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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 22.06.1913
- Erscheinungsdatum
- 1913-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191306220
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19130622
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19130622
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Fehlende Seiten in der Vorlage; Seite 13/14 in der falschen Reihenfolge eingebunden.
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-06
- Tag 1913-06-22
-
Monat
1913-06
-
Jahr
1913
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 22.06.1913
- Autor
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Als sie die Tür des Privatkontors öffnen wollten, zeigte es sich, daß sie verschlossen war. „Vermutlich ist mein Sohn noch nicht zu Hause, sonst hätte er doch vielleicht etwas ge> merkt", flüsterte der Kassierer dem Schutz- mann zu. Fast gleichzeitig rief dieser: „Aufmachen!" Als Antwort folgte ein Schuß. „Es wird auf uns geschossen!" rief der Schutzmann, und beide Männer eilten auf die Straße, um weitere Schutzleute zu holen. Allein bald blieb Freiland hinter dem Be amten zurück. Ein jäh in ihin aufblitzender entsetzlicher Gedanke lähmte seinen Schritt. Es war ihm plötzlich, Zls laste es bleischwer an seinen Füßen; sein Herzschlag drohte zu stocken. Wie ein Blitz die Dunkelheit erhellt, ka men ihm Oskars bedeutungsvolle Worte ins Gedächtnis zurück und seine eigenen: „Am Da vonlaufen hindert Dich Deine Mittellosigkeit — Du besitzest ja nichts, als das Taschengeld, das ich Dir gebe ..." Das Blut brauste dem unglücklichen Mann vor den Ohren. Ein Schwindel erfaßte ihn. Oskar — er — er war der Einbrecher! Oskar wußte, daß sein Vater zu dieser Stunde seinen Spaziergang machte! Und der Schuß? All mächtiger, es war kein Zweifel mehr, Oskar war der Einbrechsc gewesen und hatte sich, nun er entdeckt, erschossen. An dem wankenden Kassierer vorbei eilten jetzt ein Wachtmeister und drei Schutzmänner dem Tatort zu. Es war Freiland, als müsse er die Männer zuruckhalten und damit das Schicksal, das ent setzliche . . . Doch kein Laut wollte über seine farblosen Lippen. Wie mit Flammenschrift aber stand es in seiner Seele geschrieben: Wenn du es ungeschehen machen könntest — wie gern, o wie gern würdest du Oskars Wunsch erfüllen! Und dieser Gedanke ward zu einem Ge lübde, das der Angstgefolterte seinem Herrgott gelobte. Währenddessen hatten die Polizisten aber- mals den Befehl: Aufmachen! gegeben. Keine Antwort, kein Laut, nicht das lei- feste Geräusch folgte. Mit einem Brecheisen wurde nun die Tür erbrochen. Aschssahl, ohne eine Regung, lehnte Frci- land an der Hauswand. Als die Polizisten hineindrangen, ging cs wie ein Stotz durch seine Gestalt. Er raffte sich zusammen und folgte den Bccmtten. Gleich darauf entrang sich ihm ein Schrei. — Vor dem Geldschrank lag mit durchschosse ner Schläfe der Einbrecher — es war ein un bekannter Mann. Der Kassierer Freiland hat sein Gelübde eingeilöst. Als er dem ahnungslosen Oskar die Freu denbotschaft brachte, da umfaßte der erregte junge Mann den Vater und flüsterte, und seine Stimme bebte: „Du gibst mir nicht nur das Glück, Du gibst mir das Leben wieder, Vater!" Dieser verstand die Bedeutung der Worte. Unter unaussprechlichen Gefühlen zog er den Sohn an die Brust. Theater im Freien. Von Philipp