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ÜkMM INI Hohküßkll-Eniftllitt Aqnskl Tageblatt. Nr. 1«« Sonntag, den 20 In« 1013 4V Jahrgang In dunkler Nacht. Kriminal-Novellette von Heino Erl. Nachdruck verboten. Ohne Kopfbedeckung, in ihrem weißen Sommerkleide, lief Eva Degener in den Abend hinein. Vorwärts — vorwärts — in befin- nungslofer Hast- Vom Kirchturm schlug es halb zwölf, als sie hochatmend an der Straßenbiegung an- laugte. Zaudernd blieb sie stehen. Scher« sah sie auf den großen einsamen Platz, der sich hier auftat. Er trug nur ein einziges Gebäude — das Zuchthaus. Sie vermied es sonst, diesen Platz zu gehen. Aber er verkürzte den Weg in den an deren GtraßenEeil ganz bedeutend, und in die sen Augenblicken der Angst und Eile, wo ein Zuspäthommen vielleicht über Tod und Leben entschied, durfte sie sich nicht bedenken. — Tapfer gegen Vorurteil und Furcht kämp fend, bog Eva Degener in den Platz ein. Im Laufschritt. Ihre Gedanken liefen mit. Doch nicht voraus. Zurück zu der letztverflossenen Stunde, da in dem von Kletterrosen umspon nenen Häuschen ihres Vaters, des Kunstmalers Degener, plötzlich Sorge und Herzeleid einge- kchrt waren. Fern vom Geräusche der Welt lebte hier der alte Maler seiner Kunst und seinem Kinde, einer Eva, dem einzigen Pfand aus seiner kurzen glücklichen Ehe, die der Tod allzu früh geschieden. Er hatte spät geheiratet und lMte jetzt, wo Eva 20 Jahre zählte, die 70 überschritten. Von schwacher Konstitution, hatte nun vorhin plötzlich eine tiefe Ohnmacht den alten Herrn befallen, aus der er, trotz Evas liebevollster Bemühungen, ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen, bis jetzt nicht erwacht war. Das Tagcsmädchen, das sie hielten, war bereits heimgekehrt. So hatte Eva in ihrer Herzensangst eine Nachbarin gebeten, bei dem Vater zu wachen, bis sie mit einem Arzt zu rückgekehrt sei. Doktor Kraft war der nächste. Er wohnte in dem Giebelhause, das am Ende dieses Platzes, als erstes der darangrenzenden Straße, ragte. Ja, Sorge und Herzeleid waren da, nach dem zuvor so großes Glück in das rosenum sponnene Malevhäuschen eingekehrt war. Vor zwei Monaten hatte Eva sich nämlich mir dem jungen Baumeister Eckwald verlobt. Eine tiefe Herzensneigung hatte sie zusammen- gefühvt. Vier Wochen später hatte da Fortuna vollends ihr Füllhorn über die Liebendeir aus gegossen: Baumeister Eckwald war durch eine Erbschaft ein großes Vermögen zugefallen. Dieses war so bedeutend, daß Eckwald zum reichsten Mairn im Orte avanciert war. So plötzlich war dieser Wechsel gekommen, und so überwältigend war er, dal: die junge Braut eines Tages ihrem Verlobten erklärt hatte: „Sag', Liebster, bereust Du nun, da Du reich bist und glänzende Partien machen lärmtest, es, daß Du mich gewählt? Ist dem so, dann gebe ich Dich frei." Dieser mit tapferer Verleugnung der Trä nen, die in Evas Augeir aufjsteigen wollten, gegebeneir Erklärung war eine stürmische Szene gefolgt, bei der Baumeister Eckwald durch Worte und Küsse gesiegt hatte. Der Barlmeister wohnte am entgegengesetz ten Ende der Stadt, in einem herrlichen, voir ihm selbst geleiteten Neubau. Den ersten Stock hatte ein Arzt inne. Das stattliche Erdgeschoß sollte Evas zukünftiges Heim werden. Eckwald von ihres Vaters Unwohlsein zu benachrichtigen, war bei der