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l>MM mm Mhkißkii-LiiUhiilrr A^NUl Tageblatt. Nr. 1 Donnerstag, den 1 Januar 1814 41. Jahrgang Zm neuen 5ahr! Das letzte Mal im alten Jahr Ward nun der Glockenstrang gezogen. Ein neues Jahr die Zeit gebar, Mit neuen Stürmen, neuen Wogen. Wie Wiesennebel, Wellengijcht, Vleibt das, was es uns bringt, verwischt. Mag es die Zukunft klären! Du Jüngling mit dem Tatendrang, Was zagest du beim Jahreswechsel? Nie hemme deinen Lebensgang Der Sch:cksalsmächte wüst Gedrechsel. Der Wille macht den Menschen groß, Ansharren, das ist Menschenlos. Glück auf zum neuen Jahre! Du neues Jahr, sei uns gegrüßt! Was werden deine Tage bringen? Wird unser Leben wohl versüßt? Gibst du zum Wollen das Vollbringen? Läßt du die Menschen wie zur Seit? Ist im Gefolg von dir groß Leid? Der Hcrrgoit mag es wenden! Und dir, du lebensfrohe Maid, 'Dir bring das Neue Glück und Segen, Daß aus dir selbst zu jederzeit Strabl Herzensmonne mild entgegen; Daß der gesundet, der da krankt, Und nicht verzagt, wer jetzt noch bangt, Tanz fröhlich deinen Reigen! Wir flehen dich und bitten dich: Laß uns auf diesen neuen Bahnen Das Heil des Schicksals innerlich Als höchste Wclrbcstimmnng ahnen, Daß in dem Lebensstrom der Well Ein jeder an den Platz gestellt, Wozu er dünkt geschaffen. Du lieblich Kind an Mutterbrust Laß rosig deinen Frühling blühen. Dir sei das Träumen wahre Lust Und fern von dir der Sorge Mühen. Ihr Mädels, Buben miteinand, Reicht euch zum frohen Spiel die Hand In diesem neuen Jahre! Und Eltern, bleibt in diesem Jahr Dmchdiungen von Sichganzmrstehen, Das Ideal der Kmderschar, Ein Vorbild, das nicht kann vergehen. Dein Mann in Arbeit und im Amt Der Hausfrau Lieb entgegenflammt Im neuen Jahr zum Segen! Dem Greis in dem gebleichten Haar, Ihm mag auch dieses Jährchen werden Der Lebensabend licht und klar, Verschoir' ihn sicher von Beschwerden. Auch Kaiser, König, Vaterland, Sie schütz' des Herrgotts weise Hand Mit uns im neuen Jahre! Jcrd. Willy Hähnel, Chemwtz. Silvester. Daß wir denken können, gehört zu unserem Menschentum. Es ist unser Stolz, aber auch unsere Qual; denn, wo ein Mensch anfängt, zu denken, da ist es vorbei mit seiner Ruhe. Das Denken treibt ihn tiefer und tiefer hin ein, den Grund und Sinn der Dinge und des eigenen Lebens zu erkennen. Das Denken ge t selbstherrlich seine Wege, deckt Unwahr- Hastigkeit und Heuchelei an', dringt aus in nere Reinheit. Darum fürchten sich viele vor dem Denken und suchen ihm zu entfliehen. Und da das Denken die Stille und Einsam keit liebt und nur in der Stille und in der Einsamkeit gedeiht, so vertreibt man's durch Lärmen und große Geselligkeit, durch nichtiges Geschwätz und unmäßiges Trinken. Je lauter und toller es zugeht, um so sicherer ist man vor dein Denken. Das haben so manche Staatsmänner vergangener Zeiten gewußt und haben dein Volke durch Freigabe aller Genüsse und Vergnügungen allmählich das unbegueme Denken abgewöhnt. Heute braucht's solcher Diplomatenkünste nicht mehr. Heute pocht man aus daß Recht, sich ausleben zu dürfen und macht sich selber unfähig, tief und ernst zu denken. Es gibt ja noch Stunden, Tage, die uns zum Denken geradezu aulsordern. Silvester und Nemahr sind solche Tage zum stillen Nachdenken über des Lebens Sinn und Ziel, über das, was wir getan haben und, was wir noch tun wollen. Vermögen wir's noch darüber nachFudenken? Oder lassen wir uiis von den Mächten des Zufalls treiben, gedankenlos, widerstandslos? Es ist etwas Gewaltiges um einen Men schen, der seines Lebens Gang Kar durchdacht und test in seine Hand genommen hat. So Lat Jesus in der stillen Einsamkeit der Wüste Gottes Willen und seines Lebens Aufgabe ge funden und dann sie bis zur Vollendung durch- geführt. Es wäre gut auch für uns, wenn wir unter Leben aufbauen wollten auf 'eitein Grund, nach gutem Plan. Es ist möglich dem, der bis auf Gott vordringt und in ihm Kraft findet, seinen Weg zu gehen. E.