, aber es ging gegen ihre Rechnung. Ich möchte unsere Lieben in der Heimat bitten, französische Meldungen und Berichte mit Bedacht lesen zu wollen, da daS meiste nicht der Wahrheit entspricht! Mit freundlichem Gruß und der Bitte, mir die Zei tung weiter zugehen zu lassen, verbleibt Ihr Gesr. d. L. P. K., Radfahrer beim Stabe. Gruß von den übrigen Ernstthalern beim 47. Bataillon; sie sind noch alle fidel und munter. Humor im Kriege. Ein Unteroffizier auS Hohrnstrin-Ernstthal sendet seinen Angehörigen auS dem Felde einige Anekdoten, die wir unseren Lesern nicht vorent- halten wollen. Gehen da eines Abends zwei bayrische Kavalleristen auf Patrouille. Sie geraten in ein Gut. Auf dem Hofe nichts zu sehen. Kaum zur Stubentür hinein, gewahren sie Engländer. Der eine Bayer kommandiert: »Kehrt, marsch, marsch!" Die Engländer mit einem Maschinen- gewehr hinterdrein. „Hinlegen" sagt der Bayer wieder, „wenn i bis drei zahl, gihtS weiter! — Eins, zwei, drei, auf, marsch, marsch!" — „Mei Kolleg«" erzählte später der eine mit trockenem Humor, „schreit hinter mir her un kimmt nit nach; i renn natürlich zurück un frag ihn, nu, war iS denn luS". — „Nu, Kamerad, t hob mei Ladung weg, t hob eine ganze Wulst Schuß im Bein." — Den beiden gelang eS zum Glück, zu entkommen. Einen eigenartigen Schuß erhielt am 4. No vember abends ein Unteroffizier, indem ihm ein Engländer ein Dum-Dum-Geschoß durch den rechten Backen und zum Munde wieder hinaus- schoß. In seinem nie versiegenden Humor meinte er zu seinen Kameraden: „Na, schief ist englisch und englisch war früher mode!" * « O In der Klaffe einer Schule in der Umgebung passierte neulich folgende«: Der Lehrer illustriert in der „Kriegsstunde" seinen Schülern auf der Landkarte, was unsere Truppen aller noch be setzen und nehmen können. Da meinte ein lljähriger Junge: „Herr Lehrer, wenn mersch nor erscht hätten!" Oeffentl. Gemeinderats Sitzung zu Oberlungwitz am 8. Dezember 1V14. Mitteiluarea. Herr Gemeindeoorstand Lieberknecht teilt mit, daß auf Anordnung der Militärbehörde die Posten an der Hüttengrundbrücke, nachdem die Zahl verschiedentlich herabgesetzt worden war, wieder verstärkt werden sollen. — Auf eine ministerielle Verordnung hin fallen die Gemeinde- ratswahlen in diesem Jahre auS. - Die Stadt Leipzig beabsichtigt, sür die Truppen im Felde einen Eisenbahnzug mit Liebesgaben zu füllen und bittet um Unterstützung. Wie Herr Gemeinde vorstand Lieberknecht bemerkte, sind hierfür von einem hiesigen Einwohner in dankenswerter Weise 50 Mark gestiftet worden. Die Gemeinde hat ebenfalls 50 Mark zur Verfügung gestellt. Der Betrag wird nachverwilligt. KriegSverftcherung. Von Zeichnungen von Kriegsanteilscheinen will die Gemeindeverwaltung vorläufig noch Abstand nehmen, da die Bedingungen sehr unklar gehalten sind. Fleischversargavg. Die Kgl. Amtshauptmannschaft macht die Gemeinden auf Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere mit Fleisch aufmerksam, da die Schweine infolge Mangels an Futter massenhaft angetrieben würden. Der Gemeinderat war jedoch der Ansicht, daß eine Gefahr in dieser Beziehung für Sachsen nicht oorliege. Die Fleischwaren liefert eine Hamburger Gesellschaft. Herr Riedel macht darauf aufmerksam, daß es sich hier wahrscheinl ch um Gefrierfleisch handele, daS zudem nur zu hohen Preisen zu haben sei. Der Gemeinderat nahm schließlich von dem Bezug des Fleisches Abstand. Gefach u« Erlaß von Wasserstener. Bei einem Hausbesitzer ist infolge eines Defektes in der Rohrleitung eine größere Menge Wasser