weiten Entfernung und der späten Stunde Eva nicht möglich gewesen. Und doch, >vie sehr sehnte sie ihn herbei! Welch ein Trost wäre. ihr seiire Fürsorge und Zärtlichkeit gewesen! Wenn er wüßte, daß sein Bräutchen zu nächtlicher Stunde hier in dieser unheimlichen Gegend in Angst und Sorge eilte! Die Nacht war dunkel, denn der Himmel war wolkenverhangen. Groß und düster ragte das Zuchthaus in die trübe Luft. Der einzige lichte Punkt in der toten Dun kelheit war die weißgekleidete eilende Mädchen gestalt. Halt! Nicht der einzige! Noch ein beweg licher Punkt, wenn auch weniger hell als Evas Gestalt, aber doch ihren, an die Dunkelheit ge wöhnten Augen kenntlich, zeichnete sich von der Einsamkeit ab. An der Seitenwand des Zuchthauses be- wegte sich dieser Punkt. In senkrechter Linie abwärts. Etwa 15 Meter hoch, schwebte er zwischen Himmel und Erde. Eva Degener hatte den Schritt angehalten. Wie gebannt, in atemlosen Entsetzen und atem loser Spannung starrte sie aus den schweben den Punkt. — Ihr Herz begann zum Zerspringen zu häm mern. Angstschweiß trat ihr aus die Stirn. Ihre Augen durchirrten die Dunkelheit . . . War denn weit und breit kein Mensch, der mit ihr sal, was hier vorging, der Alarm schla gen und damit verhindern würde, was hier geschehen sollte!? Es war kein Zweifel — der schwebende Punkt dort, der sicher abwärts glitt, Ivar ein Verbrecher, der mittels eines Strickes sich her abließ—der aus dem Zuchthaus ausgcbrochenwor! Die Mnze Wucht der Verantwortung, die auf sie fiel, wenn sie ihre Entdeckung nicht an zeigte, tarn dem unglücklichen jungen Mädchen zum klaren Bewußtsein. Dazwischen rang heiß die Angst um den Vater . . . Schnell einen Arzt, sonst ist es vielleicht zu spät . . . Was tun? Keine Zeit war zu verlieren. Wo konnte sie sich melden? Wo war der Ein gang? Dunkelheit und Aufregung ließen sie die Tür nicht entdecken. Dagegen aber hatte der Ausbrecher ihre weiße Gestalt in der Dunkelheit entdeckt. Noch bevor Eva Degener gehandelt, scholl seine Stimme zu ihr hin — leise — leise — aber wahrnehmbar und schauerlich drohend: „Schreien Sie nicht, machen Sie keinen Lärm, oder Sic sind ein Kind des Todes. ." Eine Minute später lag der Platz schwei gend da. Dort, wo Doktor Krafts Haus stand, hie t der fliehende Schritt an . . . Der Baumeister Eckwald, Eva Degeners Verlobter, ward durch die Nachtglocke im Schlafe gestört. Der Weckruf galt zwar nicht ihm, sondern seinem Mieter im ersten Stock, dem Doktor Hellborn. Allein dies beruhigende Bewußtsein verhindere doch nicht, daß der Baumeister ge rade so aus dem Schlafe fuhr wie sein Mie ter, der Doktor, als die Glocke ging. Schlaftrunken drehte er sich auf die andere Seite, in der ftsten Absicht, weiter zu schlafen. Doch wie das so oft geht, dem kaum bewutz- len Gedanken folgt bereits der klare, und plötz lich ist man munter und die Gedanken stür men nur so heran. So erging es Eckwald heute, lind wie sollte es auch nicht. Seit kurzem verlobt und seit noch kürzerer Zeit plötzlich ein reicher Mann, dazu strebsam und den Kopf voll Beru'splä- nen, gesund und lebensfroh — ei, da gibt man gern ein Stündchen Schlaf hin und schwelgt in Zukunftsbildern.! Es war, wie bereits gesagt, eine dunkle Nicht, der Himmel wolkenverhangen. Im Schlafzimmer des Baumeisters brannte kein Licht. Eckwald