Suche löschen...
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 15.07.1913
- Erscheinungsdatum
- 1913-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191307152
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19130715
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19130715
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-07
- Tag 1913-07-15
-
Monat
1913-07
-
Jahr
1913
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 15.07.1913
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
12. Deutsches Turnfest ia Leipzig. Die Keststadt. In der Ausschmückung der Stadt zeigt sich eine großzügige Einheitlichkeit und Einmütig keit. Mit darrkbaooni Genießen empfindet man die meist einfache und doch so überaus har nionisch wirkende Ausschmückung der Straßen und Plätze, die sich überwiegend damit be gnügt, die Linien der Architektur durch Blu mengirlanden zu heben, und denkt mit Schau dern der bunten Einlappungsfähnchen der Ber liner Jubiläumswoche. Mit einfachen Mitteln ist hier wirklich „edle Einfalt und stille Größe" erzielt worden. In gemütlicher Feierlichkeit liegt der Markt da, das rote Ziegeldach leuch tet freundlich in der Sonne und gibt einen barmonischen Farbenton zu dem Grün der Kränze und den goldenen Bändern. Einfach, im selben Stil, ist auch die Ausschmückung der Umgebung gehalten, und nur manche große Geschäftshäuser brillieren in grellrotem Farben schmuck und allerlei Wappentieren. Festesfreude leuchtete aus allen Gesichtern, Festpreise gelten in allen Geschäften, und Festwetter liegt bis her über der Pleißestadt. Lie Zahl der Teilnehmer. Offiziell sind gemeldet: 3732 Sechskämpfer, darunter 50 Ausländer, 1096 Zwölfkämpfer, darunter 17 Ausländer, aus den Kreisen 17 367 Pflichtsreiübungsturnor, 9140 Mufterriegentur ner in 853 Riegen, 145 allgemeine Riegen mit 1227 Teilnehmern, 61 Abteilungen Mr Ge meinturnen mit 8158 Teilnehmern. Für Ein zel- und Mannschaftswettkämpfe sind gemeldet: für Faustball 18 Mannschaften, für Schlagball 16 Mannschaften, für Fußball 7, außerdem .300 FreiwrÄfpieler, 4 weibliche Mannschaften, für Schwimmen Ä0, außerdem 16 Eilboten- Mannschasten, 60 Mannschaften für sonstige Borführungen, ferner 280 Fechter, für die A'- tersriege „Alldeutschland" 608 Teilnehmer, dar unter 41 Mr Reck, 204 für Barren, 96 für Pferd, 86 ohne Angabe der Geräte, 110 ge schlossene Altersriegen, 22 Mr Hantelstemmen. — Aus diesen Zahlen im Verein mit der Tatsache, daß die Mitgliederzahl der Deutschen Turnerfchast wiederum um 60 000 und damit aus 1310 000 Gesamtmitglieder gewachsen ist, erhellt, daß das diesjährige Deutsche Turnfest das letzte ins einer Art sein wird. Die ungeheuren Vorbereitungen, die ein sol ches Fest der Hunderttausend, wie es das Leipziger Fest ist, erforderte, können in der Folge von keiner Feststadt mehr ge leistet werden und sind von Leipzig auch nur geleistet worden, weil die Stadt die deutsäp: Turnerftadt par ercsllence ist. Dazu kommt noch, daß bei dem Aufmarsch solcher Men schenmengen und insbesondere den turnerischen Vorführungen jede Uebersicht für die Preis richter wie auch Mr die Zuschauer verloren geht. Im Mittelpunkt der Eröffnungsfeierlich keiten am Sonnabend stand die Uebergabe des Bundesbauners. Ilm 6 Uhr abends begann die von über 100 000 Personen besuchte Feier in der ge waltigen Kampfbahn des Deutschen Turnfestes unter freiem Himmel. Das mächtige Stadion, das mit seinen 490 000 Quadratmetern das größte der Welt ist und das Stadion im Grunewald bei Berlin um das Piersache über trifft, machte einen wundervollen Eindruck. Leider ließen es die gewaltigen Raumaus messungen des gegenwärtigen Festes nicht zu, die Begrüßungsfeier wie