Mehnert. „Es ist eine Lust zu leben!" Dieses Wort Huttens ist gerade zu der jetzigen Zeit jedem aus der Seele gesprochen. Nach wunderseligen Blütelage» hat die Natur ihren schönsten, reich sten Glanz entfaltet und vermag nun in ihrer lieblichen Schöne und durch die goldene Pracht ihres Sommerkleides jedes empfängliche Men schenherz zu entzücken. Die warmen Sonnen strahlen locken all die Wintermüden hinaus in die wonnige Herrlichkeit der Natur. Das ist des Zeit, wo die zahlreichen Naturtheater ihre Pfoten wieder oder zum ersten Male öffnen. Mil den Pfingsttagen begann auf vielen dieser Bühnen die Spielzeit, die uns Voraussicht ich in die'em Sommer eine Menge guter Ergeb nisse oder doch Erfahrungen bringen wird. Seit ihrer Wiedereinführung insbesondere durch Dr. Ernst Wachler vor einem Dezennium hat diese, in klassischer Zeit beliebte Art des Kunst ausdrucks manches Für und Wider herausge rufen. Einzelne überbegcistcrte Schwärmer er warten von ihr das Heil der Bühncnkunst überhaupt, andere wieder (so der verstorbene dänische Dichter Herinan Bang) erblicken in ihm schwere Gefahren für den künstlerischen Geschmack. Doch dürfte bei einer Stellung nahme zu der Freilichtbühnenbewegung auch hier der goldene Mittelweg der richtige seiu. Es sei gleich im voraus gesagt, daß sich das LandschafMhealer mehr in den Dienst des Platten Landes stellen will, schon aus dem Grunde, weil die Großstädte meist das Kunst bedürfnis ihrer Bewohner befriedigen, wäh rend die Provinzler sich im besten Falle mit einer Scheinkunst begnügen müssen. Die meisten Naturtheater liegen mehr oder weniger weit entfernt von den großen Verkehrszentren. Es ist auch leicht erklärlich, daß die Spiele im Grünen auf das breite Volk mehr Eindruck machen, denn im geschlossenen Buhnenraum kommt es ans die Erzeugung einer intimen Stimmung an, während aus der Freilichtbühne besonders Massenaufzüge und Massenbeweg»»- i gen mit ungewohnter Großartigkeit wirken. Aber kraftvolle Erhabenheit und gigantische Größe, starkes Geschehen und kühnes Empfin den vermögen dem Laien inehr zu imponie ren als der Zauber reiner Stimmung. Dazu muß man sich erinnern, daß die Ausdrucks mittel aus der Landschaftsbühne doch ganz andere sind als im geschlossenen Bühnenhaus. Stars itten und Requisiten sollen nicht ein Stück Natur künstlerisch Vortäuschen, sondern selbst Natur sein; die ganze Bühne soll eine aus der Gottesschöpfung herausgeschnittene Naturoekoratio» darstellen, der die Urwüchsig keit und Frische einen eigenartigen, wunder baren Reiz gibt. Auch die Darstellungskunst ist eine andere; in Gestalt, Stimme und Be wegung gelten andere, auf. größere, natürlichere Wirkung berechnete Vorschriften. Alles Kleine verschwindet hier, während das Klare, Groß zügige hervortcitt und wirkt. Das Naturtheater will deshalb nicht lite rarisch sein. Sein Zweck, großstädtischen Kul- turbefitz und Kuiturgewinn auch für das breite Land zu gewinnen, würde überschritten, wollte man literarische Erperimente mit ihm machen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß ein derartiges Beginnen immer zu einem Mißergebnis führt. Wohl hat der dramatische Born, aus dem un sere Theaterleiter schöpfen, durch die Freilicht bühne einen ansehnlichen Zufluß erhalten. Es kann sich aber hier nur um Theatscstücke han deln, welche direkt für die Naturbühne ge schrieben sind, ja, in einzelnen Fällen für eine ganz