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»MM!M KchMüii-ErttthiiItt Avngn ' Tageblatt. , . S— " -1^^—»»-^ Nr. 235 Donnerstag, den S Oktober 1V13 40. Jahrgang Zur Leipziger ZMundertseier. Zur Jahrhundert-eier der Völkerschlacht bei Leipzig sind jetzt alle Vorbereitungen so gnt wie beendet, sodaß die offizielle Festoxdnung bereits bekannt gegeben werden konnte? Zu den vielen Punkten in Leipzig und Um gegend, die gelegentlich der Einweihung des Vö^erschlachtdcnkmals, die Tausende der Fest- teilnchmer besichtigen werden, gehört .sicherlich auch das Denkmal am Grimmaischen Tor, Ivo im Jahre 1813 der denkwürdig-e Sturm der Landwehr stattfand. Wir bringen deshalb heute das Denkmal unseren Lesern bildlich zur Anschauung. Dar Geheimnis der TotensWes. Vor wenigen Tagen erregten die auch von uns wiedergegebenen Mitteilungen aus Schiff- sahrtstreisen allgemeines Aufsehen, in wel chen von der Auffindung eines vor 23 Jal, ren in See gegangenen schottischen Segel schiffes berichtet wurde, an dessen Bord nicht wentiger als 20 Skelette vorgefunden wurden. Neuere Nachrichten über das Schicksal des Unglücksschiffes, das nach fast einem Viertel- jahrhundert in einer einsamen Bucht am Kap Lorn ausgefunden worden ist, bringen Ein zelheiten, die uns die Tragödie, die aus deni stolzen Segler Marlborough" einen schwim menden Nieseusarg gemacht hat, in knappen, kurzen Zügen schildern, ohne deshalb das ent setzliche Drama minder schreckens-voll erschei nen zu lassen. Vor 23 Jahren verließ das stolze, in der allen schottischen Handelsstadt am Clyde be heimatete Schiff den Hafen von Lytttleton aus Neu-Seeland, um mlit einer Ladung von Wolle und geborenem Hammelfleisch in seine Heimat zurückzukehren. Weder Kapitän Hirt, der Führer des Schiffes, noch einer seiner 33 Gewährten, noch die 4 Passagiers, die der „Marlborough" an Bord hatte, haben die Heimat wiedergesehen. Die Schicksale des Fahrzeuges bis zu seiner Auffindung lassen sich nur vermuten. Seit mitten im Winter des Jahres 1890 der Segler im Kampfs der Wintorftürwe sich anschickte, das Kap Horn zu umlaufen, kann niemand mit Sicherheit behaupten, das unglückliche Schiff wieder ge sehen zu haben, bis es jetzt endlich mit sei ner grausigen Fracht zufällig entdeckt worden ist. Wie das sagenhafte Schiff des „Fliegen den Holländers" soll es zwar baild am Kap Horn, bald bei Magellan, bald an der pata gonischen Küste, mit Wind und Wogen kämpfend, gesehen worden sein, ohne daß ihm Hilse gebracht werden konnte; ob es sich aber wirklich um den „Marlborough" gehan delt, vermochte mit Sicherheit niemand anzu geben. Nun hat die furchtbare Tragik, die kaum auszudenkenden geistigen und leiblichen . -Qua len der unglücklichen Besatzung ihre Aufklä rung gefunden durch öin englisches Segel schiff, das nach Umsegelung des Kap Horn Lyttleton auf Neuseeland angelaufen hat und dessen Kapitän eine knappe, aber um so er-- schütterndere Schilderung des Zustandes gibt, in dem der SchiMkadaver mit den Menschen leichen gefunden wurde. Der Kapitän schil dert, wie er Mit seinem Schiffe dicht an der Küste bei Puntas Arenas entlang gesegelt und dort eine kleine Bucht angelaufen, in welcher ein Schiff gesichtet wurde, das nur noch Spuren von Segeln trug und von des sen Mannschaft niemand etwas von /sich hö ren oder sehen ließ. Dabei hatten die Ma sten die allen Schiffsleuten bekannte grüne Färbung, die auf außergewöhnlich langen Aufenthalt des Schiffes in