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AiWk M WheiAkii-KlMlljalkl Artiger Tsgeblstt. Nr. A7 Donnerstag, den 18 September 1818 4V. Jahrgang OertlicheS nnd SSchstscheS. *- Die sächsische In irrste ie und die W e l t a u s st e l l u m g. Wie ein Leipziger Matt erfährt, ist in Sachsen ein Ausschuß angesehener Industrieller im Ent stehen begriffen, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, die sächsischen Industriellen für die Be schickung der 1914 in Lyon stattfindenden In dustrie-Ausstellung zu interessieren. Ferner soll ein Komitee angesehener Deutschamerikaner unter der Führung Theodor Sutors Sachsen besuchen, um hier für die Beschickung der Ausstellung in San Franzisko tätig zu sein, der viele sächsische Industrielle bekanntlich sehr üeundlich gegenüberstehen. * — Der Geburtenrückgang. Daß dqr Geburtenrückgang keine vorübergehende Erscheinung ist, daß er nicht einmal zum Still stand gekommen ist, vielmehr mit unheim licher Beharrlichkeit und Stetigkeit zunimmt, beweisen die neuesten Ergebnisse der Neichs- statistik im „Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1913". Während die Zahl der Eheschließungen von 496 396 im Jahre 1910 auf 512 819 im Jahre 1911 gestiegen ist, ging die Zahl der Geburten in dem gleichen Zeitraum von 1 982 836 auf 1 927 039 zu rück. Leider ist auch eine Zunahme der Sterb- lichkoit zu verzeichnen, die aber wohl eine Ausnahme darstellt. Besonders der heiße Sommer des Jahres 1911 ist schuld, daß der Tod gerade unter den Säuglingen eine reiche Ernte hielt. In dem genannten Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Gestandenen von 1 103 723 auf 1 187 094. * Zwickau, 15. Sept. Der Anfang voriger Woche in einem hiesigen Schacht in- iolge Unterleibsquetschung durch einen Koh- lcuhnnt schwer verletzte Häuer Max Albin Reinhold, hier, 36 Jahre alt, Vater von sie ben unversorgten Kindern, ist seinen Ver letzungen erlegen. * Niederplanitz, 16. Sept. In der letzten Sitzung des Gemeinderats wurde das Ortsgesetz dahin abgeändert, daß die Zahl der Gemeinde ratsmitglieder von 12 auf 15 erhöht wird. Die Ansässigen erhalten 9 Vertreter, die Unansässigen 6 * Reichenbach i. V., 16. Sept. Gestern vor mittag wurde in der Reichsstraße der 5 Jahre alte Knabe Herbert Petzold von einem zweispän- nigcn unbeladenen Schleifwagen überfahren nnd sofort getötet. Der Knabe hatte der vorbeimar schierenden Maschinengewehrabteilung zugesehen nnd war dabei unter das herankommende Ge schirr geraten. — Hier erschien in der Polizei hauptwache der 19 Jahre alte Fabrikarbeiter Paul Arthur Göthel aus Adorf i. V. und gestand, daß er die am Dienstag abend dort niederge- branntc Scheune des Wirtschaftsbesitzers Uhlmann vorsätzlich in Brand gesteckt habe. Er habe die Tat aus Wut und Berger ausgeführt, weil man ihm in einer Fabrik sein Arbeitsbuch zurückbe halten habe. Der Brandstifter wurde in Haft genommen. * Annaberg, 16. Sept. Eine mit Ran gieren beschäftigte Lokomotive fuhr sich Mon tag früh auf dem hiesigen Bahuhofe so fest, daß sie weder vor- noch rückwärts konnte. Von Chemnitz traf am Mittag ein Wagen mit Werkzeug sowie ein weiterer Wagen mit Mannschaften ein, die bis nach 4 Uhr an der Unsallstelle zu tun hatten. Der Umfall ist dadurch geschehen, daß vergessen worden war, die logen. Schuhe, die beim Rangieren auf den Gleisen angebracht werden, wegzu nehmen, und so fuhr die Lokomotive aus die- sen fest. . Kammcrherr und Professor. Wie schon gestern von uns gemeldet, er schoß im Berliner Landwehrosfizier-Kasino der Kunstmaler Professor Heinrich Maaß den Kammerherrn und Rittmeister