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VMM IM» AqklUl Tageblatt. Rr <8V. Sonnabend, den 13 Dezember IVIS 4tt. Jahrgang Bon den im Amtsgerichtsbezirk Hohenstein-Ernstthal erscheinenden Blättern die Gclcsenfte in Ernstthal, Oberlungwitz, Gersdorf, Langenberg, Falken, Meinsdorf, Langenchnrsdorf, Wüstmbrand, Mittelbach, Erlbach, Kirchberg, Ursprung, Bernsdorf, Riisdorf usw. VM-» Einzige Zeitung tm Bezirk, die eine Madig steigende Abonnentenziffer nachweisen kann. -MT Sächsischer Landtag. Erste Kammer. Dresden, 11. Dez. Auf der Tagesord- nung der heutigen Sitzung stehen Berichte der Gesetzge^ungsdeputation über das Kgl. Dekret Nr. 4, Entwurf einer Verordnung zur Er gänzung der Verordnung vom 19. März 1900, die Gebührenordnung für Aerzte usw. bei ge richtlich medizinischen Verrichtungen betr. Oberbürgermeister Dr. Sturm führt als Berichterstatter aus, daß es sich nur um Ein. beziehung der praktischen Zahnärzte, mit Aus nahme der Dentisten, in die Vorschriften der Gebührenordnung handelt. Er beantragt, dem Entwurf z uz »stimmen. Der Antrag wird angenommen. Nächste Sitzung: Mittwoch, 17. Dezember. Zweite Kammer. Auf der Tagesordnung steht nachfolgende Interpellation Schönfeld und Genossen: „Well che Maßnal inen gedenkt die Kgl. Slaatsregie- rnng gegenüber dem gefahrdrohenden Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften zu er greifen?" Weiter steht ein Antrag Castan und Ge nossen zur Beratung, wonach die Regierung den Gemeinden empfehlen soll, Mittel zur Unterstützung Arbeitsloser alsbald einzustellen und geeignete Ar-eiten schort in Angrif zu nehmen. Weiter soll die Negierung einen Ge> setzentwust vorlegen, wonach die Staatskasse den Gemeinden l>0 Prozent ihrer Auwoudun- gen für Arbeitslosenunterstützung zurückerstat tet. Zur Linderung der Arbeitsnot sollen in beschleunigter Weise Staatsarbeiten unter Zah lung tari mäßiger Löhne vergeben werden und ferner ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der die Erriätung neutraler und paritätisch gelei- :e er Arbeitsnachweise durch Gemeinden oder .g reiSoerbände ordnet. Abg. S ch ö n f e l d (kons.) begründet seine Interpellation. Der Mangel an landwirtschaft lichen Aroeitern habe einen solchen Umfang angenommen, daß Abhilfe dringend nötig sei Die Ursache der Leutenot sei in der Land- flucht der Bevölkerung zu suchen. Während bei der Reichsgründung noch jeder 20. Mem'ch auf dem Lande wohnte, sei trotz erheblicher Zunahme der Bevölkerung diese Zahl auf fünf gesunken. Aller Zuwachs sei den Groß städten zugesallen. Alljährlich müssen 800 000 Tschechen, Polen und Galizier, davon 350 000 für die Landwirtschaft, ins Reich hereingezo gen werden, um den dringendsten Bedürfnissen ! zu genügen. Das sei ein ungesunder Zustand. Der Landwirtschaft könne an diesen Zustän den keine Schuld zugemessen werden. Sie habe sich durch Verwendung von Elektrizität und Maschinen unabhängiger zu machen gesucht von den Arbeitnehmern, aber ganz ohne menschliche Arbeitskräfte gehe es eben nicht. Die Sozialdemokratie kommt uns immer mit der Forderung, die Landwirtschaft solle höhere Löhne zahlen. Demgegenüber stelle er fest, daß die landwirtschaftlichen Löhne sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt haben und daß außerdem noch die sozialen Lasten getragen werden. Dabei seien die Getreidepreise nicht höher als vor 30 Jahren. Die Verteuerung der Lebensmittel käme ferner für die land wirtschaftlichen Arbeiter nicht in Betracht, da sie fast sämtlich freie Station hätten. Der Hauptgrund der Abneigung gegen die land wirtschaftliche Arbeit seien die zunehmende Vergnügungssucht und der Widerwillen gegen längere Arbeitszeit in der Bestellungs- und Ernteperiode. Staatsminister Graf Vitzthu m v. E ck- st ä d t: Tie Landwirtschaft kann ihre wirt- säalEichen und nationalen Ausgaben nur er füllen, wenn sie tüchtige, stetige und ausrei chende Arbeitskräfte