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ÄMM M HohMeis-Emttthiili'r Mriger Rr 142 Sonntag, den 22 Juni 1NL3 4». Jahrgang Der Einbrecher. Novellette von I. H. Werne r. Nachdruck verboten. Den Hut ini Nacken, in den Augen einen schnullen Glanz, stürmte Oskar Freiland die Treppe des großen Bankhauses hinan, zur elterlichen Wohnung im zweiten Stock. Aus der obersten Dreppenstuse blieb der junge Mann lauschend stehen. Gottlob! Der in diesem Augenblick gefürchtete väterliche Schritt, das nervöse Räuspern, das Herrn Freiland senior, erster Kassierer des großen Bankhauses, eigentümlich war, war nicht zu hören. Erleichtert aufatmend, verschwand Oskar in seinem Zimmer. Hier angekommen, warf er Hut und Man tel ab, riß die große grüne Tuchdecke vom So'atifch, drapierte sie sich malerisch um die Schultern und trat vor den Spiegel hin. Er nahm eine theatralische Pose an. Aus seinem blühend schönen, etwas weingeröteten Gesicht lachten alle Geister der Lebenslust, ver klärt von Kunftbegeisterung. — Und nun kam über seine Lippen — in herrlichen Baritontönen — Don Juans Arie: Treibt der Champagner das Mut erst im Kreise, Dann gibt's ein Leben herrlich und srei. Artige Mädchen führst du mir leise, Nach deiner Weise zum Tanze herbei . . . Während er sang und seinen Bortrag mit agilem Spiel begleitet, hatte sich hinter dem Sänger die Tür geöffpet und sein Vater, ein Zeitungsblatt in der Hand, erschien im Rah men. Mit gerunzelten Brauen verharrte Herr Freiland sen. einen Augenblick auf der Schwelle. Zorn und Erregung auf dem hageren Beam- tcngesicht, schaute er zu seinem Sohn hin. Dann unterbrach sein Schritt, laut und rück sichtslos, den Gesang. — „Herunter mit der Narretei!" herrschte er den Sohn an Und schleuderte mit wutbebender Hand die Tischdecke von dessen Schultern. „Wie erhitzt Du aussiehst!" fuhr er fort. „Wo kommst Du her! Ach, was frage ich? Das Theatervölkchen hat Dir wohl mal wieder die Ehre gegeben, mit ihm zu poknlieren! Man duldet Oskar Freiland eben, weil an seinem Namen, vom Großbauer her, noch Künttler- nihm hängt." „Halt ein, Vater! Du weißt sehr wohl, daß man das ererbte Talent an mir schätzt! Und Du weißt auch, daß es mein heißer Wunsch ist, mein Talent zu verwerten — Opernsänger zu werden." „Schweige mir davon! Ost genug haben wir diesen Punkt erörtert. Du leimst meine Abneigung gegen den Künstlerberus. Niemals werde ich meine Einwilligung dazu geben." „Und weshalb nicht? Weshalb ist die Kunst Dir verhaßt!?" rief Oskar außer sich. „War Dein Vater nicht ein vielbewundenes Talent? Hat er nicht eine glänzende Bühnenlaufbahn gehabt?" „Schweige mir davon!" fiel auch jetzt Herr Freiland 'enior ein und sein Fuß stampfte den Boden. „Ich trage, Gottlob, das Blut mei ner Mutter, der Tochter eines tüchtigen Kauf mannes, in den Adern. Wie hat die Aennste gelitten unter dem Künstlerruhm ihres Gatten, der ganzen geschminkten Atmosphäre, den Eifer süchteleien, mit denen man ihr zufetzte, gelit ten, bis — — bis dies Martyrium zur Tren nung zwischen den Gatten führte. Ich blieb bei der Mutter. Der Vater starb nach Jahren auf einer Gastspiel-Tournee ganz plötzlich — er hat Weib und Kins nicht wiedergesehen." Groll und Verachtung sprachen aus den Worten und spiegelte sich in dem von anstren