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VMM!M Hihkißkii-EriiWllln Wtizn Rr. 221 Dienstag, den 23 September 1818 4V. Jahrgang MMSNESMS^M^^SSSS»»««^ Zur ZahthMdertstier der Leipziger Mldcrschlpcht. Unter den bedeutendsten Heerführern, deren strategischem Genie der Sieg der verbündeten Armeen über den korsischen Unterdrücker in der Völkerschlacht bei Leipzig mit zu verdanken war, steht auf österreichischer Seite der Generalfeld marschall Karl Philipp, Fürst von Schwarzen berg, dessen Bild wir heute veröffentlichen, ge rade nicht in erster Linie. Obwohl er bei der Kriegserklärung Oesterreichs an Napoleon den Oberbefehl über alle Truppen der Verbündeten erhalten, zeigte er sich namentlich bei Dresden nnd Leipzig nicht gerade als bedeutender Feld herr, wenigstens nicht inbczug auf entschlossenes Drauflvsgehen, wo cs nötig erschien, sondern er unterstützte mehr die zurückhaltende Politik Metternichs und befolgte dessen Theorie, „das Heil nicht in der Schlacht, sondern in der mili tärischen Attitüde zu scheu." Später hat er allerdings diesen Grundsatz nicht mehr befolgt und selbst den Vormarsch auf Paris geleitet, der mit der Einnahme der französischen Haupt stadt endete. Er verdient daher immerhin, daß auch seiner jetzt unter den militärischen Führern der Befreiungskriege anerkennend gedacht wird. NzialdeMMWr PmeitW. Aus Bebels Brief, dem letzten, den der verstorbene Parteiführer kurz vor seinem Tode geschrieben, las Abg. Molkenbuhr bei der De batte über die Zustimmung der sozialdemo kratischen Reichstagssraktion zu den Besitz stenern für die Militärvorlage einige Stellen vor, die die denkbar tiefste Wirkung aus die Versammlung ausübten. Bebe! fertigte darin die Angriffe der Hyperradikalen ans die Hal tung der Fraktion in sehr drastischer Weise ab. Nachdem in Uebcreinstimmung mit Be bels Ausführungen der Parteitag mit er drückender Mehrheit der Fraktion sein Ver trauen ausgesprochen hatte, nahm die Schluß sitzung am Sonnabend einen sehr geschäfts mäßigen Verlaus. Auf der Tagesordnung stand die Frage der Maiseier. Tie Debatte darüber wurde indessen von den ermüdeten und abreiseserti- gen Mitgliedern durch Privatgcspräche fortge setzt so stark gestört, daß der stellvertretende Vorsitzende einmal über das andere Ruhe ge bieten mußte. Der Vorsitzende Abg. Ebert empfahl die Resolution des Partcivorstandes: Der Parteitag erwartet von den in Bureaus und Redaktionen der Partei und der Gewerk schaften angestellten Parteigenossen., daß sie im Hinblick auf die Opfer, die die Arbeiter im Kampf um die Maifeier bringen, ihren Ta gesverdienst am 1. Mai an den Maifeiersonds abliefern. In der Begründung dieses Antra ges hob Redner hervor, daß der Beschluß, wonach alle Angestellten in Partei- oder Pri vatbetrieben ihren Tagesverdienst am l. Mai an dew Maifeiersonds abzuführen haben, große Erschütterungen erregt und zu zahlrei chen Ausschlußverfahren Anlaß geboten hätte. Die folgenden Redner führten gleichfalls Klage über die mangelhafte Durchführung der Mai feier. Es ging dabei teilweise so ungemütlich zu, daß man schließlich froh war, einen An trag annehmen zu können, wonach die weder der Partei noch der Maifeier dienliche Aus einandersetzung zu schließen sei. Der Mai- fcierantrag des Partcivorstandes wurde mit großer Mehrheit angenommen. Nachdem die Abgeordneten Haase und Ebert mit gleichen Rechten zu Vorsitzenden der Partei gewählt worden waren, wurde die Tagung mit einem dreifachen Hoch auf die internationale Sozial demokratie und dem Absingen der Marseillaise geschlossen. Ser BpndcMg der Deutschen Meuresomer findet in diesem Jahre vom 26.