bestimmte. Eine Reihe trefflicher neuer Werke hat besonders das Harzer Bergtheater heransgebracht, daneben auch das Waldtheater am Oybin, Aachen, Hertenstein und Wyk aus Föhr. Und wieviel Schätze sind noch zu he ben ans dem Born deutschen Volkslebens uno deutscher Geschichte! Aber wir wollen uns über die Bedeutung dieser an sich gewiß erfreulichen Erscheinungen keinen allzu rosenroten Illusio nen hingehen. Als vollendete Freilichtstücke haben sich noch immer bedeutendere Schöp un gen erwiesen, die schon vor der neuen „Mode" ihre Wirkung ausübten. Außer den Weimarer Epigone» sind Shakespeare, Grillparzer, Heb bel, Ibsen, Hans Sachs, sowie von den Le benden Hauptmann und Schönherr die am > meisten gespielten Frcilichttheaterdichler, und I von ihren Werken stehe» an der Spitze: Jphn > genie, Versunkene Glocke, Sommernachtstraum, Glaube und Heimat, Wilhelm Teil und Wal lensteii's Lager. Demgegenüber bedeuten die Erfolge der „Neuen" (Delmar, Dittmar, Her wig, Lienhard, Wachler, Spielmann) für die Literatur nur wenig. Vom Gedanken der Heimat aus betrachtet, ist diesen Volksfestspielen, wie man sie ge nannt l at, schoit ein höherer Wert beiznmessen. Dr. Storck fordert von ihnen, oaß ihre Stoffe bekannt und aus der Heimatgeschichte oder Ortssagc genommen sind. Das wäre das echte Heimatspiel, das wir z. B. in Bernau in der Mark durchgeführt sahen. Aber es zeigte sich hier zugleich der Nachteil: Wenn auch das Spiel bei allen Ortsbewohnern die Heimatliche und Hümatverehrung sicher gesteigert und ver stärkt hat, wenn auch durch eine großzügig durchgeführte Handlung, besonders belebt durch Aufzüge, Bewegungsspiele, Reigen und Musik, das Interesse vieler Fremden erweckt wurde, so mußte doch dieses Unternehmen schritarn, weil der genügend Gewinn bringende Zustrom an Publikum fehlte und die finanzielle Fun damentierung dadurch untergraben wurde. Wie Wilhelm Globes, der Herausgeber des „Theaters der Heimat", aus Grund ausführlicher Unter lagen festgestellt hat, läßt sich mit einem Bud get von 25 000 Mark eine achtwöchige Spiel zeit im Naturtheater sehr wohl unterhalten, wenn mit vernünftigen Mittel» gearbeitet wird. Fast alle Freilichtbühnen haben ja auch in der letzte» Saison günstig abgeschnitten; Oetighcim brachte beispielsweise 5000, Potsdam 4000, Oybin 1000 Mark Ueberschuß. Es ist not- wendig, sich diese Zahle» einmal zu ver- gegenwärtigen bei der allgemein vorherrschen den Ansicht, alle Neugründungen von Natur theatern trügen deir Keim des Todes in sich. Deir besten und schönsten Erfolg dürfte das Naturtheater haben, wenn es den im Volke versteckten Spieltrieb gewähren läßt. Ge wiß soll Wächters Forderung zurecht bestehen, daß für d'e Hauptrollen nur Berüfsschanspie- ler in Frage kommen sollen, aber die viel fach nicht geringe Zahl der übrigen Darsteller muß sich aus Bürgern der betr. Orte zusam mensetzen. Aus Heller Freude an der Ge schichte oder Sage ihrer Heimat wirken sie mit an dem Spiele mit einem Eifer, der seines gleichen suchen dürfte. Dazu braucht es kein Oberammergau und kein Höritz, das ist auch anderorts und bei anderm Stoff möglich. Und diese Begeisterung an dem herrliche» Werke schafft Großes und Bleibendes von unermeß lichem Wert: das ist die Liebe und Verehrung zu dem Boden, dem wir entstammen und dem wir unser Heiligstes und Teuerstes verdanken, unsern deutschen Sinn. Sv erwarten wir auch von der