gender Geistesarbeit zeugenden Gesicht mit dem ergrauten Bart. Eiserner Fleiß und unerschütterliche Beruss- treue waren die Grundzüge dieses Charakters. Weil früh, der Ideale beraubt, hatten solche keinen Raum in seiner Brust. Ueberschäumende Kunstbegeisterung gar, wie sein Sonn sie emp fand, waren ihm ein unbetannter Begriff. Und jener? Da war alles Leidenschaft, g uhende Leidenschaft für die Musik und die Kunst. Noch sehr jugendlich, noch unreif, aber doch echte Töne und hervorgerufen durch das, was er zu geben hatte durch das Gold, das aus seiner Kehle perl e. llnd diese Leidenschaft riß ihn jetzt fort.' Er stürmte auf den Vater zu und umfaßte den sich Sträubenden ungestüm: „Dein Groll gegen Deinen Vater beeinflußt Dich, lieber Papa. Doch wie jener in seinem Beruf glücklich war, so laß auch mich glücklich werden, wozu Talent, Lust und Liebe mich berufen. Mein Erfolg wird Dich versöhnen, Vater! Als Kaufmann, zu dein Du mich ma chen willst, tauge ich nicht —" „Das wollen wir abwarten. Zur Bühnen laufbahn gebe ich meine Einwilligung niemals!" „Vater!" „Ein großes Malheur war es, daß Du nach absolviertem Dienstjahr beim Militär bis jetzt keine neue Stelle gefunden hast. Dadurch bist Du in die Theater atm osp Hare geraten, denn meine Zeit erlaubt mir nicht, Deine Schritte zu kontrollieren. — Das witrd jetzt ein Ende haben. Hier," — Herr Freiland senior hob das Zeitungsblatt und wies auf ein Inserat — „hier ist etwas Passendes für Dich. Hörner L Co. suchen einen tüchtigen Korrespondenten. Ich habe bereits an die Her ren telephoniert wegen der Stelle —" „Ohne mich zuvor davon zu unterrichten!?" slammte Oskar auf. Noch heute wirst Du Dich dort vorstellen," fuhr sein Vater unbeirrt fort. „Deine Sprach kenntnisse, Dein guter Stil werden Dich für die Stellung tauglich machen —" „Wenn Du es nur nicht bereuen wirst, mich zwingen zu wollen," kam es mit eigentüm lichem Tonfall zurück. „Hier ist nur mit Strenge etwas zu er reichen. Du wirst es mir einst danken, daß ich Dich zwang, gegen Deinen Willen." „Meinst Du . . .?" kam in dem nämlichen eigentümlichen Tonfall die Antwort. „Ja, das meine ich. Denn um abzuirren etwa davonzulaufen, heimlich unter die Schauspieler zu gehen, was Dir vielleicht jetz: durch den Kopf irrt — daran hindert Dich, gottlob, Deine Mittellosigkeit, — Du besitzest ja nichrs, als was ich Dir an Taschengeld gebe." Damit fiel die Tür hinter Freiland senior ins Schloß. Es Ivar um die elfte Abendstunde, als der Kassierer Freiland von seinem allabendlichen Spaziergang heimkehrte. Er Haffe beschlossen, Oskar heme nicht mehr auszusragen, ob er die Stelle bei Hörner be kommen Halle. Er zweifelte nicht daran, doch war es gttt, wenn der Junge erst mit sich selbst fertig wurde, sich hineinfand in Unabänder liches. Etwas Abgeschlossenes bringt Ruhe, schiebt gewissermaßen einen Riegel vor Dinge, die wicht sein sollen-. Ja, er Ivar schroff gegen Oskar gewesen, schroffer, als sein Herz es ihm diktiert hatte. Denn er liebte auf seine Weise seinen Sohn innig, aber eben weil er ibn liebte, wollte er ihn nicht in einem BerU'skreise haben, der um die eigene Jugend einen untilgbaren Schatten gezogen. Ein wenig unbehaglich aber war dem ein samen Manne doch zu Sinn, wenn er an seine Unterredung