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HMM »im Whcißriii EniAIHlllcl Anikign Tageblatt. Nr. 115 Donnerstag, den 22 Mai 1813 4V. Jahrgang OertlicheS nnd Sächsisches. *— Die Tage werden immer länger! Wenn die Tageslänge am Anfang des Monats Mai 14 Stunden 52 Minuten be trug, so wächst sie bis zum 25. Mai auf 15 Stunden 53 Minuten an. Erst im Monat Juni wird eine Tageslänge von 16 Stunden erreicht und dann geht es langsam wieder bergab. *— Bezirksfeldwebel. Nächsten Sonnr abend ist der Bezirksfeldwebcl im Sitzungszimme- — 1 Treppe — des Stadthauses am Neumarkt in Hohenstein-Ernstthal für die Mannschaften des Beurlaubtenstandes dienstlich zu sprechen. Es können an diesem Tage Meldungen aller Art erledigt und Gesuche abgegeben werden. Auch wiro Uber alle militärischen Angelegen heiten, soweit sie die Fragesteller berühren, be- rcitwilligst Auskunft erteilt. *— Erzgebirgischer Sänger- b n n d. Für den am Sonntag, den 1. Juni, ftatt'indenden Sängertag in Augustusburg, an welchem auch die Dresdner „Liedertafel" teil nehmen wird, sind folgende Massenchöre vorge sehen: 1. „Gott grüße dich" (E. Mücke); 2. „Das treue deutsche Herz" (I. Otto); 3. „Zwi schen Frankreich" (I. Dürrner); 4. „Lützows Jagd" (C. M. v. Weber); 5. „Wem Gott will rechte Gunst erweisen" (F. Mendelssohn); 6. „Neuer Frühling" (Petschke). Das Konzert wird im Schlotzhof von Augustusburg,, der eine ausgezeichnete Akustik hat, abgehalten. Gegen 1500 Sänger haben ihre Teilnahme zu gesagt. Die erste Vorprobe fand am Freitag in Augustusburg statt. Weitere Vorproben wird Herr Kirchenmusikdirektor Winkler abhal ten in Oberlungwitz, Chemnitz, Grün- laimchen, Thalheim usw. *— Zwischenzählung der Schweine. Durch Beschluß des Bundes rats ist fiir den 2. Juni 1913 die Vorirahme einer Zwischenzählung der Schweine im Deut schen Reich angeordnet worden. Die Zähsung erfolgt ot ne Verwendung von Zählkarten. D rs Ergebnis wird jeweils für jede Haushaltung mit Schweinen in die von den Zählern ge- führten Listen eingetragen. * Bernsdorf, 21. Mai. Die unter den Schwcinebeständen der Gartenbesitzer Herren Christian Starke und Ferdinand Zesch hier aus gebrochene Schweineseuche ist erloschen. * Glauchau, 20. Mai. Gestern abend stürzte der beim Tischlermeister Kurth hier beschäftigte Tischlerlehrling Schöne die Brücke an der Stra ßenüberführung über die Bahn in Gesau ab. Schöne erlitt so schwere Verletzungen, daß er auf ärztliche Anordnung mittels Krankenwagens nach dem Stadtkrankcnhause geschafft werden mußte. * Hainichen, 20. Mai. Eine empfindliche, aber wohlverdiente Strafe erhielten drei Arbeiter, die bei der Aufstellung der Masten für die Uebcr- landzentrale beschäftigt sind. Dabei verübten sie den Unfug, den Wegweiser an der Straße von Kaltofen nach Schlegel umzudrehen, sodaß er eine falsche Richtung angab. Weiter zertrümmerten sie die vom Verschönerungsverem auf der Höhe des Weges von Ottendorf nach Verbersdorf er richtete Bank. Für diese Heldentaten wurden ihnen 3 Monate, 6 Wochen und 4 Wochen Ge fängnis aufgebrannt. * Leisnig, 20. Mai. Die hiesige Zigarren- fabrik von Ferdinand Huhle (das Hauptgeschäft befindet sich in Leipzig) hat ihren sämtlichen Ar beitern für Ende dieses Monats gekündigt, weil sie sich entschlossen hat, den hiesigen Betrieb auf zugeben und am 30. Juni d. I. vollständig zu schließen. Meine EhrvE * Der Bruning-Prozeß. In keinem Prozeß ist von den Angeklagten so frech gelogen worden wie in dem des Bankboten Vruning und seiner Mitangeklagten. Die Plätterin Olga Kranich, deren Schweigen sich Brüning bekanntlich mit 6000 Mk. erkaufte, bestreitet ganz entschieden, diese Summe bekommen zu haben. Die auf fällige Tatsache, daß sie sich am Tage nach dem Zusammentreffen mit Brüning im Warenhaus Tietz für 1200 Mk. elegante Kostüme und Stiefel kaufte, erklärt sie als zufälliges Zusammentreffen. Das Geld habe sie sich erspart. Mehrere hundert Mark „habe sie verloren." Die Angeklagte be hauptet auch, Brüning überhaupt nicht zu kennen, Zil Richard Wagners M.Wdnrtstag (22. May. In