-K. Sachse« im Zahre 1813. Min Rückblick. Wenn irgend ein Land mit Stolz auf das vergangene Jahr zurückblicken kann, so ist dies in erster Linie unler Sachsen, richteten sich doch mehr denn einmal während der verflos senen 365 Tage die Augen Europas, ja die Augen der ganzen Welt auf unter Königreich. Nicht nur, daß auch wir die großen Jahr hundertgedenktage freudig und gern mitfeier- ten, nein, wir haben der ganzen Welt in die- tem Jahre eines der schönsten und denstvürdig- sten Deirkmäler überreicht. Gewaltig und trotzig blickt seit dem 18. Oktober 1913 das Böl ke r s ch l a ch t d e n k m a l auf jene Scharen Einheimischer und Fremder, die täglich dieses Meisterwerk architektonischer Kunst und dieses Nuhmesmal uneigennützigen Opfersinns be wundern. Neben der Weihe des Völkerschlacht- dentmals war es vor allem die in allen Tei len gut gelungene Internationale Bl a u f a ch^ a u s st e l l u n g , die den Namen nn'eres engeren Vaterlandes in alle Welt trug, die >n Verbindung mit dieser Ausstellung ab- gebaGenen Tagungen haben Tausende und Abertausende Menschen aus aller Herren Län der nah Leipzig gebracht und niemand wird die gastliche Stadt unbefriedigt verlassen haben. Dies gilt vor allem auch für die Teilne mer des imposant verlaufenen 12. Deutschen T u r n f e st e s, das bekanntlich in der ersten Häl te des Monats Juli in Leidig abgehal ten wurde. ''Neben diesen drei Hauptereignis- sen des vergangenen Jahres beanspruchten noch verschiedene rein sächsi'che Angelegenheiten reges Interesse auch außerhalb der weiß-grünen Grenzpfähle. Da wäre in erster Linie zu nennen der am 2. Januar 1913 dagewesene 50. Geburtstag des ehemal. sächs. bürgerlichen Gesetzbuches, das zwar nur 35 Jahre in Krat war, an das sich aber noch recht wertvolle Erinnerungen knüpfen. Weiter zurück in die sock sisck-e Geschichte führt uns die Tatsache, daß sich im Januar 1913 ein Zei'raum von 300 Jahren vollendete, seitdem in Sachten ein stehendes Heer anstelle der Landsknechte er richtet wurde. Als besonderer Jubilar konnte in diesem Jubiläumsjahr auch un'er König Friedrich Au g u st auftreten, indem er im Monat Februar das 25jährige Kompagnie- chefiubilänm im Leibgrenadier-Regiment Nr. 100 (7. Komp.) feierte. In Verbindung damit sei auch' an dieser Stelle das in den Tagen vom 4. bis 6. Juli in Dresden gefeierte 4 0- j ä h r i g e I u b i l ä u m des Königl. 2 ü ch s. M i l i t ä r v e r e i n s b u n d e s ge nannt, das 20 000 ehemalige Soldaten aus allen Teilen' Sach'ens zum Parademarsch vor König Friedrich August nach Dresden führte. Da wir uns gerade mit den Militärvereinen beschäftigen, sei auch hier der wohlgelungenen K o r n b l u m e n t a g e gedacht, die mit einem Reinertrag zum Besten unterstützungs- ledürüiger Kriegsveteranen von rund 700 000 Mark abgeschlossen haben. Wenn wir nun noch des 75jährigen Jubiläums des Grim maer Lehrerseminars gedenken, so haben wir wob! alle hauptsächlichsten Jubiläumstage re gistriert. Im übrigen sei an nennenswerten Ereignissen der Reihe nach genannt: (Januar): Geh Rat Dr. Vogel, einer der verdienstvoll sten Schulmänner Sachsens, gestorben; Tätig keitsbeginn der deutschen Bücherei in Leipzig; Gründung eines Instituts für Versicherungs- wissenschasten, das mit Beginn des Sommer- Die Herren von Dieskau Original-Roman von Franz Treller. .t>. Fortsetzung. (Nachdruck verboten. „Sie waren und sind Herrn Baron Her mann v. Dieskaus