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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 25.05.1913
- Erscheinungsdatum
- 1913-05-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191305252
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19130525
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19130525
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-05
- Tag 1913-05-25
-
Monat
1913-05
-
Jahr
1913
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 25.05.1913
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Die letzte Liebe. Novellette von A. Hinze. (Nachdruck verboten.) Der Dampfer näherte sich dem Eiland Capri. Gebadet im violetten Duft der Ferne grüßte von der hochragenden Ostspitze der In sel die Villa des Tiberius und die hohen Ufer felsen spiegelten sich in der sonnenbestrahlten, flimmernden Meeresfläche. Der Dampfer setzte ein Boot aus für die Passagiere, zur Fahrt in die wunderbare Grotta Azurra. Vor deren Eingang lehnte eine Männer gestalt. Es war ein Herr von achtunggebieten der Persönlichkeit. Er mochte 40 Jahre zäh len und war offenbar ein deutscher Tourist, der den Morgen in der wunderbar blauen Luft der Tuffhöhle verträumt hatte. Vielleicht hatte er auch in dieser zauberschönen Einsam keit sich zu einem Entschluß durchringen wol len. Und offenbar war ihm dies gelungen, denn wie feste Entschlossenheit lagerte es um seinen markantgeformten Mund. Ms das Boot mit den Gästen in die hohe Wölbung der Grotte einfuhr, schrak der Ein same wie aus einem Traum erwachend auf. Gleichzeitig hefteten sich seine Augen in atem losem Erstauuen auf zwei Personen in dem Boot. Es waren dies eine vornehm aus sehende Sechzigerin und ein wohl 17jähriges blühend-schönes Mädchen; die beiden waren offenbar Großmutter und Enkelin. War es nun das tiefblaue Licht in der Wundergrotte, war es der Silberglanz des blauen und doch kristallklaren Wassers, welches dem Beobachter ein Trugbild vorgaukelte? Oder waren die Toten auferstanden? Diese jugendschöne Mädchengestalt mit dem tiefbrau nen Lockenhaar und den Hellen, leuchtenden Augen, war dies nicht Felicitas Reimar, die er einst liebebebend im Arme gehalten?! Kurzsichtiger Tor, der vergaß, daß 18 Jahre seitdem verschwunden sind und über Felicitas Grab der Wind weht . . . Gerade so bleich und bebend wie in jener unvergeßlichen Stunde, aber wie bezwungen von einer unsichtbaren Macht, den Hut tief herabgegogen zum Gruß, schritt er den beiden Damen entgegen, als das Boot ihn auf sei nen Wink mit ausgenommen hatte. „Frau Reimar — gnädige Frau, — führt uns der Zufall nach Jahren auf diesem golt- gesegneten Eiland zusammen! Darf ich hoffen, daß Sie sich noch Lutz von Kranachs er innern?" Die ältere Dame hatte in sehr höflicher Haltung, aber befremdet dem Sprecher zugc- Art. Jetzt streckte sie, unter leichter Verlegen heit, aber sehr liebenswürdig, Kranach die Hand hin: „Und wie sollte ich nicht! Ist doch der Name Lutz von Kranach unvergeßlich geblie- ben in unserer Familie." „Dank, gnädige Frau —" „Gestatten Sie, daß ich Ihnen Fencitas Tochter, Edith Karlsen, vorstelle. — Herr von Kranach, — ein Jugendfreund Deiner ver storbenen Mutter, liebes Kind." „Sie waren Mamas Freund? O, dann sind Sie auch mein Freund, gleichviel, ob Sie mögen oder nicht!" „Aber Edith!" Ungeachtet des großmütterlichen Mahnlcufes hatte sich eine kleine Mädchenhand Kranach entgegengestreckt und