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DkUM M HohMill MsHhilkl Amnsn DienStag, den 23. Juni 1814 Re 142. 41. Jahrgang Zusammenstoß in den Lösten. Ausa««enst,h zwischen Luftschiff nutz Aeroplan, »chwere Explosion. S Personen verbrannt. Ein- furcht ares Unglück ereignete sich, wie schon in voriger Nummer gemeldet, bei Wien. Dort fuhr ein Aeroplau irr den österreichischen Militärballon „Körtings hinein, wahrscheinlich infolge Versagens der Steuerung. Die Wir- kung >var furchtbar. Das Gas des Luftschiffes entzündete sich sofort — ein dröhnender, dump fer Knall — dann sahen die Untenstehenden einen Feuerball, aus dem geschwärzte Klumpen zur Erde stürzten. Die sieben Mann der Luft- schiffresatzung, verbrannten während des Stur zes, ebenso die beiden Insassen des Aeroplans. Der Unfall ist umso bedauerlicher, als er die Folge eines militärischen Luftschiff-Manö vers Ivar. Der Aeroplan, ein Farman-Doppel- decker, sollte den Ballon verfolgen. Er um kreiste das Luftschiff mehrmals und versuchte i ui dann zu überfliegen. Bei diesem Versuche streifte er die Ballonhülle, die einen Ritz er hielt. Sofort strömte das Gas in Mengen her aus und entzündete sich an dem Motor des Aeroplans. Die Explosion flamnite auf. Beim Bergen der Leichen schwanden selbst nerven starken Männern zeitweilig die Kräfte, die Leichen waren fürchterlich zugerichtet, verschie denen waren die Knochen kurz und klein zer brochen. Der Jäger Karl Eckl, der zur Zeit der Katastrophe in unmittelbarer Nähe der Un- glücksstättc weilte, hörte aus dec Gondel ent schliche Hilfeschreie. Die Gattin eines getöte ten Leutnants, der erst vor einem Monat ge heiratet hatte, kam mit ihrem Automobil, ohne zu wissen, das; sich die Katastrophe ereignet hotte, an die Unglücksstätte. ES spielte sich eine herzzerreißende Szene ab, als sie die ver kohlte Leiche ihres Mannes sah. Das zerstörte Luftschiff war nach dem Sy stem Körting erbaut, das von der österreichi schen Heeresverwaltung bevorzugt wird. Das Luftschiff ist 68 Meter lang, also bedeutend kleiner a's ein Zeppelin-Luftschiff. Die Höhen- steuwung wurde durch Verschiebung von Was- scrtallast, der in zwei großen Tanks untcrgc- bractst ivac, bewirkt. Die Anordnung der Gon del Ivar beim' Körting-Ballon neu und origi nell. Der lange Versteifungsträger, der bei den deutschen und französischen Halbstarren Militär- lustschüfcn vorhanden ist, wurde beim „Kör ting" durch zwei Ausleger ersetzt, die an der Maschinengondel selbst vorn und rückwärts an gebracht waren und so die Gondel künstlich verlängerten und eine Versteifung des Gasbal lons herbeiführten. Das Wiener Unglück erinnert an die grau sige Katastrophe des deutschen Marineluftschiffes „L. 2" auf dem Johannisthaler Flugplatz bei Berlin am 17. Oktober v. I-, das schwerste Unglück, das die Geschichte der Luflschifsabrt bisher aufzuweisen hat. Ausströmendes Gas entzündete sich an einem Motor der zu dicht am Ballonkörper angebrachten Gondeln und explodierte; sofort stand das Luftschiff in Flam- men, die 27 Mann der Besatzung wurden als verkohlte Leichen aufgefunden. Ob das Manöver, so wie es besohlen war, nötig war, darüber kann man geteilter Mei nung sein. Der Aeroplan hatte den Befehl, möglichst dicht über dem Luftschiff wegzufahren. Das ist ein Fall, der im Ernstfall nie Vor kommen kann. Erstens würde ein Aeroplau sich nie so dicht einem Luftschiff nähern kön nen, er würde vorher schon abgeschossen sein, und zweitens brächte sich ein Aeroplan, der unmittelbar über dem Luftschiff seine Bomben fallen lassen würde, selbst nutzlos in Ge fahr. Wenn also das Wiener Lufts chiffmanö- ver keinen anderen Zweck gehabt haben