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Ar 28». Tonnabend, den 12 Dezember 1814 41 Jahr«««« L4 hMger. Jahrhunderte hindurch sind als Folgeer scheinungen des Llriegcs Hunger lind Pest cin- getreten und fast noch mehr gefürchtet worden, als der Krieg selbst. In alten Kirchengebeten aber waren stets „Krieg, Hunger lind Pesti lenz" als die größten Schrecken bezeichnet, die die Menschheit betreffen könnten In den mo dernen Kriegen sind die Gefahren des Hun gers und der Seuchen durch den Verkehr und die Wissenschaft erfolgreich bekämpft worden, wenngleich mißliche Lebensmittelverbältnisse auf einzelnen Kriegsschauplätzen ebensowenig ganz zu vermeiden waren, wie Epidemien, die unter solchen außergewöhnlichen Zuständen sich zu zeigen pflegen. Eine schwere Geißel, die nocb nach dem Kriege von 1866 auftrat, die Cholera, ist durch die wissenschaftliche Erfor schung des Krankheitserregers für die Kultur staaten so gut wie beseitigt und kann auch für uns Deutsche im jetzigen Weltkriege kaum ernst haft in Betracht kommen. Nun haben unsere Gegner bekanntlich mit der Aushungerung Deutschlands gerechnet. Es ist seit undenklichen Zeiten zum ersten Male der Fall, daß die internationale Verladung von Brotkorn unterbunden ist. Napoleons Kontinentalsperre zu Anfang des vorigen Jahr hunderts betraf hauptsächlich nur Genußmittel, während heute England im buchstäblichen Sin ne des Wortes versucht, uns den Brotkorb hö her zu hängen. Dem Versuch ist durch die Maßnahmen der deutschen Rcichsregierung er folgreich entgegengewirkt, und wir können da von sogar für die Zeit nach dem Kriege noch eine erzieherische Wirkung erhoffen, insofern, als die Nichtachtung von Brot-, Kartosfel- nnd anderen Speiseresten ihr Ende gesunden hat. Der Krieg beginnt indessen jetzt in anderer Weise das Zeichen des Hungers herauszuhän gen. Nicht bei uns, wohl aber ist in Ruß land und in Frankreich ein hoher Mangel an Lebensmittel bemerkbar. Es ist noch keine ausgesprochene Hungersnot, aber es können sich schwierige Verhältnisse entwickeln. Viele Frauen und Kinder in Frankreich lind in Bel gien wären zweifellos der Entkräftung erlegen, wenn nicht unsere Soldaten von ihren eigenen Vorräten verteilt hätten. Noch schlimmer aber tritt die Not in Rußland auf. Die Armeen des Zaren in Polen sind von Anfang an bös daran gewesen; die miserable Proviantvcrwal- tung ließ die Truppen, als der Krieg kaum begonnen hatte, schon Tage lang hungern, so daß sie oft genug auf den Kampf verzichteten und sich gefangen nehmen ließen. Selbst Of fiziere trieb der Hunger dazu, den Degen dem siegreichen Gegner auszuhändigcn. Jetzt ist die Not für den Feind in Polen sehr stark gewachsen, Tagesbefehle der russischen Generale selbst verkünden, daß die Proviantzu- suhr alles zu wünschen übrig läßt. Vor zwei Jahrzehnten, bei dem ersten großen kriegsmä ßigen Manöver in Rußland erklärte der Höchst lommandierende General Dragomirow in offe ner Entrüstung, es sei eine Schande, daß Zwie back mit Würmern und Pferdefuttcr von einer Qualität geliefert worden sei, daß eS die Tiere nicht anrühren wollten. Die Lotteret in Rußland ist seitdem nicht verschwunden, und das hierdurch herbeigeführte Elend ist wesent lich verschärft worden durch die deutschen Sie ge. Neben der Strategie des Feldmarschalls von Hindenburg, der Tapferkeit der deutschen Soldaten ist jetzt der wirkliche, unverhüllte Hunger als weiterer Gegner der Russen aus getreten, der zu ihrer Vernichtung beitragen wird. Menschenmassen aus Menschenmassen haben die Generale des „Friedenszaren" Nikolaus schonungslos in den Tod getrieben, sie glaub ten den Sieg zwingen zu können. Jetzt legt ihnen die Not die dürren Finger auf den Arm. Und es fehlt den Russen nicht allein an Nah rung, auch die Munition wird knapp. Die Pferde der feindlichen Kavallerie sind der Ueber- anstrengung und dem Futterniangel erlegen, während auf deutscher