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ßMM HchMkii SnUiiM Amkign Tageblatt. Nr S3V. Sonnabend, den 10. Oktober 1V14 41. Jahr««»,» Kriegsfall. Die Landesväter von Rußland und Frank reich, Zar Nikolaus und Präsident Poincaree, verweilen bekanntlich in diesen Tagen bei ihren Truppen, um die Mannschaften zum Entschei dungskampfe anzufeuern. Auch König Georg von England hat die mobilen Regimenter sei ner Armee im Inlands besucht, unterließ aber aus leicht begreiflichen Gründen eine Fahrt nach Frankreich zu seiner Feldarmee. Allen feindlichen Souveränen nnd Staatschefs hat es bei ihren militärischen Besuchen an Ovationen nicht gefehlt, aber weder diese noch die zahl reich verteilten Orden und Ehrenzeichen kön nen gut machen, was verloren ist. Die Kaltblütigkeit der deutschen Heereslei tungen, die Vortrefflichkeit unserer Kriegs rüstung, die Bravour der Truppen, für die nach dem stürmischen Regenwetter nun wieder eine bessere Zeit gekommen ist, können nicht übertroffen werden. Wir sollten uns an den französischen Verschanzungen und an der rus sischen Uebermacht tot rennen, aber die andau ernden Vorteile der Unserigen zeigen, daß sich die Gegner verbluten. Die bevorstehende Er oberung von Antwerpen vermehrt unsere Kräfte wesentlich, alle französischen Versuche, unseren rechten Flügel anfzurollcn, verpuffen, und die Russen weichen unter dem gemeinsamen deutsch österreichischen Vorgehen zurück. Unsere Streit- lräfte sind tunlichst geschont, und die siegesbe wußte Haltung läßt die unvermeidlichen Stra pazen mit einer Standhaftigkeit ertragen, die wir bei dem Feind nicht sehen. Dabei wir ken dort die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Woche zn Woche lästiger, der Mißmut muß mit Gewalt unterdrückt werden. Im russisch-türkischen Kriege von 1877-78 war es zum letzten Male, daß sich ein Zal im Hanptgnarticr seiner Armee einfand. Das war vor Plewna. Kaiser Alexander, der Groß vater des heutigen Zaren, kam dorthin, nach dem sein ältester Sohn und späterer Nachfol ger, sowie die russischen Generale von den türkischen Marschällen Osman und Mehemed Ali, einem geborenen Magdeburger, geschlagen worden waren. Monate lang dauerte noch das Ringen uin Plewna, bis dieses unter Mitwir kung der Rumänen schließlich durch den balti schen Ingenieur-General Todleben erobert wurde. Wie sein Großvater, will Zar Niko laus die Kommandogewalt seines Oheims Niko, laus Nikolajewitsch, des Führers der russischen Kriegspartci, nicht beeinträchtigen. Das ist selbstverständlich, weil der epileptische Selbst herrscher kein Soldat iß. Im übrigen ist auch die Strategie dieses Großfürsten durch keine Erfolge bewährt. Es gibt sehr wenige russi sche Großfürsten, die sich einen Namen in der Geschichte errungen haben. Auf französischer Seite war zum letzten Male 1870 ein Staatsoberhaupt bei der Ar mee. Napoleon III. war anwesend im Treffen vor Saarbrücken, in Metz, von wo er sich Nach Sedan begab, um mit der Armee des Marschalls Mac Mahon seinem Schicksal zu erliegen. Hüben wie drüben knüpfen sich an die Armeebesuche der Herrscher keine angeneh men Erinnerungen, und die heutigen „großen Tage" werden keine andere Bedeutung als die von Rcpräsentationsnummern haben. Zu stark ist bei den Truppen wie bei ihren Führern schon die Erkenntnis, daß es sich nur noch nm die militärische Ehre, nicht aber um den großen Erfolg handeln kann, und im Osten wie im Westen ist der Respekt nach oben hin längst nicht mehr sehr stark. Vor dem Kriege mit Japan reiste Zar Nikolaus im Lande um her und zeigte seinen nach Ostasien bestimm ten Soldaten Heiligenbilder aus russischen Kir chen und Klöstern, aber oft stellten sich ihm schon die aus dem fernen Osten heimgekehrten Krüppel in den Weg und erhoben murrend ihre Armstümpfe. . . Viel freundliche Ein drücke werden der Zar und der Präsident nicht mit heimbringen und auf die heute noch neu tralen Länder werden die