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Mim Mm Ayngrr Tageblatt. Rr. 223 Donnerstag, de« 25 September t»1S 4«. Jahrgang Sie brmWtWscht ThMskW. Für die Thronbesteigung des Prinzen Ernst August, des Gemahls der Kaisertochter, in Braunschweig bildet der bekannte Brief des Prinzen, an den Reichskanzler, wie die „Tagt. Nundsch." endgültig seststellon kann, die Un terlage. Nach Ansicht der maßgebenden Stel len, die auch von dem kaiserlichen Schwieger vater des Prinzen voll geteilt wird, bietet dieses Schreiben eine vollständige Sicherheit für die loyale Gesinnung des Prinzen. In soweit per künftige braunschweigische Herr scher in Betracht kommt, muß die Thronbe steigung der Wolfen in Braunschweig nach Meinung der maßgebenden Kreise aus der gesamten Lage heraus beurteilt werden. Es wird betont, daß der künftige Herzog des Kaisers Schwiegersohn und preußischer Ossi zier ist, daß er — was vielleicht der breiten Oessentlichkeit nicht in vollem Maße bekannt ist — wiederholt im vertraulichen Kreise seine reichstreue und preußenfreundliche Gesinnung kräftig betont hat und alle Gemeinschaft mit jenen entschieden ablehnt, die eine Wiederher stellung Hannovers anstreben. Was die Verpflichtungen betrifft, die der alte Herzog von Cumberland übernimmt, so muß als wichtigste hervorgehoben werden, daß eine ausgesprochene Verzichterklärung auf Han nover von ihm nicht gefordert wird. Für Preußen waren Gründe rein menschlicher Na tur dafür maßgebend, von dem Herzog, der in seinem 69. Lebensjahre steht, die Verzicht leistung nicht zu verlangen. Allerdings blei t ihm die Verpflichtung nicht erspart, sich jedes Versuches, in den Besitz von Hannover zu gelangen, zu enthalten, und alle Schritte zu unterlassen, die die territoriale Integrität Preußens gefährden könnten. Auch soll es dem Herzog künftighin nicht gestattet sein, Bestrebungen zu unterstützen, die Preußens Ruhe und Frieden antaston. Ferner verzichtet der Herzog aus alle seine Rechte zugunsten seines Sohnes, scheidet als staatsrechtliche Persönlichkeit für Deutschland vollständig ans und bat künftighin nur mehr den Charakter einer Privatperson. Der preußisch-braunschweigische Antrag auf Besteigung des braunschweigischen Throns durch den Prinzen Ernst August dürfte nach den Informationen des genannten Blattes, die ans unmittelbar beteiligten Kreisen her- rühren, Mitte Oktober im Bundesrat eingc- lracht werden. Das Ergebnis der Verhand lungen wird allen Bundesregierungen voll- ständig mitgeteilt werden. Es kann keinen! Zwei'el unterliegen, daß die Thronbesteigung des Prinzen Ernst August in Braunschweig vom Bundesrat einstimmig gebilligt werden wird. Alll VM«. Die jüngste Konstantinopeler Konferenz zwischen den türkischen und bulgarischen Dele gierten, brachte laut „Voss. Ztg." eine Ver- stäiMgung über zahlreiche Einzelfragen, dar unter über die Abrüstung, die Amnestie, die Staatszugehörigkeit, die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und des Eisen bahnverkehrs. Den Rest hofft man so schnell zu erledigen, daß der Vertrag spätestens bis Ende der Woche unterzeichnet werden kann. — Nach Mitteilungen leitender bulgarischer Kreise hat die Türkei sich bereit erklärt, alle Gagen und Löhnungen zu ersetzen, die Bul garien an die kriegsgefangenen türkischen Offi ziere und Mannschaften gezahlt hat, sie wei gert sich aber, für die Verpflegungskosten auf zukommen. Diefe Frage wird der Haager Konferenz unterbreitet werden. Die serbisch-bulgarische Grenzlinie ist be reits endgültig festgesetzt. Die Unterzeichnung des Protokolls hierüber erfolgt demnächst. Dagegen kann die griechisch-bulgarische Grenze vorläufig nicht topographisch festgelegt werden, solange in Westthrazien Unruhen herrschen. Die türkische Regierung beeilte sich, die Worte ihres früheren Finanzministers Dscha- vid Bey, Frankreich sei in finanzieller und politischer Hinsicht der einzige Hort der Tür ¬ kei, die am besten tue, sich der Tripleentente