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§kl!M M Hohrißei« Cillvstirr Aifliün Tageblatt. Sonntag, den 3 August 1N1S Rr. 178. 4». Jahrgang Die Tage der Rosen M Erzählung von T h e o b. Witter. Nachdruck verboten. Die Unterhaltung sprudelte munter sort Listigi-übermütig auf ihre weißbeschuhten Füß chen blinzelnd, wiegte sich Lor- von Gleich mann im Schaukelstuhl. Das Thema — Dok tor Kurt Roda — das die jungen Mädchen eben angeschlagen, interessierte sie — inter essiere sie sehr. Wie sie alle für ihn schwärmten, die hol den blonden und brauuihaarigen Mädchen, der seit Jahresfrist fort war, aber demnächst zu- rückerwartet wurde. Doktor Roda war der Pflegesohn der Gast geberin, der verwitweten Frau Justizrat Roda, in deren schönem Villen garten an diesem Nach mittage ein Kreis älterer Damen und junger Mädchen — die Freundinnen der Hausfrau und ihrer Tochter Waltraut — gesellig vereint waren. Lore von Gleichtnann, eine brünette zwan zigjährige Schönheit und die Königin der hie sigen Gesellschaft, ließ die Reden, die den Dok tor verhimmelten, schwirren. Sie lächelte auch nicht mehr listig, sie lächelte versonnen. Ihre Gedanken wanderten zurück zu einer verrausch ten Stunde . . . Gerade so entzückend wie jetzt in dem weißen handgestickten Batistkleide, zu dem der hohe blühende Rosenbusch im Hin tergründe eine entzückende Folie bildete, hatte sie damals ausgesehen, als sie in einem leben den Bilde d^s Domröschen dargestellt und Kurt Noda, als Prinz, dieses Dornröschen wachgeknU. So diskret auch der bärtige Männermund dies getan, so süß-wohlig durchströmte es noch heute Lore, wenn sie an jenen Kuß zurück dachte. Ob mich er daran zurllckgedacht in dem verflossenen Jahre und, wie sie, brennend es ersehnt, daß dieses Jahr um sein möge und er, dec inzwischen sich die Doktorrechte erwor ben, in der Lage, sich von ihr den Brautkuß zu holen? Lächerlich, hieran zn zweifeln! Und eben so lächerlich, daß sie, die schöne, vielumwor- bene Lore Gleichmann, den unbemittelten jun gen Arzt, der noch von der Güte der Justiz rätin abhing, vor allen anderen wollte! Ihren Reichtum, ihre Schönheit und Jugend und ihre stürmische Liebe, alles, alles wollte sie diesem von ihr begehrten Manne schenken — schenken mit tausend Wonnen . . . Das Erscheinen des Dieners entriß die unge Dame ihren Träumereien. „Ein Telegramm an die Frau Justizrat!" „Ein Telegramm?" „Ein Telegramm?" Die Frage schwirrte von Mund zu Mund. So neugierig auch die älteren wie die jungen Damen waren, zu erfahren, was dieses brachte, so zog man sich doch diskret zurück, als jetzt die Justizrätin, sichtlich erregt, die Depesche erbrach. „Ich denke, Kurt gibt Nachricht," erhiob sich WalScaul Rodas klingende Stimme in dem Schweigen, das eingetreten war. Welch eigentümlichen Wohllaut diese Mäd chenstimme hatte! Wie Glockenlaut, aus dem ein Etwas tönte, ein zitternder, heimlicher Jubelklang ... Es war Lore von Gleich mann nie so zum Bewußtsein gekommen, wie jetzt. „Sie haben wohl Ihren Bruder sehr lieb, Wallraut?" strudelte sie, das Wort „Bruder" eigentümlich betonend, und dabei glitt ein schneller Blick unter den dunklen Wimpern her vor älter die Befragte hin — forschend — tarierend — erwägend. Dieses zwar anmutige, aber herzlich unbe deutende Blümchen — einfach lächerlich! Einem plötzlichen Impulse