Seite jeder Mann zu Fuß und zu Pferd bereit ist zum letzten Schlag. Wie ich mein eiserner Krenz erwarb. Am Morgen des 22. August stieß unser Ne- giment, das 7. Württemvergische Nr. 125, bei Musson (Belgien) auf den Feind. Unser 8. Bataillon hatte die Spitze und kam beim Auf marsch und bei der Entwicklung aus den lin ken Flügel der Brigade. Infolge des sehr dichten Nebels gingen wir nur sehr vorsichtig vor, das Gewehr schußbereit in der Hand. Am Rand eines Haferfeldes nahmen wir Stellung. Ich ging mit 2 Gefreiten als Patrouille vor, kam aber nicht weit, da uns gleich ein starker Geschoßhagcl ernpfing. Der eine Gefreite er hielt einen Schuß in den linken Oberarin, im übrigen blieben wir von Treffern verschont. Wir Ivarfen uns der Länge nach in eine tiefe und breite Grenzfurche und riesen unserem Zug führer die Meldung zu. Wir lagen ungefähr 20—25 Schritt von der feindlichen Schützenli nie entfernt, von der unseren in einem Ab stand von 60 Schritten. , Nach zirka 2 Stunden ging's zum Sturm, da inzwischen das feindliche Feuer immer schwächer wurde und der dichte Nebel sich all mählich verteilte. Wir warfen den Feind aus all seinen Stellungen und verfolgten ihn, ihm stets auf den Fersen bleibend, zum jenseitigen Hügel, der uns wieder freies Schußfeld bot. Hierbei mutzten wir durch ein Tal, das von einen, ziemlich tiefen Bach durchflossen war, den wir nur an einigen Stellen überschreiten konnten. Jenseits des Baches, am Futze des Hü gels, befand sich eine Bahnlinie, die nach Ha- laucy führte. Hier hatten sich an einen, Ein schnitt zwei französische Maschinengewehre ein gegraben, die unser Zentrum unter Feuer nah men und von unseren Maschinengewehren lei der ohne Erfolg beschossen wurden. Allzu tief eingegraben, boten sie kein Ziel. Schon beim Vorgehen war mein Gedanke, wenn dir nichts passiert, so holst du sie. Ich schlug mich beim Ueberschreiten des Baches aus den rechten Flügel in die Nähe unseres Herrn Majors, um dann gleich auf die Maschinenge wehre losgehen zu können. Als wir jenseits der Bahnlinie und in Höhe des Bahnkörpers waren, rief ich: „Herr Major, die Maschinen gewehre rechts, die hol' ich." Ich lief, so schnell ich konnte, den Abhang hinauf. Oben machte ich halt, um etwas zu verschnaufen. Ich sah, daß sie noch ca. 30 Schritt vor mir lagen — ich kau, von der Flan ke her und konnte so unbemerkt herankommen — nun schrie ich: „Hurra!" so laut ich konn te, und im Laufschritt rau. Zwei von der VedeckungSmannschaft gingen durch, ein drit ter legte auf mich an. Aber noch schneller als er schoß ich, Gewehr an der Hüfte, und traf ihn durch die Brust. Drei weitere flohen, ei nen konnte ich noch, als er zur Flucht sich wandte, totschießen. Nun war ich Herr der Maschinengewehre. In meiner Freude nahm ich eins von seinem Gestell und hob es hoch — verbrannte mir aber dabei zur Strafe meine rechte Hand. A. Sattler, Musketier, 10. Komp., Jnf.-Rgt. Nr. 125 (Württbg.) Ein Fra»MMmMch als MWManer i« -er Front im Ses-rSch mit Lelchwemmdetc». Mit dem Beginn der allgemeinen Mobi lisierung von Heer und Flotte macht auch die Mllitärgeistlichkeit aller kriegführenden Nationen mobil. Den einzelnen Divisionen werden Feldgeistliche, Feldprediger und Feld kapläne aus der Zahl der Militärseelsorger beigegeben. Ein Divisionspfarrer trägt be sondere Abzeichen auf seinem besonderen Ornat. Ihm stehen Pferd und Wagen zur Verfügung, auch ist er beritten, um schnell von einem Ort zum anderen zu gelangen, je nachdem die Umstände dies erheischen. Ein Feldküster und zwei Trainsoldaten bilden seine Gefolgschaft. Die eingehende Seelsorge in den Lazaretten, Quartieren oder auch bei den Reserven draußen im Felde läßt sich natürlich nicht durch allgemein gültige An ordnungen oder durch Divisionsbefehle regeln, sondern muß unter Ausnutzung sich bietender Gelegenheiten ausgeübt werden. Der Feld geistliche sucht daher bestimmte Truppenteile