zur Verfügung hat. Das Streben nach besseren Erwerbsbedinguugen, kürzerer Arbeitszeit rc. locken viele Landlinder in die Großstadt. An statistischen Zahlen zeigt der Redner, daß eine stärkere Bevölkerungs- Verschiebung von der Landwirtschaft nach der Großstadt stattgefunden hat. Nur durch aus ländische Wanderarbeiter hat sich unsere Land wirtschaft ausrecht erhalten können; infolge des Ballan-rieges ist aber auch diese Hiljssguelle versiegt. Auch droht ein Auswanderungsver- lot von Rußland aus. Was kann der Staat gegen die drohende Gefahr tun? Jede Be schränkung der Freizügigkeit würde einer ver nünftigen Sozialpolitik widersprechen. Da gegen gewährleisten alle Maßnahmen zur Er höhung der ErtragSfähigkeit der Landwirt schaft höhere Arbeitslöhne rind sind deshalb zu unterstützen. Aus demselben Grunde ist die Steigerung der Bodenpreise zu verhüten. Außer den Arbeiteransiedlungen sind weitere Mittel zur Behebung der Leutenot in Be tracht zu ziehen. Auch der Gedan.e, Land an die Arbeiter zu verpachten, ist erwägenswert. Spargelegenheit, Krankenpflege, Kindergarten, Bibliothek, Fortbildungsmöglichkeiten sind zu fördern und veranlassen keine wesentlichen Ko sten. Die Regierung Wender allen diesen Fra gen volle Aufmerksamkeit zu>. Vor allem gilt es, den Widerstand der Landwirte gegen die innere Kolonisation zu brechen. Staatliche Mittel zur Behebung der Arbeiternot stehen nicht zur Verfügung. Aber ohne engere Ver- knüpsrmg des Arbeiters mit dem heimischen Boden ist die Frage nicht zu lösen. Dr. Schanz beantragt Besprechung der Interpellation zugleich mit Punkt 2 der Ta- gesordnung: Antrag Cäftan betreffend Ar- beitslofensürsorge. Abg. Held (Soz.) beantragt, den Antrag Eastan der Finanzdeputation A in Gemein schaft mit der Gesetzgebungsdeputation zu überweisen. Der von Dr. Niethammer vor geschlagene Weg der Arbeitslosensürsorge, den Arbensloseu Arbeit zu geben, sei zwar gut, aber praktisch undurchführbar. Das Problem hat Schwierigkeiten, aber die müssen behoben werden. Redner weist aus kommunale Ar beitslosenversicherungen hin, die namentlich in Süddeutschlaud zu finden seien. Bapern gehe neuerdings der Arbeitslosigkeit zu Leibe; in Sachsen geschehe nichts. Die sächsische Regie rung habe versprochen, den Wünschen des Zcntralvcrbandcs deutscher Industrieller nach zukommen (Minister Graf Vitzthum v. Eck- städt: „Nicht wahr!") Die konservativ-anti semitische Zeitschrift „Hammer" werfe Prole tarier mit Arbeitsscheuen und Verbrechern zu sammen. Redner hält nun einen weitschwei figen Exkurs über Teuerung und Zollpolitik. Mit der JnduskLiekrise falle dieses Jahr eine Baukrise zusammen. Die Staatsbauten möch ten tunlichst beschleunigt werden, um Arbeits losen Arbeitsmöglichkeit zu geben. Redner wünscht eine differenzierte Statistik über den vom Lande nach der Großstadt fließenden Menschenstrom; sie würde ergeben, daß die Arbeitslosigkeit keine Sache der Großstädte sei. In breitem Umfange schildert Redner nun- mebr die augenblickliche Krise aus dem Ar beitsmarkte. Die Gewerkschaften hätten den Beweis erbracht, daß die Arbeitslosenversiche rung möglich ist. Aber auch die Arbeitgeber und der Staat müßten hier Opfer bringen. Ar.eitsscheu sei nur selten die Ursache der Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaften würden sich der Mehrarbeit gern und gewissenhalt un terziehen. Reich, Staat und Gemeinde sollten sich der Ausgabe gemeinsam annehmen. Aber dringend zu fordern sei die Organisation der Versicherung aus dem Boden der Selbstver waltung. Alle Arbeiterorganisationen wollten die Arbeitslosensürsorge. Eine soziale Tat sei nötig! (Beifall links.) Staatsminisler Graf Vitzthu ni v. E ck- st ädt : Der Versuch des Abg. Held, zwi- scheu Sachsen und Bayern einen Gegenstand bezüglich der Stellung zur sozialen Frage her- auszuke reg, sei willkürlich. Die Aeußerung Sr. Mas. des Königs auf der Generalver