der Reserve Lothar v. Westernhagen. Die Tat geschah während einer Sitzung des Ehrenrats. Kam- merhem v. Westernhagen war in verschiedenen Artikeln Berliner Skandalblätter angegriffen worden. Er beschuldigte Professor Maaß der Urheberschaft der Artikel, und es kam zu einer Ehrenaffäre zwischen den beiden Männern, die schließlich der Entscheidung des Ehrenrates unterbreitet wurde. Nach einer Ehrenrats, sitzung versetzte Kammerherr von Westernhagen dem Maler einen Schlag ins Gesicht. Sofort zog Pvof. Maaß einen Revolver und schoß aus den Kammerherrn, den er ins Herz traf, sodaß der Tod nach wenigen Minuten ein- trat. Die überaus reichhaltige Chronik der Mut- taten Barlins ist um eine neue Tat bereichert worden, die nicht weniger als alle anderen Aufsehen erregen muß. Mögen die Umstände dieser Affäre sein wie sie wollen, eins fällt bei ihr besonders auf: Daß der Maler mit einem Revolver in der Tasche zur Sitzung des Ehrenrates erschien! Dieser Umstand dürfte bei der Verhandlung gegen Prof. Maaß schwer ins Gewicht fallen. Vorsätzliche Hand lung? Man sträubt sich gegen die Annahme; aber daß ein Mann von der Stellung und der künstlerischen Kultur des Malers wie einer der Revolverhelden, die in den letzten Tagen so viel von sich reden machten, die Mordwaffe bei sich trug, gibt doch zu denken. Professor Heinrich Maaß steht im 53. Le- bensjahre. Er hat einen bedeutenden Ruf als Künstler. Sein Hauptwerk sind „Die drei Frauen am Grabe Christi" in der Schlotz- kapelle zu Detmold, wofür er mit der Lippe- schen Rose für Kunst und Wissenschaft aus gezeichnet wurde. Maaß hat außerdem noch den Leopoldsovden mit der Krone. Er wird von seinem Kollegen als ein überaus leicht erregbarer und leidenschaftlicher Manu ge schildert. Kammerherr von Westernhagen war ein Hüne von Gestalt, Maaß besitzt eine kleine, untersetzte Statur. Der Professor gab den ver hängnisvollen Schuß aus unmittelbarer Nähe ab und traf den Kammerherrn von unten ins Herz. Der Getroffene hatte noch soviel Kraft, ins Zimmer des Ehrenrates zu stürmen, wo er mit dem Ruf: „Ich bin ins Herz getrost fen" einem der Herren in die Arme sank. Bald darauf hauchte er sein Leben aus. — Die Tat ist mit einer amerikanischen Pistole sehr alter Konstruktion vall'ührt worden, und es ist verwunderlich, daß es überhaupt mög- lich war, mit der Waffe einen Menschen zu töten. Nur der unglückliche Zufall, daß sich die beiden körperlich so ungleichen Gegner aus der Treppe gegenüberstanden, hat es mög ¬ lich gemacht, daß der Schuß ins Herz traf. Professor Maaß, der nach der jähzornigen Tat völlig zusammenbrach, wurde verhaftet, später aber, da das Gevicht nach dem Lokal termin der Ansicht ist, daß sich Maaß bei der Tat in Notwehr befunden hat, endgültig aus der Haft entlassen. Kleine Ghrsnik. * Gewitterfahrt eines Zeppelin-Luftschiffes. Von einem Gewittersturm wurde das Zeppelin- Luftschiff „Z. 1" bei Posen überrascht, als es von der Teilnahme an dem Kaisermanöver von Liegnitz nach Gotha zurückkehren wollte. Das Luftschiff kämpfte mutig gegen den Sturm an, der das Gewitter begleitete, mußte aber schließ lich die Weiterfahrt aufgeben. Um der Blitzge fahr auszuweichen, stieg der Luftkreuzer über die Wolken. Es gewährte einen schaurig-schönen Anblick, das Luftschiff zwischen den zerrissenen Wolken zu sehen, vom fahlen Licht der Blitze übergossen. Gespenstisch schob es sich durch die Wolken durch. Der „Z. 1" wurde von der Ge walt des Sturmes schließlich nach der russischen Grenze zu abgetrieben, konnte sich aber gut hal ten und landete nach mehrstündiger, an Aben teuern reicher Fahrt