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VMM nm MMmFrMMi AVkjgn Tageblatt. Nr. 202 Sonntag, den 31 Augnst 1013 40. Jahrgang Vergeben. Eine Erzählung aus den Tagen der Schloßt bei Dennewitz vor 100 Jahren. Von R. A. Nacht. Nachdruck verboten. Zerwühtt, zerstampft und niedecgetreten lie gen die Felder da. Keine Hand hat Heuer ihre Aehrenwogen einheimsen können. Ein Teppich sind sie geworden den Kriegsrossen und Rei tern, di: in wilder Flucht darüber Hinjagte i. Heute, in der Frühe des 6. Septembers, sind abermals zahlreiche Truppenmassen, Fuß- vo'k und Reiterei, hier vorübergekommen. Sie sind auf dem Wege zum Schlachtfeld, an der südwestlichen Ecke des Jüterbog-Luckemvalder Kreises, au, dem erhöhten Landrücken der Mark. Napoleons Absicht, Preußen, durch die Er oberung der preußischen Hauptstadt, den Streich, die herrlichen Erfolge bei Großbeeren und an der Katzbach, Heimzugalflen, hatte zu einem allgemeinen feindlichen Angriff Veranlassung gegeben, und die Verbündeten waren entschlos sen, dem Feind in die Flanke und in den Rücken zu fallen. Verteilt an dem Ufer der Aa, einem sump° figen Bache, der hier die Wiesenstriche durch zieht, standen die Brigaden Thümen, die v n Krafft und von Hessen-Homburg. Die Vorlut Tauenhiens stieß westlich von Jüterbog auf den Feind und nahm sogleich den Kamps mit ihm all, obgleich jener ihm an Streitkräften weit überlegen. Der Kampf, der um 9 Uhr morgens be gann, schwoll bald zu wilden Wogen an. Bis hin zu dem eine viertel Meile vom Kriegsplan entfernt und einsam daliegenden Landhause des Tuchmachers Oldenrat war das tausendstimmige Fallen der Schüsse hörbar. Die Türen des Hauses waren verschlösse ;, die Fenster dicht verhangen. Wie ansgestvyben erschien das Haus, dessen Gartenzaun uu) Sommerlaube zertrümmert lagen. Die Bäume waren abgehauen; sie waren unter der Art der Franzosen gefallen, dis mit ihrem Holz sich das Lagerfeuer bereitet hüten. Vielleicht hatten die Verfolger sie bald wie der vertrieben, denn im Hause selbst sah es ziemlich glimpflich aus. Hierhin hatte sich der Besitzer mit den Seinen geflüchtet, als es in seinem Wohnort Jüterbog zu unsicher ward. Doch mich hier war der Aufenthalt zu einer Art Gefangenschaft geworden. Denn das Haus lag frei da und kein Nachbar war in der Nähe. Seine wertvollsten Ballen hat der Tuch- Händler im Keller des Hauses verborgen und seine liebsten Schätze gleichfalls. Das sind sein Weib und seins zwei Kinder. Drängt es den zehnjährigen Buben auch aus dem dumpfigen Versteck heraus an die frische Luft, so will das angsterfüllte Mutterherz dies doch nicht zngeben. Und wenn von fern die Schüsse hal len und der Hausvater nach der Mansarde eilt, von hier aus die Richtung zu erspähen, wo der Kampf stattfindet, so folgt ihm der sorgende Warnungsrus Frau Barbaras. Eine nur geht frei im Hause umher, als kenne sie nicht Sorge noch Bangen. Eine junge schlanke Mädchengestalt ist's, im schma len, schleppenden schwarzen Gewände. Das ist des Tuchhändlers Nichte, die 20jährige Elisa beth Oldenrat. Ihr hat der Krieg an einem Tage — bei einem Ueberfall der Franzosen — Vater und Mutter geraubt. Vielleicht hü dieses schwere Leid sie abge härtet gegen Angst und Gefahr. Vielleicht ist es auch die Herzenswunde anderer Art, die sie erfahren, welche sie gleichgültig