anzuschließen, nach Möglichkeit atbzuschweichen. Eine Verletzung oder Geringschätzung Deutsch lands sei nicht beabsichtigt gewesen. Dschavid Bey, der als Delegierter der Finanzkonferenz bis jetzt in Paris blieb, kehrte mit einem Vertrage heim, der den Franzosen wichtige Bahnkonzessionen in Syrien und Anatolien, den Türken aber eine Pariser Anleihe von 700 Millionen Franlks in Aussicht stellt. Klein*. GlxvKNiß, * Die neue Nordpol-Expedition Roald Amundsens soll besonders dem genauen Studium der Polarströme gelten. Amundsen ist der Ansicht, daß diesen Strömen eine weit höhere Bedeutung zukommt, als bisher angenommen worden ist. Das Wesen der Meeresströme ist überhaupt eines der interessantesten Gebiete der Wissenschaft. Welch Aufsehen erregte seinerzeit in der Geisteswelt die wissenschaftliche Entdeckung, daß der Golfstrom früher, vor vielen, vielen Jahrtausenden, eine andere Richtung hatte und hart an dec Ostküste Grönlands vorbeiführte. Spätere, von der jetzigen Labradorstraße einsetzende Strömungen häuften riesige Sandbänke südlich der genannten Straße an, wodurch der Golf strom in östlicher Richtung und von der grön ländischen Küste abgedrängt wurde. Es wurde Jas Leipziger Valla«-Wettfliegen nm den VölkersHlachtpreis. Die große nationale Wettfahrt von Kugel- Ballons, die der deutsche Luftfahrerverband veranstaltete, lat soeben in Leipzig stattge- ßinden. Sie bildet zugleich das Wettfliegen nm den „Völkerschlachtpreis". Bei dieser Ge legenheit wurde auch ein neuer Ballon auf den Namen „Leipzig 2" getauft. Unser Bild zeigt den Start der Ballons zur Wettfahrt auf dem Leipziger Sportplatz. Das vorläufige Ergebnis des Freiballon- Weikfliegens des L. V. f. L. ist das folgende: 1. H. Wolf, Ballon „Plauen"; 2. H. Fahl- dusch, Ballon „Limbach"; 3. H. Häuber, Ballon „Bitterfeld"; 4. H. Saupe, Ballon „Wettin"; 5. H. Gäbler, Ballon „Leipzig 2"; 6. H. Apfel, Ballon „Altenburg". Der Bal lon „Leipzig 2" unter Führung des Herrn Adolf Gäbler-Leipzig landete wegen Ballast mangel am Sonntag östlich von Hopfgarten bei Geithain. Der Ballon hatte aus seiner Fahrt starke Regengüsse zu Paffieren. in der wissenschaftlichen Welt einmal der Ver mutung Ausdruck gegeben, daß es der Ent wicklung des menschlichen Geistes einmal gelingen werde, diese Sandbänke, die heute die Form einer riesigen Meeresbodenerhebung angenommen haben, — wegzusprengen. Dadurch würde der Golfstrom wieder in seine alte Richtung geleitet, die klimatischen Verhältnisse des Nordens würden wesentlich andere sein und Grönland würde wieder, seinem Namen entsprechend, das grüne Land sein. * Interessante Uebungen gab es während der englischen Manöver. Aeroplane griffen ein Luftschiff an, von dem angenommen wurde, es sei mit einem Maschinengewehr ausgestattet Die flinken Flugzeuge schwangen sich schnell über das schwerfällige Luftschiff und setzten es durch wohl gezielte Bombenwürfe außer Gefecht. Es handelte sich um den Luftkreuzer „Delta". Ein armiertes Luftschiff besitzen die Engländer noch nicht. Da gegen sind die deutschen Militär-Zeppeline mit einem Maschinengewehr, das oben auf der Platt form der Oberfläche des Ballons plaziert ist, ausgerüstet. — Während der englischen Manöver erlitten zwei englische Flieger-Offiziere bei einem Absturz schwere Verletzungen. * Der Streik in Dublin. Mit Zähigkeit führen die irischen Arbeiter in Dublin ihren Streik fort. Die Streik-Unterstützungen sind minimal, die Pfandleihen sind bereits derart überlaufen, daß sie nichts mehr beleihen wollen. Unter diesen Umständen ist ein baldiges Ende des Streiks sicher. Dagegen hat der Londoner Autobuschauffeurstreik mit einem vollständigen Sieg der Streikenden geendet. Die Gesellschaften erklärten sich mit den gestellten Forderungen einverstanden, was zur Folge hatte, daß in einer Versammlung ein Streikführer enthusiastisch aus rief, die Droschkenkutscher seien von den Gesell schaften „gentlemanlike" behandelt worden! * Schweres