zwei leuchtende Augen senilen sich bittend in die seinen. „Den Packt nehme ich mit Freuden an, gnädiges Fräulein! Und als ersten Freund schaftsdienst erlauben Sie mir, daß ich Sie mit dem Naturwunder, der Grotta Azurra, rin wenig bekannt mache, denn gewiß bewun dern Sie diese zum ersten Mal." Edith jubelt auf: „O, Herr von Kranach, wie liebenswürdig! Das ist ja gerade, was ich mir wünsche! Woher kommen zum Bei spiel die magisch wirkenden Färbungen hier in der Grotte?" Während das Boot auf der kristallklaren Flut dabinglitt, wie eingehüllt in strahlendes blaues Licht, saßen in dem schwebenden Fahr zeug zwei Menschen, die sich nie zuvor gesehen, in lebhaftem Gespräch beisammen. Die wiß begierigen Mädchenaugen schienen dem statt lichen Erzähler die Worte von den Lippen zu lesen. „Seien Sie den Silberglanz, den jeder Gegenstand, den man in das Wasser taucht, erhält, gnädiges Fräulein!" sagte Kranach ' ud dabei tauchte eine schlanke Hand ein Pet schaft aus Elfenbein, das er von seiner Uhr kette gelöst, in das Wasser hinein. Und wirk lich erschien der Weitze Gegenstand in Silber licht. Dazu sprach der Erklärer und seine Stimme hatte einen eigentümlichen Wohllaut: „Die magisch wirkenden Färbungen entstehen, weil das Wasser in der Grotte das Licht auf saugt und dadurch selbst leuchtend wird." Mit eigentümlich bewegtem Ausdruck ruhte währenddes Frau Reimars Blick auf dem Er zähler. Nein, sie hatte in dem stattlichen bär tigen Manne nicht den Lutz Kranach, mit der studentenbasten Ueberschwenglichkeit seiner 22 Jahre damals, wiedererkannt, hätte er sich ihr nicht zu erkennen gegeben. Von jener fernen Zeit her winkte mit gol denem Glanze die Erinnerung: Sie selbst noch eine blühende Frau und ihre Tochter, ihre Felicitas, in Jugendschöne. In dem gast freien Hause ihres Gatten, des Universitäts professor Reimar, ging die studentische Jugend ein und aus. Denn Professor Reimar war nicht nur ein vorzüglicher Pädagoge, er war auch ein frischer, frohsinniger Mann, dessen köstlichste Erinnerung jene Zeit war, da er selbst die Cerevismütze auf dem Haupt, der Uebermlltigsten einer gewesen. Daher brachte er der Jugend auch ein ganzes Herz entge gen und seine Studenten hingen mit begeister ter Liebe an ihm. Unter der im Professorenhause verkehrenden Jugend war Lutz von Kranach der willkom menste Gast und bald war es ein offenes Ge heimnis, daß der reichbegabte, schmucke und lebensfrohe Lutz und die reizende Felicitas Reimar Liebesleute waren. Der Professor hatte dazu gemeint: „Meinen Segen habt Ihr, Kinder. Ihr seid jung und könnt ja warten. Eure Liebe wird stark genug sein, die Warte zeit zu überdauern!" „Bis in alle Ewigkeit!" hatte Lutz Kranach geantwortet. Allein das Schicksal hatte eine Probe an derer Art an seine Liebe zu Felicitas gestellt. Professor Reimar, dieser sorglos - heitere Mann, kam bald darauf auf einer Reise in folge eines Essenbahnunfalles ganz plötzlich ums Leben. Vermögen war nicht vorhanden. So blieben seine Witwe und Tochter in einer Nollage zurück, die der Professor, der in sei ner blühenden Manneskraft nicht mit einem frühen Tod gerechnet, nicht bedacht gehabt. Und Kranach, der im vorletzten Semester stand, konnte nicht helfen; er mutzte dies einer alte ren Kraft überlassen. Diese Kraft war Karl Karlsen, ein jüngerer Freund des Verstorbe nen, dec sich mit Rat und Tat der hilflosen Frauen annahm. Wenige Monate päter ward aus dem Ratgeber