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VMM W WMmckMMtl A«)kiUl Tsgeblstt. Freitag, den 18 September 1813 40. Jahrgang Rr. Ä18. Sturmvögel. Ein Schiffsroman ans dein Nordland von Anny W o t h e. 4. ^orlj. (Nachdruck verboten.) „Na, gonz allein werden sie ja wohl da oben nicht sein," lächelte der dicke Bankier, „ich dächte, es wären besonders viel junge Herren oben, die photographieren." Jetzt hätte Frau Gerstenberger bald vor Entrüstung die Orangen fallen lassen. „Photographieren!" ries sie fast laut, „ich möcl ta nur wissen, was sie hier photogra phieren wollen? Wasser und immer wieder Wasser. Mein Gott, es ist geradezu entsetz lich. Wann ich bloß einen Zipfel Land stehen würde, ich glaube, mir würde gleich besser, Richard." „Morgen früh, Alte, da sind wir in Edin- burg. Wenn Du willst, kannfte sogar im Hotel die Nacht schlafen, aber ich glaube, Du wärst Dhch hüten. . Wenn man erst an Land ist, schim man sich fast trank nach dem Schiff, das uns so sicher geführt hat, wie eine Heimat kommt es einein vor." „Tu mir den einzigen Gefallen, Gersten berger, und rede keinen Quatsch. Hätte ich eine Ahnung gehabt, wie schrecklich eine solche Seereise ist, Ihr hättet mich nie und nim mer dazu gekriegt. Aber 'oie Mädels waren ja apich ganz versessen darauf, und was tut man nicht alles für seine Kinder!" Frau Lena hob il re Augen mit einem Märtyrerblick zu der schützenden Decke des Pro menadendecks empor, indem eine Orange nach der andern in Frau Lenas Mund verschwand und uK energisch jetzt seine Gattin aufrecht 'ch. Gustav hatte sich längst wieder anderen Pas'agieren zugewandt, denen er auch ohne Füufzigmarkschein sein eifrigstes Interesse widmete. „Herzlos bist Du!" fuhr Frau Lena ent rüstet auf, „herzlos wie Deine Kinder." „Na, aber erlaube mal, sind es denn viel leicht bloß meine Kinder?" lachte der dicke Herr vergnügt. „Ich dächte, das meiste ha ben sie doch von ihrer vortrefflichen Mutter." Nur ein dumpfes Stöhnen kam von dem anderen Stuhl herüber, aber es weissagte mit seinen, versteckten Grollen Herrn Gerstenberger nichts Gutes. Lächelnd winkte er den Deck- stewadd herbei, der soeben Bouillon und be legte Brötchen präsentierte. „Wie beißen Sie, mein Sohn?" fragte ihn der Bankier wohlwollend. „Gustav." „Schön, also Gustav. Kennen Sie das?" „Jaivoll, Herr Baron, ein Fuufzigmqrk- schein." „Na also, Gustav! Im übrigen bin ich nicht Baron, bloß Bankier. Bankier Gersten berger aus Berlin mit Frau und zwei Töch tern. Also den Füwzigmarkschein, den Sie so gut kennen, reiße ich mitten durch, die eine Hüllte schenke ich Ihnen gleich, die andqre kriegen Sie, wenn Sie uns aufmerksam be dient laben. Verstanden?" „Zu Besell, Herr Gerstenberger. Die Be dienung au' unseren schiffen ist auch ohne besonderen Lohn aufmerksam." „Tas Halen Sie gut gesagt, Gustav," lachte Herr Gerstenberger. „Sie gefallen mir so, als ob die eine Hülste des Scheines sich nach der anderen sehnen wird. Na also!" Gutav steckte gelassen die eine Hälfte des Fünsziomarkscheines in seine Tasche, dann wandte er sich mit sanfter Stimme Frau Gerstenberger zu. „Befehlen gnädige Iran vielleicht Früchte?" Frau Gerstenberger nickte schwach. Dieser Gostau ivar ein Engel. Wie geschickt er ihr noch ein paar Kissen in den Rücken schob und inie sachkundig er ibr die Decke um die Füße wgle. Ihr Aber tonnte sich ein Muster an ihm nehmen. Unterdes tat sich Herr Gerstenberger an der kräftigen Fleischbrühe und den Schinken bröten gütlich. „Die Seeluft zehrt," nickte er gemütlich, als der Decksteward sich entfernt hatte. „Man 'ollte nicht glauben, daß man schon wieder essen kann. Willste nicht auch mal versuchen, Lena?" Frau Gerstenberger wehrte entsetzt ab. „DK wirst Dir noch ein Magenübel holen, Richard, wenn Du so unmäßig ißt. Du lie ber Gott, heute in aller Frühe schon die Menge Kaviar und gleich ein Paar warme Gerichte. Mir ist ganz elend, wenn ich "bloß daran denke." „Na, es scheint Dir doch besser zu gehen, Lenacheu, wenn Du schon wieder schimpfen kannst." „Schimpfen?" Frau Lena richtete sich mit einem energischen Ruck in die Höhe. Ihr Kops siel aber 'gleich darauf wieder in den Sessel zurück. „Wenn Mr doch bloß nicht so jämmerlich wäre," klagte sie, „und dabei dieser Mann, der immerzu ißt oder lacht und seelenver- gn.llgt ist, daß er hier in seinem Faulenzer liegt und aib das tolle Wasser starren kann, während ich nahe am Sterben bin." Jetzt lachte Herr Gerstenberger aus vol lem Halse, sodaß sich hier und da aus den umliegenden L.egestühlen befremdet ein Kopf nach dem anderen hob. „Du bist ja geradezu komisch, Lena. Tas bischen Seekrantleil vergebt. Du mußt nur ernstlich «vollen. Dit solltest mal mit mir einen Tancilauf zehnmal um das ganze Schiff machen, das erfrischt, und die Seekrankheit ist wie wegael/aien." Frau Lena bewegte abwehrend die Hand. „Und die Kinder," jammerte sie weiter, „solche undankbaren Kinder. Wo mögen sie bloß stecken, die Mädels?" „Na, Mutter, sie können doch nicht hier bei uns sitzen und Trübsal blauen, weil Du die Seekrankheit hast. Ist es nicht genug, daß ich mich hier bei Dir hingarniere?" „Ein Rabenvater bist Du! Zwei junge Mädchen den ganzen Vormittag ohne jede Aufsicht zu lassen." Herr Gerstenberger schmunzelte. „Es scheint Dir ja ganz brillant zu gehen, Lenacheu, Du bist so gut im Zuge." „Du sollst Dich um die Kinder kümmern," gab Frau Lena heftig zurück. (Forisetzung folgt.) i ' '' I ' ' ! I 1