sollte, als eine Steuerübung für den Aeroplau zu sein, so war es überflüssig. Möglich ist auch, daß im entscheidenden Augenblick der Aeroplau dem Stmer nicht ganz gehorchte. Ganz gell rt wird die Ursache des Unglücks kaum werden, denn alle Zeugen sind tot. Auch das Körting Luftschiff war unzuverlässig, die Höhensteuerung durch den Wasserballast funktionierte nur schwer fällig; das Luftschiff mag dem Aeroplan ent- gegengetrieben sein. Oertliche» «nd «Schfische». * — Schonet die Felder! Da jetzt die verlockend-schöne Kornblume aus den Rog genfeldern den Vorübergehenden zunickt, kann mau auch den groben Unfug wahrnehmen, daß Kinder und Erwachsene sich nicht scheuen, zur Erlangung dieser Blumen ein ganzes St ick in Kornfelder hineinzulaufen, hierbei die Halme niedcrtreteu und den Besitzern Schaden zu- sügen. Es müßie doch eigentlich in jedem Menschen die Empfindung wach sein, mit unserem Brotgetreide schonend umzugehen! * — Lehrgänge für Lehrer an Fort b i l d u n g s s ch u l e n. Das Mini sterium des Kultus und öffentlichen Unterrichts veranstaltet auch dieses Jahr wieder zwei Lehr gänge für Lehrer an den Fortbildungsschulen zur Vertiefung in den Lehrstoff und in die Un terrichtsmethode am den Gebieten der Berufs- uud der Bürgerlunde. Der erste Lehrgang wird jetzt in der neuen, mit zahlreichen Lehrwerk stätten ausgestatteten Fortbildungsschule in Chemnitz abgehalten. Für Lehrer an den länd lichen Fortbildungsschulen soll vorn 24. August bis 19. September in der mit dein Realgym nasium Döbeln verbundenen höheren Land wirtschaftsschule der zweite Lehrgang abgehal ten werden. Den Teilnehmern werden ange messene Beihilfen gewährt. *— 600000 Zivilprozesse in einem Ja h r. Ein recht merkwürdiges Licht auf die viel gerühmte „Gemütlichkeit" der Sachsen wirst die durch die Statistik erhärtete Tatsache, daß im Durchschnitt jeder sechste Sachse jährlich einen Zivilprozeß zu führen hat. Nahezu 600 000 Zivilprozesse sind im ver gangenen Jahre verhandelt worden gegen etwas über 500 000 im Jahre 1912, sodaß sich also die Streitsucht in Sachsen ganz munter aus- dreitet. Da das Königreich Sachsen noch nicht einmal 5 Millionen Einwohner hat und bei jedem Prozeß mindestens zwei Personen be teiligt sind, hat jeder fünfte bis sechste alljähr lich aufs Gericht zu laufen. Mit den Straf sachen ist es erfreulicherweise etwas besser; hier hat sich nur jeder 120. Sachse zu verantworten. Bei allen Gerichten ist 1913 die Zahl der ver handelten Sachen stark gestiegen, nur die Zahl der Revisionen in Strafsachen vor dem Ober landesgericht hat eine kleine Verminderung er fahren. * — Gegen I n s e k t e n st i ch e wird meist eine Salmiaklösung empfohlen, ist aber nicht immer bei der Hand. Waschseife über die Stichwunde gerieben beseitigt auch sofort den Schmerz; aber ein Stück Seife in der Tasche tragen ist nicht jedermanns Geschmack. Ein durchaus sicher wirkendes und dabei sehr einfaches Mittel ist ein Stückchen Zucker. Leicht angefeuchtet auf die Stelle des Insekten stiches eingeriebeu, beseitigt dieses „süße" Mit tel Schmerz und Anschwellung in sehr kurzer Zeit. Im Interesse der unter den Stichen lei denden Menschheit sei auf dieses einfachste Mit tel aufmerksam gemacht. * La«zenchurSd»rf, 22. Juni. In der letzten Gemeinderatssitzung erfolgte zunächst die Rech- nungSablagc auf 1913. Die Einnahme der Ge meindekaffe bestand im wesentlichen aus folgen den Posten: 1503 Mk. Kassenbestand von 1912, 19 434 Mk. Gemeindeanlagen, 605 Mk. Altge meindebeiträge, 1020 Mk. staatliche Wegebau beihilfe, 398 Mk. Besitzveränderungsabgaben, 81 Mk. dreiviertel Prozent Dividende vom Prioatstromverbrauch, 72 Mk. Erlös aus