gemacht hat, wo die anderen zittern . . . Der Eine, -den sie geliebt und der ihr Treue gelobt, l at sie betrogen — verraten um einer anderen willen. Seine schriftliche Beichte später, eine Kokette habe ihn betört; er sei geheilt . . . Seine Reue, seine flehentliche Bitte, ihm zu verzrß cn, ihm ihre Liebe »nieder zu schenken und ein liebes Abschiedswort mitzugeben in den Krieg. Seine Träume von einem gemeinsamen eige nen Herd, wenn er glücklich heimkehrc ... sie batte sie zerstört; sie halte nicht vergessen und vergeben können. Obne Antwort hatte sie ibn in den Kampf ziehen lassen — seine Zeilen, das letzte Andenken an den Mann, den sie geliebt, vernichtet. Ein Faustschlag gegen die Haustür ließ Elisabeth, die gerade über die Hausdiele schritt, inne'aßen. Sie erschrak nicht. Während auf der Treppe der Schritt des Tuchhändlers laut ward, blickte sie ruhig auf die geschlossene Tür, erwartend, daß sie im nächsten Augenblick ge sprengt werde. Mochte sie es. Was ging sie das an? Mochle her Feind doch kommen und brand marken und rauben — für sie hatte ja das Leben doch den Wert verloren. — Ein neuer Faustschlag. Gleichzeitig rief draußen jemand: „Macht auf, Tuchmacher Ol- denrat! Nicht Feiüd — gut Freund ist hier und muß Euch dringend sprechen!" Das klang glaubhaft, denn der Feind machte keine Umstände, der schlug einfach die Tür ein, wenn sie nicht offen war. Noch bevor Oldenrat zur Stelle, hatte Eli sabeth geöffnet. Ein Bauersmann stand draußen, und er nickte befriedigt, als er das junge Mädchen gewahrte. Sofort rief er lebhaft: „Ich wohne in Niedergörsdorf unweit Dennewitz, und seit der Mittagsstunde donnern die Kanonen um mein Haus, daß Türen und Fenster erzit terns Ein furchtbarer Kampf ist zwischen Dennewitz und Niedergörsdorf entbrannt —" „Wie steht's mit den Unseren — wie mit dein Feinde?" fiel der Tuchhändler, der hin zugeeilt war, aufgeregt ein. „Der Feind war zu stark nach jeider Rich tung hin! Tauentzien hat das erkämpfte Ter- rain, das ach, so viele Os/er gekostet, schließ lich aufgeben müssen," berichtete der Bauer. „Da aber kommt plötzlich Bülows Korps an. So'ort hat Tauentzien die Landwehrreiter at taktieren lassen, hat seine letzten Kräfte einge setzt und es ist ihm gelungen, den Feind nach Rohrbeck zurückzukwängen. Major Kleist kam hinzu und unterstützte wacker —" „Weiter, Freund, weiter!" drängte der Tuch macher, als jener Atem schöpfte. „Bei uns irr Niedergörsdorf ist Ney mit der französischen Division Dnnüte, und hat sich nun, als die Bülowsche Brigäde Thümen an- riickte, dieser entgegengewoUen. Der Kampf ist fürchterlich. Einer von der Brigade Thümen brach nabe bei meirrem Gehöft schwerverwun det zusammen. Ich trug den armen Kerl, der bewußtlos dalag und ans einer Kopfwunde blutete, in mein Haus. Aber, lieber Herrgott, ich bin ja allein dort, hab' ja meine Frauens- I leute zur Base fortgeschickt, wo es zurzeit sicher I ist. 