ein Werber um Felicitas Reimars Hand. Der Werber war oin glän zend situierter Mann und die bedrängte Mut ter flehte die Tochter an, diese Erlösung aus schwerer Not nicht abzuweisen, und unternahm die schwere Aufgabe, Lutz von Kranach zu überreden, auf Felicitas zu verzichten. Es war ein Heitzer und bitterer Kamps für die Liebenden, die nicht voneinander las sen wollten. „Es ist ein großes Wecck, das Sie tun, und ein Werk der Nächstenpflicht. Denn willigen Sie nicht ein, so werden wir alle elend werden und Felicitas über dem Dar ben und Sorgen ihre Jugend und Schönheit verlieren, bevor Sie so weit sind, sie heimzu- nihren. Seien Sie daher edelmütig, Kranach, seien Sie es, der das Band löst, so wird sich Felicitas in das Unabänderliche finden," hatte Frau Reimar gefleht und hiermit schließ lich den Studenten bezwungen. Nach einem schmerzlich-schwülen Abschied waren sie sür immer geschieden und Felicitas etwas später Karlsens Frau geworden. Frau Reimar fuhr aus ihren Grübeleien auf — das Fahrzeug hatte die Grotte mit ihrem blauen Lichtdust verlassen und glitt auf das sonnenbestrahlte Meer hinaus. Auch Kranach war es, als erwache er aus einem Traum, den er in der Wunder grotte geträumt. Aber dieser Traum harte je nen anderen Traum, der vorhin einen Ent schluß in ihm zur Reise gebracht, verdrängt und jenen Entschluß umgestürzt, — so plötz- lich, wie Naturgewalten Hervorbrechen und verheeren und Umstürzen, was felsenfest gestan den. Kranach war es jetzt, als sei jener Ent schluß nie in ihm gewesen. Denn der Traum in der Wundergrotte war kein Traum, der zerfloß vor dem Sonnenlicht, er war Leben, entzückendes Leben, das ihn mit den Augen seiner Jugendliebe ansah . . . Die letzte Liebe — hatte er gewähnt zu spüren — noch einmal einer Frau Gefühle entgegenzubringen, die ein Abglanz waren je ner sützon Jugendschwärmerei . . . Diese letzte Liebe mußte aber wohl nicht tief gewurzelt sein, denn wie schnell watc sie verblaßt, dahingeschwunden vor der auferstan denen Jugendliebe. Als der Dampfer seine Fahrt beendet und Kranach die beiden Damen zu ihrem Hotel be gleitet, beugte er sich zum Abschied über Frau Reimars Hand und flüsterte nur iHv verständ lich und seine Stimme bebte: „Felicitas ist nicht tot, sie lebt fort in ihrem Kinde . . ." Als die Sonne dieses Tages zur Rüste ging und die Felsgrotten, die weiten Fels tore, die Säulen und Kämme von Capvi zau berisch malte, und den Golf von Neapel in all seiner Schönheit ausflammen ließ, lehnte an dem Fenster eines von Pinien umschatte- ten Gasthauses des Städtchens eine hochge wachsene und üppige Frau. Sie stand offen bar im Zenith der Jahre, war aber trotz der seinen Linien, welche die Zeit um Mund und Augen gezeichnet, noch außerordentlich schön. Eine leidenschaftliche Ungeduld brannte in dem dunklen Blick und zuckte in den Fin gern ihrer Hand, so daß die Rose, mit der sie spielten, entblätterte. „Er kommt nicht . . ." murmelte sie. „Auch diese letzte Liebe trügt, wie es scheint, — trügt, wie einst die erste Liebe getrogen . . Erbarmungslos zertrat der schmale Frauen- sutz die duftenden Blumenblätter am Boden. Das Leben giibt seltsame Rätsel auf, — wer löst sie? Die Sehnsucht wach Frauenglück hatte sie begleitet, seit sie die Liebe und die ihr inne wohnende Bedeutung im Menschenleben ver stehen gelernt. Das war lange her. Und sie war bevorzugt vor vielen, sie hatte alles mitgebracht was liebenswert