früher in einem ge schlossenen Raum abzuhalten, so daß nur ein Teil der Zuhörer die eindrucksvollen Worte der einzelnen Redner hören konnte. Namens des Hauptausschusses und der turnerftemrdlichen Bewohner Leipzigs begrüßte der Vorsitzende des Gesanttausschnsses, der Leipziger Stadtver- ordnotenvorfteher Justizrat Dr. Rothe, die Festgäste, namentlich jene aus Oesterreich. Er warf einen Rückblick auf die Entwicklung des deutschen Turnwesens seit dem Jahre 1863, wies darauf hin, daß Deutschland noch kein Turnfest wie das diesjährige gesehen und be tonte, daß die deutschen Turner nicht vergessen sollen, daß es das Vaterland sei, dem ihre Arbeit gelte. Er schloß mit einem dreifachen „Gut Heil!" auf das Vaterland'. Der Präsident der Deutschen Tuiruerschaft, Geh. Sanitätsrat Dr. Goetz, dankte allen Mitarbeitern an dem großen Werke und be tonte, daß dem deutschen Volke und seinen Turnern die Pforten geöffnet seien, damit sie die besten Wege gehen tonnen. Wenn das deutsche Volk einig und stark bleibe, könne es der Welt die Gesetze vorschreiben. Mit der Treue zu der turnerischen Sache müsse die deutsche Treue verbunden sein, die Treue ge gen das Vaterland. Er schloß mit einem drei fachen Gut Heil auf das Vaterland und die Deutsche Turnerfchast. Die Grüße dett sächsischen Staatsregierung überbrachte Kultusminister Dr. B e ck, der der Deutschen Turnerfchast wünschte, daß sie noch lange Zeit den alten Goetz als getreuen Eckart an ihrer Spitze haben möge. — Geheimrat Lewaldt überbrachte die Grüße des Reichs kanzlers und des Staatssekretärs des Innern, Delbrück. Die Deutsche Turnerfchast habe das Reich mitbauen helfen, als sie in einer Zeit der Ohnmacht und Zerrissenheit den Gedanken der Einheit und Zusammengehörigkeit aufrecht- crhalten habe. Er überbrachte den besonderen Tank und Gruß des Reichskanzlers an Dr. Goetz. — Oberregierungsrat Hinze begrüßte die Turner namens des Kultusministers, Ober bürgermeister Dr. Dittrich namens der Stadt und der Bürgerschaft von Leipzig. Er übernahm von den Frankfurter Turnern das Bundesbanner mit der Versicherung, daß es als die Verkörperung des Zusammenschlusses der deutschen Turner einer freudigen Aufnahme gewiß sein könne. Bedeutmigsvoll sei es, so führte er u. a. aus, daß uwerm Volk ein Ge schlecht vorangehe, fromm in der Ehrfurcht zu Gott, frisch cm Körper, frei im Geist und da mit auch allezeit fröhlich im Herzen und Ge müt, bereit, Mx das Vaterland einzutreten. Was die Zukunft auch bringen möge, wir wer den mit Ehren bestehen, wenn das deutsche Volk sich wehrhaft und stark erhält. Der Red ner teilte dann noch mit, daß dem Präsiden ten der Turnerschpft Dr. Goetz das Offizier kreuz des Albrechtordens verliehen worden sei. Hierauf überreichten die Frauen Frankfurts einen Schaft, an welchem die Ehrenbänder Mr das Bundesbanner befestigt werden sollen, die Leipziger Frauen eine Ehrenplakette, worauf Geheimrat Goetz ein dreifaches Hoch auf den Kaiser ausbrachte. Mit dem Absingen des Lie des „Deutschland, Deutschland über alles" war die Begrüßungsfeier beendet. Es folgte noch eine Reihe von turnerischen Hebungen, worauf sich die Teilnehmer zu den Begrüßungskom mersen begaben, die in der Stadt abgehalten wurden. In den Straßen der Feststadt herrschte bis in die späten Nachtstunden ein reges Le ben und Treiben. Der Sonntag. In Gegenwart des Königs Friedrich August voir Sachsen und des Herzogs Eduard van Sachsen-Koburg-Gotha sowie von Vertretern des preußischen und sächsischen Kultusministe riums, des ReichSauSschufses für die olympi schen Spiele und anderer großer sportlicher und nationaler Vereinigungen des Reiches hat am gestrigen Sonntag Alldeutschlands Turnerfchast in einer