Reisen keinen gro ßen Eindruck machen. Ser PanzerW. Die neue Art der Kriegführung mit „wil den", d. h. führerlosen Eisenbahnzügen, die die Belgier in das in deutschen Händen befind liche Eisenbahnnetz losgelassen haben, ist er folglos geblieben. Die Deutschen Truppen ha ben sich, wie berichtet wurde, in Belgien die ser wilden Züge mühelos erwehrt, indem sie einige Brücken sprengten, so daß die führer losen Lokomotiven in den Fluß stürzten, ohne den geregelten Eisenbahnverkehr stören zu kön nen. Eine rationelle Waffe bildet dagegen der ans deutscher Seite in Belgien und sonstwo verwendete Panzerzug, über den in der „Straßburger Post" der Führer eines solchen, Leutnant d. R. Kurt Blaum, Direktor der städtischen Armeeverwaltung in Straßburg, aus Brüssel vom 26. September folgende intereß saute Mitteilung macht: „Ich bin hier Kommandant eines Panzer zuges und habe mit diesem vorgestern eine Ge walterkundung bis 30 Kilometer vor unsere letzten Vorposten unternommen, um die Am Wesenheit belgischer Truppen im Westen aufzu- klärcn. Hierbei fuhr ich mitten in den belgi schen fahrplanmäßigen Schnellzugsverkehr hin ein, beschlagnahmte die Post des eben in der Betriebsendstation eingetroffenen Zuges und verfolgte einen zweiten auf der belgischen Be triebsstrecke noch drei Stationen weiter, bis ich ans stärkere Infanterie und auf Truppenaus ladungen stieß. Dort zerstörte ich die Strecke und den Betrieb. Bei der wegen der Wich tigkeit der Meldungen, der Unruhe der Bevöl ¬ kerung und der Entfernung von unseren Trup pen (30 Kilometer) sehr raschen Rückfahrt kam der Zug 10 Kilometer vor unseren Vorposten zur Entgleisung. Eine belgische Pionier-Nad- fahrerkompagnie, der unser Kommen aus der Hinfahrt von Einwohnern vorgemeldet war, hatte hinter mir die Strecke gesprengt. Der Fernüberfall durch ihre zurückgelassenen Grup pen wurde von meinen Leuten abgeschlagen. Wir stellten ein Gleis in anderthalb Stunden für unseren Zug wieder her und gelangten glücklich in den Bereich unserer Truppen zu rück. Bei der Entgleisung wurde ich, da ich auf dem vordersten Wagen stand, gegen die Panzerung geschleudert und am rechten Knie verletzt. Ich tue jedoch, wenn auch hinkend, ineinen Dienst als Kommandant des Panzer zuges weiter und habe gestern zwischen unse rer und der belgischen Schützenlinie im Ge fecht mit meinem Zuge die Gleise eines Bahn hofes, die siebenmal gesprengt waren, in zwei Stunden wiederhergestellt, um gewaltsam zu erkunden, was anch sehr gut gelang. Erst das belgische Artilleriefeuer, dem der Fug nicht ausgesetzt werden darf, vertrieb uns. Vielleicht interessiert Ihre Leser diese Tätigkeit mit ei ner in diesem Kriege zum ersten Male ange wandten Vehikelwasfe!" Zum Kriege. „Das Eiserne K euz erhalten" lauten schlicht und kurz die Meldungen, nur die wenigsten ahnen, welche Heldentaten vorausgc- gangen sind, ehe dieses Ehrenzeichen dem Glück lichen auf die Brust geheftet wurde. Hier eine von ihnen: Beim Sturm auf Lüttich war schon ein Fünftel einer deutschen Batterie gefallen, bevor sie noch in Stellung gehen konnte. Da fliegt wieder so eil» b.lgisches Riesengeschoß mit dumpfem Schlag mitten in die Batterie. Dcr Sand spritzt nach allen Seiten, die zentnerschwere Granate liegt offen in der Höhlung und muß jeden Augenblick explodieren. Da springt dcr Unteroffizier Hans Heinemann mit dem Ruf: „Lieber einer, als alle!" aus das 125pfündige Geschoß und schleppt es, an den Leib gepreßt, im Laufschritt aus der Batterie in die eigene Feuerlinie hinein. Wäre das Geschoß in diesen Sekunden explodiert, der Mann wäre in tausend Stücke zerfetzt worden! Aber es glückte ihm, 20 Meter vor der Batterie es von sich zu werfen. Eilig läuft er zurück, da explodiert das Ungetüm, nur ein Splitter trifft den Braven in, Fuß. Trotz dieser Verwundung macht er noch den Sturm auf Lüttich und einen dreistündigen Strußcnkampf mit, vis er bewußtlos zusammen bricht. — Hinter