-29. Sep tember in Straßburg im Elsaß statt. Im Mittelpunkt der Erörterungen werden stehen: l. Der Nealcredit und die öffentlichen Gewal ten, 2. Der Kampf um die Steuer nach dein gemeinen Wert, 3. Die Entwicklung der Zu- wackMsteuer. Dazu treten Fragen wie Volks gesundheit, Sittlichkeit, Kolonien und Bloden- resorm. Als Redner sind eine Reihe der her vorragendsten Vertreter der deutschen Boden reform vorgesehen, so Reichstagsabgeordneter Dr. Jaeger, Prof. Dr. Kraft, leitender Arzt der Lahmannschen Anstalten in Weißer Hirsch, Bürgermeister BleikewEmhaven, Dr. H. Pott- Hosf-Düsscldors, Geh. Admiralitätsrat Dr. Schrameier, Legationsrat Dr. A. von Schwe rin, Geh. Justizrat Professor Dr. Erman- Münster i. W., Karl Marfels-Berlin, Vor sitzender des deutschen Uhrmacherbundes, Mon signore Werthmann-Freiburg i. B-, Pros. Dr. v. Blume-Tübingen, Oberbürgermeister Liebe trau-Gotha, A. Pohlmann-Hohenaspe, A. Damaschke. Der Zutritt ist jedermann gestattet. Ein ladungen und genaue Tagesordnung versen det kostensrei die „Bodenreform" Berlin NW. 23, Lessingstraße 11. Ieutslhe Arbeit in Stadt and Land unter der Herrschaft des internationalen spekulativen Großkapitals. lieber obiges Thema hielt am Mittwoch s abend in Schiefners Restaurant in Höhenstein- Ernstthal Herr Riefchke-Leipzig, Sekretär der deutsch-sozialen Partei, einen Vortrag, in wel chem er etwa folgendes aussührte: Von Jahr zu Jahr kommt das deutsche Volk in. größere Abhängigkeit vom spekulabwen Großkapital. Bei allen Gegenständen müssen wir Abgaben an das Großkapital entrichten. Das fängt beim Hausbau an, denn die Spe kulation verteuert Grund und Boden. Als in Hamburg die Mönckebergstraße angelegt wurde, mußten für einen Quadratmeter bis 3000 Mark gezahlt werden, ein Warenhaus in Berlin mußte bis 10 OM Mk. für einen Quadrat meter Boden bezahlen. Wer sind diese Spe kulanten und welcher Partei gehören sie an? KämpF eine Säule der Fortschrittlichen Volks Partei und Präsident des Deutschen Reichs tags, hat von der Bodenspekulation etwa 150 000 Mk. Nebeneinnahme. Eine Terrain- gesellschast, der er angehört, konnte 1600 Prozent Dividende zahlen. Ist der Boden auf diese Weise verteuert, müssen die Haus besitzer hohe Mieten und Verkaufspreise for dern. Die libsrale Presse aber hat, als man vor 2 Jahren über die Teuerung klagte, nichts gegen die Bodenspekulation ge sagt, sie hat das Volk gegen andere aufge hetzt, damit die Spekulanten besser im Trü ben fischen konnten. So ist es aus allen Ge bieten. Es sei an die hohen Fleifchpreise er innert. Schon Bismarck bezeichnete die Vieh- kommissionäre als Krebsschaden. Diese Kom- Missionäre sorgen dafür, daß nicht zuviel Vieh aus den Viehhof getrieben wird, damit die Preise hoch bleiben. Für jedes Stück Vieh bekommt der Kommissionär 2—5 Ml. In Frankreich fing ein solcher Kommissionär mit 0 Mk. an, nach 5 Jahren schon konnte er seinen Erben ein Kapital von 2.5 Millionen Mark hinterlassen. Und der Viehkommisfionar SackmanwElberfeld konnte sich in wenigen Jahren durch dieses Geschäft ein großes Ver mögen „einsacken". Das Schlachtvieh geht ja gewöhnlich erst durch mehrere Hände. Der Unterhändler kaust es vom Landwirt und ver- ! kauft es mit Gewinn an den Großhändler, f dieser verkauft es