Stärke von nahezu 100 000 Mann, also reichlich drei Armeekorps, mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen in zwei großen Festzügen ihre gewaltigste Heerschau seit ihrem Bestehen abgehaltrn und im Anschluß daran auf dem Riesenstadion des 12. Deutschen Turn festes mit ihren allgemeinen Hebungen be gonnen. Vom frühen Morgen ab leuchtete der fest lichen Veranstaltung ein wundervoller Som merhimmel. Hoch in den Lüften kreuzte das Zeppelinluftschiff „Sachfen", das sich in den Vormittagsstunden nach Zittau begab, um später während der turnerischen Hebungen noch einmal über dem Feftplatz zu erscheinen. Sein Propellergebrumm weckte die Bewohnor der Feststadt, denen schon um 6 Uhr morgens in dem Rie'enstadion ein Sechskampf der Kreise 1 bis 9 der Deutschen Turnerschaft geboten wurde. — Um 8 Uhr vormittags fand in den drei Hauptkircheu Leipzigs ein Festgottesdienst für das Deutsche Turnfest statt, an den sich abermals ein Sechskampf der Kreise 10 bis 15 und der Gäste der Deutschen Turnerschaft im Stadion anschloß. Zur Durchführung des Sechskampfes waren die Wetturner in zwei Gruppen von je 96 Riegen eingeteilt worden. Jede Riege war nur 20 Mann stark, damit die einzelnen Turner nicht zu lange beschäftigt wurden. Um diese Massen zu kontrollieren, waren allein 288 Kampfrichter, 12 Obmänner und 96 Riegenführer tätig. Hierauf sammelten sich die Festteilnehmer in den einzelnen Bezirken der Stadt Mr den grotzev Festzug. Da sich 60 000 Turner zum Festzug gemeldet hatten, war die Anordnung getroffen worden, die Vereine in zwei Zügen durch die Stadt nach dem Festplatze marschieren zu lassen. Die eine Hauptgruppe stellte sich auf dem Ost platze auf. Punkt 10 Uhr traten die Kreise an. Herolde eröffneten den Zug, dann kamen als Ehrengäste die Turnvereins des Auslan des, zumeist mit Fahnen in den deutschen Reichsfarben, doch sah man auch das eidge nössische Kreuz, das Sternenbanner Nord amerikas, die Fahnen von Holland, Belgien, Rußland und einigen außereuropäischen Staa ten. Ihr Erscheinen rief besonderen Beifall hervor, der sich fast zum Orkan steigerte, als das Bundesbanner, umgeben von Ehrenjung frauen, erschien, dem der Wagen mit dem alten Goetz und den Mitgliedern des Ausschusses folgte. Unaufhörlich zog der greife 87jährige Vorsitzende der Deutschen Turnsrschaft seinen Hut, um aus die jubelnden Zurufe der Massen zu danken. Großen Beifall sausen auch die Oesterreicher, welche der Deutschen Turnerschaft angehören, mit zirka 25 Vereinen. Den um fangreichsten Teil des Zuges bildew die eine Hälfte der Vereine aus dem Königreich Sach sen. Denn von den über 8000 der Deutschen Turnerschaft angeschlossenen Turnvereinen Deutschlands und Deutsch Oesterreichs gehören nicht weniger als 150 000 Mitglieder den Ver einen des Königreichs Sachsen an. Frisch und stramm kamen dann die Hannoveraner und Braunschweiger in besonderen Uniformen, die Pommern und Brandenburger folgten. An der Spitze der Brandenburger marschierten die Berlinöc Turnvereine mit über 3000 Mann. Die Berliner führten eine eigene Kapelle mit, die die neuesten Berliner „Volksweisen" zum Besten gab. Recht stattlich war auch die Zahl der Turner aus den Vororten Berlins. Den Brandenburgern schlossen sich die vierschrötigen Gestalten der westsälischen Turner sowie die der Provinz Sachsen an. Im ganzen umfaßte die erste Abteilung ca. 25 000 Mann. (An- gang!) Der zweite Teil des Festzuges sammelte sich auf dem großen Platze vor dein Reichs gericht. Er wurde von einem Trompeterkorps in der Uniform der Lühower Jäger geführt, dem die Standarte der Deutschen Turnerfchast mit der Jahn-Fahne und der ersten Fahne der Leipziger Turnerfchast folgte. In weiteren