jedem Eisernen Kreuz verbirgt sich eine ähnliche Heldentat! Im Franktirenrlager. Auf dem Truppenübungsplatz in Ohrdruf befinden sich unter den 30000 Gefangenen laut „Franks. Ztg." auch 158 belgische Franktireurs, Leute, die sich ausnahmslos aufs schwerste an den deutschen Truppen vergangen haben. Das deutsche Gerechtigkeitsgefühl aber läßt es nicht zu, daß sie kurzerhand erschossen werden, und so sehen sie nun in Deutschland ihrer kriegsge richtlichen Verurteilung entgegen Unter all den Gefangenen macht diese Geuppe Menschen einen abstoßenden Eindruck und die deutschen Be wachungsmannschaften erklären, daß sie vor die sem rabiaten Gesindel ständig aus dcr Hut sein müßten. Im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen bleiben die Franktireurs den Tag über in ihrer Baracke eingeschlossen und kommen nur dreimal des TagcS, morgens, mittags lind abends für eine halbe Stunde an die frische Luft. Ein Feldwebel und sechs Mann mit handlich zu- rechtgcrücktem Revolver, geladenem Gewehr und ausgepflanztem Bajonett verteilen sich dann im Halbkreis vor dec Barackentüc, aus der die Ban diten in Gruppen von sechs auf Augenblicke hin aus dürfen. Es sind größtenteils Fabrik- und Landarbeiter in aller: Altersstufen, ein 70jähriger Greis findet sich darnnter und ein 13 Jahre alter Bursche, der in seiner Hosentasche bei der Festnahme 5 abgeschnittene Ringfinger barg. Auch dcr Stadtscheeiber von Lüttich befindet sich unter den Franktireurs, die alle ausgesprochene Galgengesichter haben. Was haben diese Ver brecher alles für Greueltatcn verübt! Moskowitische Hinterlist! Beglaubigte Angabnr üb.r ncue systematische Barbareien der » ssischen Kriegführung liegen laut „Nordd. Allz Ztg " ml der vor. So »w- dienen sich die Russin wiederholt folge».der „Kriegslist": Wenn unsere Soldaten mit den: Bajonett vorstü.mten, warfen die Russen auf eine Entfernnnz von 150 Meter ihre Gewehre fort und hoben zum Zeichen ihrer Ucbergabe die Hände hoch. Als aber d e Unseren auf 50 Meter heran waren, warfen sich die ersten Reihen der Russen zu Boden, um Naum für die vc: steckt gehaltenen Muschinc-ngewrhre zu geben, die ein mörderisches Feuer aus nächster Nähe -nn nufere Soldaten ccöff.ut n B»vm sie d e F'nch: aus besetzten Ortschaften murrten, benützen si regel mäßig die letzten Augenblicke, nm wihUZe Ein wohner in bestimischec Weise zu töten und die Häuser durch Handgranaten in Braud zu setzen. In Angerburg allein haben sie 13 männliche Per sonen unter entsetzlichen Marterungen hingcmordet, 8 von ihnen waren vorher mit einem Strick zn- sammengebundcn worden. 50 andere Bewohner konnten noch im letzten Augenblick gereitet werden, sie waren bereits in einen: Keller cingesperrt worden und sollten nun dasselbe Schicksal wie ihre bedauernswerten Vorgänger erleben. Ohrenzeugen haben bestätigt, daß der russische Befehlshaber Rmnenkampf am Montag, de»: 24. August, vormittags ausdrücklich erklärt Hut, daß er das Neutralitätszeichen des Roten Kreuzes nicht achten werde. Er gab diesen Befehl an 'ME -»-EL eö ,^//7 E /Mw «LAE-Mk i "st »M/7/?/ ist Vom westlichen Kriegsschauplatz bringen wir nebenstehende Kartenskizze. Zu bemerken ist, daß nach amtlichen französischen Schlachtberichten in den letzten Tagen hef tige Kämpfe um Douai, nordöstlich von Arras (Nordfrankreich) stattgefunden haben. Da die deutschen Berichte nur von siegreichem Vorgehen des deutschen Heeresflügels be richten, müssen diese Kämpfe erfolgreich ab gewiesen sein. Zwei Welten. Roman von O. Elfter. 