der Freibank, 49 Mk. für Radfahrerkarten, 51 Mk. Meldegebllhren, 46 Mk. polizeiliche Gebühren. Die Gesamteinnahme belief sich auf 25 622 Mk. Verausgabt wurden in der Hauptsache 3688 Mk. Gehälter und Pensionen, 6631 Mk. für Straßen bau, 780 Mk. für elektrischen Strom, 107 Mk. für Installation und Glühlampen, 132 Mk. für Freibank, 6170 Mk. Zuschuß an die Schulkaffe, 2719 Mk. Zuschuß an die Kirchkasse, 770 Mk. desgleichen an die Armenkasse, 136 Mk. Bezirks steuer, 92 Mk. für öffentliche Impfungen, 96 Mk. für NahrungSmitteluntersuchungen, 103 Mk. für Porto. Insgesamt wurden verausgabt 24 634 Mark. Die Leichenwagenkasse zeigte 386 Mk. Einnahme und 186 Mk. Ausgabe. Der 200 Mk. betragende Reingewinn floß stiftungsgemäß je zur Hälfte der Gemeinde zu weiterer Verfügung und dem Verein für Krankenpflege zu. Der bare Temeindeanteil dieser Stiftung beträgt zurzeit 378 Mk. An die Armenkasse flossen 143 Mark Tanzabgaben von Vereinen. 359 Mk. desgleichen von öffentlichen Tänzen und 198 Mark andere Lustbarkeitssteuer, 276 Mk. Hundesteuer, 500 Mk. Vermächtnis von der verstorbenen Christliebe oerw. Stiegler. Im Ganzen betrug die Ein nahme 2927 Mk. Au-gegeben wurden u. a. 728 Mark laufende Unterstützung, von welchen 300 Mark von anderen Armenverbänden zurückerstattet worden sind, 312 Mk. Erziehungsaufwand, wo von 52 Mk. nur auSleaSweise, 160 Mk. Be erdigungsaufwand, 538 Mk. Kur- und Verpfleg- kosten für in Anstalten Untergebrachte, alles in allem 2877 Mk., sodaß 50 Mk. Bestand verblieb. Die Feuerlöschkassenrechnung wie« 344 Mk. Ein nahme und 892 Mk. Ausgabe auf. Für die Freiwillige Feuerwehr sind nunmehr seit 1902 insgesamt 3657 Mark aufgewendet worden. Gutgeschrieben sind ihr 3372 Mk., sodaß ein Vorschuß von 285 Mk. verbleibt. Die Rechnungen waren im Voraus geprüft worden. Der Ge meinderat erteilte dem Rechnungsführer Ent lastung. Weiter wurde beschlossen: 1. Die Steuerrestanten von 1913 sollen unter Stellung einer Frist und Androhung von Zwangsvoll streckung gemahnt werden. Auf der Bräun-- dorfer Straße soll Dürrschmidtsches Material als Decke verwendet werden. Die eisernen Bach geländer sollen neu gestrichen werden. Einem Gesuchsteller wurde anheimgegeben, erst seinen Verpflichtungen nachzukommen. Für das Krüppel heim und mehrere andere gemeinnützige Anstalten bez. Vereine wurden die hergebrachten Beiträge bewilligt. Von der Beteiligung am Wander theater will man vorläufig absehen. Im An schluß an die Kenntnisnahme eines Schreibens au- Callenberg, Autolinie betr., wurden Be- ratungen gepflogen. Der Rest der Tagesordnung wurde wegen vorgerückter Nachtstunde auf die nächste Sitzung verschoben. (Gl. Ztg. u. N. Nachr.) * Lre-de«, 21. Juni. In der hiesigen Ge- fangenenanstalt hat sich ein 21 jähriger Kaufmann, der wegen Unterschlagungen verhaftet worden war, erschossen. Er zag, als er seine Kleider ablegte, einen Revolver hervor und schoß sich eine Kugel in den Kopf. Während der Ueber- führung nach dem Krankenhaus starb er. * Schneeberg, 21. Juni. Der nach Verübung schwerer Betrügereien von hier flüchtig gewordene, zuletzt in einem hiesigen Baugeschäft angestellt gewesene Buchhalter Kurt Ehrler auS Crimmit- schau ist in Berlin festgenommen worden. Aehn- liche Schwindeleien wie hier hat er auch in Leipzig verübt. * Schönheide, 21. Juni. Der 34 Jahre alte Landbriefträger Eugen Valz von hier unterschlug in mehreren Fällen Geldbeträge von in-gesamt über 500 Mark, die ihm von Geschäftsleuten auf seinen Bestellungen zur Einzahlung übergeben worden waren. Wegen Amtsverbrechens wurde Valz, der oftmals angetrunken gewesen sein soll, vom Kgl. Schwurgericht in Zwickau zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis und 3 Jahren Ehren- rechtSverlust verurteilt. Aus dem Gerichtssaal. 