Wagen hatten Mitglieder des Ausschusses und Veteranen der Deutschen Turnerschast Platz ge nommen. Hierauf kamen die Deutsch-Oestor reicher, welche deutschvölkischen Vereinen an gehören und nicht in der Deutschen Turner schaft inkorporiert sind. Sie sind in einem besonderen „Verband deutsch-freiheitlicher Ver- eine Oesterreichs" zusammengeschlossen und stehen in durchaus freundschaftlichen Beziehun gen zu der Deutschen Turnerschast, von der sie nur die Bestimmung ihres Statuts trennt, wonach sie keine jüdischen Turner aufnehmen. Sie stellten ca. 3000 Mann mit 80 Fahnen. Der Beifall war bei ihrem Erscheinen gerade zu ostentativ, da sie zum größten Teil aus dem benachbarten Böhmen stammen. Als Marschmusik führten sie eine eigene Bergmanns kapelle aus Brüx Mit sich, die unauDörlich das Lied „O Deutschland hoch in Ehren" spielte. Die meisten der österreichischen Tur ner trugen Tiroler Lodenhüte und die Frauen und Jungfrauen Leipzigs überschütteten sie von den Ballonen, Erkern und Fenstern aus mit Blumen. Auch die Vereine der grünen Steiermark, des Salzkammergutes und die von Wien bekamen ihr redlich Teil ab. Be sonderes Interesse erregte eine Gruppe Marine-Turner, die der Unteroffiziersturnverein des Ersten Ge schwaders der Deutschen Flotte in Wilhelms haven in einer Stärke von 47 Mann gestellt hatte. Da die Hochseeflotte zurzeit des Deut scheu Turnfestes Uebungssahrten in der Nord ee macht, hat der Geschwaderchef Admiral von Laus genehmigt, daß die Marineturner nach ihrer Rückkehr mit einem Torpedoboote dem Geschwader wieder zugeführt werden. Nachdem die beiden Züge die Stadt durch quert hakten, trafen sie sich auf dem alten Marktplatz der Stadt, an dessen Längsseite sich das alte Rathaus befindet. Auf der blumen geschmückten Altane des Gebäudes hatte der jugendliche Herzog von Koburg, umgeben von den Regierungsvertretern, dem Generalfeldmar schall v. d. Goltz, dem früheren preußischen Landwirtschaftsminister v. Podbielski als Vor sitzenden des. Reichsverbandes für die olympi schen Spiele u. a. m. Platz genommen. Ihnen allen schallten donnernde „Heil!"-Rufe der Tur nerscharen entgegen, und freundlich winkte der Herzog zu ihnen herunter, besonders aber zu den Gruppen der Fahnenträger, die ihre zuni Teil geschichtlich denkwürdigen alten Feldzei chen vor ihm senkten. Neben der ältesten Fahne der Hamburger Turnerschast von 1816 sah man auch die alten Jahn-Fahnen von Naumburg und von Freyburg a. d. Unstrut, dem Geburtsort Friedrich Ludwig Jahns, dann die der Darmstädter Turngemeinde, der Schleswig-Holsteiner, der Mainzer, Königsber ger usw. Mit besonderem Jubel wurden die Veranstalter der drei letzten großen Turnfeste, die Hamburger, Nürnberger und Foankfurter Turnvereine begrüßt. Aus Hamburg war der dortige Lehrerturnverein in corpore neben den übrigen 20 Hamburger Vereinen erschienen und mit ihnen die hanseatischen Vereine (Lü- deck, Kiel, Flensburg, Wismar, Altona, Ro stock sc.). Ein besonders farbenprächtiges Bild bot der Deutschakademische Turnerbund, dessen Mitglieder in vollem Wichs und in übermüti ger Stimmung erschienen. Eine Anzahl von Vereinen hatte heimische Embleme mitgebracht, die zum Teil große Heitockeit hervorriestn. Die Plakattasel der Turner von Plauen i. V. zeigte eine schmucke Vogtländerin in National- trachr. Die Limbacher führten zwei riesige Handschuhe als Zeichen ihres Gewerbefleißes mit sich. Rheinhessen stellte eine Gruppe von Winzern und Küfern mit mächtigen Rhein- Weinflaschen und künstlichen Trauben, die Frank furter, deren Fahnen geschlossen mitgeführt wurden, wiesen eine besondere Amerika-Riege auf. Eine vielbelachte Gruppe kam aus Alten burg: Mädchen und Burschen in