die gegenwärtige Zeit dec Jabrhundert- erinnsrungen fällt auch der 100. Geburtstag Richard Magi ers, dessen Kunst immer macht voller und großartiger emporwächst, je weiter wir uns von der Zeit seines Erdenwallens entfernen. In einer Zeit geboren, da das deutsche Volk sich vom fremden Joch beireite und in blutigen Schlachten seine Selbständig keit zurückeroberte, legten die Genien in Wag ners Wiege die Sehnsucht des Dichters and als köstlichste Morgengabe die göttliche Schöp ferkraft. Sie ließen den Sohn des Leipziger Po izeiaktuars zu Deutschlands größtem Dich terkomponisten heranreifen. Wagners Leben selbst aber war ein fast ununterbrochenes Kämpfen um Anerkennung und klingenden Lohn, und nur der Glaube an sich selbst tief; den Künstler alle Enttäuschungen, Intrigen und Schicksalsschläge überwinden. Heute gibt es kein Kulturvolk, das nicht Wagners Kunst anerkennt. Sein Geist war es, der über alle nationalen und politischen Grenzen hinweg neue Ideen und neue Werte in die Menschheit hineintrug. Und mit dem in diesen Lagen — 30 Jahre nach seinem Tode — erfolgten Freiwerden seiner Werke siedelt gleichsam Wag ners Kunst als Gemeingut in die Schätze der Menschheit über. Und dies war auch die Auf fassung des Meisters selbst, der an einer Stelle seiner Schriften sagst: „Deutsch ist: die Sache, die man treibt, um ihrer selbst und der Freude an ihr willen treiben; wogegen das Nützlich keitswesen, d. h. das Prinzip, nach welchem eine Sache des außerhalb liegenden persön lichen Zweckes wegen betrieben wird, sich a's undeutsch hcrausstellt!" Richard Wagner wurde am 22. Mai 1813 in Leipzig als Sohn eines Polizeiaktuars ge boren, war von 1864—66 Generalintendant der Hofmusik in München, wohin ihn Bay erns kunstsinniger König Ludwig ll. ries. 1872 erfolgte die Grundsteinlegung des Fest spielhauses in Bayreuth und Wagners Uebsr- siedlung dorthin, wo am 13. August 1876 das größte Ereignis in Wagners Künstler leben vor sich ging: Die Aufführung der Feü- spieltrilogie „Der Ring der Nibelungen" in Gegenwart des Deutschen Kaisers, des Königs von Bayern und anderer dewscher Fürstlich keiten, sowie Künstler und Geistesaristokraten. Wenige Jahre darauf, am 13. Februar 1883, ereilte den großen Sohn Deutschlands in Vene dig, wo er von einer Gesichtsrose und At mungsbeschwerden Heilung suchte, ein plötz licher Tod. Seine Leiche wurde nach Bay reuth gebracht und dort unter Erweisung friOt- licher Ehren im Garten der Villa „Wahnfried" beerdigt. Unser Bild zeigt neben dem Porträt Ri chard Wagners 1. sein Geburtshaus, der Rote und Weiße Löwe in Leipzig (1886 abgebro chen), 2. Villa „Wahnfried" in Bayreuth und 3. Palazzo Vendramin in Venedig, wo der unsterbliche Meister am 13.. Februar 1883 seine Augen schloß. der sie auf der Straße kennen gelernt haben will. „Ich kann doch nicht", rief sie unter großer Heiterkeit des Publikums aus, „jeden Mann im Gedächtnis behalten, der mich auf der Straße mal angcsprochen hat!" Auch der Angeklagte Kranich, der Bruder des Mädchens, der mit Brüning unter einer Decke stak, und der Brüning in einem Brief schrieb, mit der Olga stehe es schlecht, sie werde polizeilich beobachtet, versucht alles harmlos hinzustellen. Ueber die erwähnte Briefstelle befragt, antwortete er dem Gerichts hof: „Es gibt doch mehr Mädchen, die Olga heißen", was den Vorsitzenden zu einer Rüge veranlaßte. Die medizinischen Sachverständigen erklärten Kranich, der einmal in einer Irrenan stalt untergebracht war, wo er sich für einen Sohn Kaiser Wilhelms I. ausgab, für geheilt und zurechnungsfähig. Zum Schluß der Ver handlung erklärte die Angeklagte Kranich nach einer Rücksprache mit ihrem Verteidiger Liebknecht, daß sie ihre Aussagen widerrufe; sie habe Brüning doch gekannt, habe aber nicht gewußt, wo das Geld, das er ihr gab. herkomme. Tas Urteil lautet gegen Brüning auf 4 Jahre 6 Monate, gegen seinen Schwager Hacke auf 1^2 Jahre, gegen seine Schwester, Frau Hacke, aus 1 Jahr, gegen Hermann Kranich auf 2 Jahre und gegen Olga Kranich auf 1 Jahr 9 Monate Gefängnis. * Zu