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VMM W HohMm-MWaln Amcizn UllDFHIE. Rr. 101. Sonntag, de« 3. Mai 1314 41. Jahrgang Am ersten Mai Novellette von A. Hinze. Nachdruck verboten. „Onkel Kurt! Onkel Kurt!" Mit ausgebreiteten Arinen, den Blumen- strauß in der Seidenpapierhülle hochhaltend, lies das allerliebste sechsjährige Ding dem stattlichen Onkel entgegen, der just um die Straßenecke geschritten kam. „'n Morgen, Pussel! Ei — ei — mit Blumen zur Schule? Oder soll ich die etwa haben?" scherzte der jugendliche Onkel und drückte den kleinen Wildfang zärtlich an sich- Elly ward ein wenig verlegen. Es war doch sehr unangenehm, daß sie Onkel enttäuschen mußte. „Die Blumen soll unsere Lehrerin, Fräu lein Lore Winkler, haben; ihr Geburtstag ist nämlich heute," berichtete sie wichtig. „Du mußt wissen, Onkel, die ganze Klasse hat Fräulein Winkler furchtbar gern." Onkel Kurt schien dies lebhaft zu inter essieren. „Höre mal, Maus, das sind ja große Neuigkeiten! Fräulein Winkler ist Deine Leh» rerin — das wußte ich ja garnicht —" „Ja, kennst Du sie denn, Onkel?" meinte Elly pfiffig. „Ich glaube wohl, Naseweis. Kannst Dit mir Wohl sagen, wo sie wohnt?" Elly war etttzückt von Onkels Jitteresse. „Ei freilich, ich trage ja Fräulein oft die Bücher nach Hause! Adelenftraßc 2 ist's." „Und heute, mu 1. Mai, hat sie Geburts tag? lind die ganze Klasse hat sie furchtbar gern?" Das >var Fahrwasser aus Ellys Muhle. Das Mäulchen ging wie ein Mühlrad. Als Onkel und Nichtchen sich trennten, zwirbelte Herr Kurt unternehmungslustig seinen glän zend schwarzen Schnurrbart — er hatte es plötzlich sehr eilig. „Ich will Ihnen Ihre Tür öffnen, Fräu lein!" rief die Hauswirtin freundlich, als Lore Win'ler, schier beladen mit Blumen, aus der Schule in ihre Mietswohnung zurückkehrte. „Es muß Ihnen doch viel Freude machen, daß Ihre Schülerinnen Sie so lieb t-aben," meinte die Frau mit einem Blick auf die Blumett. „Gewiß, liebe Frau Haller. So ein biß chen Sonnenscheiit tut aber auch not im Einerlei der Tage." „Das sagen Sie nur, Fräulein!" stimmte Frau Haller zu. „Heute aber hat der liebe Gott für eitel Sonnenscheiit gesorgt! Es ist nämlich 'ne Ueberraschung für Sie gekommen, Fräulein — ne, so was Schönes! Na, Sie werden ja sehen!" Das Herz der Lehrerin ging plötzlich in ganz unvernünftig wilden Sämigen. Ver gebens hörte sie die innere Stimme rufen: du bist heute 40 Jahre geworden, dein Lebens mai ist längst vorüber! — — Sie dachte an die Wiederbegegnung gestern — nach 15 Jah ren der Trennung — dachte an seinen Blick, der sie gesucht, und ein Klingen und Singen war in ihr: die Ueberraschung — sie ist von ihm . . .! Er hat sich erinnert, daß heute dein Geburtstag ist . . . Am Ende — kommt doch noch das Glück — ein spätes Glück — zu dir . . . In der Mitte des Geburtstagstisches, den heute früh Lore Winklers Nichte ihr aufge baut, prangte die „Ueberraschung". Es war ein wundervoller Blumenkcrb, ge stillt mit rosa Rosen und Veilchen. Das Goldband, das sich darum schlang, trug die Widmung: Ein Liebesgruß . . . Mit heißem, seligen Gesicht sog das Ge burtstagskind den Duft der Rosen und Veil chen ein. Ein süßer Rausch kam über Lott; sie empfand plötzlich wieder jung und liebe- selig. Es war nicht tot, das Einst — es war wieder auferstanden . . . Zitternd vor Glückserwartung langte sie nach dem Briefchen, das zwischen den Rosen hervorsah. War es denn