folgend, sprang Loce auf,. Ohne Waltrauts Antwort abzuwar ten, schlüpfte sie, schalkhaft lächelnd den Fig ger an den Mund legend, hinter den Stuhl der Justizrätin Roda und blickte über deren Schulter hinweg in das Telegramm — — „Unverschämt!" llüsterte die Frau Amts richter Hersen der jungen Frau Assessor Feld- manu zu. „Dies Prädikat nimmt die schöne Lore gern mit hin, wenn es gilt, über DoKor Noda zu erfahren," spottlachte diese. Die Frau Justizrat hatte inzwischen die Depesche ihrer Waltraut hingereicht — „Lies selbst, Kind," — armes Kind . . . sägte das Mutterherz insgeheim hinzu. Gewaltsam den Seufzer unterdrückend, den die Nachricht, die ihrer Waltraut so bitteres Herzeleid brachte, ihr entlockte, wandte sie sich mit wohlgelungenem Lächeln an ihre Gäste: „Die Depesche ist tatsächlich von meinem Pflegesohn Kurt. Er hat sein Doktorexamen brillant bestanden und trifft morgen hier ein. Noch sind die Tage der Rosen, schliesst or, und —" Per blickte die Justizrätin mit schein bar heiterstem Lächeln in die Runde — „es scheint, er will sich verloben. Seine Andeu tungen lassen indessen nur erraten, mit wem. Nun -" Dor Rest ging unter in den lebhaften De batten,, welche diese Mitteilung bei den Da men hervorrief. Lore von Gleichmann beteiligte sich nicht daran. Alcr sie war noch nie so hinreißend liebenswürdig und nie so hinreißend über mütig gewesen wie an dem Rest dieses Tages. Alle zog sie in den Bann ihrer glänzenden Laune. Nur an einer vermochte sie nicht ihren lie benswürdigen Mutwillen zu erproben, denn sie fehlte hier — Waltraut. Die Tage der Rosen ... O Welt, wie bist du wundervoll Mit deinem Glanz und Du't und deiner leuchtenden Herrlichkeit. Blau und sonnendurchflimmert die Luft: jedes Er denfleckchen ein blühendes Paradies. In sat ter Pracht die Wälder: auf den Felsern gol dene Aehrenwogen. Und Rosen, Rosen auf allen Wegen! Sammetdunkle, rosarote, blaß gelbe, voll berauschendem Duft, und die zarte weiße Tuberose. Rankröselein und Heiderofen. Alle Morgen schließt die Sonne neue Blüten- augen auf. Welken und Entblättern — der Erde Letd — es scheint keines zu geben . . . Im Hause der Frau Justizrat Roda war alles bereit zum Empfang des lieben Erwar teten — des Eindringlings, wie einst der zehnjährige Kurt von sich gesagt, als bei Papa und Mama Justizrat nach 15jährigem kinder losem Ehestände ein Töchterchen, als spätes Liebespsand, seinen Einzug hielt. Waltraut ward das allerliebste kleine blondhaarige Ding genannt, das mit dunklen AeugiÄn in die Welt schaute. Und zu dem Bruder Kurt auf, wenn er sich wieder und wieder über die Wieg« neigte und nach ungeschickcer Jungenart täp pisch-zärtlich mit dem Schwesterchen scherzte, dessen erstes Wort Bruder Kurts Name war, den es lallte. Trotz des zärtlichen Einverständnisses der beiden stand unsichtbar ein Etwas zwischen dem großgewachsenen schlanken Jungen Mit dem tiefbraunen Haar und den blitzenden Mauaugen und dem kleinen blonden Ding in der Wieg-e. Das wußte noch nichts davon, aber der große, varständige Junge spürte es, und manchmal drohte es ihm die Brust zu zersprengen. Als Klein-Waltraut so weit war, daß sie ohne Hilfe durchs Zimmer tollte, daß die blon den Locken flogen, da hielt es den Buben nicht länger. Er hatte dem Justizrat, der ein Freund von Kurts verstorbenen Eltern