Wind und Wetter schließen läßt. Den das Schiff betretenden Seeleuten bot sich ein schauerlicher Anblick. Am Steuerrad zunächst ein Skelett, wenige Schritte davon in einem Gange drei weitere, auf der Kom mandobrücke die letzten Reste des Führers des Schiffes, der auch im schweren letzten Kampfe soinen Posten nicht verlassen hatte; an Bord geisterhafte Ruhe, über dein Schiff der Moderhauch des Todes und der Verwe sung. Mit Mühe war am Leib des Schiffes noch der Name „Mavlborough" und die Hei mat des Schiffes „Glasgow", zu lesen, so daß es leider keinem Zweifel unterliegen kann, daß ein Zufall zur Entdeckung einer Tragödie aus dem Meere geführt hat, wie sie die Geschichte der Schiffahrt nur wenige kennt. Gerichtssaal. Eine Hehlcrfamilie. Großes Aussehen erregte im Frühjahr die ses Jahres in Lugau die Aushebung eines Hehlernestes. In dem Schnittwarengeschäst von Sch. hatte man schon seit Jahren be merkt, daß immerwährend Wäschestücke a Händen gekommen waren. Die Geschäfts- inhatber, ein arbeitsames Ehepaar, bemerk ten, daß das Geschäft zurückging, gleichzeitig aber waren sich die Eheleute auch- darüber einig, daß nur „Spitzbuben" in Frage kom men konnten. Zur Ermittlung der Diebe wurde nachts Mehl gestreut und viele andere Vorkehrungen wurden getroffen, doch lange Zeit vergebens. Eines Tages im Januar 1913 sah die Inhaberin des Geschäfts auf einem Hausiergang durch Lugau bei einer ihr bekannten Familie P. am Fenster lange Gardinen, die aus ihrem Geschäft stammten. Wie ein Blitz kam ihr der Gedanke, daß die e aus ihrem Geschäft gestohlen sein mußten. Aber wie sollte man in ihr Geschäft gelangt sein? Gerade diese Familie kaufte wenig bei ihr, doch ihre 15 Jahre alte Tochter war mit den Töchtern der Familie P. besreundet. Zu Hause angekommen, nahm die Geschäftsinha berin ihre Tochter ins Gebet und diese ge stand nach längerem Drängen ein, daß sie die Diebin sei. Die Tochter hatte ihre Eltern bestohlen, der so lange gesuchte Dieb war im Hause gewesen. Aber wie konnte die Familie P. zu der Diebesbeute gekommen sein? Dies war sehr einfach. Seit dem Jahre 1907 hatte die ungeratene Tochter auf Geheiß vonseiten der Familie P. in großen Mengen Wäschestücke, Kleidungsstücke und bares Geld ihren Eltern gestohlen und der betreffenden Familie ge schenkt. Das Mädchen wurde von der Fa milie zum Stehlen geradezu gedrängt. Wenn das Mädchen sich sträubte, die Eltern weiter zu bestehlen, wurde ihm mit Anzeige gedroh. Sturmvögel. Ein Schiffsroman aus dem Nordland von Anny Wothe. 21. Forts. ^Nachdruck verboten.I I'ckLO ^Votko, Das war doch schön, hier so gemächlich sich von den grünen Wellen schaukeln zu las sen. Wie ruhig die Boote gingen, und wie leuchtend schön das Meer. Jetzt konnte sich Frau Gerstenberger ihren Retter, wie sie den jungen Martin nannte, einmal genauer an- schon- Sie schätzte ihn auf sechs- bis achtund zwanzig. Das kurzgeschnittene, glattgefcheitelte Blondhaar umgab eine hohe, breite Stirn. Die Augen waren vom reinsten Blau, groß und strahlend, wie Kinderaugen, und das bartlose Gesicht hatte einen Zug von Ehrlich keit und Treue. Glänzend weiße Zähne blitz ten hinter einem feingeschwungenen, energi schen Mund, und wenn der junge Mann sprach, daun war es immer, als redete er zu Astrid hinüber, die doch weit enllernt faß. „Also darum," flüsterte plötzlich Frau Lena verständnisvoll. „Na, Muttchen, dachtest Du denn, bloß Deiner schönen Augen wegen.," neckte Herr