ist und einen Mann beglückt. Doch der eine, der erste, dem sie ihr jun ges, vertrauendes Hevz geschenkt, der hatte wohl Heitz gekützt und auch Heitz geschworen, aber er hatte ein falsches Herz besessen und die angehende junge Bühnenkünftlscin, die sie damals war, hgtte mit dem Leid im Herzen lächeln müssen auf den Brettern, die die Welt bedeuten?. Die sich zu einem schönen Talent entwickelnde Novize hatte während ihrer Büh nenlaufbahn Verehrer die Menge gr ünden. Aber nicht einem dieser vielen war es einge fallen, sie zur Frau zu begehren. Und nicht einer auch hätte es geglaubt, datz sie, Verra Malsen, die gefeierte Schauspielerin, freudig 2 ein Stück die Westküste 'hinauf in nördlicher Richtung. ! Hiertzan der Westküste war es auch, wo sich bereits Ende des zehnten Jahrhunderts, also vor bald tausend ss Jahren, die ersten europäischen Ansiedler niederließen, Norman- nen, die von Irland aus hinübergeschifft waren. Einige hundertxJahre haben sie dort in dem bis dahin nur von Eskimos bewohn ten Eislande ein kärgliches Dasein gestiftet; dann geschah es, daß durch allerhand ungün stige Umstände der Verkehr mit den euro päischen Ländern unterbrochen wurde. Und als es nach fast zweihundert Jahren, Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, nach vielen vergeblichen Versuchen endlich gelang, wieder auf Grönland zu landen, da fand man keine Spur mehr der alten normannischen Kolonien. Ungünstige Lebensbedingungen, verheerende Krankheit und endlich Ueberfälle der einhei mischen Eskimos müssen den Untergang der mutigen Ansiedler herbeigeführt haben. Im Jahre 1721 war es endlich, daß ein norwegischer Prediger, Hans Ezede, nach Grön land übersiedelte und unter unsäglichen Mühen und Entbehrungen das Christentum zu den dortigen Eskimos brachte — bekanntlich gibt es auch^in Nordamerika Eskimos, und von dort her sind wahrscheinlich auch die Bewoh ner Grönlands, das im Winter fest zuge frorene Meer als Straße benutzend, in grauen Zeiten eingewandert. Heute sind fast alle Eskimos Christen und gehören den verschiede nen Missionsstationen der Westküste an. Nur wenige, ganz entlegen hausende Eingeborene verharren noch in ihrem Heidentum. An europäischen Ansiedlern beherbergt das unter dänischer Schutzherrschaft stehende, sonst Ame- rika zugehörige Grönland heutigen Tags übrigens kaum dreihundert Menschen. Wie leben nun die Grönländer, die einge borenen meine ich natürlich, denn die einge- wanoerten haben selbstverständlich ihre heimi schen, uns allen bekannten Gewohnheiten mit gebracht; was bietet ihnen ^das fast immer winterkalte Land für ihren Lebensunterhalt,? Und kennt man dort oben, dem Nordpol so nahe, überhaupt einen Sommer? Der Hauptteil Grönlands, daS ganze ge waltige Innere, liegt unter einer ewigen Eisesdecke, dem „Inlandeis", wie es die For scher genannt haben. Unerschrockene Männer, wie Nordenskjöld, Fritjof Nansen und andere sind weit in jene Eiswüste deS Innern ein gedrungen, um festzustellen, ob nicht vielleicht wohnlichere Striche, mit Wald oder anderem Pflanzenwuchs gesegnete Stellen dort zu finden seien. Aber sie sahen nichts, als eine schier endlose, von nur wenigen bergischen Erhöhun gen unterbrochene Eisfläche, die fast überall von festgefrorencm Schnee bedeckt war. Im sogenannten Sommer, das heißt in den Mo naten, wo bei uns alles grünt und blüht und Hochsommer ist, schmilzt wohl auch ein Teil des Schnees — nicht aber