Grubenunglück. Auf der fiska lischen Grube „Herzynia" bei Vienenburg im Harz riß gestern mittag bei der Ablösung der Mittagsschicht auf Schacht l das Tau der Führung. Der mit 12 Bergleuten besetzte Korb stürzte in die Tiefe. Bier Bergleute wurden getötet, die übrigen schwer verletzt. * Ein schweres Unglück ereignete sich auf der zur Gelsenkirchener Zeche „Nordstern" ge hörenden Teerfabrik. Es brach ein Brand aus, der infolge des brennbaren Materials, das in großer Menge lagerte, rasend schnell eine gewaltige Ausdehnung nahm. Sechs Arbeiter konnten sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen und kamen in den Flammen um. Als völlig ver kohlte Leichen wurden die Unglücklichen aufge funden. Die Teerfabrik brannte total nieder. * Eisenbahnunglück in Rußland. In Skier- niewice (Gouvernement Warschau) ist einPcrsonen- zug auf einen Gllterzug aufgefahren. Ein Kondukteur wurde dabei getötet und ein anderer verletzt. * Tnnneleivstnrz in Frankreich. In Rouen stürzte nach der Durchfahrt eines Zuges nach Paris ein Tunnel bei dem Bahnhof Rue Verte Sturmvögel. Ein Scbiffsroman a-us dem Nordland von Anny W o t h e. S. Forts. (Nachdruck verboten.) Oopzrl-Igkt, 1V10 dzr ^Votds, Marne Jensen stand jetzt in der Tür, die Augen fest auf die Schwester gerichtet, die sich umsonst bemühte, das angegangene Ge spräch mit dem Arzt fortzusetzen. Marne sah, Ivie ein Zittern durch die schlanke Gestalt ging. Er wollte schnell zn Sigrun treten, da sagte die Stimme des Blaulebrillten: „Hoffentlich habe ich die Herr schaften nicht in ihrer Unterhaltung gestört? Gestatten Sie, daß ich mich vorsteve? —" Er murmelte einen Namen, den niemand verstand, die Herren nannten di« ihrigen, die Damen schwiegen. Marne Jensen tat, als be merkte er von der Vorstellung nichts. Der Fremde aber richtete seine blitzenden, blauen Brillengläser fest aus ihn und sagte fast befehlend: „Wollen Sie mir nicht auch Ihren Namen nennen, junger Freund?" „Freund?" lächelte Marne ein klein wenig überlegen, dann aber warf er mit einem lie benswürdigen Lächoln den blonden Kopf nach Knabenart zrurück: „Freundschaft, mein Herr, will erworben sein, und ich kenne Sie nicht. Im übrigen heiße ich Marne I«nsen. Meine Schwester dort, Frau Thomsen." Das Antlitz des hageren Mannes, der sei nen großen Schlapphut tief in die Stirn ge drückt hatte, wandte sich jetzt interessiert Si- grün zu. „Ich freue mich, den Vorzrig zu genießen, Sie kennen zu lernen, gnädige Frau," sagte er varbindlich, flüchtig den Hut lüftend. „Es sind so viele Menschen auf der Ozeana, daß inan nur schwer die einzelnen festhält. Ihnen aber glaube ich schon öfter begegnet zu sein." Sigrun erbebte. Sprach nicht eine tiefe, rätselvolle Bedeutung aus den Worten des Seltsamen? Sie wollte etwas erwidern, aber sie war nicht imstande, die Lippen zu be wegen. „Station Balloch," rief da Marne, der noch immer in der Tür stand, laut ins Kupee zurück. „Da drüben erwartet uns schon der Dampfer. Eilen Sie sich, meine Damen nnd Herren." Alles drängte hinaus ins Freie. Auch Sigrun, in fiebernder Hast, suchte den Aus gang. Aber sie hatte noch nicht den Bahnwagen verlassen, da stand schon wieder der Fremde an ihrer Seite. „Sie ziehen über das Meer," raunte er geheimnisvoll. „In schauervollen Nächten klagen sie von verratener Liebe, und mit wildem Flügelschlag flattern sie gegen die Klippen. Sturmvögel sind es, schönste Frau, Sturmvögel, die den Weg verloren." Ohne Sigrun auch nur anzusehen, schritt er vorüber, als habe nicht er, sondern eine fremde Stimme die Worte gesprochen. Sigrun betrat am Arm ihres Bruders schwankenden Schrittes das kleine Schiff, das die Passagiere der „Ozeana" hinein in das herrliche, schottische Hochland tragen sollte. Zitternd, wie vernichtet stützte sie sich auf Marnes Arni und flüsterte ihm zu: „Wir sind verloren, Marne. Der schreckliche Mensch kennt uns, verlaß Dich darauf. Er hat so seltsame Dinge zu mir gesprochen, und ferne Gegen wart nimmt