wieder mit Gewinn an den von Sekten gibt es nun in den kelltzrünen Paketen mit den dunkelgrünen Kündern niemsls lose! Sturmvögel. Ein Schiffsroman aus dem Nordland von Anny W o t h e. 7. Joris. (Nachdruck verboten.) Bodcnbringk hatte unwillkürlich das Ge fühl, als müsse er sich der jungen Fran da drüben schützend zur Seite stellen, als drohe ihr eine Gefahr, die sie nicht kannte. Er trat schnell zu der Gruppe hinüber, in welcher soeben die Gestalt des BlaubebrMen unter tauchte, und sagte, aus Sigrun zuschreftend: „Wollen Sie mir gestatten, meine gnädige Frau, aus der heutigen Tour mich Ihrer Gruppe anzuschließen?" Sigrun lächelte verbindlich. „Ich weiß es wirklich nicht, Herr von Bodcnbringk, wer alles zu unserer Gruppe ge hört. Natürlich sind Sie willkommen." „Die Herrschaften sind in keiner Weise be schränkt," mischte sich der Führer und Lei'cr der Lonidausflüge, die von dem Reiscburca» der Hamburg—Amerika Linie arrangiert wur den, höflich ins Gespräch, „nur von Invers naid ist es wünschenswert, daß sich die Herr- schasten für die Coachs in Gruppen von et wa zwanzig Personen zusammentun." „Ich ftnde es unerträglich, solch ein Mas ßnvcrgn wen," grollte in demselben Augenblick Rita Gerstenberger am Bug des Schisses, etwas abseits von den anderen, zu Graf Doborowsky, der ihr in verbindlicher Haltung zur Seite stand. Er hatte die schmalen Lip pen leicht aufeinander gepreßt, und in den kalten, grauen Augen stand ein seltsames Glimmern. Augenscheinlich hatte er u.cht zugehört. Er verbeugte sich aber doch zustimmend und sagte, wie sich langsam erinnernd: „Das scheint nur so, gnädiges Fräulein. Bei dem glänzenden Arrangement in der Bequemlichkeit, mit der für alles gesorgt ist, nimmt man auch die lieben Nächsten, die uns vielleicht nicht be hagen, mit in den Kauf." „Warum sagen Sie eigentlich nicht die Wahrheit, Gras!'" fragte Rita mit einem un glaublich hochmütigen Ausdruck in den nacht dunklen Augen. „Ich lese es in Ihrem Ge sicht, daß es Ihnen gerade so wie mir zu wider ist, die Partie mitzumachen. Warum tun Sie es dennoch?" „Darf ich Ihnen die Frage zulückgcbcn, gnädiges Fräulein?" „Gewiß, ich ging mit, nm meine Ettern nicht zu tränken, die ohnehin Kummer genug meinetwegen l abcn." „Sehr löblich," stimmte der Graf bei, mit einem leisen, unmerklichen Spottlächeln nm den Mund, den ein kurz geschnittener, dunkler Schnurrbart leicht beschattete. „Derartige Gründe sprechen ja nun für mich nicht mit, da Mama es vorzog, auf der Ozcana zu bleiben. Was würden Sie aber sagen, wenn ich hier bekenne, daß ich nur Ihretwegen mich an dem Ausfall beteiligt?" „Ich würde antworten, Graf, daß es ganz unangebracht ist, mir Schmeicheleien zu sa gen, die mich nur lächeln machen, und die mich onferdcm — langweilen." Rita wandte sich brüsk ab, und der Gras sah ihr mit finstern Brauen nach, wie sie jetzt loch aufgerichtet der Mitte des Schüses zu- sä rür, wo soeben ibr Vatei in einer Gruppe Herren lebhaft debattierte. „Tie sieht jelr vornehm aus," dachte der Gras mit leisem Groll, „sehr vornehm, aber auch sehr anspruchsvoll. Von wem sic's nur- lat? Der Alte scheint doch mehr als ein fach, und die Mutter ist wohl auch kein gro ßes Licht. lieble Zugabe, die beiden Alten." Er sah unverwandt zu Rita hinüber, die in ihrem heliotropsarbenen Eheviotkostüm, eine gleichfarbige, laichte Mühe von Seide auf dem blauschwarzen Haar, sehr schick und elegant, aber auch unglaublich ablehnend