in Liegnitz. ' Schwerer Unfall eines deutschen Militär- attachees. Bei Toulouse verunglückte der deut sche Militärattachee in Paris, Major von Winter- feldt, der auf Einladung des französischen Geueral- stabcs an den Manövcrn in SUdfrankreich teil- nahm. Sein Auto — es war ein Militärauto mobil — stürzte in einen Graben und fing Feuer. Major v. Winterfeldt kam unter den Wagen zu liegen und erlitt schwere Quetsch- und Brand wunden. Der Zustand des Kranken ist besorg niserregend. * Der deutsche Flieger Friedrich hat zu seinem Ruhm, der erste deutsche Bewältiger der. Strecke Berlin—Paris zu sein, noch den gefügt, als erster Deutscher den Kanal überflogen zu haben. Friedrich halte auf seinem Fluge Paris —London ein Abenteuer zu bestehen, das be zeichnend für das französische Publikum war. In Calais mußte Friedrich nämlich landen, nm die sür den Flug in englisches Gebiet nötigen Papiere sich ausstellen zu lassen. Die Gendar men konnten cs nicht verhindern, daß sich in der Zwischenzeit eine ganze Zahl junger Burschen an den Aeroplan machte und ihn mit allerlei chauvinistischen Phrasen bekritzelte. Solche Reise andenken brachte auch das Zeppelin-Luftschiff, das bei Luneville „strandete", von seinem Aben teuer mit heim. * Ein Rekord jagt den andern in der Aviatik. Der Franzose Seguin legte die Strecke Paris— Berlin in elf Stunden ohne Zwischenlandung zurück! Eine respektable Leistung, die kein D-Zng ohne Maschinenwechsel schafft. * Die schwere Explosionskatastrophe in Ko- burg, die 13 Todesopfer gefordert hat, ist Ge genstand eingehender Untersuchung. Festgestellt ist bereits, daß die schadhafte Stelle der unterir dischen Gasleitung ungebührlich lange uncntdeckt geblieben ist und einen Umfang angenommen hatte, zu dem es hätte nicht kommen dürfen. — Die Katastrophe mag übrigens Anlaß sein, jede mut maßliche Ueberschätzung des Gasverbrauches ge nau nachprüfen zu lassen. Auch den Bewohnern des Unglückshauses in Koburg ist der ungewöhn ¬ lich hohe Verbrauch an Gas ausgefallen — leider drang man aber zu spät auf die Kontrolle der Leitung. * Fünf Personen bei einer Bootsfahrt er trunken. Aus Marseille wird gemeldet: Fünf Personen, darunter zwei Kinder, wurden bei einer Bootsfahrt von einer gewaltigen Welle erfaßt und ertranken. * An Pilzvergiftung gestorben. In Rawitsch (Posen) starben infolge von Pilzvergiftung der 78- jährige Arbeiter Sliwinski und seine vierjährige Enkeltochter. * Gasexplosion. In einem Napthawerk der Gesellschaft Nest wurden in Grosnyi (Kaukasus) durch eine Gasexplosion drei Arbeiter getötet und mehrere verletzt. * Schwerts Unglück im Manöver. Ein Sergeant von den Pasewalker Kürassieren stieß im Manövergelände bei Zarnefanz mit seiner Lanze an die Leitung der Ueberlandzentrale. Durch den Starkstrom wurde der Sergeant sofort getötet. * Schwerer Eisenbahnunsall. Auf der gali zischen Station Cahabowka stieß der nach Krakau fahrende Personenzug mit einer Vorspannloko motive zusammen, wobei die beiden Lokomotiven und mehrere Personenwagen zertrümmert wurden. 13 Passagiere und zwei Bahnbedienstete wurden mehr oder weniger schwer verletzt. * Einsturz einer Kirche. In Parma (Italien) stürzte gestern die aus dem 14. Jahrhundert stammende Kirche „Carmine", die anläßlich der Feier des hundertsten Geburtstages Verdis in einen Konzertsaal verwandelt werden sollte, ein. Die bei dem Umbau beschäftigten Arbeiter konnten noch rechtzeitig flüchten, so daß der Einsturz ohne weitere Folgen blieb. * Schlagwetterexplosion. Auf Zeche „Bruch- straße" in Langendreer ereignete sich gestern eine Schlagwetterexplosion, bei