mit Oskar dachte. Seine Gattin war längst tot. Er hatte niemanden zu dem er sich aussprechen konnte. „Wenn Du nur nicht bereuen wirst, mich zwingen zu wollen . . ." Wie eigentümlich Oskar diese Worte be tont! Was hatte er mit den Worten gemeint? Während er dies dachte, hatte er den Haus- -chlüssel hervorggzogen, denn er war vor dem Bankhause angelangt. Plötzlich stutzte er. Die Tür des Aus baues, die gewöhnlich offen stand, war ge schlossen. Damit war der Einblick in das Ge schäffslokal von der Straße aus verwehrt. Kassierer Freiland war der einzige Be amte des Bankhauses, der daselbst wohnte. Mithin lastete gewissermaßen auf ihm die Ver antwortung, wenn etwas passierte. Da die Berufszsit ja längst vorüber und er selbst als letzter in den Geschäftsräumen gewesen, so konnte niemand anders als ein Dieb sich dort befinden. Wäbrend dies durch Freilands Kopf blitzte, enweckte er gleichzeitig im Privatkontor Licht. Damit ward seine Befürchtung zur Gewiß heit. Bon Schreck und Sorge erfaßt, hastete er unverzüglich zurück. Wenige Minuten später langte Freiland, in Begleitung eines Schutzmannes, wieder an. K » Allerlei Kurzweil. « « Dentfprüche. Willst du etwas beginnen, Tu es mit muntern Sinnen, Tu es mit reinen Händen, So wirst du es froh beenden. * * * Anfängen immer und niemals vollenden, Heißt Zeit und Kraft als Tod verschwenden, Der Weise erwägt erst seine Kraft, Bevor er etwas beginnt und schafft. Rätselecke. MtI«I Du find'st mich überall, wo Leben weilet, Ich thron' im Mittelpunkt der Welt: Vor meiner Macht die Felsenwand sich teilet Und Riesengröße leicht zerschellt. Es darf der Held mich nimmermehr ersticken, Wenn seinem Ohr der Kampfesruf erschallt. Ich bin der stillen Freude Zeug' und Quelle: Nichts — wahrlich — ist wie ich so rein. Und auf der Berge Spitze eingekrönet Erscheine ich als furchtbar schöne Zier; Nie hab' ich mich mit meinem Feind versöhnet, Stets Flucht und Kampf, oft unterliegt es mir. Scharade. Eins und Zwei sind wohl bekannt Und sind nötig in kund'ger Hand, Wenn auf Erden es soll geben Ein sicheres, sorgenfreies Leben. Die Drei ertönt aus jubelndem Munde Bei festlichen Tagen und gibt Kunde, Wie Freude und Lust Erfüllt das Herz in der Brust. Die Vier endlich, daß sie von gutem Klang, Das zeigt so manches Lied und Sang. Das Ganze aber nun zuletzt In Zeiten uns versetzt In dem Mittelalter, wo erklang Es in Sprache wie in Gesang/ Doppel-Rätsel. Das Wort mit doppeltem „s" geschrieben, Wenn dir es im Leben wird zuteil, Dann sei bedacht, es treu zu üben, Damit daraus entstehe nichts als Heil. Das Wort mit doppeltem „l" geschrieben, Das ist, nach dem so viele jagen, Das wird zur Sünde, wenn, die es lieben, Es zu erlangen ost das Schlimmste wagen. Anagramm. Wär' es nicht da, wär's wahrlich schlimm bestellt Um Kunst und Fertigkeit aus dieser Welt. Oft schmückt's sich auch; womit, kannst finden du, Nimmst du den Kopf und machst den Fnß dazn. Scherzrätsel. Mein Erstes ist Pers, Mein Zweites ist Tand, Und rätst du mein Ganzes, So hast du Verstand. Bilderrätsel. Hieroglyphen. Von jedem Bild gilt der Anfangsbuchstabe. Die Vokale sind zu ergänzen. (Auflösungen in nächster Nummer.) Auflösungen au« Nrnumer 24 Des Rätsels: Plage — Klage — Lage. Des Anagramms: Sonnabend — Sonnenbad. Des Logogriphs: Reuter — Reiter. Des Homonyms: Flügel. Des biblischen Rätsels: Lot's Frau. Des Visitenkarten-Nätsels: Knrdireklor. Des Jrrgarten-Rcbnsses: Eile mit Weile. Lin-tr-IkitSLtz. Nr. 25 Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. 