Gerstenberger, der ihren Blick aufgefangen hatte. Als sich seine Gattin beleidigt abwandte, gab er ihr einen zärtlichen Puff in die Seite und sagte vergnügt: „Gnautsche doch nicht so, Alto! Mach man lieber Deine Augen au, da spinnt sich was an, sage ich Dir. Js aber nischt, rein nischt, sage ich Dir auch. Kerl hat nischt, nischt als seine Unverfvoren- beit und seine glatten Manieren. Gleich sich an die Mutter ranzumpchen, wenn er mit der Tochter schön tun will." „Sei doch still, Gerstenberger," flüsterte Frau Lena erregt zurück. „Die anderen und er selbst können ja jedes Wort verstehen." „Kann er ja," rief nun Herr Gerstenbev ger, der die feurigen Blicke wohl bemerkt hatte, die der junge Martin zu Astrid hin- übcrschickte, „kann er ja, ich will es ihm auch gleich selber sagen, daß er etwas abschwenkt, wenn Du noch lange so tust, als wäre er Deine einzige Rettung gewesen, wo Dir doch jedor Matriofe geholfen hätte. Im übrigen, Haft Du Nita gefehen?" „Ja, sie ist im dritten Bvot. Die Gräfin Dombrowska und ihr Sohn haben sie wieder vollständig mit Beschlag belegt." „Daß Du die Motten kriegst," seufzte der dicke Bankier. „Das soll nun eine Erholungs reise sein, wo man den ganzen Tag aus die Töchter au^Passen muß und unliebsamen Frei ern wehren." „Siehst Du," frohlockte Frau Lena, „erst meintest Du immer, aus dem Schiff könnte den Mädcks nichts Passieren." „Kreuzhimmeldonnerwetter," fluchte Herr Gerstenberger halblaut, „habe ich denn ge- wußt, daß so ein Schiff das reine Heirats- inftitut ist? Junge und alte Männer in Hülle und Fülle, und dabei verdammt wenig junge Mädels, das ist ja schrecklich!" Frau Lena lächelte halb gütig, halb mit leidsvoll. „Ihr Männer seid doch alle gleich. Erst wünscht ihr und hofft, und wenn sich eure Wünsche erfüllen, wallt ihr nicht mehr und stellt such bockbeinig." Herr Martin, der den letzten Ausru" ge hört hatte, lächelte siegesgewitz. Soeben leg ten die Boote an Land. Der blonde Archi tekt wollte Frau Lena wieder galant die Hand zum Aussteigen bie:en, aber jetzt stand Herr Gerstenborger schon auf dem Posten. „Danke, junger Mann," sagte er von oben herab, „det machen wir jetzt alles alleene. Moine Fran ist ganz seefest geworden. Wenn Sie mir aber mal meine jüngste Tochter schicken wollen, die da drüben rumflankiert, dann wäre das so ziemlich alles, was ich Ihnen zu sagen hätte." Halb verblüfft, halb belustigt sah ihm der junge Martin ins- Auge, dann aber lachte er fröhlich auf und stürmte zu Astrid, sie zu ihrem Vater zu beordern. Astrid kam maulend, und maulend blieb sie auch den Eltern zur Seite, als sie durch das stille Kirkwall mu ihnen ging. Sie hätte weinen mögen vor Wut, und dieser blonde Jüngling hatte noch den Mut, zu lachen. Nicht einmal hatte er zu ihr zurückgesehen, als er mit den anderen der Kirche in dem verträumten Städtchen zuschritt. Das weltvergessene Kirkwall, die Haupt stadt der Orkneyinseiln, in dessen Hafen den ganzen Sommer über nur Vergnügungsdamp fer anfahren, während der wenige Verkehr durch kleine Postdampfer spärlich unterhalten wird, macht einen freundlichen und verhält nismäßig wohlhabenden Eindruck. Die Bewohner treiben Heringsffscherei und Schafzucht. Auch die Eier dev unzähligen See- und Landvögel, an denen die Insel gruppe so reich ist, bringen ihnen reichen Ge winn. Wohlgepflegtes Ackerland ist keine Sel tenheit und erhöht den Reiz des weltfernen Eilandes. Shill war's zwischen den niedrigen Häu sern, märchenhaft