sammlung des Zentralverbandes Deutscher Industrieller ist nicht so gefallen, wie der Vorredner sie zitiert habe. Die Regierung Hale die Arbeitslofenfrage nicht aus dem Äuge verloren,, wie die Arbeitslosenzählungen beweisens. Eine Steigerung der Arbeitslosen- zß er sei vorhanden. Im Reichstage sei die Arbeitslosigkeit als ein Produkt unserer wirt- schastlichen Entwicklung lingestellt worden. Redner ist der gleichen Meinung. Aber der Staat dürste nicht haftbar gemacht werden; bas würde zur Schmälerung der Verantwort lichkeit und der persönlichen Freileit führen. Die Regierung habe die Gemeinden rechtzei tig aus die beginnende Krise aufmersam ge macht. Bei vielen Gemeinden sei mehr Ar- beitermangel als Arbeitslosigkeit. Der Pslege der Arbeitsnachweise wende die Regierung steigendes Interesse zu. Hier sei straffe Zen tralisation am Plaine. Folgende Wege sck)ei- nen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gang bar: Selbstversicherung, Arbeitslosensürsorge und Arbeitslosenversicherung. Dem letzteren Wege gegenüber verhalte sich die Staatsregie rung auch heute noch abwartend; die Frage sei noch nicht spruchreif. Den Arbeitgebern müsse Ruhe gelassen werden, sich an die neuen Lasten zu gewöhnen. Vorerst müsse das Aus land in sozialen Dingen nachtommeu. Der Aus ülrung der Arbeitslosenversicherung sieben starke Schwierigkeiten gegenüber. Tas Genier System würde nicht alle Arbeiter umfassen; denn nur etwa ein Drittel gehören den Be- russverbänden an. Seine Einführung liefe Die Herren von Dieskau. Original-Roman von Franz Treller. 12. Foctsetzing. (Nachdruck vecbotcn.- „Welche andere Frau?" „Die das Kind gehost hat. Sie weinte sehr hier, am Grabe und weinte über den kleinen Jungen und küßte iln und sagte einmal über das andere Mal: „Du sollst mein Kind sein." Und dann nahm sie ihn mit fort, und die Frau von Heinrich Klinke, die das .Kind nährte, mußte mitfahren in die Stadt, wo die Frau wohnte." „Aber die Stadt kennen Sie doch, wohin das Kmd gebracht wurde?" „Ja, ich Haie es gewußt — aber es gelt so viel vor — ich habe es vergessen." „Und haben Sie denn nicht mit der Frau, die das Kind holte, gesprochen, da Sie doch der Toten so nahe standen?" „Ich wollte nicht," flüsterte sie, „denn die Leute meinten, sie sei nicht verheiratet gewe sen; ich aber wußte es besser." Dieskau, der sich mehr und mehr der An sicht des P arrers angeschlossen hatte, daß die Alte geistig, gestört sei, fragte vorsichtig: „Und woher wußten Sie es denn?" Sie sah ihn erschreckt an und erwiderte dann, kurz: „Ich weiß es. Ach, ich wollte, ich hätte sie nie gesehen." Nach einiger Zeit fuhr sie nachdenklich fort: „Ob der kleine Junge noch lebt?" Dann versank sie wieder in Schweigen, und aus er neute Fragen antwortete sie nicht mehr. Sie erhob sich und ging davon. Seufzend sah ihr Dieskau nach. Harrend aus Nachrichten von dem Polizei- lcamsen, der sein Kind suchte, durchstreifte er die Wälder, schrieb Briese oder saß plaudernd bei dem Pfarrer, sich so gut es ging, in, Ge duld fassend. Er füllte sich hier an der Stätte so süßer und so unendlich schmerzlicher Erinnerungen heimischer als iu einer großen Stadt. Akte Bekanntschaften zu erneuern verspürte er keine Neigung, obgleich es sehr leicht möglich war, daß er noch am Leben befindliche Jugendbe kannte und Kameraden getroffen hätte. Auch seines Bruders gedachte er nur hier und da. Sein ganzes Sinnen bewegte sich in dem Hosfnungskreise, den ihm das Glück, sein Kind wiederzusindeu, vorspiegelte. Alles an dere war ihm zunächst gleichgültig. Endlich traf ein Bericht des Polizeibeam ten ein — doch gab er wenig Trost. Der Beamte hatte mit unermüdlichem Eller die Spuren vestolgt und in Erfahrung ge- rächt, daß Professor Gehrmann sowie feine Frau längst gestorben waren, und zwar in Eharlottendurg, wo Gehrmann zuletzt als Pen sionär gewohnt hatte. Zu Viöl Zeit war ver strichen, zu gering