8 Eine überraschende Frei- s p r e ch u n g. In dem Berliner Prozeß ge gen die wegen Bestechung angeklagten Renn- labngendarmen wurde vom OveririeoSgericht Das Haus am Nixensee. Original-Roman von Irene v. Hellmuth. 9. Fortsetzung. (Nachdiuck verboten). Eine Reise um die Well! Das nwr von Iler sein sehnlichster Wunsch gewesen. Ueber- Haupt reisen! Tas Wort besaß Zauberkraft ft r ihn. Die Mutter hatte sich bishsr diesem Wunsche immer widersetzt. Trotz seiner dreißig Jahre hatte er von der Welt noch nicht viel gesehen. Das sollte nun nachgeholt werden. Ja, fort, weit fort wollte er, das stand plötz lich bei ihm fest. So kam er am leichtesten über die ganze peinliche Geschichte hinweg. Das >var der beste Ausweg. Der Gedanke „Reisen" packte ihn mit Riesenkraft, und um- ilammerte sein ganzes Sinnen und ließ ihn nicht mehr los- 4. Liese war eben auf dem Wege zu Tante Lina, als sich die jüngste Tochler des Herrn Dr. Fischer, die Liese von der Schule her kannte, zu ihr gesellte. Es war ein langauf geschossenes, sommersprossiges Ding, mit vlon- dcn Haaren und wasscrblauen Augen; die d nne Gestalt war in ein Kleid gezwängt, aus dem sic längst hinausgcwachsen schien. „Wohin gehst Du denn?" fragte sie Liese neugierig. „Ich besuche meine Tante Lina," gav Liese kurz Auskunft und schritt rasch weiter, nm die unbequeme Begleiterin los zu werden. Doch diese ließ sich nicht abschütteln. Es schien, als hielte sie sich mit Absicht an Lie- scs Seite. „Deine Tante Lina?" wiederholte sie ge dehnt, „ach so, F-väulein Lina Burkhardt, die ist aber, so viel ich weiß, gar nicht mit Euch verwandt?" „Nein," lautete die in barschem Tan ge gebene Antwort. „Wie kommt es denn, daß Du sie so oft besuchst?" beharrte die andere, ohne sich an die unfreundliche Miene zu kehren. Liese, welche das naseweise, vorlaute Mäd chen schon in der Schule nicht hatte ausstehen können, ließ die Frag- unbeantwortet. Doch Fräulein Fischer genierte das keineswegs. „Ich weiß schon, warum Du immer zu Fräulein Burkhardt läufst, wenn Du es auch nicht sagen willst. Deine „Tante" hat ja einen hübschen Ne sen, dem gehst Du zu Gefallen, den möchtest Du Dir gerne erobern, weil er einmal das ganze Vermögen seiner Tante erit! Ach, wie Du rot wirst, gelt, ich Habs erraten? Aber Du brauchst Dir um ihn keine Mühe zu geben, denn der liebt eine andere, und läßt sich von Dir nicht soleicht einsangen, Ivie Herr Karl Gronan von Deiner L-chwestcr!" Fräulein Berta Fischer lachte laut und schadenftoh. Sie hatte längst einen Haß auf Liese geworfen, weil sie dieselbe beneidete um ibr hübsches Gesicht und ihre schönen Angcn. Liese zitterte vor Zorn. „Du," stieß sie bebend hervor, Jehalte Deine Ungezogenheiten für Dich, ich habe Dich nach nichts gefragt, und wenn Du cs noch einmal wagen solltest, ein Wort über meine Schwester zu sagen, dann erhältst Du eine regelrechte Ohrfeige, das merke Dir! Pfui, wie kann man nur so gemein sein!" „Ach Du — hab' Dich nicht ft!" rief die andere hämisch, „ich weiß doch, daß Herr Gro nau die Verlobung mit Deiner hochmütigen Schwester nächstens lösen wird, seine Mutter bat cs der meinigen im Vertrauen bereits mit geteilt, ich habe am Schlüsselloch gehorcht und alles gehört." Der boshafte Backfisch schwieg plötzlich be troffen still. Aus den blauen Augen Lieses brach ein Blick so voll Weh und Leid, so voll bitteren Schmerzes, daß selbst Berta Fischer erschrak. Sie sah ein, daß sie zu weit gegan gen war, und blickte hilflos aus die Feindin, die von der unerwarteten Nachricht völlig nie dergeschmettert schien. Sie wußte