auch wirklich kein Irrtum, sollte sie, wirklich sie, diese Gabe haben? Die Adresse bestätigte es: Dem Geburts tagskinde, Fräulein Lore Win ler, lautete sie. Lore öffnete und las: Sehr verehrtes Fräulein! Ein Vöglein hat mir gesungen, daß heute Ihr Geburtstag ist. Ich erlaube mir, Ihnen die wärmsten Glückwünsche zu senden mit einigen Veilchen und Rosen. Sind die letz teren das Symbol der Liebe, so galt ehemals in deutschen Landen das Veilchen, der „Mai", als besonders glückbringend. Daß auch ich hieran glauben dürste, würde ich es betrachten, wenn Sie, teures Fräulein, morgen aus dem Wege zur Schule, den ich kreuzen werde, einige Veilchen tragen würden. Ihr stiller Verehrer. Verwirrt und mit steigendem Unbehagen blickte die Lehrerin auf die Zeilen. Ihr Jn- halt wollte nicht passen zu dem „Stück Ver gangenheit". Aber weshalb denn nicht? Konnte nicht auch der Mann, den sie einst freigegeben, damit ihm der Weg zu Stellung und Reich tum offen bliebe, so zu ihr reden? Die un geliebte Frau war tot — er wieder frei. Das unerwartete Wiedersehen gestern auf der Straße hatte vielleicht in ihm die alte Liebe neu ge weckt — hieß sie doch auch jetzt noch die hübsche Lore Winkler! — und nun wollt« er erforschen, ob auch sie noch die einstigen Ge fühle teilte! Je mehr sie dies bedachte, desto glaub» würdiger erschien es Lore. Das Gefühl schmerzlicher Enttäuschung wich neuer Hofs- nungssreudig.'eit. Sie, die heute die Höhe des Lcbenssommers überschritten, träumte offenen Auges von einer Zukunft im Rahmen eigener trauter Häuslichkeit, träumte von liebevollem Walten für den noch immer geliebten Mann. — Morgen schon — morgen würde ihr Ge wißheit werden — auf dem Wege zur Schule! Und in zärtlichem Eiser glitt ihr Blick prüfend über die Veilchen hin. Jene dort — die großen, hellgetönten, würde sie wählen — ihm zum Liebesgruß! Unen ging die Haustür. Ein leichter, federnder Schritt kam die Treppe hinan. Die Korridortür ward ungestüm geöffnet und eben so ungestüm jetzt die Zimmextür. Im Rahmen stand heiß und selig, so garnicht vernünftig, wie eine Lehrerin, welche sie doch war, eine junge, blühende Mädchengestalt. „Tantchen — bitte, verzeihe mein Ein dringen — allein es ist — es hat — eine Verwechslung — gegeben . . . Himmel, wie sott ich's nur sagen . . .?" Selig und verlegen glitten die strahlenden Augen über den Blumenkorb auf dem Ge burtstagstisch hin. — Eine Hand langte jetzt den Korb her — diese Hand bebte ein wenig. Lores Gesicht a rr blickte scheinbar ruhig — ihr Herz schlug wieder gleichmäßig kühl wie seit Jahren. „Ich habe es mir gleich gedacht, mein Herz, daß der Korb an die unrechte Adresse gekommen —" „Und zwar durch Deine Schülerin, die leine Elly Haller!" sprudelte die junge Leh rerin. „Ihr Onkel — Herr Waldemar Haller — erfnlr durch sie von dem Geburtstag. Und da er eine Lehrerin Winkler kannte, aber nicht wußte, daß es zwei dieses Namens gibt, so — —. Eben begegneten wir uns zufällig — und — er gratulierte mir. So kam die Sache zur Sprache und — Aufklärung. . ." „Ich rate Dir, diese Hellen Veilchen mor gen zu nehmen — sie sind die schönsten . . ." sagte Lore Winkler, nickte der Nichte freundlich zu und nahm wie alltäglich die Korrektur der Schülerhefte vor. Einförmig-nüchtern, wie jeder ihrer Tage, neigte sich auch dieser Tag. Es war nach Sonnenuntergang, als die Korridorklingel die Lehrerin bei ihrer Arbeit unterbrach. Sie ging