der ein Bergmann getötet und zwei lebensgefährlich verletzt wurden. * Blitzschlag in eine Schafherde. In Re magen a. Rh. schlug der Blitz in eine Schafherde. Ueber 30 Schafe und Schäferhunde wurden getötet. * Ein Dorf eingeäfchert. Die Ortschaft Stawska in Ostgalizien ist, wie aus Krakau ge meldet wird, vollständig von den Flammen ein geäschert worden. Sechs Kinder kamen in dem Feuer um. * Zwei Kinder überfahren und getötet. Ein gräßlicher Unglücksfall hat sich am Montag vormittag in der Moldcnstraßc in Magdeburg ereignet. Die Pferde eines schwerbeladcncn Wagens, dessen Kutscher mit seinem Begleiter in einem Laden Waren ablieferte, setzten sich plötzlich die abschüssige Straße hinab in Bewe gung. Dem Begleiter gelang es, aufzuspringen, doch vermochte er die Tiere nicht mehr zum Stehen zu bringen. Beim Hause Nr. 31 kam das Fuhrwerk vom Fahrdamm auf den Bürger steig und zermalmte zwei dort stehende Kinder, den fünfjährigen Sohn und die dreijährige Tochter des Arbeiters Oeltze, in gräßlicher Weise. * Ter Erreger der epidemischen Kinderläh mung ist von zwei Aerzten im Laboratorium des Rockseller-Jnstitutes zu New-Aork, Simou Flex ner und Dr. Hideyo Nogushi, einem Japaner, cui- deckt worden. Es ist ein kleiner Pilz, dessen Ver impfung auf Affen die charakteristischen Kraukhelltz- erscheüumgcu bei diesen Tieren heroorrief. Dr. Nogushi ist vor wenigen Tagen erst auch als Eindecker des Tollwutsbazillus genannt worden. Sturmvögel. Ein Schifssroman aus deni Nordlaud von Anny Woth e. 3. Iorts. (Nachdruck verboten.) Oopzrrißdt 1V10 /rnvx Hier zündele er sich nachdenklich eine Zi garette an und blickte, einige tiefe Züge tuend, mit ganz verwandelten ernsten Augen über das Meer. Ani Horizont flammte unter dunklen Rie senwolken eine Fata Morgana, eine jener Luftspiegelungen auf, die ihm Auge und Herz weiteten. Ja, hier war schon Heimatland für ihn, heiliges Land, das fühlte er. Wie gebannt hingen die großen Augen des jungen Mannes an dem leuchtenden Schauspiel. Goldene Zinnen und Türme ho ben sich aus dem Wasser, Tempel mit schlan kem Säulenbau ragten im tiefen Goldglanz empor, und darüber flogen schwarze Wolken, drohend, unheimlich, wie lichtmordende iiu- l old e. Marne Jensen starrte in die rote Glut, die jetzt mit Purpurflammen über die Wellen fl.egt. Er achtet nicht daraus, daß er noch im Smoking ist, ohne Mantel, ohne Mütze. Er spürt auch nicht, wie der Wind mit sei nen kurzen, krausen Locken spielt, und wie der Sanne Glut ihm leuchtende Roseu aus die Wangen malt. „Sie werden sich erkälten, junger Herr," üillt da plötzlich eine tiefe Stimme in seine Gedanken, und Marne sah feinen schweig samen Tischnachbarn neben sich an Bord leh nen und über das Wasser blicken. Marne lachte, ein glückliches, sorgloses Lachen. „Das bischen Wind, mein Herr, nein, danke, das schadet einem echten nordischen Jungen nicht." „Sie sind Nordländer, Herr — —" „Jensen," ergänzte Marne mit einer Ver beugung, „Marne Jensen, find. Phil, im drit ten Semeter. Ich studiere in Berlin," er gänzte er die Antwort, die Frage nach sei ner Heimal umgehend. „Bodenbringk, Olaf Bodenbringk am Westrum," gab der blonde Hüne zurück. „Mair verstell immer die Namen bei den Vorstel lungen nicht genqu." Der blonde Junge verbeugte sich tief, tie fer als es ivohl notwendig gewesen wäre. Ein leichtes Erblassen flog über das ro sige Gesicht und einen Augenblick war es, als stocke sein Atem. „Das liegt im Holsteinischen," gab er dann gezwungen zurück. „Nein, aus den alten friesischen Inseln, gegenüber der I o steinischeu Küste." Er sah au merksam in das junge