diesjähri gen Spielzeit, daß in ungezählten Bollsgenos- sen die Heimatliebe und Heimatverehrung be lebt und gestärkt werde. Daneben haben nur noch den kleinen Wunsch, daß unsere Außen thealer mit dazu helfe» möchte», daß einmal durch unsere dramatische Kunst ein frischer, kräftiger Luftzug wehe» möchte, der all d'e häßliche», übelriechende» Auswüchse, die eine lüsterne Schauerromantik und eine geschmack lose und widerliche Nfterkunst (pariserische Golv- und silver- waren, Klemmer, werden gewissenhaft, schnell und billig repariert und anfgefrischö k Speziell empfehle meine KslmW AM Karl Rieck. Chemnitz, Pokalen, Bestecken usw. usw. lim Nilolaibahnhof. "WO 2 deine Lumpen zu decken? Fort aus meinet! Augen!" Da war's, als ob die Gestalt des fremden Weibes wüchse, höher und höher; sie reckte den Arm aus und schrie mit gellender Stimme: „Weil du nicht Mitleid hast mit einer Mutter, die für ihre Kinder bittet, so sollst du jetzt selbst lernen, was es heißt, wenn dich dein Kind bittet und du nicht helfen kannst! Dein Töchterlein soll versinken im See hinter dem Berge. Du sollst sie sehen, aber nicht errei chen. Weil sie gut und fromm ist, wird sie eines Tages wieder erlöst werden, aber du sollst dann sterben!" „Greift das freche Weib!" schrie die Königin und die Diener sprangen herzu, aber nur ein höhnisches Lachen tönte von fern — die Fremde mar verschwunden. Früh am andern Morgen schickte die Königin eine Schar ihrer Arbeiter aus mit Hacken und Schaufeln; sie sollten den See hinter dein Berge suchen, von dem das fremde Äettelweib gesprochen, und ihn zuschütten bis auf den Grund. Aber so sehr sie auch such ten, sie fanden keinen Berg und keinen See, nicht einmal ein Wässerlein. Niemand hatte je von einem See in der Umgegend gehört, niemand ihn gesehen und unverrichteter Sache mußten die Arbeiter heinikehrcn. So waren Wochen vergangen. Es war ein heißer Tag, das Königstöchterlein war ein wenig lustwandeln gegangen in: Walde, nicht weit vom Schlosse. Kühl und traulich rauschten die Wipfel der alten Bäume, hell schmetterten die Vöglein ihr Lied aus Busch und Strauch, über das weiche Waldmoos gaukelten Falter und Bienchen und in leuch tenden Farben prangten Blumen zu beiden Seiten des Weges. Sinnend wandelte das Königskind weiter und weiter; es schien ihr, als ob sie diesen Teil des Waldes noch gar nicht kenne, so schön war er. Hier mußte sie wirklich noch nicht gewesen sein, denn, wo sich der Wald ein wenig lichtete, ragte eine An höhe auf, die sie noch nie gesehen, und als sie näher kam, sah sie, daß zur Seite der Anhöhe ein See sich breitete, klar und tief. Die Sonne warf schillernde Strahlen über die dunkelgrünen Wellen, Schilf umsäumte das Ufer und ganz nahe am Rande schwamm eine wunderschöne Blume, die das Königs kind noch nie gesehen: auf breiten, glänzen den grünen Blättern schwamm eine große Blüte mit goldenen Staubfäden. Entzückt bog sich die Jungfrau nieder und streckte die Hand aus nach der fremdartigen schönen Blume — da glitt ihr Fuß aus auf dem schlüpfrigen Moos am Ufer und lautlos ver schwand sie in den Wellen. Tage und Nächte lang hatte man die Prinzessin gesucht, als sie von ihrem Spazier gange nicht zurückkehrte. Niemand hatte sie gesehen, nirgends fand sich auch nur die kleinste Spur. Stumm und finster suchte die Königin zusammen mit ihren Dienern; sie gönnte sich keine Rast bei Tag und Nacht — vergeblich. Am fünften Tage nach dem Verschwinden der Prinzessin irrte sie wiederum suchend im Walde umher; ohne cs zu wissen, geriet sie auf denselben Weg, den die Prinzessin ge gangen und kam zu dem Berge und dem See, den sic nie gesehen. Schaurig rauschte jetzt das Schilf im Winde, Irrlichter huschten über das feuchte Moos und wie eine blut rote Scheibe hob sich dec Vollmond hinter dem Berge herauf und goß sein Licht über den See. Ein seltsames Grauen durchschüttclte die Königin, und wie sie hinausstarrtc auf das jetzt trübe, dunkle Wasser vor ihr, da war's, als ob an einer Stelle ein lichter Schein sich zeige, die Wasser teilten sich und lächelnd mit nassem Haar und in der Hand eine seltsame, fremde Blume hob sich ihr Kind aus dem Wasser und winkte zur Mutter her über. Da wußte die Königin, daß der Fluch des fremden Weibes, das sie von sich gestoßen in Hochmut und Härte, erfüllt war! „Mein Kind! Mein Kind!" schrie sie herzzerreißend und breitete die Arme aus, — da sank lang sam der Grund unter ihren Füßen tiefer und tiefer. „Sieh dich vor, daß du deine königlichen Füße nicht beschmutzest!" pfiff ihr der kalte Nordwind ins Ohr, der ihr ins Gesicht blies. „Beuge dich demütig, knie, wie wir!" wisper ten die zierlichen kleinen Heidesträucher am Ufer, nach denen sie griff, um sich zu halten — sie entglitten ihren Händen, die Wellen brausten auf im Wirbel — und mit einem Schrei versank sie. Viele Jahre zogen hin über Königreich Nordlarid. Das Schloß verfiel, in Park und Wald wuchs wild und wüst Baum und Strauch durcheinander. An einer entlegenen Stelle, wo früher eine stille Waldwicse ge wesen, erhob sich ein kahler, steiler Berg und hinter diesem breitete sich ein dunkler See — den Berg und den See je früher gesehen zu haben, erinnerten sich die ältesten Leute nicht. Und wenn der Vollmond rot und rund hinter dem Berge höher und höher stieg, dann konnte man wohl mitten auf dem See die verschwun dene Königstochter sehe»; lächelnd und mit nassem Haar erhob sie sich aus den Wellen und glitt über das Wasser, in der Hand hielt 3 sic eine seltsam fremde Blume und ebensolche, weiß auf großen grünen Blättern, schwam men um sic her wie ein silberner Kranz. Mancher edle Jüngling von fern und »ah hatte in solchen Nächten voll Eifer ein Boot bestiegen und war auf die Gestalt in d r Mitte des Sees zugerudert, aber wie weiße Ketten legten sich die Seerosen um sein Boot, daß es nicht vorwärts kam, und wenn er da nach griff und sich vorwärts beugte, ver schwanden die Gestalt der Jungfrau und die Seerosen, sein Boot schlug um und er ver sank in die Tiefe, um nie wieder gesehen za werden. Zuweilen sah man auch die Gestalt der Königin aus den Wellen auftauchen; nicht mehr stolz und hochmütig war ihr Gesicht, sondern kummervoll und bleich; ihr schönes schwarzes Haar hing jetzt in grauen Strähnen herunter, sic breitete die Arme aus nach der Gestalt vor ihr und rief klagend: „Mein Kind! Mcin Kind!" daun versank sie wieder. Zuletzt mieden die Bewohner der Um gegend den Wald und das Königswasser, wie der See genannt wurde, und machten lieber einen Umweg, als daß sie an dem „verwünsch ten See", wie sie sagten, oorbeigingen — nur verstohlen raunte man sich zu von der ver sunkenen Prinzessin und der bösen, hochmüti gen Königin im See. Da zog eines Tages ein fremder Mttcr durch den öden Wald. Müde und sonnver brannt sah er aus, denn er kam von