war die Zahl der Perso nen, die sich des Ehepaares Gehrmann, das seit 1860 wiederholt den Arlleuthaltsort ge wechselt hatte, noch entsinnen konnten. Denn- noch gelang es zu erfahren, daß der Pensio nierte Professor Gehrmann einen Sohn be sessen habe, und man wollte wissen, er habe die Technische Hochschule besucht. Aber in den Registern der Studierenden fand sich der Name gar nicht, auch die Schü ler kannten ihn nicht, und den Namen Pro- fessor Gehrmann wies zwar das Adreßbuch auf, aber nicht die Standesregister. Das Haus, in dem Gehrmann damals wohnte, war längst einem Neubau gewichen. Der Beamte batte in den Lokalblättern Ivie auch in den großen Berliner Zeitungen vorsichtig gehaltene Zeitungsannoncen erlassen, die von wirklich Kundigen verstanden werden tonnten, aber der Erfolg war ein negativer. So umfangreich die Tätigkeit des Mannes gewesen, so unbefriedigend war deren Rcsul- tat. Dieslän war sehr niedergeschlagen. Da entschloß er sich endlich, seinen Binder auszusuchen. Es war nicht undenkbar, daß dieser, seit dem er so unverhofft Maioralsherr geworden war, sich um das Schicksal des in Breiten bach geborenen Knaben bekümmert hatte, um einen unter Umständen gewhrlichen Präten denten zu überwachen. An den Dieskäuschen Gütern war ihm für seine Person wenig gelegen, er war reich ge nug, um sie entbehren zu können lind war ja auch dem Vaterlaude entfremdet. Felseck, Dieskaus amerikanischer Freund, hatte ihm seine Rückkehr angezeigt, und Dies kau schrieb ihm, was er bisher in seiner Sache getan habe und daß er jetzt Bodo au- suchen werde. Er bat ihu, ihm seine Ankunft in Europa nach Hannover zu melden, wo er fortan seinen Aufenthalt nehmen werde. Dann verlieb er Breitenbach, nachdem ihm der" Pfarrer die Versicherung wiederholt, daß er ihm Nachricht geben werde, sobald etwas zu seiner Kenntnis käme, was aufj den« schwie rigen Fall bezug habe. O * * Der Waldwärter Klaus, der nie ohne seine Büchsfllnte ausging, schritt einen der ge bahnten Waldwege entlang und überholte einen langsam dahinwandelnden, trotz seines einfachen Anzuges vornehm aussehenden Herrn. Mit kurzem Gruß ging er vorüber. Aber er befand sich kaum zwanzig Schritte vor dem Fremden, der ihm aufmerksam und überrascht nachgesehen hatte, als der Wan derer ein leises Pfeifen vernehmen ließ; es waren einige Takte eines alten Reitermarsches. Wie aus einen plötzlichen Befehl drehte sich der alte Waldmann und Waldwärter bei diesem Klange um, stand still und blickte mit seinen klugen Augen in denen sich Staunen und Ileberraschung spiegelte, dem langsam heran- kommcndcn Herrn entgegen. Dieser blieb lächelnd vor ihm stehen. „Ich sehe, Alter, Du kennst unser Jagd- signal noch." „Gott stehmir bei!" sagte der Waldivärrer, „das mußte Junker Hermann sein, wenn er nicht längst tot wäre." „Nein, KlauS, er lebt und lxu es Dir heute noch nicht vergessen, wie Du ihn vor den Gewehren des Ebers da oben an den Tannen schütztest." Der alle wetterfeste Mann zitterte merk lich: „Das — iß dock' nick't mögiick — geb'n denn noch Wunder vor?" „Vielleickn war ein solches nötig, micb hier her zurückzusühren. Ick, war auf dem Wege Tick, auszusuck'en, mubdem ick, im Toste ge hört, daß Tu nc>cb lebst; Tu lausest doch noch in Teiner allen Baracke?" .Ja, die ist mir geblieben." Immer sah er Dieskau an mit scckuen, fast verstörten Blicken. Dieser bemerkte es recht gut. Das unerwartete Erscheinen des Totgeglaubten nach fast dreißig Jahren war ja auch überraschend genug. „So laß uns dort einkehreu, ich möchte manches mit Dir besprechen. Denn daß Du mein Freund geblieben bist, das weiß ick und fühle ich!"' Er schritt weiter und der Forstmann, fast ängsllick, als ob er neben einer unheimlichen Erscheinung berging, folgte ihm." Nach eckiger Zeit blieb Dieskau stehen. „Weißt Du, was au der alten Eiche vor 36 Jahren geschah?" Fragend blickte ihn Klaus an. (Fortsetzung folgt.