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Das Haus am Nixensee. Original-Roman von Irene v. Hellmuth. »1. Fortsetzung. (Nachdiuck verboten). „Wie nahe ist inan manchmal dein Tode," murmelte sie init blassen Lippen. Es tastete ihr Mähe, sich zu erheben. Mit wankenden Schritten ging sie dem nicht mehr lernen Hause zu. Frau von Bredersdorsf schlug erschreckt die Hände zusammen, als sie ihre junge Freun din erblickte. Leichenblaß, zitternd vor Nässe, noch schwach von dem ausgestandenen Schrecken und der Angst, vollständig durchnäßt und mit triefendem Haar, so stand sie vor der er schrockenen alten Dame. Diese nahm, ohne sich zu besinnen, Grete bei der Hand, und ! ährte sie in ihr Schlafzimmer, wo sie eilends trockene Wäsche und Kleider hervorsuchte. „So, nun ziehen Sie sich so rasch als möglich um, ich besorge indessen heißen Tee, hoffentlich hat die Geschichte keine weiteren Folgen," sagte sie eifrig, und half dem Mäd chen aus den triefenden Kleidern. Dann eilte sie davon, nm draußen die nö tigen Befehle zu erteilen. Grete betrachtete die feine, ihr zurechtgelegte Wäsche, die samt dem eleganten, mit weißen Spitzen verzierten hellbraunen Schlafrock gewiß von der verstor benen Tochrer stammte. Als Frau vou Bredersdorsf zurückkehrte, betrachtete sie das Mädchen mit überströmen den Augen. „Ich könnte fast glauben, meine Annemarie vor mir zu sehen," sagte sje mit vibrierender Stimme. Aber gewaltsam drängte sie dis Tränen zurück. „Sie müssen versuchen, ein wenig zu schla fen," begann sje mit sorglichem Ton und nö tigte das Mädchen auf das bequeme Ruhe sofa, das die eine Längswand des Zimmers einnahm. „Nur mn eins bitte ich Sie, gnädige Frau," begann Grete, nachdem sie sich in woh ligem Behagen ausgestreckt, „haben Sie doch die Güte, jemand zu meiner Mutter zu senden. Ich weiß, sie befindet sich meinetwegen in gro ßer Sorge und Unruhe. Lassen Sie ihr bitte sagen, daß mir nichts geschehen ist." Die alte Dame nickte. „Gern mein Kind, und wenn ich hinzu- Fgc, daß Sic de» Abend bei mir verbringen und daß ich Sie dann in meiner Equipage heinifahren lasse — ist Ihnen das recht?" Greie lächelte. „Gewiß, ich willige mit Freuden ein." „Das ist lieb von Ihnen; auf diese Weise darf ich Sie doch ein Paar Stunden länger hier behalten." Nachdem sie die nötigen Anweisungen ge geben, setzte sich Frau von Bredersdorsf mit einem Buch an das Fenster. Grete lag ganz still. Aber sie schlief nickt. Sie ließ die Blicke in dem mit kostbaren persischen Tep pichen belegten Raum umherschweifen. Das mächtige, init dunkelroten Gardinen versehene .Himmelbett nahm die gegenüberliegende Wand ein. Ein großes weißes Eisbärfell lag da vor. Von der Decke bered hing eine rotver schleierte Ampel. Prächtige Oelgemälde schmück, ten den behaglichen Raum. Gegenüber der Tür stand aus einer Staf- islei ein lebensgroßes Bild. Jedoch war ein dichter grauer Schleier darüber gezogen, so daß man nichts wahrnehmen konnte, wen es vorstellte. Und mit diesem Bilde beschäftigte sich die Phantasie des Mädchens unablässig. Gar zu gern hätte sie einen Blick unter den verhüllenden Schleier geworfen. Aber da sie als sicher voraussetzte, daß es eines der Kin der vorstellte, wagte sie lange nicht mn Ent- sernung der häßlichen, grauen Hülle zu bitten aus Angst, kaum vernarbte Wunden aufs neue bluten zu machen. Dennoch siegte schließlich ! die begreifliche Neugierde über alle anderen Bedenken. „Darf ich fragen, wen das Bild dort vor- ßellt?" begann sie endlich schüchtern. „Ach, ütte, gnädige Frau, lassen Sie es mich sehen." Frau von Bredersdorsf stand auf. „Es ist mein Sohn, mein Einziger, der einst mein Stolz und meine Freude war — der letzte Sprosse unseres alten Namens!" klang es fast feierlich von den Lippen der