verloren gegangen. Die Gemeindever waltung wollte */« deS Betrages sür daS ver loren gegangene Wasser auf die Gemeindekuffe übernehmen, der betr. Hausbesitzer bittet jedoch für daS verloren gegangene Wasser voll ent schädigt zu werden. Nach längerer Debatte, in der man für und wider den Antrag cintrat, ließ man den Vorschlag der Gemeindeverwaltung — gegen 4 Stimmen — gelten. Lie Wahl eiaeS Ben»fSv»r««aVeS wurde bi« nach dem Kriege verschoben. Ge»ähr„, eiae- Darleha» gegen Bürgschaft. Von der Ausleihung von Darlehnen gegen Bürgschaft sieht der Gemeinderat ab. Er be gründet dies hauptsächlich mit dem geringen Barbestand. Uaterftützaag der Anstalt in Bethel. Für die Anstalt für epileptische Kranke in Bethel, die jetzt außerdem noch ca. 1600 Ver wundete ausgenommen hat, stiftete man den Betrag von 50 Mark. Hierbei erwähnte Herr Gemeindevorstand Lieberknecht, daß auch die Zimmer im Emma- Hospital zur Aufnahme von verwundeten Kriegern fertiggestellt worden sind. Die Zimmer sind neu vorgerichtet worden, sodaß sie für die Verwunde ten ein angenehmes Verweilen versprechen. Zur Verfügung stehen 12 Betten. Bezüglich der Kosten hält eS Herr Kunze für Pflicht, daß hierfür die Gemeinde aufkommt. Mit den beiden in Frage kommenden Nachbargemeinden Gers dorf und Hermsdorf soll dabei Hand in Hand gegangen werden? GruadstüäSerwerbuus. Auf einem Grundstück des Gutsbesitzers Loder hat die Gemeinde einen Lagerplatz einge richtet. Herr Loder hatte diesen Platz der Gemeinde pachtfrei überlassen. Der jetzige Be sitzer beantragt nun die Zahlung von Pachtgeld oder die käufliche Erwerbung des Grundstückes durch die Gemeinde. In Betracht kommen ca. 1500 Quadratmeter; das Meter soll mit 80 Pfg. bezahlt werden. Der Gemeinderat ist mit dem Kauf des Grundstückes zu dem obengenannten Preise einverstanden. Schluß der öffentlichen Sitzung um 9>/< Uhr. Es folgte eine geheime Beratung. Oertliches und Sächsisches. * — Der „kupferne" Sonntag ist morgen, und wir wollen im Interesse unserer Geschäftswelt alle Leser bitten, schaut nicht über ihn fort, wenn auch seine Brüder, der „silberne und der „goldene" vor dem Feste noch kommen. Wird noch nicht so viel gekauft, das Ansehen kostet nichts. Begreiflich ist es ganz gewiß, wenn manches Herz nach einer stillen Feier sich sehnt in diesen Tagen banger Un gewißheit, aber unsere Tapferen im Felde wer den denken und auch schreiben: Laßt die Weih nachtsfreude in unser Heim hineinleuchten. Die deutsche Jugend ist mit Leib und Seele beim Krieg, sie hat Engländer, Nothvsen und Kosa ken schon nach allen Noten verdroschen, sie blickt mit gefalteten Händen auf die Feldgrau en mit verbundenem Arm und mit den: stützen den Stock. Sie soll auch wissen, daß der bö se Krieg dem guten Weihnachtsmann nichts an- haben kann. In den meisten Gegenden Deutsch lands ist gelindes Wetter eingetreten, es ist, als ob der Himmel selbst die Weihnachtszeit segnen wollte. Debattieren wir also nicht über die deutsche Weihnachtsfeier im Kriegsjahr 1914, lassen wir die Mütter und Frauen ent scheiden, sie werden das Richtige treffen. Ein Zufall will es, daß der „kupferne" Sonntag aus den Sankt Nikolaustag fällt, der bei un seren Feinden in Frankreich den ersten her kömmlichen Geschenktag für die Kinder (der zweite ist Neujahr) bringt. Die Kleinen stel len abends zuvor ihre Schuhe vor die Schlas- stubentür, die ihnen dann mit Angebinden ge- Kia ckrs Fraaealtka. Roman von K. Deutsch. 