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3928 Börsenblatt f. b Dtschn. Nuchbniibel. NichtamMcher Teil. 73, 29. März 1911. Kleine Mitteilungen. Ein Aufruf gegen Echmutz und Schund in England. — Aus London wird dem Hamburger Fremdenblatt geschrieben: Der Ruf nach dem Zensor macht sich nunmehr auch im freien England geltend. Es klingt fast wie ein Echo der deutschen Bewegung gegen die Schundliteratur, die ja in Deutsch, land erfreuliche Resultate bereits zu zeitigen beginnt. Sämt liche Londoner Zeitungen brachten dieser Tage eine Zu- schrift in Form eines Aufrufes, unterzeichnet von den Direktoren des Eton und Winchester Colleges und zahl- reichen Professoren. Im Aufruf wird ausgeführt, daß es in der letzten Zeit häufig vorgekommen sei, daß, von bedeu- lenden (!) Verlegern herausgegeben, in öffentlichen Bibliotheken und Buchhandlungen Bücher auflagen, deren Charakter durchaus nicht geeignet sei, 'die Bildung des Volkes zu heben. Es handle sich vornehmlich um Romane und Novellen seichten und frivolen Inhalts, und es sei im höchsten Grade wünschenswert, daß das Gesetz die Verbreitung einer derartigen Literatur durch Biblio- theken und Buchhandlungen unmöglich mache. Beschlagnahmte unzüchtige Schriften in Berlin. — Ein »Neinigungsinstitut« wurde im Zentrum Berlins von der Kriminalpolizei durchsucht. Dieses Institut unterschied sich von anderen seines Namens dadurch, daß es den Sitz eines aus gedehnten Handels mit allerhand Schmutzzeug bildete. Der In haber, ein junger Mann, sandte Kataloge mit unzüchtigen Bildern und Muster besonders an Offiziere und deren Kasinos. Die beschlagnahmte Korrespondenz gab ein Bild von der Aus dehnung des Betriebes. Auch die Geschäftsführerin, ein junges Mädchen, hatte in ihrem Schrank einen ansehnlichen Posten der unzüchtigen Bilder. Sie legte gegen deren Beschlagnahme Ver- Wahrung ein, weil sie ihr »Privatbesitz« seien. (Berliner Tageblatt.) «L. Born Reichsgericht. Die beschlagnahmten Reznicek-Bilder. Urteil des Reichsgerichts vom 27. März 1911. (Nachdruck verboten.) — Herr Georg Hulbe, der in Ham burg eine der angesehensten Kunst-und Kunstgewerbehandlungen betreibt, stellte in Schaukästen an seinem Geschäftslokal, Ecke des Jungfernstiegs, unter anderem auch neun Reproduktionen von Werken des verstorbenen bekannten Simplizissimus-Zeichners Reznicek aus. Diese Bilder wurden von einer Seite bean- standet und auf einen bezüglichen Antrag bei der Behörde sämt liche neun Bilder beschlagnahmt, sechs aber wieder freigegeben während wegen der übrigen drei Reproduktionen der Werke »Die Gouvernante«, »Zu Hause« und »Im Faschingstrubel« das Strafverfahren gegen H. beim Landgericht Hamburg wegen Feilhaltens und Ausstellens von unzüchtigen Abbildungen erhoben wurde. Was den Vorsatz des Angeklagten anlange, so erachtete das Gericht es als erwiesen, daß er gewußt habe, unter den von einer Ausstellung übrig gebliebenen Reproduktionen, die er zum Ausstellen aus seinem Geschäft in der Lindenstraße nach seinem anderen Geschäft am Jungfernstieg habe schaffen lassen, befänden sich auch die drei inkriminierten Bilder und würden ausgestellt werden. Mithin sei der eventuelle Vorsatz gegeben. Was die Frage der Unzüchtigkeit der einzelnen Bilder anlange, so ver trete bezüglich ihres Schöpfers das Gericht die Ansicht, daß er ein höchst begabter, ernst zu nehmender Künstler sei und daß seine Werke an sich nicht als unzüchtig zu bezeichnen seien, wenn sie zum Beispiel zu einer Gesamtausstellung vereinigt oder in geschlossenen Räumen ausgestellt würden, zu denen nur ein bestimmter Kreis von Personen, die derartige Dar stellungen sehen wollten, Zutritt habe. Aber in diesem Falle seien die Bilder an einer der belebtesten Straßen Hamburgs ausgestellt gewesen, und es sei zu prüfen, inwieweit sie an dieser Stelle ge- eignet seien, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen, und zwar in^Ansehung welcher Kreise des Publikums. Sicher könnten hier nicht die Schuljungen in Frage kommen, da es im vorliegenden Falle nicht auf den Schutz der Jugend ankomme, sondern auf das Publikum im allgemeinen, gleichviel, welcher individuellen Kategorie die betreffenden Beschauer der Abbildung oder Darstellung