Gesicht, in dem ater jetzt lein Muskel zuckte. „Ihre Frau Schveswr ist leidend?" fragte plötzlick) Olaf von Bodenbringk unvermittelt. „Ja und nein. Sie hat einen schweren Verlust erlitten, und ich habe sie hierher be gleitet, um sie etwas zu zerstreuen wird sie wieder zugänglicher zu machen kür das, was die schöne und strahlende Welt selbst dem Glücksärmsten so verschwenderisch bietet." „So, meinen Sie das wirklich?" fragte Bodenbringk mit einem bitteren Lächeln um den Mund. „Es zeigt, daß Sie noch nichts wissen von des Lebens Leid, doch wie soll ten Sie auch. Es ist das Vorrecht der Ju gend, die Empfänglichkeit sürs Schöne und Strahlende. Denen aber, die das Leid tra gen, denen lut die herrliche Welt, iu die uns unser stolzes Schiff so leuchtend hiueinträgt, nur weh." Der blonde Junge schüttelte mit einem reizenden, siegesgewissen Lächeln den Kopf. Alle Unsicherheit und Befangenheit Ivar schon wieder überwunden, als er, mit dex kräfti gen, wolwepfteattn Hand über die Wellen deutend, sagte: „Wie dort am Horizont die rote Glut verblaßt, wie in einem fahlen, gelben Schleier die Zauberstadt versinkt, die noch soeben unsere trunkenen Blicke geschaut, so schwankt der Menschen Glück und Leid im wechselnden Spiel. Was heute in Nacht sank, kann morgen in Gluten neu erstehen. Gute Nacht, mein Herr, meine Schwester wartet auf mich." Er grüßte leicht und schritt au Olaf vou Bodenbringk, ohne eine Antwort abzuwarteu, vorüber, das Promenadendeck entlang, von dem verwehte Musikklänge herüberdrangen. Olaf sah der prachtvollen Jünglingsgestalt mit den breiten Schultern und den weichen BewegMgeu der schlanken Hüften seltsam for schend nach. „Merkwürdig," murmelte er, „wie ich heute morgen daraus kam, dieser Junge müßte ein Mädchen sein. Vielleicht weil ich es wünschte, dai diese herrlichen blauen Augen, so kühl und doch so tief, so rein und klar, einem Weibe gehören möchten. Der junge Mann bewegt sich so sicher und ungezwungen in sei nen Kleidern, daß schon eine ganz hiruver« brau nie Phantasie dazu gehört, iu diesem ent zückenden, frischen Beugel ein Mädchen zu vermuten, ganz abgesehen davon, daß es noch mehr als abenteuerlich wäre, hier iu Männcrkleidcrn Herumzulauseu. Im übrigen, was geht mich der Junge au!" Olas sagte cs fast grollend mit finster gekälteten Brauen und empfand es unange nehm, daß plötzlich ein Manu mit einer blauen Brille dicht neben ihm austauchte, just au der Stelle, wo soeben noch der blonde Knabe gestanden, und ihn forschend ausah. Er wandte den Blick nach der anderen Seite, aber er fühlte, daß die Augen des Fremden noch immer aus ihm hafteten. Olas drc ie sich plötzlich um, es war ihm, als müßte er den lästigen Beobachter anreden. Da glitt die Gestalt lautlos wie eiu Schal ten im Dämmerlicht vor ilm dahin. Wie eiu Cckcmeu war er verschwunden. Olaf fröstelte. Nun war auch der letzte gelbe Schein am Himmel verdämmert. Leite tlagend schlugen die Wellen an die Planken. Aus il reu rabenschwarzen Flügeln kam die Nacht. Nur ganz von fern blinkte noch immer das Leuchtfeuer vou Helgoland wie ein Heller, verheißender Stern. „Richard, ich glaube, ich sterbe," stöhnte am anderen Tage eine stattliche, öftere Dame, die, ein Bild des Jammers, in einem der beguemen Liegestühle auf dem Promenaden deck ruhte und sich vergeblich mühte, den Kopf etwas zu leben. „Was ist los? Was willste, Lena? Ster ben? I, wo wirste denn! An der Seekrank heil ist noch kein Mensch gestorben," gab der Gatte Frau Lenas, Herr Bankier Richard Gerstenberger, verstört aus seinem kleinen Vor- mittagsdnssel erwachend, zurück. (Fortsetzung folgt.)