selbsttätig auf und begibt sich von Fall zu Fall dahin, wo seine Anwesenheit von Nutzen ist. Sie amtlichen Auskunstsstellen. Ausschneiden! N. 1. Hinsichtlich der Vermittelung von Nach richten an Angehörige deutscher Familien im Felde oder in feindlicher Gefangenschaft wird folgendes anderweit bekannt gegeben: 1. Auskünfte über das Heer, d. h. Anfragen wegen verwundeter, gefallener, vermißter oder in Lazarette» behandelter Soldaten, erteilt für die preußischen Truppen das Zentral- Nachweisbureau des Kgl. Preuß. Kriegs ministeriums in Berlin klW. 7, Dorotheen- str. 48 — Auskunftsstelle über Gefallene, Verwundete usw. —, für die sächsischen Truppen das Nachweis bureau beim Kgl. Sachs. Kciegsministerium zu Dresden-N. 6, Königstraße 15, für die bayerischen Truppen das Nachweis bureau beim Kgl. Bayr. Kriegsministerium zu München, für die württembergischen Truppen das Nachweisbureau beim Kgl. Württembergi schen Kriegsministerium zu Stuttgart, für die Angehörigen der Marine die Aus kunftsstelle des Reichsmarineamts in Berlin. 2. Es erteilen Auskünfte über deutsche Kriegs gefangene in Frankreich: 1. Zentral-Nachweisbureau des preußischen Kriegsministeriums in Berlin 7, Dorotheenstraße 48, 2. Exenes äs rsnssixnsmsvt paar prison- nisrs äs Ausrrs L Olsnövs (Zuisss), rus äs l'^tkLoös 3, 3. Ca oroix rouxs travhaiss, Commission äss prisonmsrs äs xuerrs, Loräs^ux, 56 Harn äs» Obartrons, über solche in Großbritannien: Vks krisonsrs ot var Intormkrtion Lursau, Conäon 49, IVsllinAton Ntrsst, 8tr»nä, über solche in Ruhland : Das dänische Rote Kreuz in Kopenhagen, über solche in Belgien: Das Rote Kreuz in Brüssel, über solche in Gibraltar: 6ommnnäsr krisonsrs ok cvar, dibraltku-. Alle Sendungen müssen offen sein, solche mit dem Vermerk „Kriegsgefangenensendung" werden portofrei befördert. 3. Auskünfte über andere Deutsche in Feindes land (Zivilgefangene) erteilt die Zentralaus kunftsstelle für Auswanderer, Berlin VV. 35, Karlsbad 9/10. Außerdem dürfen Erkundigungen nach im feindlichen Auslande aufhältlichen Personen in offenen Briefen an zuverlässige Geschäftsfreunde oder Bekannte im neutralen Auslande mit der Bitte um Weiterbeförderung gesandt werden. In besonderen Fällen können auch um Ueber- mittelung von Nachrichten nach dem feindlichen Auslande einzelne hierzu ermächtigte Kaiserlich Deutsche Konsulate im neutralen Auslande an gegangen werden. Oertliches und Sächsisches *— 10 Grad Wärme im Dezember. Nachdem uns in der zweiten Novemberhälfte der Winter einen vorzeitigen Besuch abgcstattet, brachte der Schluß der ersten Dezemberwoche eine recht wenig weihnachtliche Witterung, kletterte doch die Quecksilbersäule bis auf 10 Grad Wärme hinauf. Vielen, insonderheit aber solchen Familien, die mit den Kohlen in diesem Jahre sehr sparsam Kin tcks zmeliltdtl!. Roman von K. Deutsch. M Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Wollen Sie Vertrauen zu mir haben? Sw sagten mir einmal vor Monaten, Sie wären ganz verwaist, da Sie Ihren letzten Halt, Ihren Onkel, verloren. Sehen Sie, liebes, Kind, ich hatte auch Weib und Kind und ha-' be beide — nach kurzem Glück hingeben müs sen. Meine Tochter wäre in Ihrem Alter, wenn sie noch lebte. ^Jch bin ein alter ver einsamter Mann, den bis jetzt nur sein Beruf am Leben erhallen har. Ihre Nähe hat in dieser Zeit mein Herz erwärmt und erfrischt. Denken Sie, ein liebender Vater stände Ihnen ratend zur Seite und haben Sie Vertrauen zu mir. Wollen Sie?" „Ich will!" Sic gab ihm fest und innig die Hand. „Warum legen Sie sich und dem jungen Manne dieses Opfer auf?" „Weil keine glückliche Lösung zu hoffen ist. Da Sie alles wissen, kennen Sie Mich den Ab stand der Verhältnisse. Er ist von altem, un garischen Adel, Graf, ich bin ein bürgerliches Mädchen." „Eine Neigung, >vie die seine, wird wohl imstande sein, diese Schwierigkeit zu über- winden." „Ich gab seiner Mutter das Versprcchen, ihn nie