da? darunter befindliche, wohl stellenweise Hunderte von Metern dicke Eis — und Schmelzwasserströme ergießen sich brausend durch breite Eisrinnen und stürzen, wo sich am Rande des Inland eises Abhänge bieten, tosend über kristallklare, blaue Eiswände in die Tiefe hinab. Das plateauartige Inlandeis, das wahrscheinlich über Berg und Tälern liegt und tiefe Schluch ten ausfüllt, wird umgeben von dem soge nannten Außenland, dem gebirgigen, von zahllosen schroffen Meereseinschnittcn zerrisse nen Küstenstreifen. Und die flachen Strecken dieses Außenlandes, die in dem kurzen Som mer eisfrei werden und auch etwas spärlichen Graswuchs und verkümmerte Bäumchen und Gestrüpp tragen, sind die Heimat der wenigen menschlichen Bewohner Grönlands. Die Eskimos sind kleine, untersetzte Ge stalten. Bei den Männern hängen die Haare unter der Fellkapnze wirr hervor um die breiten braunen Gesichter. Die Frauen tragen die Haare straff nach hinten gekämmt. O nein, schön sind sie wahrlich nicht, die Leutchen in Grönland, und wenn vor einigen hundert Jahren einmal Seefahrer, die eine alte Eski mofrau eingefangen, glaubten, es sei des Teu fels Großmutter und ihr die Stiesel auszogen, um nach dem Pferdefuß zu suchen, so ist das gar nicht so wunderlich. Die seltsame Klei dung trägt dazu bei, den Menschen ein son derbares Aussehen zu geben. Männer wie Frauen gehen in Beinkleidern und Jacken aus Seehunds- oder Nenntierfellen, die Männer ziehen dann wohl noch, wie ich schon sagte, eine Fellkapuze über den Kopf. Und so gehen sie dann auf die Jagd, die sie meistens im „Kajak" auf dem Meere ausüben. Kajak nennt man das kleine, nur für eine Person bestimmte Boot des Grönländers; eS besteht aus einem Holzgerippe, das mit Seehunds- fellen überspannt ist. Und in diesem kleinen schwanken Fahrzeug tummelt sich der Eskimo furchtlos in den Meeresbuchten und tiefen schroffen Fjorden, aber auch draußen auf offe ner See zwischen den treibenden Eisschollen, über die der Eisbär schleicht, und zwischen den hoch und zackig aufragenden gewaltigen Bergen aus blitzendem, bläulichen Eis. See hunde liegen an den Rändern der weite weiße Flächen bildenden Schollen oder auf den Klippen, und sie sind die hauptsächliche Jagdbeute des Grönländers. Seehundsfell 3 dient ihm zur Kleidung, zur Anfertigung der Boote und zum Decken der Winterhäuser und Sommerzelte. Seehundsspeck wird in den Lampen gebrannt, welche die Wohnungen er hellen, erwärmen und gleichzeitig zum Kochen des Essens dienen. Das Fleisch der Seehunde wird roh oder gekocht oder getrocknet gegessen. Eisbären, Renntiere und Walfische werden, da diese Tiere ziemlich selten geworden sind, nur noch gelegentlich gejagt. Den Fischfang übt der jagdlustige Eskimo weniger gern aus als die Streife nach dem ihm so wertvollen Seehund. Seltener ist aber auch dieses ihm so wichtige Tier schon geworden, und vielfach fehlen heutzutage die Felle zum Errichten von Sommerzeiten. Da Hausen denn die Menschen auch während der drei kurzen Mo nate, die man allenfalls Sommer nennen kann, in ihren Winterhäusern, dumpfen niedri gen Hütten aus Stein und Erde, mit Balken, Moos, Erde und alten Fellen gedeckt. Ein langer Gang, so schmal und niedrig, daß man auf Händen und Füßen hindurchkriechen muß, führt in das Innere dieses Hauses. Neben dem merkwürdigen Eingang befinden sich ein oder zwei Fenster, die sich aber nicht etwa öffnen lassen, bannt frische Luft in das