45 Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Fahren Sie unausgesetzt mit den Bele bungsversuchen fort und achten Sie genau, ob die Kräfte sich heben," sagte der Oberarzt, als er die Zelle verließ. Er hatte noch hinzuge fügt, so lange der Atem in der Menschenbrust weile, könne man hoffen. Dieser Ausspruch galt aber mehr ihrer Person, als er allgemein gehalten war; er hatte ihr sogar leise iiber das Haar gestrichen, als ahne er irgend eine Verbindung zwischen ihr und dem bewußtlo sen Manne und hatte sich mit dem Verspre chen entfernt, noch im Lause des Tages nach zusehen. Sie hatte während der ganzen Zeit nicht aufgeblickl, keine Silbe erwidert, als fürch te sie, dadurch die tiefe Erschütterung ihrer Seele zu verraten. Jetzt, als sie allein war, kniete sie vor dem Lager nieder und legte auf einen Moment still ihr Antlitz auf das re gungslose des Mannes. Dann aber erhob sie sich, und obwohl ihr Gesicht sehr bleich war und schwere Tropfen an ihren Augen standen, begann sie mit festem Willen ihr Pflegerinnen amt, denn sie dachte der Worte des Arztes und wieviel von jeder Minute abhing. Während sie aber an seinem Lager saß, sein Haupt stützte, und von Zeit zu Zeit seine bleichen Lippen mit einem Tropfen Wein befeuchtete, dachte sie, wie oft seine verdursteten Lippen nach einem Tropfen Wasser verlangt haben moch ten, wie oft sich sein umherirrendev hilfesuchen der Blick nach den kalten, glänzenden Sternen gerichtet haben mochte, als er die ganze Nacht verblutend unter freiem Himmel lag. Als nach einigen Stunden der Oberarzt wiederkam, ließ er sich Bericht erstatten. „Ich habe keine Veränderung wahrgenom men," sagte das Mädchen. „Er beugte sich über den Verwundeten und legte das Ohr an seine Brusl. „O doch", versetzte er, als er sich nach ei niger Zeit erhob. „Der Zustand hat sich ver ändert, der Herzschlag ist bedeutend stärker. Wenn die Kräfte des Manne« mit seiner rie sigen Gestalt im Einklang stehen, kann er vielleicht gerettet werden", fügte er hinzu. „Glauben Sie, Herr Oberarzt . . . daß . . . daß mit dem Bewußtsein sich auch die Fähigkeit des Erkennens einstellen wird?" Das Mädchen tat die Frage mit leiser Stimme und stockend und ohne die Blicke zu erheben. Der Oberarzt sah sie forschend an, wo war die Klarheit, die milde, besonnene Ruhe ge blieben, die ihr ganzes Wesen bisher auszeich nete? Sie war seit Monaten in dem e dlen Berus tätig, und er hatte das Mädchen wie eine Tochter lieb gewonnen. Ihn beunruhigte der Mißton, der das edle Maß ihrer Erscheinung Plötzlich störte. Was war die Ursache dieser Veränderung? „Warum stellen Sie diese Frage, mein Kind?" fragte der alte Herr nach einer Pause. „Ich . . . habe Grund, nicht gleich . . . überhaupt nicht erkannt zu werden." Eine hei ße Glut übergoß Plötzlich ihr ganzes Gesicht. „Das haben Sie fürs erste nicht zu befürch ten," sagte er ruhig, und als merke er ihre Verwirrung nicht. Die rein physischen Funk tionen sind es, die zuerst ins Leben treten werden, um den Gang der Maschine zu re geln; dann wird sich Fieber einstellen, und da sind alle seelischen Kräfte in Wirrnis und Betäubung. Sollten sich meine Voraussetzun gen nicht bewahrheiten, so kann Sie eine Kran kenschwester vertreten. Besser wär's, wenn die Pflege in den ersten Tagen '.n Ihren Händen bliebe; bei einem solchen schweren Falle sind Umsicht und Ausdauer die Hauptsache." Sie erfüllten sich aber buchstäblich, die Schlüsse des alten Herrn, als hätte er das stockende Leben bis ins Tiefste erforscht und belauscht. Am Abende zeigten sich die ersten Zeichen des erwachenden Lebens. Das Bewußtsein äußerte sich zuerst