und öffnete. Ein Laufmädchen, einen Karton am Arm, stand draußen. „Sind Sie Fräulein Leonore Winkler? Ich komme von der Blumenhandlung Fortuna. Ich soll recht sehr um Verzeihung bitten We yen der Verspätung — di« Blumen sollten nämlich schon heut' vormittag kommen. Aber unsere „Neue" hatte die Bestellung vergessen." Mit ähnlichen Gefühlen, wie schon einmal beute, nahm die Lehrerin den wundervollen Blumenstrauß — Veilchen und Rosen — nebst Billett, entgegen. Aber sie war mißtrauisch geworden. Viel- leicht hatte eine Kollegin ihr die Blumen ge schickt . . . Nein. Ernst Bogmer, stand unter den Zei len — er, ihre Jugendliebe, war der Sender. Im Vorgarten zwitscherte ein Vögelchen, schäft einen Katalog über photographische Ar tikel geben und kaufe sich ein Lehrbuch. Es genügt ein solches für 30 bis 50 Pfennig. Empfehlenswert ist das bei Reclam erschie nene Merkchen l40 Pfennig), in welchem dem Anfänger auch die Theorie der Photographie erklärt wird. Bemerken möchte ich noch, daß der Apparat sich besonders gut für Personen aufnahmen eignet, und er wird bei den ver ¬ hältnismäßig geringen Kosten der Herstellung überall im Familienkreise viel Freude bereiten. Mein Apparat kostet insgesamt, da ich daS Objektiv geschenkt erhielt, noch nicht ganz 1 Mark. Bei Verwendung billigeren Mate rials stellt sich der Preis für ein Dutzend Bilder auf ungefähr 25 bis 30 Pfennig. I. G. « » Allerlei Kurzweil. » « Texklprüchr. Es gibt ein Glück — o lern' es ganz empfinden, Es gibt ein Glück — o nimm eS wohl in acht! Ein Mutterherz ist einmal nur zu finden! Glück ist, was jeder sich als Glück gedacht. * * * Die Treue eines schönen Herzens gleicht Dem reinen, unbefleckten Schnee; Gehst du darüber auch noch so leicht, Sein Glanz empfängt ein unvergänglich Weh. Rätselecke. Den, der es tief und rein bewahrt, Führt es auf seiner Lebensfahrt. Es tröstet ihn im Mißgeschick Und schützt vor Hochmut ihn im Glück. Doch wenn es hat den Kopf verloren, Da wird's zur heißen Sommerzeit Zum Aufemhalte gern erkoren, Weil schatt'ge Kühlung es verleiht. Anagramm. Von uns sagenhaften Weser, Hast du schon als Kind gelesen. Wirst du unsre Mitte drehen, Kannst du vieles auf uns sehen. Hieroglyphe«. (Bon jedem Bildzeichen gilt minder Anfangs buchstabe. Die Vokale sind zu ergänzens 8og«griph. Mit „i" in schöner Strahlenpracht Erblickt man es wohl Tag und Nacht Am großen weiten Himmelszelt. Doch flüchtig leider wie die Zeit, Stets nur in der Vergangenheit Ist es mit „e" in dieser Welt. (Auflösungen in nächster Nummer.) «Kst-fKUge« anS Rümmer 17. DeS RätselS: Eulenspiegel. Der Scharade: Heldenmut. Der viersilbigen Scharade: Totengräber. Der arithmetischen Aufgabe: Der fünfte Mann erhält 2i/,; der zwölfte 4'/^; der siebente 3, der sechzehnte 6 Taler. Die ganze verteilte Summe betrug 154 Taler. Der rätselhaften Geschichte: „Der Dieb muß klein gewesen sein," sagte er, „weil er einen Stein herbeigebracht hatte, auf den er stieg, um das hochhängende Wildpret zu erreichen. Es war ein alter Mann, denn er hatte nur kurze Schritte machen können. Es war ein weißer Mann, denn er setzte die Füße auswärts, was kein Indianer tut. Sein Gewehr war kurz, denn er hatte es an einen Baumstamm gelehnt und ich fand die Kolbenspur im Sande und die scharfe Spur des Rohrs in der zarten Baumrinde. Daß sein Hund klein war, erkannte ich an den Spuren der Tatzen; der Hund hatte sich hingesetzt und ich konnte den Eindruck seines Stumpf schwanzes leicht finden." Wenn Voltaire's Weiser zum Lohne für seinen Scharfsinn Großvezir geworden, so hätte der Wilde mindestens verdient, sein Stück Wildpret wieder zu bekommen. Die Geschichte sagt nicht, ob dieses der Fall gewesen. Aber wir vermuten es. Des Bilder-Rätsels: Bruchrechnung. Lju-er-Ieitung. V>» MchA W y» xMiM» Wtzav MSchnstm Nr. 18. Ltedaktwn, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. 