gewesen und nach deren frühem Tode den Verwaisten voll väterlicher Liebe in sein Haus genommen, sein Herz ausgefchüttet: daß er sich seit Wal trauts Geburt wie ein Eindringling vorkomme und überzeugt sei, daß die verehrten Pflege eitern nun, da sie ein eigenes Kind hätten, es bereuten, ihn sich aufgebürdet zu haben - Nun, der Justizrat, ein jovialer, herzens warmer Mann, hatte den „lieben Schlingel" durch einen zärtlichen Vackenftreich und einen schallenden Kuß eines anderen überzeugt. Seitdem war jenes Etwas glücklich über wunden, bis — bis zu dem Tage, da die achtjährige Waltraut erfuhr, daß Kurt nicht ihr leiblicher Bruder war. Freilich trug jenes Etwas nun eine andere Gestalt, dafür aber verschwand es nicht wie der. Und je älter und verständiger Waltraut wurde, desto eindringlicher redete dieses Etwas zu ihr, desto eifriger wich sie ihm aus. Der hochgewachsene schlanke Student aber, der so lustig sein Schwesterchen umarmte, wenn er in den Ferien heimckam, schien ganz vergessen zu haben, daß er und es nicht rechte « « Allerlei Kurzweil. « » DenksprÄche. Klebe nicht an der Vergangenheit, Willst Du etwas erreichen. Mach auch nicht jede Torheit mit, Halte mit den Verständigen Schritt, Laß Dich nicht treiben vom Rad der Zeit, Doch fall' ihm auch nicht in die Speichen! * * * Heile den Schaden, so lange er klein, Trägheit bringt größere Arbeit nur ein. Rätselecke. Rätsel. 1. Mein Vater ist ein harter Mann, Die Mutter Asche. — Jedermann Hat einst das Schicksal zu erfahren, Ich bin ein wunderbares Kind, Wohltätig schon seit vielen Jahren. Ich bringe Licht in dllst're Hallen, Bin gern dabei, wo frohe Menschen sind Und lustige Gesänge schallen. Dem Kranken bring ich heilende Arznei, Doch seht euch vor, wie dem auch sei, Denn ich tüt' doch schon manch Gesunden Gar oft, wenn ohne Vorsatz auch, verwunden. 2. Die erste hat in Feindes Land In heißem Kampfe mitgerungcn, Als Feldherr einst mit stolzer Hand Den stolzen Gegner mitbezwungen. Und als nach blut'gem Streit sie dann Zurückgekehrt iu Deutschlands Gauen, An allen Orten konnte man Im schönen Schmuck die letzten schauen, Im Musentempel hoch und schön Kannst du im Hellen Lichterglanze Dort zu der Göttin Füßen sehn Im Liebesrausch gebannt das Ganze. Bnchftaben-Rätsel. Mit b nützt es beim Waschen, Mit k ein Kinderspiel, Mit S beim Klang der Fiedel, Mit K geordnet viel. Mit m Poetenarbeit, Mit « wirds bildend sein, Mit t nützts fremde Kräfte, Mit 2 wirkts mächtig ein. Zweisilbige Scharade. Um den am besten ists bestellt, Dem es im Ersten wohl gefällt. Das Zweite hat man lieb, Wenns treu ist und kein Dieb, Das Ganze nennt den Mann, Der für das Erste in Dienst getan. Logogriph. Sieh diesen kleinen Burschen hier; Wie lieb' ich ihn, er ist es mir. Ich schneid ihm ab den Kopf und gleich Tauch ich ihn drüben in den Teich. Tauschrätsel. Es fliegt dahin durch fremde Kraft. Mit anderem Koofe bringt dichs höher. Mit anderem Kopf ists niemals trüb, Mit anderem Kopfe ists nicht näher. Ganz ohne Kopf frißts, pocht und plagt, Und hat wohl keinem noch behagt. Zuwachsrätsel. Seit alten Zeiten Stätten der Kultur, Ein Zeichen mehr — der Menschen Karrikatur. Bilderrätsel. (Auflösungen in nächster Nummer.) WltrftSsunAen auS Nummer 30. Des Rätsels: gewandt — Gewand. Des Buchstaben-Nätsels: Trost — Rost — Ost - st. Des