50 Fortsetzung (Nnchdruck «e boten). Ein seltsames Gefühl beschlich Walter, als er an her Seite des lustig plaudernden Jä gers durch die prächtigen Anlagen des Parkes dahinschritt, aus dessen Grün die altersgrauen Mauern des Schlosses hier und da hervor- lcuchtetcn. Also hier war die neue Heimat Ediths? Hier ihre neue Welt? Ob sie in ihr wohl das Glück gefnnden hatte, von dem sic einst an seiner Seite im rauschenden Walde der Vogesen geträumt? Wie lange war es eigentlich her? Vier Jahre — eine kurze Spanne Zeit und doch schien es ihm, als sei ein Menschenalter seitdem verstossen. „Ich sehe die Gräfin auf dcr Veranda", sagte Madlung. „Wollen Sie einen Augen blick warten?" Er eilte vorauf, um Walter auzumelden. Mit heftig klopfendem Herzen stand Wal- ter da. Wie würde ihn Edith empfangen? Da ertönte ein leiser Schrei. — eine schlanke, weißgekleidete Frauengestalt eilte die Treppe herunter und mit ausgestreckten Hän den auf Walter zu. Die hohe, etwas gebeugte Gestalt Mister Griswolds folgte langsam nach. „Herr von Breßnitz — endlich kommen Sie — seien Sie herzlich willkommen — seit einem Jahre fast erwarten wir Sie täglich . . ." Sie reichte ihm beide Hände; in ihren Au gen standen Tränen und um ihre Lippen zuckte ein Lächeln freudiger Rührung. Walter beugte sich tief bewegt über ihre Hände. „Frau Gräfin — dieses Wiedersehen — ich glaubte nicht, daß ich Sie jemals wieder tref fen sollte..." „Kommen Sie — kommen Sie! — Be grüßen Sie meinen Vater — ach, wir haben oft von Ihnen gesprochen! In Ihren Armen ist mein armer Bruder gestorben — Sie ha ben seine letzten Worte gehört — fernen letz ten Blick empfangen. ." Die Bewegung überwältigte sie; sie legte die Hand vor die überströmenden Augen. Mister Griswold schüttelte ernst Walters Hand. „Seien Sie anch mir willkommen, der Sie mir die letzten Grüße «reines Sohnes brin gen — ein Jahr habe ich darauf gewartet — Sie konnten wohl nicht eher komrnen . ." Mister Griswold war sehr gealtert, seine straffe, sehnige Gestalt zusammengesunken, sein Haar fast schneeweiß geworden. Aber in sei- nen Augen ruhte ein warmes, mildes Licht, und ein sanfter Ausdruck hatte die Schärfe und Starrheit seiner Gesichtszügc gemildert. „Rufen Sie den Herrn Grafen", wandte sich Edith an den jungen Jäger. „Ich glaube, er ist mit dem Herrn Hauptmann bei den Pferden." Madlung eilte fort. Edith aber führte Walter auf die Veranda, und — nun mußte er erzählen von der letzten Stunde Freds, von seinen letzten Worten, seinen letzten Au genblicken. Walter berichtete mit möglichster Schonung und betonte vor allem, mit welcher Liebe der Sterbende seines Vaters und seiner Schwester gedacht. Ein ernstes, wehmütiges Schweigen trat ein. als er geendet. Tief zusammengesunken saß Mister Griswold da, über seine hageren, blassen Wangen rannen langsam die Tränen herab. Dann atmete er tief auf und erhob sich. „Entschuldigen Sie mich, bitte Herr von Breßnitz — ich muß allein sein — meine Fassung wieder gewinnen — es ist nichts mehr zu ändern..." Rasch schritt er davon, als wollte er sei nen Schmerz den Augen der anderen ver bergen. „Es hilft nichts —" sagte Edith nach einer Weile, „es muß getragen werden, wie so man ches im Leben. . ." Ihre Worte klingen wehmütig — resigniert, Frau Gräfin", entgegnete Walter mit ernster Miene. „Und doch glaube ich, daß Sie keinen Grund zur Klage haben." Ein rascher, forschender Blick ihrer Augen traf ihn. „Und haben Sie Grund zur Klage?" fragte sie. „Haben Sie nicht erreicht, wonach Sie ge strebt? Sind Sie nicht ruhig, zufrieden ge worden?" „Ja — ich bin ruhig — ich bin zufrie den, wenn Sie wollen. Ich habe erkannt, daß des Lebens Wert einzig und allein in der angestrengten Arbeit besteht. Sie hilft uns über alles hinweg, über Enttäuschungen, ver gebliche Hoffnungen, selbst über ein verlorenes Leben..." „Und ist Ihr Leben ein verlorenes Le ben? Ein reiches Dasein liegt hinter Ihnen. Ihr Name wird jetzt schon in der Welt der Wissenschaft mit Ehren genannt — Sic wer den weiter streben, weiter arbeiten und nicht nur ruhig und zufrieden, sondern anch glück lich werden." „Glücklich? — Was ist Glück? In ihren Angen leuchtete es auf. „Das Glück will erkämpft sein, Walter! Sie sind ein Mann. — Sie sollten Kraft und Mut haben, das Glück sich zu erkämpfen — wie ich es getan hab«!" (Schluß folgt.).