Innere Hineinströme, sondern mit getrockneten und zusammengenähten Seehundsdärmen bespannt sind. Ja, selbst die Därme des Seehundes braucht der Eskimo, und die Frauen sind sehr geschickt darin, Hemden oder auch wasserdichte Ueberkleider aus ihnen zu nähen. Einfach, ja mehr als einfach, ist die ganze Lebens weise, und uns würde sie schlecht gefallen. Man denke sich nur einmal so eine grönlän dische Mahlzeit. Da hockt in dem dumpfen, niedrigen Raum, der von der qualmenden Seehundsspeck- oder Tranlampe nur schwach erhellt wird, die Familie an der Erde um den großen Steintopf herum. Jeder langt nach Belieben hinein und ergötzt sich an den Gerichten. Es gibt zuerst getrockneten Fisch, dann rohes, schon übelriechendes Seehunds fleisch, ein Leckerbissen. Gekochte Seevögcl und faulige Eier folgen, und den Schluß machen Rauschbeeren, die mit Renntierkaldau- nen und Tran eingelegt sind. Dies ist natür lich schon ein Feiertagsmahl — wie das schmeckt! Und die Hütte ist erfüllt vom Dunst der Tranlampe, vom Geruch des verdorbe nen Fleisches und von der Ausdünstung der vielen schmutzigen Menschen und ihrer hun dertmal naß gewordenen Tierfellkleider. Ueber der Feuerstelle und Lampe hängen noch einige Seehundsfelljacken zum Trocknen. Und nun ist das Mal beendet, schmunzelnd erheben sich die Leutchen vom Boden, und während die Frauen noch häuslich beschäftigt sind, legen sich die Männer auf die mit Fell bedeckten Schlafpritschen, die den halben Raum einneh- men, und schlafen den Verdauungsschlaf des Gerechten, unbekümmert um den dicken, schlecht riechenden, jeder nur etwas verwöhnteren Nase unerträglichen Dunst. Gute Nacht, lieber Eskimo! Mag er aber auch noch so schön schlum mern in seiner stickigen Hütte, und sein fauli ges Fleisch ihm prächtig bekommen, wir be neiden ihn nicht um seine Genüsse, nicht wahr? Und nachdem wir uns angesehen, wie und wo er lebt, kehren wir eiligst in unsere schöne Heimat zurück und bleiben, wo der liebe Gott in seiner Güte uns hingesetzt. Der Kadi. Ein Muselmann hinterließ drei Söhnen 19 Kamele. Letztwillig hatte er bestimmt, daß die Tiere vor der Erbteilung nicht verkauft würden, ferner daß der älteste Sohn die Hälfte, der jüngere den vierten Teil, der jüngste den fünften Teil erhalten sollte. Die Söhne konnten sich nicht verständigen und legten dem Kadi ihre Angelegenheit zur Entscheidung vor. Der Kadi sagte: Ihr seid drei Brüder, von den 19 Kamelen soll einer die Hälfte, der andere den vierten Teil, der dritte den fünften Teil erhalten. Kommt morgen wie der! Habt ihr euch dann noch nicht verstän digt, so werde ich die Entscheidung treffen. Auflösung. Der Kadi sprach sich in folgender Art aus: „Um diese Erbangelegenheit zu regeln, habe ich ein Kamel herbeiführen lassen, welches mir gehört. Es ist ein altes Tier, das keinen Wert mehr hat, dem ich jedoch der oieljäh- rigen treuen Dienste, die es mir geleistet, in meinen Ställen Lebensunterhalt gewähre. Dieses Kamel füge ich eurer Erbschaft hinzu. Der älteste Bruder möge nunmehr seine Hälfte nehmen." Der Aelteste nahm zehn Kamele. „Der jüngere Bruder nehme den vierten Teil!" Der Jüngere nahm fünf Kamele. „Nun möge der jüngste Bruder den fünf ten Teil nehmen." Der Jüngste nahm vier Kamele. »Jetzt," sagte der Kadi, „nehme ich mein altes Kamel wieder zurück, welches keiner von euch gewählt hat. Eure Sache ist geordnet."
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