Reim-Nätsels: hat — Stadt — zu — Nu. Der Scharade: Wiesbaden. Des Logogriphs: Brocken. Des Homonyms: Star. Der Scherz-Scharade: O — Rangen—Orangen. Des Bilder-Rätsels: Dorfschulmeister. Kinder-Icituuz. Nr. 31. I Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. I 1913. Ihr Mehren habt euch tief gesenkt Ihr Aehren habt euch tief gesenkt: Ob schon der Schlummer euch umzieht? Horcht ihr dem schönen Abendlied, Das euch die frohe Lerche schenkt? Ihr rühret eure Häupter kaum, Ihr habt sie tiefer noch gesenkt: Ob ihr an eure Jugend denkt, An den entschwund'nen Maientraum? Ihr steht so still, kein Flüstern fließt Aus euch, mit mildem Grüßen her, Du goldnes, stilles Aehrenmeer, Ob dunkle Ahnung dich umfließt? Wie glänzt auf dir das Abendrot, Wie hat dich doch der Tau getränkt? Du hast dich tiefer noch gesenkt, Ahnst bange du den nahen Tod? Totengräber. Von Friedri Mätzchen war gestorben! Mitten in der Blüte und Kraft der Jugend war er dahin gegangen, nachdem er kurz vorher noch an scheinend behaglich gefressen. Die Kinder weinten, denn Hänschen war ein Prachtkerl von einem kanarischen Finken, schön goldgelb mit einem einzigen schwarzen Fleck auf der Stirn, und ein Sänger, wie man selten einen findet. „Was hat ihm nur gefehlt?" fragte Edith schluchzend. „Wer weiß? Offenbar hat er etwas ge fressen, was ihm nicht bekommen ist. Da haben wir's ja," setzte der Vater nach einer kleinen Pause hinzu: „Wer hat ihm denn die bittere Mandel zum Knabbern gegeben? Das ist Gift für so ein Tierchen. Daran ist er gestorben." Es stellte sich heraus, daß Anna, das Dienstmädchen, die Attentäterin war, aber sie hatte es gut gemeint und nichts von der bösen Wirkung ihrer Gabe geahnt. „Da ist nichts weiter mehr zu tun, als das arme Hänschen zu begraben," erklärte der Vater mit ernster Miene. „Tragt es in den Garten und legt es auf das Blumenbeet — morgen wollen wir ihm ein hübsches Grab machen." Edith und Konrad befolgten die Weisung des Vaters. Am anderen Tage war ihr erster Gang in den Garten; sogleich kehrte Konrad ganz erschrocken von dort zurück und rief dem ch Clemens. (Nachdruck verboten.) Vater schon von weitem zu: „Vater, komm doch einmal nnd sieh!" „Was gibt es denn?" fragte der Vater. „Ein paar häßliche Käfer krabbeln an unserm Hänschen herum!" Und wirklich, bei der kleinen Leiche be merkte er mehrere an Größe etwa unsern Junikäfern gleichkommende Käfer, aber häß lich, wie sic Konrad genannt, waren sie nicht, im Gegenteil recht schmuck. Sie waren un gefähr 18 bis 18 Millimeter lang, und der an der Seite goldgelb behaarte Leib zeigte bei schwarzer Grundfarbe auf den Flügel decken zwei ausgezackte, orangegelbe Quer binden. „Wißt ihr, was das für Käfer sind?" fragte der Vater, indem er die Tierchen mit Interesse betrachtete. „Nein, Vater!" „Das sind die bekannten Totengräber. Sie haben einen äußerst feinen Geruch für Tierlcichen, und wo sie eine solche wittern, sind sie gleich bei der Hand, sie zu begraben. Wenn ihr etwas Interessantes sehen wollt, so brauchen wir sie nur gewähren zu lassen." Natürlich waren die Kinder damit einver standen, und alle drei zogen sich hinter ein Gebüsch zurück, von wo aus sie den Vorgang genau beobachten konnten. Die Käfer krochen erst um die Leiche herum; sie schienen von allen Seiten das Erdreich zu mustern, um zu erkunden, wie