jetzt zwischen den anderen stand, die zum Teil lebhaft auf sie entsprachen. Gelassen knüpfte sie die Enden ihres helio- tropfarbenen Gazeschleiers unter dem Kinn zusammen, aber was war das? Blitzten da nicht p'ötzlich die großen, schwarzen Augen des Mädchens saft drohend auf? Nein, der Graf hatte sich wohl getäuscht. Es war niemand in der Nähe, dem der Bl ck gelten konnte. Nur der Schtsssarzt ging, die Mütze etwas von der Stirn zurückgezogen-, gerade vorüber. Sein Blick hatte Rita Ger stenberger nicht einmal gestreift. — - Der Morgennebel zerflatterle. Goldgesäuwt hob sich die alte, schottische Königsburg aus dem wuchtigen Häufermeer empor. Wie das gleißte und funkefte in dem gol denen Licht. Wie gebadet im Sonnenglanz lag die schönste Stadt der Welt vor den ent zückten Augen, die Stadt, in der Schottlands schönste Königin, Maria Stuart, gelebt, ge liebt und gelitten. Ani Viktoriakai an Hafen von Leith legte der Fender nach wenigen Minuten au. Der bunte Schwarm der Ozeana-Passagiere drängte dem Ausgange des Decks zu, wo schon die Tramways bereitstanden, die Gesellschast zum Zentralbahnhof zu führen. Hier erwartete eilt Ertrazug die Ausflüg ler, und fort ging es durch das imposante Edinburg hindurch, an rauchenden Kohlen werten mit glühenden Feuerschlünden vorüber, hinein in das schimmernde Land. Tiesfarben hoben sich im Sonncugilanz die roten Eisenorydhalden empor, und sruchtc- schwer stand daS Korn. . Ein köstlicher Morgen! Ringsum war e.n Flimmern und Zittern in der Luft. Jauchzend fula- man linein in die herr liche Welt. Rita Gerstenberger, die durch einen Zu fall dem Schisfsarzt Dr. Zähringcr im Kupec gegenüber geraten war, schloß vor all dein Glanz da draußen erschauernd die Augen. Warum war die Welt so schön und lochte und winkte? Warum hat sie ihr so weh ge tan mit ihrem gleißenden Licht? Warum war sie nicht aus dem Schiff zu rückgeblieben? Sie taugte nicht für einen frohen Kreis. Hier unter den kalten, prü- tenden Augen des Arztes, der so unausfteh. lich hochmütig über sie hiuwegfah, fühlte sie sich noch besonders unbehaglich. Und dabei sprach er fortgesetzt mit dieser Frau Thomsen, die ihm gegenüber an ihrer Seite saß. Merkwürdig, wie diese von jedem Blick ihres jungen Bruders, der mit Boron von Bodenbringk plouderte, abhängig war. Fast schien es — Rita Gerstenberger beob achtete scharf — als lächelten die blauen Augen des Knaben der jungen Frau dort Mut ins Herz und die Sorge von derSt.rn, denn während sie sprach, hellten sich ihre erli sten Züge aus, die tiefblauen Augen erstrahl ten in einem fast leidenschaftlichen Feuer, und der feine Mund lächelte wiederholt zu dem Doktor hinüber, der mit ruhigem Ernst auf sie entsprach. Wie peinlich das war, diefein unaussteh- lichen Menschen, der Rita neulich so brüskiert l atte, lier, wer weiß wie lauge, stumm ge- geuübcrzusitzen und ihn im-mersovt anfehen zu müssen. Die schlanke, kräftige Gestalt Dr. Zährin- oers, die heute nicht in der blauen Schisfs- uniform, sondern in einem grauen Reiseanzug steckte, war nur etwas über Mittelgröße, und doch batte die Erscheinung etwas Gebietendes. Die Aigen waren klar, grau. Voll ruhigen Ernstes blickten sie unter buschigen, rotblon den Au gen "-rauen hervor. Alich das Haar und ein dichter Schnurrbart waren von glei cher Farbe. In weicher Fülle umrahmte das Rothaar eine schmale, hohe Stirn, aus der jetzt e.n paar Numutsfalten sichtbar wurden. (Fortsetzung folgt.)