angehörten. Die Anschauung des Hamburger Publikums sei der Beurteilung zugrunde zu legen, und das Gericht vertrete die Ansicht, daß das Sittlichkeitsgefühl der Mehrzahl der normalen Beschauer verletzt würde, wenn der- artige Bilder an belebten Straßen ausgestellt würden. — Was die Frage anlange, ob der Angeklagte sich bewußt gewesen sei, daß die Bilder unzüchtig seien, so sei diese zu bejahen. Er hätte sich sagen müssen, daß sie Anstoß erregen konnten; trotzdem habe er ihre Ausstellung angeordnet. Daß gegen andere Kunsthändler, die ähnliche Ausstellungen veranstaltet hätten, nicht vorgegangen sei, sei gleichgültig. Bei der Strafzumessung zog das Gericht in Betracht, daß Reznicek ein anerkannter Künstler sei und daß H., in dessen Ehrenhaftigkeit kein Zweifel zu setzen sei, in Unkenntnis der Strafbarkeit seines Tuns gehandelt habe; er habe sich nur einen geschäftlichen Irrtum zu schulden kommen lassen. Dem gemäß erkannte das Gericht lediglich auf eine Geldstrafe von 60 und auf Einziehung der drei Reproduktionen. H. legte Revision beim Reichsgericht ein und rügte, auf Grund der mangelhaften Feststellungen des Untergerichts sei seine Verurteilung zu Unrecht erfolgt. Es hätte festgestellt werden müssen, daß er sämtliche Tatbestandsmerkmale des in Frage kommenden § 184, Ziffer 1 des Strafgesetzbuches gewußt und gewollt habe. Was den Durchschnitt des Hamburger Publikums als angelegten Maßstab für die Beurteilung der Unzüchtigkeit anlange, so dürfe eine derartige allgemeine Kultur- frage nicht nach lokalen Sonderinteressen entschieden werden. Im Höchstfälle könne von einer Fahrlässigkeit, nie aber von einem Vorsatz die Rede sein. Das Reichsgericht verwarf indessen das Rechtsmittel als unbegründet, da der hier vorliegende Einzelfall von der ersten Instanz ohne Rechtsirrtum beurteilt worden sei. (Aktenzeichen: 3 0 174/11.) * Post. Paketbeförderung nach China über Sibirien. — Die Beförderung von Postpaketen nach China (deutsche Postanstalten) und nach Kiautschou auf dem Wege über Sibirien, die wegen Pestgefahr eingestellt war, ist jetzt wieder zugelassen. Die schwedische Buchhändlerschule. — 8vens1ca. Lolc baväelsskolLn in Stockholm (gegründet 1905) versandte soeben ihren Bericht über den Sommerkursus 1909 zugleich mit Angaben über den neuen Kursus, der dieses Jahr (die Kurse finden nun mehr nur jedes zweite Jahr statt) vom 7. Juni bis 17. August abgehalten wird in der Klara-Realschule, Brunkebergsgatan 9. Anmeldungen sind an den Vorsteher, Professor C. A. Fahlstedt, Hötorget 10, zu richten. Vorbedingung ist ein mindestens sechs Monate langer praktischer Dienst im Buchhandel oder Buchverlag. Die Teilnahme kostet 30 Kr. Angestellte in Stockholm, die nur an einzelnen Fächern sich zu beteiligen wünschen, können für das selbe Schulgeld als außerordentliche Schüler zugelassen werden. Zu der Vortragsreihe, welche die Buchhändlerschule abhält, steht der Zutritt allen Interessenten unentgeltlich frei. — Vorsitzender des Schulvorstandes ist Direktor Lars Lindqvist; zweiter Vor sitzender Buchverleger C. D. Hoffsten; Kassierer: Buchverleger Nils Skoglund; Sekretär: Hr. Carl Lundahl (im Hause: Dem Bericht über den 4. Jahreskursus (4. Juni bis 16. August 1909) entnehmen wir: Die Unterrichtszeit war 8V4 bis K?/z und 12—3 Uhr. An einem Tage jeder Woche fanden nach mittags statt des Unterrichts Besuche in gewerblichen Betrieben statt (Buchbinderei, Buchdruckerei, Zeitungsdruckerei, lithographische Anstalt), der Königlichen Bibliothek, dem Schwedischen Buch gewerbemuseum (wo moderne deutsche Buchkunst ausgelegt war), der Kunstakademie (Schülerausstellung) usw.; ferner praktische Übungen im Paketpacken bei der Kommissionsbuchhandlung Seelig L Co., in Encyklopädie und Katalogbenutzung bei U Noräislca. öokbanlleln. Abends sind fünf Vorträge (u. a. über das Papier, die Berner Konvention) und drei Literaturabende mit Vorlesen von Dramen (u. a. Goethes Faust, Teil I) veranstaltet worden sowie Aussprachen über folgende von den Schülern selbst gewählte Gegenstände: Was kann und muß geschehen, um die Lage der Buchhandlungsgehilfen zu verbessern? —Das Kommissions system. — Die Temperenzfrage. Der Lehrplan, über dessen Stoffe der Bericht ausführliche