Altenburger Bauerntracht, Bräutigam und Braut mit der nächtlichen Brautkrone, die Brautmutter einen Ziegenbock mit sich führend. Die Koburger zeigten ihre Spielwaren, die Erfurter trugen Stäbe mit bunten Blumen garniert. Die Nürnberger führten ein mächtiges Exemplar des Nürnberger Trichters mit sich und die Mainzer einen riesigen Handkäse. An den Salz- reichtum der Provinz Sachsen erinnerten einige Halloren in ihren charakteristischen Kosttimen. Beide Züge zogen nebeneinander her, trenn ten sich aber wieder, um auf vorher bestimm ten Straßen den Festplatz zu erreichen. Trotz dem die beiden Festzüge nur von Turnern ge bildet waren, um sie nicht übermäßig lang zu machen, und besondere Festwagen nicht mitge führt wurden, dauerte der Marsch der Turner doch nahezu drei Stunden. Die Turner mar schierten in Achterreihen unter Führung von 40 einheimischen und etwa 20 von auswärts gekommenen Musikkorps. Einen solch gewalti gen Festzug hat Deutschland noch niemals er lebt und wird ihn auch voraussichtlich sobald nicht wieder erleben, da, wie bereits erwähnt, die Deutsche Turnerschast Mr die Zukunft eine andere Ausgestaltung der Deutschen Turnfeste plant, um die unbedingt nötige Uebersicht iiber die einzelnen Veranstaltungen nicht zu verlie ren. Die Leitung des Zuges lag in den Hän den der Leipziger Turngenossen, deren geschick ter Disposition die glatte Abwicklung der un geheuren Veranstaltung in glücklichster Weise gelang. Zur Besichtigung des Festgugss waren Tausende und Abertausende aus dem ganzen Königreich Sachsen und dem benachbarten Thüringer Land nach Leipzig geeilt und im Verein nut den Leipzigern füllten sie alle Straße» und Plätze der alten Meß- undBuch- handelsstadt in einer geradezu beängstigenden Weise an. Trotzdem herrschte überall eine musterhafte Ordnung, die nur durch die Leip ziger Turner aufrecht erhalten wurde, während die verschiedenen Sanitätskolonnen der Stadt zur Hilfeleistung bei etwaigen Unfällen bereitstanden. Unmittelbar nach Beendigung des Festzuges traf, von der Bevölkerung stürmisch begrüßt, der König Friedrich August in Leipzig ein und b^gab sich gemeinsam mit dem Herzog Karl Eduard von Koburg-Gotha auf den Festplatz, wo er in der Königsloge Platz nahm, während ihn die Musikkapellen mit dem KönigSgruß empfingen. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Generalfeldmar schall v. d. Goltz und die Mitglieder des Aus schusses gab der auf dem Dache des Königs pavillons Postierte Obertuvnwart das Zeichen zu den großen Freiübungen. Zuerst nickten 400 Fahnenträger in die völlig' geräumte Arena ein. Hinter den Fahnenträgern zogen die 17 000 Freiturner ein, worauf sich die Fahnenträger langsam in Bewegung setzten, um den Frei turnern Platz zu machen. Bei Borübevmarfch vor der Königsloge senkten sie die Fahnen und begrüßten den König mit einem kräftigen dreifachen „Gut Heil!" Hinter den Fahnenträ gern hatten sich inzwischen 25 Längskolonnen in der Breite von je vier Mann formiert. Nach einem eindrucksvollen Aufmarsch füllten sie die ganze ungeheure Arenu schachbrettavlig aus. Es war ein wunderbarer Anblick, mit welcher Präzision diese Tausende standen, nach welcher Richtung man auch den Blick wenden mochte. Der Obertuvnwart ließ durch zwei Vorturner, die ebenfalls auf dem Dache der Königsloge plaziert waren, die Hebungen vor machen. Nach dem Takt der Musik wurden die Hebungen mit vollster Präzision durchge führt. Am Schlüsse der mit donnerndem Bei fall von der gesamten Zufchauermenge aufge nommenen Hebungen intonierte der alte Goetz das Lied „Deutschlaird, Deutschland über al les", das die 250 000 Anwesenden stehend mit- sangeir. Damit hatte der erste Festtag sein Ende