mir den Atem, so fürchte ich mich." „Ruhe, Ruhe, Sigrun! Du übertreibst! Dor Fremde scheint ja allerdings ein merk würdiger Kauz zu sein, aber uns kennt er nicht. Und wenn? Haben wir irgend etwas Böses getan? Ob wir unter unserem eigenen oder unter einem fremden Namen reisen, tut doch nichts zur Sache, solange wir diesen Namen den Behörden gegenüber nicht uner laubt benutzen und irgendwelche Vorteile da durch erlangen. Ist Thomsen nicht der Name, unter dem Du heimlich Deine Blumenstöcke verkaufst, also Dein wahlberechtigter Künstler name, und habe ich nicht ein Recht, mich Marne Jensen zu nennen, mit dem ich so oft meine kleinen dummen Lieder zeichne, wenn sie hinaus in die Welt gehen? Du kannst also wirklich ganz ruhig sein, Sigrun. Es wird niemand uns für verkappte Derbre cher Halton, selbst wenn durch irgendeinen un glücklichen Zulall uns jemand erkennen sollte." „Und wenn er es selber wäre, Thit? Du glaubst nicht, wie ich mich ängstig«." „Närrchen! Er! Ich bitte Dich! Er war ja zweimal so dick wie dieser, und er war rot und vvllwangig, während dieser gräßliche Fremde blaß und schmal ins Leben schaut." „Er kann sich ja verändert haben, Thit. Er kann krank gewesen sein. Du glaubst nicht, wie ich mich fürchte." „Sei nicht töricht, Sigrun. Er wäre ge- rade der Mann, der hier Tage und Wochen Dir stumm zur Seite schleichen würde, ohne sich Dir zu erkennen zu geben. Mit roher Ge walt risse er Dich an sich, als sein Eigsn- tum. Mit Gewalt nähme er Dich mit sich zurück, dahin, wohin Du nach seiner Meinung gehörst." „Schütze mich, Thit, vor dem Schrecklichen. Lieber ins Meer, als in seine Arme. Nie, nie mehr!" Marne hatte schützend den Arm um die Schulter der Schwester gelegt. So standen sie still beisammen, während der Dampfer sie über den blauen Loch Lommond trug, den stillen, klaren, schottischen Bergsee voll zauberischer Schönheit. Trutzig ragten die Felsen empor. Wie zarte, grüne Schleier spannte es sich darüber hin. Zahlreiche buschige, kleine Inseln stiegen aus dem Wasser auf. Wie lauschige Liebes- insoln lagen sie in ihrem lichten, grünen Kleide in der stillen Morgenluft. Neberall ein grünes, stilles Dämmerlicht, überall tiefes, geheimnisvolles Schweigen. Sigrun wurde ruhiger an Marnes Seite, der leise auf sie einsprach. „Man bezwingt nur eine Gefahr," flüsterte er eindringlich, „indem man ihr kühn ont- gegentritt. Versuche, Dich mit dem Fremden zu unterhalten, und Du wirst bald erkennen, wie kindisch Deine Furcht war. Auch ich werde mit ihm sprechen, und wir werden ja bald sehen, wes Geistes Kind er ist." „Ach, Thit! Wenn ich Dich nicht hätte!" „Marne heiße ich! Dummes Zeug! Wenn ich nicht wäre, säßest Du vielleicht in Deinem eigenen Haufe wohl und geborgen und harr test geduldig. Doch lassen wir das. Kein Vergangenes aufrollen. Hier, Sigrun, solltest Du doch genießen. Weißt Du noch, wie bren nend wir es uns einst wünschten, das schot tische Hochland zu sehen, wie wir begeistert mit dem Helden sangen: Mein Herz ist im Hochland, Mein Herz ist nicht hier." „Sieh nur die Fülle der Alpenrosen und das üppige Heidekraut. Und da drüben das hohe Sumpfgras, wie es sich im Winde neigt. Wie ist das schön!" Es gelang Marne, Sigrun etwas von ihren trübseligen Gedanken abzulenken, und als der Dampfer am Ausgang des Loch Lom mond in Jnversnaid vor einem entzückend gelegenen Sommerhotel anlegte, wo nach echt englischer Sitte der Tee genommen wurde, da atmete die junge Frau schon wieder etwas freier, und nachdem man in dem großen Speisesaal an kleinen Tischen Platz genom men hatte, gewann sie es sogar über sich, als sie bemerkte, daß der Mann mit der blauen Brille unschlüssig hinter ihrem Stuhl stand, Marne ein Zeichon zu geben, sodaß der junge Mann dem Fremden aufmerksam einen Stuhl anbot. Sigrun sprach dann auch ganz ruhig mit dem Geheimnisvollen, und Marne hatte die Genugtuung, zu sehen, daß Sigrun doch tap fer war, tapferer, als er geglaubt. (Fortsetzung^folgt.)