liebte das nicht. Die schweren braunen Wollvorhänge an den Fen stern des nach Süden gelegenen Zimmers ver tieften noch das Dunkel, das hier herrschte. Desto sichtbarer wirkte der feine Lichtstrei fen, der durch einen Spalt der geschlossenen Tür drang, die ins Nebenzimmer, dem Privat kabinett des Baumeisters führte, darin diefer bedeutende Geldsummen aufbewahrte. Dessen Augen bohrten sich plötzlich an die sem feinen Lichtstrsifen fest. In der nächsten Sekunde schon schnellte er vom Lager aus — aber geräuschlos. Und so hastig er in die Kleider fuhr, so lautlos geschah es. Dabei strengte ec seine Hörkrast auf das Aeußerste an, ohne doch drinnen etwas zu vernehmen. Dagegen ging jetzt die Korridortür im ersten Stock. Schritte kamen die Treppe herab Doktor Hcllborn verließ das Haus. In diesem Augenblick erlosch der Lichtstrei fen. Eckwald sah es und begriff. Den Ein brecher — wer anders sollte dort sein? — dem wohl zu Ohren gekommen, daß Bau meister Eckwald ein reicher Mann geworden, hatte das Geräusch erschreckt; er suchte Wohl gar den Rückzug. Also schnell. — » « Allerlei Kurzweil. « « Denksprüche. So mancher meint, wenn die Sonne scheint, Dann käme gleich mächtig der Segen, Und er hofft und harrt und das Schicksal narrt Ihn schließlich mit strömendem Regen. * * * Das, was man alle Tage hat, Bekommt man bald von Herzen satt, Doch was uns selten ist beschert, Wird hoch geschätzt und stark begehrt. Rätselecke. RW-l. Ihr, die ihr schon aus harter Schale Die Kerne mancher Nüsse bißt, Ob physische, ob ideale, Hier ist die Nuß, die keiner ißt. Die größte Nuß von allen Nüssen, Am weit'sten her, die hat so leicht Kein Zahn der Weisen aufgebiffen, Kein langer Finger noch erreicht. Sie hängt in« großen weiten Raume Der ungemeff'nen fernen Flur, Am letzten Zweig vom Schöpfungsbaume, Im großen Treibhaus der Natur. Sie wiegt sich frei in offner Halle, Und am Magnet hängt sie allein, Die Schwerkraft schützt sie vor dem Falle, Der Lichtstrahl färbt den gvldnen Schein. AuS nichts bestand zuvor ihr Same, Ist nicht geschaffen zuni Genuß, Nicht zart und weiblich ist ihr Name, Nur männlich ist die Riesennuß. Und Hasel-, Wall- und Kokusfrüchte Sind all zusammen nicht so groß. — Nun, knackt die Nuß im Sinngedichte, Und sprecht, wie heißt der Nußkoloß. Scharade. Wir können oft 1—2 hier im Leben Mit unserem Wünschen, unserem Streben, Und zählen nicht zu der 1—2 Schar. Die 1—2, ach! 's ist zum Erbarmen! Von 3 nimmt man sie fort, die Armen, Und steckt sie ins schrecklich Ganze gar. Logogriph. Mit A ist es Meister der Töne, Mit O strahltS in Glanzes Schöne. Zuwachsrätsel. Einst lauschte die Welt auf meinen Rat, Ohn' mich geschah keine große Tat. Ein einzig Zeichen gib mir mehr, So trug ich den Sänger durchs wogende Meer. Homonym. Vergeblich hat Gefahr Dem Jthacker gedroht, Weil er es war. Doch nein! — Daß er es war, Das eben schuf die Not Ihm und Gefahr. — Rechenaufgabe. Es ist jemand 4mal so alt als sein Bruder, in 3 Jahren jedoch nu.: 3mal so alt, in weiteren 3 Jahren nur 2Hf, mal so alt, jedoch in weiteren 6 Jahren nur doppelt so alt. — Wie alt ist er, wie alt der jüngere Bruder? Bilderrätsel. (Auflösungen in nächster Nummer.) Austösungen anS Nummer 28. Des Rätsels: Elbe - Elba. Des Silben-Nätsels: Friedland. Des Steigerungs-Rätsels: Schill — Schiller. Der Scharade: Milchstraße. Des Tausch-Rätsels: Wald — Wild. Des Gleichklang-Rätsels: Linsen. Des Logogriphs: Redaktion — Reaktion. Des Trennungs-Rätsels: Lange — weile. Des Bilderrätsels: Liebe läßt sich leicht, Haß schwer, Gleichgültigkeit gar nicht verbergen. üinder-Ztittlng. Nr. 29. Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. IM Der Morgen. Wer recht in Freuden wandern will, Der geh der Sonn entgegen; Da ist der Wald so kirchenstill, Kein Lüftchen mag sich regen: Noch sind nicht die Lerchen wach, Nur im hohen Gras der Bach Singt leise den Morgensegen. Die ganze Welt ist wie ein Buch, Darin uns ausgeschrieben In bunten Zeilen manch ein Spruch, Wie Gott uns treu geblieben; Wald und Blumen nah und fern Und der Helle Morgenstern Sind Zeuge von seinem Lieben. Da zieht die Andacht wie ein Hauch Durch alle Sinne leise, Da pocht ans Herz die Liebe auch In ihrer stillen Weise, Pocht und pocht, bis sichs erschließt Und die Lippe überfließt Von lautem jubelnden Preise. Und plötzlich läßt die Nachtigall Im Busch ihr Lied erklingen, In Berg und Tal erwacht der Schall Und will sich aufwärts schwingen, Und der Morgenröte Schein Stimmt in lichter Glut mit ein: Laßt uns dem Herrn lobsingen! Drei weise Lehren. Ein reicher Mann ging einst in seinem Garten umher und war heiter und froh. Plötz lich bemerkte er einen kleinen Vogel, der sich in einem Netze gefangen hatte. Er bemäch tigte sich desselben und war nicht wenig er staunt, das Vöglein sprechen zu hören: „Schenke mir die Freiheit, lieber Mann!" sprach es; „was würde cs dir wohl nützen, wenn du mich in einen Käfig sperrtest? Mein Anblick kann dich nicht ergötzen, denn du siehst, ich habe kein prächtiges Gefieder! Ich kann dir nicht die Zeit vertreiben, denn ich singe nicht wie die anderen Vögel. Zur Nah rung werd^ ich dir auch nicht dienen, denn ich bin vM zu klein und kann dich nicht sät tigen. Aber wenn du mir die Freiheit schenkst, will ich Rr drei weise Lehren geben, die dir für dein ganzes Leben nützen können." Der Herr des Gartens betrachtete das kleine Tier und sprach: „Wenn du nicht singst, kannst du mich freilich nicht ergötzen. Laß aber deine Weis heit hören; wenn sic mich belehrt, sollst du deine Freiheit haben!" Da sprach das Vögelchen: „Gräme dich nie über Dinge, die einmal geschehen sind, Wünsche nicht, was dir nicht erlangen kannst. Glaube nicht, was nicht möglich sein kann." Da sprach der Herr des Gartens: „Du hast mich in der Tat belehrt! Deine Worte sind weise; ich gebe dir die Freiheit." Er ließ den Vogel fliegen und sann erst über die Worte desselben nach, als er leise lachen hörte. Die Stimm: kam vom nahen Baum herab, auf dem der Vogel saß. „Du lachst so heiter?" rief der Mann. „lieber die leicht errungene Freiheit", ant- worletc der Vogel; „aber mehr noch über die Torheit der Menschen, die sich vermessen, zu behaupten, daß sie an Klugheit alle Ge schöpfe überragen. — Wärst du klüger ge- wescn, nur so klug wie ich, dann wärst du jetzt ein glücklicher Mann, es gebe keinen reicheren aus Erden!" „Wie wäre dies möglich?" fragte der Herr des Gartens. „Nun'^, antwortete der Vogel, „wenn du, anstatt mir die Frcihnt zu geben, mich behal ten hättest. Denn wisse, ich trage in meinem Leibe einen Diamanten, der von der Größe eines Hühnereies ist."