erreicht. Wer Sachsen «it dem Aeppelin-Süftschiff „Sachsen". Erster Ferientaa — eine tiefwehe Erinne rung aus der glücklichsten Zeit meines Lebens! Im vorigen Jahr am gleichen Tag trug mich und meine Lieben ein stolzes Schiff nach Rügen, wo in Binz das „schöne Meer" — wie es mein Hans in seinem Tagebuch schwärmerisch nannte — ihn, das Glück meines Lebens, so grausam hinwegrafftc. Und vor 6 Jahren an demselben Tag flog vor unserm Koupeefenster auf der Fahrt von Berlin nach Mettin wie eine weiße Wolke ein Militär-Graß-Luftschiff. Mein Junge hatte es hochentzückt zuerst erkannt. Heute segle ich selbst in einem „Zeppelin" quer über Sachsen ... Wer noch lebt, muß der Zeit ihren Tribut opfern, er mag wollen oder nicht. Kerne sechs Jahre ist es her, daß wir das lenkbare Luftschiff kennen. Wer hätte sich ihm noch zu der Zeit anvertrauen mögen, als Zeppe lin das erste Mal mit seinem Luftschiff zum Kaiser nach Berlin kam? Ich war Augenzeuge des denkwürdigen Vorgangs. Heute ist der Zeppelin schon zu einem brauchbaren, gefürch teten Kriegs-Instrument geworden. Unsre Zeit lebt sehr schnell. Wenn nun auch der leider nicht ganz voll endete große Flug quer über Sachsen noch keine Verkehrsfahrt war, so sollte durch sic einem großen Teil der Bevölkerung unseres schönen Vaterlandes doch der gewaltige Fortschritt de? Menschengeistes in der Bezwingung des Lust meeres vor Augen geführt werden. Weh im Herzen in der Erinnerung und doch mit einem seit jenen schweren Tagen nicht wieder gekannten gewissen Gefühl freudiger Erwartung fuhr ich im schwerfälligen ratternden Eisenbahn- zug nach Leipzig zum Ausstieg der „Sachsen". Die Stadt Leipzig stand im Zeichen des Deutschen Turnfestes. Die Riescnbahnhofs-An- lage spie Tausende und Abertausende von Tur nern ans. In der Stadt herrschte am Sonn abend und Sonntag ein unheimliches Menschen gewühl. Am späten Abend sah man in den zu Massen quartieren eingerichteten Schu lgebäuden die Turner sich zur Nachtruhe rüsten. Aber viele setzten ihre Fest- und Bierfreude bis zum frühen Morgen fort, sodaß für sie und andere von Nachtruhe keine Rede war. Bis zur Luftschiffhalle in Mockau ist's ein groß Stück Weg. Im Auto aber schafft man's in wenigen Minuten. Alle Fahrtteilnehmer waren zur festgesetzten Zeit, früh um 5.30 Uhr, zur Stelle. Leuchtend stand die Sonne am wolkenlosen Himmel; die Lerchen trillerten, es war so gut wie windstill. So schienen für die Fahrt nach Zittau alle Bedingungen gegeben. Der Nichtluftschiffer aber, der so dachte, mußte sich bald getäuscht sehen. Durch Messungen hatte der Führer des Luftschiffs, Hacker, festgc- stellt, daß in 300 Meter Höhe ein Wind von 17 Sekundenmetern wehte. Dies machte den Flug unmöglich. Eine Stunde später wurde wieder gemessen. Da waren es nur 15. Es wurde um 8 Uhr vormittag. Das Frage- und Antwortspiel: Fliegt er, oder fliegt er nicht? wurde immer noch fortgesetzt. Tausende von Turnern hatten sich inzwischen in der Halle zur Besichtigung des daliegenden Lustriesen eingc- funden. Auch sie alle wollten wissen, ob ge- flogen wird. Die riesigen Propeller wurden zweimal angedreht. Sie wirbelten mächtige Staubwolken in der Halle auf. Endlich, gegen '/r9 Uhr, erkundigte sich der Führer der der Wetterwarte in Beeskow in der Mark nach den Windverhältnissen in den oberen Luftschichten. Das Ergebnis war: Es wird klar gemacht! Das dauerte auch gar nicht lange. Um 9 Uhr wurde der weiße Koloß aus der geöffneten Halle hin ausgebracht. Die Passagierkabine war von 14 Herren und einer Dame besetzt, meist Herren aus Zittau und dessen Umgebung, unter ihnen Oberbürgermeister Dr. Külz-Zittau, Oberst Haepe
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)