weit her, cs war einer der Kreuzritter, die nach Palästina gezogen waren und dort gegen Heiden und Türken gekämpft hatten. Um seine Schultern lag der weiße Mantel mit dem Kreuz; er war jetzt aus dem Heimwege nach seiner Burg und wußte nichts von der Geschichte des Sees und der Prinzessin, die sich hier zugctcagcn. Heiß und staubig waren er und sein Roß, denn er war fast den ganzen Tag geritten; und als er jetzt die dunklen Wasser durch die Bäunie schimmern sah, stieg er ab und führte sein Noß zum Ufer, um es zu tränken. Wieder stieg der Vollmond rot hinter dem Berge empor und erstaunt blickte der Ritter: mitten auf dem See ward ein Heller Schein sichtbar und langsam hob sich aus der Tiefe eine Jungfrau, lächelnd und mit nassem Haar, in der Hand hielt sie eine fremdartige weiße Blume und ebensolche schwammen um sie her wie ein silberner Kranz. Und nicht weit da von erhob sich eine andere Gestalt, eine alte Frau mit grauem Haar schien's; sic sah bleich und kummervoll aus und rief klagend: „Mein Kind! Mein Kind!" Der Ritter blickte sich um — im Schilf neben ihm schaukelte leise ein Boot, das er bis jetzt nicht gesehen. Eilig sprang er hin ein und stieß kraftvoll ab vom User; cs schien ihm, als legten sich Schlingpflanzen um die Ruder »iid die weißen Blumen mit den brei ten Blättern versperrte» ihm den Weg, aber laut sagte ec: „In Gottes Namen!" und die Ruder wurden frei, die weichen Blumcukcttcn wichen zurück. Zwei Nachtvögel strichen über den See und aus ihrem Schrei klang cs: „Die Zeit ist um!" Leise murmelten die Welten und cs tönte wie: „Die Zeit ist um!" Die Gestalt der Jungfrau mitten im Scc wich nicht zurück und verschwand nicht, sie kam näher und näher. Jetzt hatte der Ritter sie erreicht und streckte ihr die Hand entgegen, da hob sic sich ganz aus dem Wasser, stieg ins Boot und sah sich uni, als sei sic eben erwacht aus langem, langem Schlafe! Der Ritter wandte das Boot zum Ufer und wie ein Schatten glitt die Gestalt der alten Frau mit dem kummervollen Gesicht hinter ihm her. Als das Boot anlegtc, hatte sie es fast erreicht, ihr vergrämtes Gesicht leuch tete auf, sie streckte die Arme aus und ries: „Mein Kind! Mein Kind!" dann sank sie am Ufer nieder — sie war tot! Der Fluch des fremden Weibes hatte sich erfüllt! Im Moos am Ufer saßen der Ritter und das Königskind. Ihr war, als ob sie nur geschlafen habe, lange, lange; sie erzählte vom Reiche Nordland, von der Mutter, au deren lebloser Gestalt sie weinend kniete, von dem fremden Weibe und dem See — und während sie erzählte, war cs, als vertrock neten die Wasser des Sees, als sänke der Berg. Und als der Vollmond niederging, war von dem ganzen See nur noch ein klei nes Wässerlein übrig auf einer Waldwicse, einige Seerosen schwammen darauf — und langsam zerfiel die Gestalt der toten Königin zu Staub. Die Köiiigstocher zog fort mit dem Ritter auf dessen Burg als seine Rittersfrau. Die Seerosen sind geblieben bis heute, aber schön und trügerisch sind sie noch — gar leicht ver schwindet der in der Liefe, der sich vorwärts bengt und sie pflücken will . . . Frisch gewagt. Bleibe nicht am Boden haften! Frisch gewagt und frisch hinaus! Kopf und Arm mit heitren Kräften, Uebcrall find sie zu Haus; Wo wir uns der Sonne freuen, Sind wir jeder Sorge los; Daß wir uns in ihr zerstreuen, Darum ist die Welt so groß.
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