wieder zu sehen und — ich werde mein Wort halten." „Wie konnten Sie das? Was veranlaßte Sie, großmütig gegen die Mutter und grausam gegen den Sohn zu sein?" „Sie schwor ... an dem Tage zu . . . sterben, an dem ich des Sohnes Gattin wür de, und ich wußte, sah iie Wort halten wür de. Konnte ich um einen solchen Preis mein Glück erkaufen?" „Sie konnten es nicht!" Er legte in Inser Bewegung die Hand auf ihr Haupt. „Aber eben, daß Sic nicht konnten, macht Sie zu dem, was Sie sind . . . Wußten Sie, daß er nach Ihnen forschte?" fragte er nach einer Weile. Sic verneinte. „Ich hörte all die Jahre nichts von ihm. Die Krankheit des Onkels rief mich im Frühling heim, dann brach der Krieg aus; seit der Zeit bin ich in Lazaret ten tätig." „Vielleicht haben während dieser Zeit die Verhältnisse sich geändert," sprach der Ober arzt, selbst von Hoffnung erfüllt. „Vielleicht lebt die stolze Frau nicht mehr oder wenn sie lebt, hat der feste, beharrliche Sinn des Soh nes ihren eigenen gewandelt. Ein Mutterherz kann nicht lange widerstehen, und wenn es noch so fest und energisch ist. Ist er der ein zige Sohn?" „Der Einzige. Der Vater starb vor langen Jahren den politischen Märtyrertod. Die ein zige Tochter wurde ihr früh entrissen. Sie floh mit einen, bürgerlichen Manne und starb jung im tiefsten Elend." „Gewiß ein höchst seltsames Verhängnis, das auf dieser Familie ruht. Hat das Ihren Entschluß bestimmt?" „Nein, mein Freund; es war der furchtbare Preis. Dann fühlte ich auch Mitleid. So sehr ich die Vorurteile verdammen mußte, wollte ich es doch nicht sein, welche der alternden, schwergeprüften Frau den letzten Schlag ver setzte." „Mein liebes Kind," sagte der Oberarzt nach langem Schweigen, „trotz allem, was Sie mir erzählten, bleibt mir nur so viel zu sagen übrig: die Entsagung noch weiter getrieben, wäre nicht nur ungerecht, sondern grausam, ja unnatürlich. Ich will nicht von dem sprechen, was bis jetzt war. Jeder edle Mensch trägt sein Rechtsbewutztsein in sich und das Maß richtet sich nach der Größe, die ihm innewohnt. Ich spreche von jetzt ab weiter. Sie haben der Mutter den Sohn erhalten. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß seine Genesung ein Wund« zu nennen ist und dieses Wunder Ihre Nähe ewirit hat. Ater wenn auch dieses wegfällt, es ist eine Grausamkeit, den jungen Mann in diesem marternden Zustande zu lassen. So lange sie ihm nicht erfüllt, was er mit dem gläubigsten Mute erwartet, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag erwartet, wird er nicht gesund werden. Der Oberarzt fuhr fort: „Ja, man kann gar nicht wissen, welche Folgen dieser peinigende Zustand von ewiger Erwartung und nie Er fülltwerden, von ewiger Hoffnung und ewigem Enttäuschtwerden auf die reizbare Natur und das geschwächte Nervensystem des kaum Gene senden hervorbringen kann. Mein Rat ist: Gönnen Sie ihm und — sich das Wiedersehen und überlassen Sie das Wettere einer weisen Vorsehung." Wozu der wackere Mann riet, konnte nur in jeder Weise makellos sein. Sie hatte ihn nicht nur als warm und cdelfühlend, sondern auch als streng gerecht kennen gelernt. Viel leicht hatte aber diesmal die warme Teilnah me für sie seine Vernunft gefangen genommen, und ihr erschienen selber die Gründe so klar und einleuchtend, weil — wert sie das Herz so heiß begehrte. Sie rang in quälendem Kampfe mit sich. Cs konnte auch nicht anders sein. Sie hatte mit zu großer Treue all diese Jahre ihr Wort gehalten, um es, wie einmal der Charakter' war, bei der ersten Versuchung nicht gleich zu brechen. Erst als ihr der Oberarzt, wohl ahnend, was in ihr vorging, wie ihr edler Sinn mit dem heißen Wollen rang, sagte, er habe, um alle Selbstquälerei zu enden und weil ihn der Zustand des Grafen dauerte, die sem eingestanden, sic sei im Kloster, gleich sam alle Brücken hinter ihr abbrechend, war natürlicher Weise ihr Widerstand zu Ende. (Fortsetzung folgt.)