'ne Männerhand aber versteht sich aus's ' Pflegen schlecht —" „Bringt mir den Verwundeten, Nachbar, wenn es geht — ich selbst will Euch dabei helfen," entschied der Tuchmacher hilfsbereit. „Bei mir sind Frauenhände —" „Darum eben kam ich zu Euch, Tuchmacher Oldenrat, Euch um den Liebesdienst zu bit ten. — Ihr seid der Nächste im Umkreise. ." fiel erleichtert der B;mer ein. „Wenn die De- moiselle alles zur Aufnahme Herrichten will — in zwei Stunden können wir zurück sein." Elisabeth nickte bereitwillig. Ach ja, Ar beit — Beschäftigung — jemanden hilfreich sein, das lenkte sie ab, war Balsam für die Qual der Gedanken .... Während sie rasch vorsorgte und die Män ner sich zum Gehen anschickte, kam Frau Bar bara händeringend aus ihrem Versteck hervor. Sie hatte die Unterredung erlauscht und fürch tete nun für ihren Mann. — „Herzlich gern will ich ja den armen Veü wundeten aufnehmen und pflegen! Aber daß ich Dich, lieber Mann, heraus lassen soll, hin in die Nähe des Kampfes — das — das ist's, was mich schreckt!" schluchzte sie. „Ei, wolltest Du lieber, ich wäre eine Memme?" versuchte der Tuchmacher zu scher zen. „Denk' der Frauen, die ihren Mann di rekt in den Kampf haben ziehen lassen müs sen! Wäre ich doch ein erbärmlicher Wicht, wollte ich jetzt zurückbleiben. Vorwärts, Nach bar!" Ja, Arbeit, liebevolles Sorgen, sind die besten Zerstreuer für Trübsal. Das erkannte bald auch die Hausfrau, die sich plötzlich ihres Kleinmutes schämte und nun rührig und eifrig für deir Erwarteten sorgte. Auch die Kinder waren aus ihrem Versteck gekommen und trip pelten geschäftig und wichtig durch Haus und Stube. Bald stand ein sauberes Lhger bereit für den fremden Landsmann, sowie Wasser, Verbandszeug und eine kühlende Limonade. Wenn er essen mochte, harrte ein nahrhaftes Mahl auf dem Feuer; das Beste, das der be scheidene Vorrat noch hergegeben. In dem armen verwüsteten Gärtchen wa« reu iiber Nacht einige Astern aufgrblüht. Eli sabeth pflückte sie, stellte sie in Wasser und aus das Tischchen am Krankenbette und freute sich, daß es traut und anheimelnd aussah. Frau Barbara, nun alles fertig, stieg nun selbst hinauf in die Mansarde und spähte an- 4 « ÄS Allerlei Kurzweil. K K Denksprüche. Wenn du nur das Kleine leistest, Wirds dir auch zum Ruhm gereichen, Wenn du nur dich nicht erdreistest, Es dein Großen zu vergleichen. * * Deiir ist die Saat und der Fleiß, darum Dein der Lohn des Bewußtseins; Aber wie Regeir und Tau traust aus Den Höh'n der Erfolg. Rätselecke. Rätsel. 1. Als nützliches Insekt mans kennt, Schreibst du's mit einem l ain End'; Doch nimmst du r statt l zum Schluß, Im Meere man es suchen muß. 2. In Stadt und Land, allüberall Braucht maus als Baumaterial; Streichst du das Ende, zeigt sich dir Ein jedermann bekanntes Tier. Buchstaben-Rätsel. Mit o ein Maß mit Naumgehalt, Mit a ein schöner Baum in» Wald, Mit e es nach der Ernte bald Von Schlägen ostinals widcrhallt. Scharade. Der König mit der Königin Naht sich in 1, 2, 3; Die fährt zum Schlosse diese hin, Bespannt mit 2 und 3. Logogriph. Ma»» lobt an mir die Ehre, Die Kraft, die Biederkeit. Es sind der Mädchen viele Zu nehmen mich bereit. Und hängt man noch ein Zeichen An meinem Schluffe an, So diente ich als Speise Vor langer Zeit alsdann. Und raubst von meiner Spitze Du jetzt das Zeichen mir, Dann bin als Mädchenname Bekannt ich sicher dir. Vexierbild. Eine ganz seltene Pflanze habe ich hier gefunden. Da ist ;a ein Junge, der wird wisser», ob mehr solche Pflanzen hier wachsen. (Auflösunge»» ii» nächster Nummer.) Auflösungen aus Nummer 34. Der Rätsel: 1. Porträt. 