1914. Die Gefahren des Frühlings. Von Friedrich Thieme. (Nachdruck verboten.) Der Frühling naht mit Sonnenschein, Die Herzen zu erheben! Gefährlich wird es nun im Frei»; Nehmt euch in acht, ihr Kinderletn, Sonst geht es euch ans Leben! Denn wißt: Die Bäume schlagen aus Und alle Knospen schießen! Die Sonne sticht, kommt ihr hinaus, Die Finken s ch l a g e n, welch ein GrauS! Wen soll das nicht verdrießen? DaS schießt und schlägt und springt und sticht— O bleibt, ihr werdet's büßen! — Das Kind, das lacht: Ich fürcht' mich nicht; Ich zieh' hinaus in Grün und Licht, Den Frühling zu genießen! Die armen Reisenden. Don Lotte Seit Menschengedenken stand das alte Haus an der Doristraße. Ungemein freundlich war es anzuschauen; schirmend streckte sich das Dach vor über die Wand, damit der erste böse An prall von Regen und Wind aufgefangen wurde und die Wände hübsch trocken blieben. Sorg sam und dicht waren inwendig Latten und Fachwerk zusammengefügt, die Zwischenräume mit Lehm ausgefüllt und sauber verputzt und verstrichen, uno alle Jahre so um Pfingsten herum kam der Anstreicher mit seinem großen Pinsel und gab dem alten Hause ein neues Kleid; dann guckte es aus blanken Fenster augen wieder nett und sauber in die Welt wie ein frisch gewaschenes Kind am Sonntag morgen. Ja, eine bessere Sommerwohnung als hier konnte sich Familie Schwalbe gar nicht wün schen. Das hölzerne Lattenwerk unter dem Dachvorsprung bot wundervolle Schlupfwinkel für ihren eigenen Hausbau, vor Regen und Wind war man geschützt, und an den rauhen, dicken Lehmwänden haftete das Schwalben haus fest und sicher. Schon der Großvater, und vor ihm der Urgroßvater hatte das alte Haus besessen; bet dem Urgroßvater hatte auch der Ahn von Familie Schwalbe als Mieter Burdach. (Nachdruck verboten.) gewohnt, und beide Familien hatten sich immer ausgezeichnet vertragen. Wenn das Kleinste der Bauernfamilie in dem Wägelchen auf den Hof gestellt wurde, dann horchte es aufmerk sam auf das Zwitschern der Schwälbchen im Nest, und Vater und Mutter Schwalbe flogen hin und her über das Korvwägelchen und haschten die zudringlichen Fliegen, die das Kleinchen im Schlafe störten. Und als von den Schwalbenkindern einmal zwei aus dem Nest gefallen und an dem Falle gestorben waren, hatten die kleinen Bauernkindcr draußen im Garten ein kleines Grab gegraben und die toten Schwälblein hier bestattet; jetzt noch blühten jedes Jahr weiße Marienblümchen und blauer Ehrenpreis auf dem kleinen Hügel. Von Jahr zu Jahr waren die beiden Fa milien in dem alten Hause, die Menschen und die Schwalben, größer und zahlreicher ge worden. Wenn im März der Schnee schmolz, die ersten Veilchen ihre blauen Augen auf schlugen und die Schneeglöckchen Ostern ein läuteten, dann standen die Kinoer der Bauern familie oft vor der Haustür und lugten auS, ob die Schwalbengesellschaft noch nicht au« ihrem Winterquartier zurückkäme, und laut jubelnd rannten sie dann eine« Tages inß