Freund, ich irre nicht?" „Nein. Klaus, Du irrst nicht. Weißt Du etwas von ihm? Ich suche ihn — ich f rch- lete, daß ihm ein Unglück begegnet sei " „Schicken Sie den Wagen fort und kommen Sie mir mir. Wir können später zu Fuß die Station erreichen, wenn Sie nicht bei mir bleiben wollen." Felseck, der genau wußte, wie ergeben der Alte seinem Freunde gewesen war, und der sich sagte, daß das Auftreten des Jägers einen gewichtigen Grund haben müsse, gab den ge wünschten Befehl und folgte Klaus in den einsamen Wald. In einem oberen Zimmer in des Wald- Wärters Hause saßen Mr. Warthon in einem wo lausgepolsterten Lehnstuhle und vor ihm Ho tau in vertraulichem Wechselgespräch, Ivie gute Bekannte es pflegen, und sic waren mit einander gut bekannt, die beiden Herren. An dem Tage, wo das große Treiben auf Diesem stattfand, bewegte sich Holtau mun teren Schrittes durch den Wald, um die Be hausung des alten Klaus auszusuchen — mit ihm konnte er doch von „ihr" roden. Da, wo ein Wiesental zwei bewaldete Hü gel trennte und der Weg dicht am Rande des einen Waldsaumes hinführie und so einen wei ten Ausblick gestattete, sah er einen Herrn vor sich hergehen, den er bei seinem eigenen raschen Gang bald überholen mußte. Er hatte ihn kaum erblickt und dabei über dacht, wer das wohl sein möge, der diesen so einsamen Pfad wandle, da sah er ihn jäh zu Boden stürzen, während gleichzeitig der scharfe Lant zweier blitzschnell nacheinander abgefeuerton Büchsenschüsse sein Ohr berührte. Der junge Mann stand erstarrt bei dem so unerwarteten, erschreckenden Vorgang, aber nur einen Augenblick, dann lief er eilig auf den Gestürzten zu. Er sah mit Entsetzen, daß Hemd und Weste des älteren Herrn starke Blutflecke zeigten und daß auch vom Kopfe Blut herniederrann. Doch verlor er die Fassung nicht, riß eilig des be- mußtlos daliegenden Mannes Hemd und Weste ans und single das Blut mit seinem Taschen- tvche zu stillen. Zum Glück rann in einem Graben zur Seite des Pfades Bergwasser. Er nahm das Tuch des Verwundeten, tauchte es ein und verstärkte dadurch den Verband. Den Kopf des Herrn anstehend und nach der Wunde tickend, erkannte er, daß der Schädel nur durch einen Streifschuß ver etzt sein konnte. Die s limmere Wunde wiesen Brust und Schulter auf. Als er in sein ein Hut Wasser herbei- t. iepptc, um die Tücher von neuem anzu- cachten und das verletzte Haupt des Fremden vom Blut abzuwaschen, nahte in eiligem Laufe der Jäger Klaus, dessen wetterhartes Gesicht so viel Schreck und Angst zeigte, daß ' vbau sich selbst in diesem Augenblick darüber verwunderte. „Ist er tot?" stöhnte der atemlose Waid mann. „Nein, aber schwer verwundet und betäubt durch einen Prallschuß." Klaus ließ sich neben dem Verwundeten nieder und untersuchte Haupt- und Brustwunde. Er trug, Ivie bei jeder großen Treibjagd, Verbandszeug bei sich und damit gelang es dem erfahrenen Manne, das Blut der Brust- munde wirksam zu stillen. Auch er hatte sich überzeugt, daß die Kopüvunde an und für sich ungefährlich war, und das ruhige, gleich- mäßige Atmen des Ohnmächtigen sagte ihm, daß die Lunge nicht verletzt sei. „Gott sei Dank", sagte er teste, „so wollen wir doch nicht enden, Junker Hermann." Die Faust hob er gegen den bewaldeten Hügel, woher die Schüsse gekommen sein mußten und mit einem von Grimm verzerrten Gesteht murmelte er: „Stirbt er, Schurke, so wa'r Gott lebt, meine Kugel holt Dich ein!" Dann wandte er sich wieder zu dem toten bleichen Mann: „Ach Gott, mein armer Junker." Energisch sagte er dann: „Helfen Sie, wir inüssen ihü zu meiner Hütte tragen, sie ist nicht weit." Und beide ungewöhnlich kräftige Männer trugen den immer nach Bewußtlosen nach der Behausung des