2. Sturmwind. Des Buchstaben-Rätsels: Dachs — Wachs — Lachs — Sachs. Des Logogriphs: Perle — Erle. Des Gleichklangs: Takt. Der dreisilbigen Scharade: Fingerhut. Des Scherz-Rätsels: Das Alter. Der Hieroglyphen: Im Tod ist Leben. Lillder-Zcituug. WU DU do UXbGsuKeA, Nr. 35. Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. 1913. Sonnenstrahl. Amsel ruft und Grünspecht häminert, In dci» Ziveigen spinnt der Tau, Zwischen Weingewinden dämmert Junges Taglicht nebelgrau. In dem weißen Bettchen regt sich Mit dem neuen Tag mein Kind. Füßchen streckt sich, Hand beivegt sich, Und der Atem geht geschwind. Doch noch wendet's fast verdrießlich Weg vom Fenster das Gesicht, Bis ein Strahl der Sonne schließlich Hell durchs Blattgeranke bricht. Und der legt sich, golden schimmernd, Ueber Augen, Stirn und Haar; Sonnenstäubchen tanze»» flimmernd Um das volle Wangenpaar. Wie ei»» leichtes grünes Gräschen Sonst mein Kindchen lache»» macht, Krabbelt Sonnenstaub sein Näschen, Daß es »riest — und froh erwacht. Herzhaft springt mit frohem Lachen In den Glanz mein Kind hinein: Lieblich schlummern, hold Erwachen, Sonnenschein zu Sonnenscheiu! Ludwig Grimm Der große und der kleine Bär. Märchen von Tante Bertha. Das Kraut, das gegen den Tod gewachsen, war schon einmal auf der Welt. Aber es ist schou sehr viele Jahrtausende her, und da hat man es vergessen oder glaubt jetzt, daß es nimmer existiert habe. Ich will es erzählen, wie das seltene Kräutlein in der Zeit, da es auf der Welt war, wohlbegehrt wurde, und wie es durch Menschenschuld wieder von der Erde ver- schlvand. Es war einmal ein alter, kluger Schäfer, der sein ganzes Lebe»» damit verbracht hatte, Herde»» zu hüten und dabei die Schalmei zu blasen. Um sich ein wenig die Zeit zu ver treiben, suchte er auf den Wiesengeländen und in den wilden Wäldern seiner Heimat manch mal auch Kräuter, die zur Heilung von kranken Menschen dienten. Ueberall pries man die Kunst des Schäfers, und es kamen viele Leute mit ihren großen und kleinen Be schwerden von weit her zu ihm gewandert, und er wußte immer das Richtige ihnen zu geben. Eines Tages, als der kluge Schäfer wieder einen Mann, der viele Jahre nicht laufen konnte, mit einem seiner Kräuter tanzen ge macht hatte, schlief er glücklich und zufrieden über das getane Werk ein. Da erschien ihm im Trauin eine Jee mit einem großen Füll horn voll seltener Blätter und Blüten und sagte: „Weil du so klug und so gut bist, will ich dich etwas finden lassen, was noch nie ein Mensch auf dieser Welt gefunden hat. Geh an den Bach frühmorgens, wenn die ersten Sonnenstrahlen scheinen, und du wirst an der Biegung des Bächleins ein himmelblaues Blümlein finden inmitten von einem Busch starren, grünen Krautes. Pflücke es, es ist das Kraut, das gegen den Tod gewachsen ist. Aber gib es nur einem Würdigen, der das ewige Leben verdient." Ganz früh am Morgen wachte der Schäfer auf. Als just die erste»» Sonnenstrahlen her- oorkamen, war er am Bache. Und siehe da — das blaue Blümlein, von dem die Fee ge sprochen, stand an der Biegung des Baches inmitten des starren, grünen Krautes. Der Schäfer grub es sorgfältig mit der Wurzel aus, trug es nach Hause und erzählte seiner Frau von dem seltenen Funde. „Sage nur keinem Menschen etwas davon," meinte seine Frau, „sonst werde»» sie es Dir entreißen wollen, und Du hast ja auch nur so wenig davon. Gerade so viel, »im uns beiden das ewige Leber» zu sichern."