Frau, während sie drn Schleier entfernte. Grete starrte auf das Bild. Mit jähem Ruck war sie in die Höhe gefahren und stand in wortlosem Staunen vor dem Gemälde, das einen Offizier in der Paradeuniform der schwar zen Husaren vorstellte. Aber welch fesselnde, blendende Erscheinung war das! Die Gestalt vom herrlichsten Ebenmaß, schlank und doch kraftvoll gebaut. Die Augen so tiefblau, wie ein klarer L>ee, in dem sich der lachende Him mel widerspiegelt, die Haare von jenem köst lichen Blond, das man manchmal auf den Gemälden der alten Meister bewundern kann — die Lippen halb geöffnet und darüber ein kühn aufgewirbcltes Schnurrbärtchen, die schmale Nase, die hohe Stirn, alles in allem eine Er scheinung, die aus drn ersten Mick un eding! fesseln muß, und die man so leicht nicht ver gißt- Auf dem jungen Gesicht Gretes standen Staunen und Bewundern deutlich geschrieben. Sie vermochte den Blick nicht loszureißen von dem herrlichen Bilde. Endlich hob ein tiefer Atemzug ihre Brust. Sie hatts ganz verges se», wo sie sich befand, und sah erst ans, als sie neben sich ein heftiges Schluchzen vernahm. „Gnädige Frau," rief Grete in auswallen- der Bewegung und streckte der Weinenden beide Hände entgegen. „Was müssen Sie ge litten haben! Welch furchtbares Geschick, einen solchen Sohn verlieren zu müssen!" Die Angeredete suchte sich zu fassen. Tageblatt. 4t. Jahrgang Sonnabend, dem 18. Juli 1814 »r 1«4 Kleine Eheonik. Schwere Gewitter. Die schweren Gewitter haben allenthalben furchtbare Verheerungen in den nördlichen Teilen des Rheinlandes und im Sauerland verursacht. Bei Rheinhausen auf der linken Nheinseite bei Duisburg wurde ein 70 Jahre alter Landwirt auf dem Felde vom Blitz erschlagen und seine in der Nähe arbeitende Frau gelähmt. In Wat tenscheid tötete der Blitz ein 19 Jahre altes Mädchen, das im Blumengarten auf einige Augenblicke beschäftigt war. In der Nähe voll Essen schlug der Blitz in einen dicht besetzten Straßenbahnwagen, der in Flammen aufging. Die Insassen konnten sich retten. Bei Hattingen wurden zwei landwirtschaftliche Besitzungen mit Inventar und viel Vieh durch Blitzschlag einge äschert. Die Anlagen der elektrischen Straßen bahnen und die Telephon- und Telcgraphenlei- tungen sind an den Landstraßen an vielen Stellen zerstört. In der Oberhausener Gegend hat der Blitz ebenfalls an vielen Stellen schweren Scha den angerichtet und u. a. die Besitzung eines Landwirts mit Nebengebäuden eingeäschert. Am schwersten aber hat das Gewitter im Sauerland gewütet, wo es einen Tag und eine Nacht un unterbrochen anhielt und für mehrere hundert tausend Mark Schaden verursacht hat. Was vom Hagelschlag an der reifen Ernte und an Kartoffelfeldern verschont geblieben war, ist durch die sintflutartig niedergehenden Regengüsse zer stört worden. An vielen Stellen sind Häuser und Stallungen durch Blitzschlag zerstört und viel Vieh auf den Weiden erschlagen worden. Menschen sind im Sauerlande, soweit bislang bekannt geworden ist, nicht zu Schaden gekom men. — Aus Trier wird gemeldet: In der^Eifel gingen am Mittwoch sehr schwere Gewitter nie der. Zwei Männer und ein junges Mäd chen wurden vom Blitz erschlagen. — Weiter wird aus Oedheim (Württemberg) gemel det: Bei dem am Mittwoch niedergegangenen schweren Gewitter wurde die 40 Jahre alte Ehefrau Becker, die unter einem Weidcn- baum Schutz gesucht hatte, vom Blitz erschlagen. Ferner wurde die Ehefrau Mosthaf vom Blitz getroffen und schwer verletzt. Ein Briefträger, der ebenfalls unter dem Baume Schutz gesucht hatte, kam mit dem Schrecken davon. — In Dir- genheim bei Nördlingen wurden die 61jährige Bäuerin Sauser und ihre 22jährige Tochter Mar garete auf dem Heimweg von dem Felde durch einen Blitzstrahl getötet. * Ja ber