Alten, wo er sanft gebettet wurde. Klaus eilte nach einem Arzie fort, den .grauten der Obhut seiner alten Wirtschafterin und der Fürsorge Holtaus überlassend. Hottan hielt getreulich Wache, bis der Arzt kam und einen kunstgerechten Verband anlegte, nachdem er sich überzeugt batte, daß die Wunde nicht lcbensge ährlich war. Das war der blutige Vorgang, der die Be kanntschaft zwischen Holtau und Mr. War thon vermittelt batte, ein Vorgang, der, wie der Wcstdwärter ernst und eindringlich gebeten, verschwiegen bleiben sollte, gleich wie die An wesenheit des Verwundeten in seinem Hause. Holtan fügte sich bereilwillig dem Ersuchen des Alten, denn er nabm an, daß dieser ge wichtige Gründe dafür haben mußte. Die Schüsse, das Benelmen des Wald wärters, das Geheimnis, in welches er den Vorgang zu hüllen suchte, dies alles mußte Holtau natürlich auffallen, wie ihm auch nicht verborgen blieb, daß zwischen Klaus und dem Verwundeten besondere Beziehungen be stehen mußten, dock: machte er sich keine Ge danken darüber. Er batte den Verwundeten, ei dessen Erwachen aus tiefer Ohnmacht er auch anwesend war, wiederholt besucht, mit ibm geplaudert und die vornehme, abgeklärte Lebensauffassung des alten Herrn hatte in ihm das Gefühl hervorgerufen, daß er einen seltenen Menschen vor sich habe. Auch> der junge Mann Ivar dein Amerikaner sehr sympathisch geworden. Mr. Warthon wusste wohl, wie sehr er ihm verpflichtet war, denn ohne seine rechtzeitige Hilfe wäre er ret tungslos verloren gewesen, aber das war es nicht allein, was ihm Holtan lieb machte. Die Reinheit des Fühlens und Denkens, die Mannhastigkcit seines ganzen Wesens, eine nicht gewöhnliche Geistesbildung, das waren die Eigenschaften, die in den Unterhaltungen mit Holtau zu Tage traten und den älteren Herren in hohem Grade für den jungen Mann einnahmen. Mit Interesse hatte er Holtaus Mitteilungen über seinen Lebensgang gelauscht, der, da ihn seine Eltern früh und einsam auf der Welt zurückgelassen, von Härten nickt frei gewesen war, und Holtau hatte mit einer vertraulichen Offenheit geplaudert, die ihn selbst überraschte. Daß der alte Herr gleiche Offenheit ihm gegenüber zeigen sollte, erwartete Holtau gar nickst, er erzählte von sich in der Art eines gereiften, teilnehmenden Mannes, und das Ge heimnis, das Mr. Warthon zu umgeben schien, erweckte seine Neugier nicht. Heute saß Holtau wiederum vordem sehr »voll aussehenden Rekonvaleszenten, der, den Arm in der Binde, sich bereits vorsichtig im Freien bewegt hatte. Holtau lrug eine Miene zur Sckau, deren Ernst sehr von der freund lichen Stimmung abstach, die die Züge des anderen belebte. Dieskau bemerkte dies sehr wohl, auch daß Holton I erste den Frack lrug, war ilm aus- gechllen. Die Unterhaltung wollte nicht recht in Gang kommen; man sprach über dieses und jenes und Hollau erwähnte dann, daß er in den nächsten Tagen nach England zurückreisen werde. Dies schien den würdigen Mr. War- tkon zu überraschen und zwar nicht in ange nehmer Weise. Er richtete forschend den Blick auf des jungen Mannes ernste Züge und äußerte dann: „O, so bald schon? — Sie haben Wohl be reits Abschiedsvisiten gemacht?" „Nein, Dir. Warthon, ich labe außer bei Ihnen und in W." — W. war die Stadt, in der Hilda wohnte — „keinen Abschied zu nehmen." Die blauen Augen des alten Herrn schienen in seiner Seele lesen zu wollen. „Sie sind entschieden verstimmt, mein junger Freund, haben Sie Verdruß gelabt?" Von Hilda von Dieskau und seiner Nei gung zu ihr hatte Holtau noch nie zu dem Amerikaner gesprochen; dies hätte zarte Saiten seiner Seele berührt, die er selbst dem ge schätzten Manne gegenüber nicht anklingen lassen wollte. (Fortsetzung folgt.