in einem leisen Bewegen und einem kaum vernehmbaren Stöhnen. Wah rend der Nacht verschärften sich die Symptome, die Bewegungen verstärkten sich, die Laute wur den deutlicher und mit gierigen Zügen trank er da, was man ihm reichte. Am andern Tag stellte sich das Wundfieber ein und die Hitze, die jetzt durch seine Pulse zu rasen begann, die den Schlag des Herzens erhöhte, verstärkte auch scheinbar alle physischen Kräfte und weck te die Seelentätigkeit, «wer die dunkle, ver worrene. Das leise Beben der Lippen hatte sich in ein Flüstern und dann zu einem lau ten Reden verwandelt. Die Pflegerin schien ihre Kräfte zu verdop peln, zu verdreifachen, sie »nutzte die Zeit zwischen den alten und den neu übernommenen Pflichten teilen. Sie konnte ihre Tätigkeit dem Saale, der ihrer besonderen Obhut anvertraut war, nicht ganz entziehen, da die Kranken meist nach ihr verlangten. Ihr bloßer Anblick war bis jetzt eine Beruhigung sür die Leidenden gewesen, wie hätte man sie ganz missen kön nen? Der Oberarzt hätte das nicht zugegeben und sie hätte es selber nicht getan, so sehr sie auch mit ihrem ganzen Fühlen und Denken bei dem Kranken in der einsamen Zelle sein mochte. In den Stunden, wo sie nicht dort war, vertrat sie die junge blasse Nonne. „Es ist merkwürdig," sagte eines Tages der Oberarzt zu der Schwester, als er bei dem Kranken war, „daß er nur immer den einen Namen wiederholt. Und der merkwürdige Schlußsatz, den er daran fügt und dem ge wöhnlich Tage der tödlichen Abspannung fol gen! ... Er scheint jemanden zu suchen und ist von diesem Gedanken beherrscht, so daß er sein ganzes Seelenleben ausfüllt. Es ist ein ganz merkwürdiger Fall, so merkwürdig, wie er mir in meiner Praxis noch nicht vorge kommen ist." 19. Einige Tage später gegen die Abendstunde trat der Oberarzt, von der jungen Nonne be gleitet, in die Zelle des Kranken. Draußen schüttelte ein leichter Wind die Bäume des Klostergartens, und die Acste schlu gen leise rauschend an das Fenster, drinnen lag der verwundete Mann still und regungs los auf seinem Lager; kein Bewegen, nicht das leiseste Zucken einer Muskel verriet, daß er den Lebenden angehörte. „Die Krisis wird vor Mitternacht nicht ein treten," sagte der Oberarzt, nachdem er ihn lange betrachtet. „Sie können sich einige Stun den Ruhe gönnen," wandte er sich dann an die Schwester Charitas. „Ich bin gewohnt, zu machen, Herr Ober arzt." „Ich weiß es, weiß aber auch, daß Sie jetzt das Aeußerste darin geleistet haben und daß Ihre Gesichtsfarbe fast in nichts der des Kran ken nachgiebt. Wir können nichts dabei tun, weder Sie, noch ich, noch irgend jemand; nur seine Natur kann ihn retten. Tun Sie es mir zu Liebe, mein Kind, und gönnen Sie Ihrer erschöpften Natur eine Stunde Schlaf." Sein Ton war so väterlich gütig, daß sie dein wackeren Manne nicht widerstreben wollte, Schweigend erhob sie sich und ging ins Neben zimmer, die Tür hinter sich schließend. „Ich mußte sie entfernen," sagte der Ober arzt nach einer Pause, als er mit der Nonne allein war. „Sie soll bei seinem Todeskamp fe nicht zugegen sein." „Es ist also keine Hoffnung?" fragte die junge blasse Nonne mit sanfter, teilnehmender Stimme. „Das Fieber hat völlig seine Kräfte ausge- zehrt, die Auflösung kann jede Minute erfol gen. Wenn Gott kein Wunder tut, so ist er verloren, menschliche Kunst vermag hier nichts mehr, und, bei Gott, ich hätte ihn retten mö gen, wie keinen." (Fortsetzung folgt.) LrskelclsrLsicisntirlus kost- nKiMOllLtr.
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