Schachtzimmerung totgequetscht. Auf der Zeche „Neumühl" bei Duisburg wurden die Arbeiter Dombinski und Keitmann, die dem Verbote entgegen mit dem Aufbruchskorb zur Arbeitsstelle fuhren, zwischen Korb und Schacht zimmerung totgequetscht. * Ueber eiue Meile hoch. Nicht 7500 Meter, sondern, wie genaue Nachprüfungen des Physi kalischen Institutes der Leipziger Universität er geben haben, über 8000 Meter hoch ist der Flie ger Oelerich bei seinem Weltrekordflug gestiegen. Damit dürfte die Höchstgrenze so ziemlich erreicht sein. * Rassische Räuber ia einer Vaal. Aus Tiflis wird gemeldet: Eine Räuberbande über fiel die Kreditanstalt der Stadt Gori und raubte 13000 Rubel. Die zu Hilfe gerufene Polizei erschoß zwei Räuber und nahm ihnen das Geld ab. Auf Seiten der Polizei wurden vier Mann verwundet. Kaiser Wilhelm H. in Rormgen. ^Unser Bild zeigt oben die Kaiserjacht „Ho- henzollern", unten die Begrüßung durch zdie Bewohner. Deutliches GSchstscheS. *— Kerne „Königs-Einjähri gen". Im Publikum besteht vielfach die An sicht, daß junge Lerrte, die zwar die wissen- schaftliche Befähigung, aber nicht die Mittel zum Dienen als „Einjährig-Freiwilliger" be sitzen, durch allerhöchste Gnade oder mit Ge nehmigung der obersten Militärbehörden als sogenannte „Königs-Einjährige" ihrer Dienst pflicht genügen könne», das heißt, daß sie von der Militärverwaltung ganz oder teilweise ver pflegt, gekleidet und untergebracht werden. Diese Annahme ist irrig. „Königs-Einjährige" gibt cs nicht. Nach den Bestimmungen der Deutschen Wehrordnung darf nur einem Ein- jährig-Freiwilligen, der bereits eingestellt ist und der der Mittel zu seinem weiteren Unter- balte ohne eigenes Verschulden während seiner aktiven Dienstzeit verlustig geht, vom General kommando ausnahmsweise die Geld- und Vrotverpflegung und unter besonderen Umstän den auch Bekleidung, Ausrüstung und Quar tier gewährt werden. * Glauchau, 16. Juli. Ein äußerst ge meingefährlicher Heiratsschwindler hat hier eine vermögende Witwe arg gebrandschatzt. Es han delt sich um einen Anfang der dreißiger Jahre stehenden Elektromonteur namens Brunn, der bereits in zahlreichen Großstädten des In- und Auslandes mit Erfolg operiert hat und von einer Reihe von Staatsanwaltschaften steckbrief ¬ lich gesucht wurde. Mit dem Gelds seiner hiev wohnhaften Braut, einer Witwe mit einem Kinde, übernahm er vor einigen Wochen in der Lindenstraße 50 die Restauration „Zum Mul dental". Um in den Besitz größerer Barmit tel zu kommen, versuchte Brunn dis Schank- wirtschaft, die schon ziemlich flott ging, sozu sagen unter der Hand zu ver'ausen. Die Frau bekam aber Wind davon und nahm ihm die auf seinen Namen lautende Vollmacht weg, sodaß der neugebackene „Gastwirt" nichts be- ginneu konnte, was ihn in den Besitz einer größeren Summe setzte. Da nun beim Nach suchen der Konzession für den Schankbetrieb die persönlichen Verhältnisse des sicher und ge wandt auftretenden Brunn einer genauen Prü fung unterzogen wurden, stellte es sich heraus, daß für den Pseudo-Gastwirt sich zahlreiche Behörden interessierten und u. a. ein Haftbe fehl des Fürstlichen Amtsgerichts Greiz gegen ihn hier vorlag. Brunn zog cs aber vor, zur persönlichen Verhandlung vor dem Amtsge richt nicht zu erscheinen, sondern in der Nacht vom 14. zum 15. Juli heimlich zu verduften, und zwar unter Mitnahme sämtlicher erreich baren Barmittel und Hinterlassung einer recht erheblichen Schuldenlast. Als die Polizei Kenntnis von der Flucht und den Betrügereien des Brnun erlangte, nahm sie sofort eine um fassende Untersuchung auf, sodaß es ihr ge lang, den gefährlichen Gauner bereits gestern abend in einem kleinen Zwickauer Hotel zu verhakten, just in dem Augenblick, als der ge riebene Schwindler sich rüstete, eine „kleine" Auslandsreise anzutrete» Brunn wurde sofort dem Königl. Amtsgericht Zwickau überwiesen. Eine Reihe Glauchauer Geschäftsleute hat der Gauner dadurch erheblich geschädigt, daß er sie zu beträchtlichen Warenlieferungen zu bewegen wußte und die Waren dann mit einem Hel fershelfer zu Schleuderpreisen an den Mann zu bringen verstand. * Reinhold-Hain, 16. Juli. Drillinge als Erst- Geburt wurden einer hier wohnhaften ledigen Fabrikarbeiterin beschert, und zwar 1 Knabe und 2 Mädchen. Es sind 2 davon bereits wieder gestorben. * Niederwinlel, 16. Juli. Ein außerordent lich seltener Blitz wurde vorgestern abend hier beobachtet. Derselbe hatte fast die Gestalt eines Drudenfußes, eines dreifachen, ans 5 Linien be stehenden Dreiecks. * Stollberg, 17. Juli. Unerwartet wurde gestern der erste Vorstand des am 1. April 1911 begründeten Meldeamtes Stollberg, Bezirksoffizier Major z. D. Schmidt durch den Tod seinem Wir kungskreise entrissen. * Zwönitz, 16. Juli. Gestern jährte sich zum 25. Male der Tag der Eröffnung der Eisenbahn- ! linie Stollberg—Zwönitz. * Bautze», 16. Juli. Vom Amte suspendiert j wurde der Gemeindcvorstand Johann Schieback j in Preuschwitz, dessen zahlreiche in der letzten Zeit i geführten Prozesse viel Aussehen erregten. Wie ! verkantet, soll gegen ihn cm Strafverfahren wegen ; Zeugenmeineid schweben. s i Ile WeMillld-AilMW in Köln ist nunmehr nach langem Bemühen fertig gestellt. Davon überzeugten sich dieser Tage gegen zweihundert Vertreter der deutschen und ausländischen Prssse, die auf Einladung des Oberbürgermeisters Wallraf aus aller Herren Länder nach Köln gekommen waren. Sic wurden vormittags durch Bürgermeister Carl Rehorst, dem Schöpfer des Gesamt plans der Ausstellung im Kongreßsaal des Hauses „Farbenschau" begrüßt. Die Aus stellung ist ein wichtiges Dokument deutscher Qualitätsarbeit, dem eine große erzieherische Kraft iimcwohnt. Unser Bild zeigt (oben) das Gebäude der österreichische» Negierung, (unten) ein Musterarbeiterhaus. „Ia, furchtbar i» der Tat!" »ickte sie. „Mein Hans Ivar immer ei» guter Soh», ei» tüchtiger Soldat, beliebt bei alle» Kameradell, als Gesellschafter u»d als Freund. Sie ahne» nicht, wie trostlos öde und leer mem Lebe» geworden ist, seit ich ihn verlor. Was ge.e ich nicht darum, ihn wieder in meine Arme schließen zu dürfen — aber das ist vorbei!" „Ach bitte, erzählen Sie mir dis Geschichte," sagte Grete leise. Sie saßen daiin neben einander auf dem NlFesofa, und während des Mädchens Angeli immer wieder zu dem Bilde hinü^crwaiider ten, begann Frau von Bredersdorsf zu spre chen und mit verschleierter, oft vom Weine» unterbrochener Stimme zu enthülle». Ick war eine beneidenswerte glücklicke Gattin und Mutter. Mein Mann trug mich ans de» Händen. Er erfüllte mir jeden Wunsch; und seit wir dm Jungen, den Erven unseres alte» Namcns besäße», den mein Gatte sich so beiß und sehnlichst gewünscht, - seitdem dünUe er sich reicher als ein König. — Dieses Haus hier, wo ich die glücklichsten Jahre meines Lebens verbrachte, cs ist mir das Liebste ge worden, trotzdem sich hier unser ganzes Un glück a spielte. Wir besitzen ja verschiedene Gu ter, eines am Rhein, eines in der Steiern,ai , eine Villa a«i Tegernsee, ein Landhaus in der Schweiz — aber hierher zog es mich immer mit Allgewalt. Nach dem llnglück flohen wir allerdings die traute Stätte für lange Zeit, wo Hans und Annemarie die selige» Kinder- fahre verlebten, weil ich hasste, anderswo leick- ter vergessen und überwinden zu kömien — aber ich sehnte mich Tag und Nacht zurück nach diesem stillen Hause. Es ließ mir keine Ruhe, und endlich faßte ich den Entschluß, mich dauernd hier niederzulassen." Die Erzäh- lerm machte eine Pause. Grete saß stumm neben ihr. (Fortsetzung folgt).