still. Von der Kathedrale des Heiligen Magnus klangen soieplich die Glocken. Die bunte Schiffsgesellschaft hatte sich zer streut. Ein jeder durchwanderte auf eigene Faust oder in Gruppen mit Bekannten den alten, ehemaligen Bischofssitz. Thit Oddurson oder Marne Jensen stand soeben ganz allein vor einem Grabmal, das die Stadt einem ihrer Söhne, John Roll, einem külnen Nordpollahrer, errichtet. Und sie darbte der alten Wikinger, die hier einst nach kühner Fahrt eine Raststätte gesunden, sie dachte der Männer, die noch heute, den Wikingern gleich, mutig hinauszogen in Nacht und Graus, unbekannten fernen Zielen entgegen. Und wieder, wie schon so oft, kam die beiße Sehnsucht über sie, auf Sturmes- flügeln durch die Welt zu sausen, weiter, immer weiter, bis dahin, wo in der unbe kannten Ferne das Eden lag. „So in Gedanken, mein junger Freund?" fragte da plötzlich Bodenbringks tiefe Stimme. Marne Jensen wandte den blonden Kopf -leicht zurück. Flüchtig griff er an die Mütze, dann antwortete er hastig: „Ja, ich dachte an die alten vergangenen Geschlechter, die von hier über die Meere zogen, das Glück zu erjagen. Was mag hier dieser alte Bi- schchssitz im Laufe der Jahrhunderte schon gesehen haben, welch eine Fülle von Leid, von Glück und Menschenschicksalen-?" „Sie mögen recht haben. Sehen Sie da drüben die alte Ruine des stolzen Gra-lln- schlosses, dessen letzter Besitzer einen Kampf auf Leben und Tod kämpfte, uni sich von schottischer Herrschaft freizumachen? Das alte Gemäuer weiß gewiß auch gar seltsame Dinge zu erzählen, mit all seinen Erkern, zerfalle nen Türmen und holen Söllern, von denen man weit hinaus auf das Meer blickt. Kö nig Haakon fand einst hier aus einer Gäst- reise seinen Tod, wie mir soeben unser treff licher Führer erzählte. Wollen wir einmal hinüber nach der alten Burg?" Marne nickte stumm, und langsam schritt er an Olafs Seite dahin. Und wieder setzte ein mächtiges Glocken klingen ein. Von der alten Kirche, die trotzig manch Jahrhundert überdauert hatte, kam es in tiefen Wellen gezogen. „Das klingt wie Totengeläut," murmelte plötzlich Olaf. Sie standen auf dem kleinen, stillen Fried Hof, mit den halbeingesunkenen Gräbern. Und da kam otwas heran, was sich ihnen beklem mend auf die Seele legte, ein stiller, dunkler Trauerzug. Voran der Geistliche und hinter her die Träger, die einen schmalen, unschein baren Sarg trugen. Kein Schmuck, keine Blume zierte diesen letzten, unscheinbaren Schrein. Nur eine weiche Wolldecke war sorglich über den Sarg gebreitet, die man dem Toten mitgibt in die kühle Gruft, da mit er am Tage der Auferstehung gerüstet ist, wie die einen sagen, während die ande ren meinen, er solle es warm haben in sei nem kalten Haus. Ein kleines, ernstes Trauergefolge. In der Mitte ein Mann-, ein Schiffer war's wohl, mit braunem, von Kummer durchfurch.cm Gesicht. Er Hatte die großen Hände unge schickt über der Brust gefaltet, und nur müh sam unterdrückte er das aufsteigende Schluch zen. Ein paar Kindchen in ärmlichen Kleid chen umfaßten seine Knie, und ein ganz klei nes, kaum dreijähriges, sah mit großen Augen lächelnd in die dunkle Gruft und wußte nicht, daß man sein Bestes dort eben hinabsenkte. Die klagende Stimme des Geistlichen, welcher die Tugenden des armen, jungen Weibes pries, das man hier begrub, vorhallte, und leise zitterte der letzte Gl-ockeNton darüber hin. Olaf Bodenbringk un-d Marne standen lautlos. (Fortsetzung folgt.)