1913. Rot Rösletn. Im Garten blüht rot Röselein, Kommt, Kinder, kommt und schaut! Es ist so wundervoll geschmückt, Als wär' es eine Braut. Es ist das schönste Blumenkind, Wie rings kein schön'res blüht; Kein Schmetterling zu finden ist, Der nicht rot Röslein liebt. Die Bienleiu all, die freuen sich, Wo sie rot Röslein schau'n; Ihre Stuben drin im Blätterhaus Die gold'nen Käfer bau'n. Die Kinder haben's auch so lieb; Wo eins ein Kränzlein flicht, Da fehlt gewiß im Blumenring Sein lieb rot Röslein nicht. Doch Kinder, hütet Euch! Denn wer rot Röslein bricht, Muß sorglich achten, daß er sich Nicht an den Dornen sticht. Dev Seevosenteich. Ein Märchen von Hoch oben im Königreiche Nordland, wo düstere Tannenwälder und öde Heidestreckcn sich vom Meeresstrande bis weit ins Land hinein erstrecken, wohnte vor langer, langer Zett eine mächtige Königin. Schön und präch tig war sie anzuschauen, wenn ihre hohe Ge stalt in königlichem Schmuck durch die Säle und Gänge ihres Schlosses schritt, aber ihre vieleri Knappen und Mannen, ihre Kammer frauen und Hoffräuleins fürchteten und haßten sie, denn ihr Auge blickte kalt und ihr Herz war hart wie der weiße Marmor tief in Nordlands Bergen. Wäre nicht ihr anmutiges Töchterlein gewesen, daß jeden so lieb mit den blauen Augen ansah und für jeden ein freund liches Wort hatte, cs hätte niemand im Dienst der bösen, harten Frau ansgehalten. Jahrelang regierte die Königin allein über Nordland. Sie knechtete und drückte das Volk, und viel hatte die sanfte Prinzessin zu helfen und zu trösten, wenn die Leute auf die Königin schalten, die den Armen unbarmherzig das letzte nahm, was sie hatten, und die ihre Diener behandelte, als seien sie Hunde. Ging sie in den Garten, so ließ sie Decken vor sich her breiten, damit ihr Fuß nicht die schmutzige Erde berührte und jeder, der ihr begegnete, Marie Behne. (Nachdruck verboten.) mußte demütig am Wege knien, bis sic vor über war — sic sah es nicht, wie die Leute dann die Faust hinter ihr her ballten. Da geschah es eines Tages, daß die Königin draußen vor.ihrem Schlosse lustwan delte auf weichen Decken, die man ihr unter die Füße gebreitet hatte. Als sie um eine Ecke bog, sah sie auf einem Stein eine fremde Frau sitzen, sie mußte wohl sehr arm sein, denn sic war nur notdürftig mit Lumpen be kleidet: an der Hand führte sie zwei bleiche Kinder, die vor Kälte zitterten. Das Weib kam näher und beutle sich tief vor der Königin. „Mächtige Königin, verzeiht, daß ich mich Euch nahe!" sagte sie bittend, „aber meine Kinder sterben vor Kälte und Hunger, deine Leute haben mir alles genommen, was ich hatte — gib mir nur eine von den Decken, auf die dein Fuß tritt, damü ich meine Klei nen einhüllen kann!" „Gib ihr, liebe Mutter, gib ihr!" bat die Prinzessin. Aber drohend zogen sich die Brauen der Königin zusammen und mit harter Stimme herrschte sie die arme Frau an: „Was siebst du, freche Bettlerin? Weshalb kniest du nicht vor deiner Königin? Meinst du, du könntest königliche Teppiche haben, nm