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100-4 Börsenblatt f. d, Dtschn, Buchhandel. Künftig erscheinende Bücher. ^ 26, 2. Februar 1914. Eine interessante Begegnung mit Tennyson erzählt Charlotte Lady Blemierhassett in ihren Erinnerungen an das Viktorianische England, deren zweiter Teil im Februarheft der „Deutschen Rundschau" erscheint. Nicht in London, wohin Tennyson so selten wie möglich kam, sondern am Ufer des bayerischen Tegernsees, in der Villa Arco Valley, fand diese Begegnung statt. Tennyson war schon halb erblindet, in der Obhut des Sohnes, der mit rührender Zärtlichkeit für ihn sorgte. Groß, athletisch gebaut, etwas vernachlässigt in der Kleidung, wortkarg und eigenmächtig in seinen Be wegungen, verriet auch Tennysons Äußeres, im Alter wenigstens, den Dichter nicht. Die intim und vornehmlich auf dem Lande mit ihm verkehrten, vergötterten den Menschen ganz ebenso, wie sie den Dichter Priesen. Den ferner Stehenden flößte er Scheu, um nicht zu sagen eine gewisse Furcht ein. Da er zuweilen einzelnes aus seinen Dichtungen vorzutragen liebte, lagen dieselben auf verschiedenen Tischen und in der frohen Erwartung bereit, er werde nach einem oder dem anderen Band greifen. Nichts von dem geschah. Bei Tisch und einige Zeit nachher bewegte sich das Gespräch um gewöhnliche Dinge. Dann fuhren Equipagen vor und brachten uns nach Kreuth, ins Herz bayerischer Berge. Weg und Aussicht gefielen Tennyson ganz außerordentlich; sein Interesse wandte sich der Forstkultur zu, und auf der Fahrt hin und zurück wurde von nichts anderem gesprochen. Glücklicherweise fand sich in der Person unseres Freundes, Graf Toni Arco, ein Guts herr, der Tennyson Rede stehen konnte, und so fuhr dieser, anscheinend befriedigt, abends^ weiter. Das war die Begegnung mit dem Dichter, der einige Zeit nachher, als achtzig jähriger Greis auf dem Solent nach seiner heimatlichen Insel Wight eingeschifft, die Vision von „6ro88inK tdo Lar" zum unsterblichen Abschiedsgruß in die Welt sandte. Das Februarheft der „Deutschen Rundschau" bringt ferner eine bedeutsame Abhandlung des Berliner Gelehrten Konrad Burdach über den Ursprung des Humanismus. Den bekannten Linnsschen Satz „Uatnra non taeit saltns" und die damit zusammen hängenden naturwissenschaftlichen Anschauungen unterzieht Julius VON WikSNer einer strengen Kritik. Vizeadmiral a. D. Hoffmann behandelt eingehend die Bedeu tung des Panamakanals für den Weltverkehr. Von aktuellem Interesse ist die zusammenfassende, auf genauester Materialkenntnis beruhende Darstellung vom Naub der Manna Lisa, die der Dresdner Museumsleiter W. von Seidlitz bietet. Fesselnd spricht Friedrich Wiegand über den Pietismus, er untersucht seine geschichtliche Notwendigkeit und seine Gefahren und gibt dabei auch für die Beurteilung der gegenwärtigen religiösen Zustände wichtige Gesichtspunkte. Der Roman „Rohr im Winde" von Grazia Deledda wird fortgcführt. Lcgationsrat vr. Alfred Zimmermann spricht über „Dreißig Jahre deutscher Kolonialpolitik", Professor Rudolf Unger über Richard M. Meyers neues Nietzschebuch. Literarische Notizen schließen das Heft ab. Vollheft. Ausgabe Preis des einzelnen Heftes. . M. 2.50 ord. Halbheft-Ausgabe Preis des einzelnen Heftes. . M. 1.50 ord. Verlag von Gebrüder PaeLel (vr. Georg Paetel), Berlin.