nichts zu entgegnen, nur die blaß gewordenen Lippen flüsterten leise vor sicb hin: „Allmächtiger, meine arme Grete, das ist zu viel für sie!" Dann ging sie, ohne die andere, di- ihr bestürzt nach- schaule, noch eines Blickes zu würdigen, mir gesenktem Kopf die Straße hinab. Vor Tante Linas Hause stand sie wie sich besinnend einen Augenblick still, fuhr sich ein paarmal über die Stirn, als müßte sie unan genehme Gedanken verscheuchen, klinkte dann die schmale Tür auf und stand im nächsten Augenblick vor dem alten Fräulein, das ihren Lie ling noch nie so aufgeregt gesehen halte. „lbm Gott, Liese, Du machst ja Augen, daß man sich fürchten könnte," rief Tante Lina und zog das junge Mädchen sanft an sich. „Was ist denn geschehen, Kind? Bist Du vor Deinem Vater wieder davongelauscn?" Liese schüttelte heftig den Kopf. Sic konnte es aber nicht verhindern, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen. Das war bei Liese etwas so seltenes, daß die alle Dame ganz erschrocken und ratlos drcinblicktc. „Aber Liese," sagte sic nur, und streichelte zärtlich über das blonde Haar. Endlich Halle das Mädchen sich gefaßt und erzählte, Ivas Berta Fischer gesagt hatte. Tante Lina setzte sich in ihrem altmodischen, gepol sterten Ledersessel und zog Liefe neben sich. Als diese geendet, schüttelte sie ungläubig den Kopf. „Die Fischers," meinte sie verächtlich, „sind als Klatsch äsen stadtbekannt: Ivas sie sagen, ist meistens nicht wahr. Darum gräme Dich nicht, so erbärmlich ist Karl Gronau nicht. Es ist nur der Neid, der jene so reden läßt, glau.c mir. Daß sie die Grete um den hüb schen, reichen Bräutigam beneiden, ist leicht begreiflich, weil von den Schwestern noch keine verlobt ist." Liese war schon halb getröstet. Jetzt erst icl i'r ein, Ivas Berta Fischer über Otto ge lagt l-atte: „Der läßt sich nicht von Dir ein fangen, bei lieb: eine andere." Die hämischen Worte klangen ihr noch in den Ohren, und cs wurde ihr mit einem Male ganz sonderbar zumute. Sie hatte bis her gescherzt und gelacht mit Otto, ohne sich besondere Rcchensckwft über ihr Tun zu geben. Sic war sich kaum bewußt, daß sie den jun- gen Mann von Herzen lieb hatte. Nun erst waren ihr die Augen aufgegangen,, nun erst erkannte sie, wie es um sie stand. Aker Otto durfte cs niemals erfahren, daß ihr junges .Herz für ihn schlug. Sie schämte sich und dachte angestrengt dar über nach, ob Otto schon jemals etwas von ibren Gefühlen geahnt haben konnte. Aber neiir, sie hatte ja bis heute selbst nicht geivußt, daß sie ihn lieb hatte. Ein längeres Schwei- gen herrschte in dem gemütlichen Zimmer, das ganz angefüllt Ivar mit altmodischem Hausrat, der zum Teil noch von Tante Linas Groß eltern stammle. Liese kannte jedes Stück ge nau, der GlaSschrank mit den zierlichen, bunt bemalten Tassen und den weitbauchigen Kan nen Halle schon ihr Kinderhecz entzückt, als sie noch klein war. Ebenso die alte, buntbcmallc Truhe. in der die „Tante" ganze Schätze von Leinen aufbewalrte, welche ihre Muster einst gesammelt zur Ausstattung für ihre Tochler. Tanie Lina sah immer ganz traurig aus, wenn sie die Truhe öffnete, und dem erstaunten Mäd chen ihren Reichtum zeigte. „Nun liegt das alles drinnen unbenutzt," pflegte sie zu sagen, „wer hätte gedachy daß cS so kommen würde." Aber als Liese heranwuchs, da wurde das feine, weiße Gewebe für diese bestimmt. „Du sollst alles bekommen," versicherte die gute, alle Dame oft. „Wenn Du einmal ver- lobt bist, dann wird davon Deine Aussteuer genäht, Du sollst einmal sehen, Ivas das für wunderschöne Wäsche gibt. Aber eines mache ich zur Bedingung: Du mußt einen Mann wählen, der auch mir paßt." (Fortsetzung folgt.)