dem bedauerlichen Marine-Unfall in Kiel meldet die „Voss. Ztg.": Die acht vermiß ten See-Soldaten sind, wie inzwischen ermittelt worden ist, am Sonntag abend nm 9 Uhr in Kappeln an der Schleie gewesen und dann auf der Rückfahrt nach Kiel nachts gegen 2 Uhr in der Einfahrt zum Kieler Hafen gesehen worden. Anscheinend ist das Boot im äußeren Seehafen gekentert und mit seinen Insassen untergegangen. * Drei Personen bei einer Segelfahrt er trunken? Ingenieur Niemann, Oberfeuerwehr mann Annies und sein erwachsener Sohn sind Sonntag von Kappeln nach Kiel abgesegelt, aber nicht angekommen. Zweifellos sind sie ertrunken. * Tic Genossen Slernickels vor dem Reichs gericht. Das Rnchsgcricht hat die Beschwerde der Mordgenossen Stcrnickels, der beiden Brüder Kersten und des Franz Schliewenz, angewiesen. Es bleibt also bei dem gegen Georg Kersten und Schliewenz auf Todesstrafe, gegen Willi Kersten auf 15 Jahre Gefängnis lautenden Urteil. Der Bluthund Sternickel hatte bekanntlich auf Einlegung der Revision verzichtet. * Gin hochwichtiger Altertumsfimd. Bei Eberswalde fanden Arbeiter bei Erdarbeilen eine Ton-Urne, die 78 Gegenstände aus massivem Gold enthielt. Es waren Trinkgefäße, Arm spangen, Fingerringe nnd ähnliche Gegenstände. Die Sachen sind, obgleich sic etwa 2000 Jahre in der Erde gelegen haben, sehr gut erhalten. Direktor Schuchhardt vom Berliner Völkerkunde museum hat den Fund an Ort und Stelle besichtigt und ihn als überaus wertvoll bezeichnet. Nach seiner Ansicht handelt es sich um Goldarbeiten der alten Germanen, während andere Forscher zu der Ansicht neigen, daß man hier Arbeiten der Phönizier vor sich habe, die nor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden von der Ostseeküste aus landeinwärts zogen. * Kcsselcrplosion. Gestern nachmittag ereignete sich auf dem Schleppdampfer „Hedwig" in der Nähe des Dorfes Margarets) bei Nreslau eine Kessclexplosion, wobei derMa'chüüst Otto Wunder lich aus Labiau und der Heizer Helmuth Schlichting aus Jasnitz, Kreis Randow, derart verbrüht wurden, daß der Tod alsbald cintrat Helden der Pflicht. Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne Von Erich Friesen. b3. Fortsetzung u. Schluß. (Nachdruck verboten.) Einblös ün Hauptes überschreitet Erik die Schwelle. Die buntsarbenen Fenster werfen ein geheimnisvoll magisches Licht in das Dun kel des kleinen Raumes. Plötzlich bleibt er wie gebannt stehen. Auf den Altarstufen sitzt mit gefalteten Händen eine hohe, schwarzgekleidete Frauengestalt. Durch das leise Geräusch aufmerksam ge- macht, wendet sie den Kops. Freudiges Erschrecken durchzuckt Erik. Es ist Sigrid Arnoldsen. Auch über ihre clcnsten Züge huscht etwas wie Erschrecken. Einige Augenblicke verharrt sic noch in derselben Stellung. Dann geht sie ihm langsam entgegen. „Herr Niels! Sie —? . . . Wie Sie mich erschreckt haben! Sie kamen so unerwartet! Verzeihen Sie meine Ungastlichkeit!" Der etwas bebende, tiefe Ton ihrer Stimme durchzuckt ihn eigentümlich. Fast scheu ergreift er die dargereichte Hand. Kein Wort kommt über seine Lippen. Sie scheint seine tiefe Bewegung nicht zu bemerken. „Hoffentlich sind Sie mit der Ausführung Ihres Entwurfes zufrieden," sagt sie leiso, sich zur Ruhe zwingend. „Ja-" Seine Stimme klingt so hart und gepreßt, daß Sigrid ihn betroffen anblickt. „Herr Niels, sind Sie krank?" „Nein." „Weshalb sind Sie hergekommen? Ich dachte, Sie hätten Schloß Sandsgaard längst vergessen!" Er schweigt. Leichte Blässe überzieht sein Gesicht. „Vielleicht — vielleicht gedachten Sie, sich etwas zurückzuholen, was Ihnen gehört?" be ginnt sie abermals, mit Gewalt ihre Erregung niederkämpfend. „Als die Arbeiter die Trüm mer der Arendal-Ruine wegräumten — der Blitz hatte bald nach Ingeborgs Tod einge schlagen — da fanden sie —" Sic stockt und beißt sich nervös auf die Lippen. Er ist bleicher geworden. Eine Lange Ahnung durchzuckt ihn. „Da fanden sie — dies hier," vollendet sie, ein Päckchen vergilbter Papiere ans der Tasche ziehend. Ein seltsamer Blick streift ihr edelschönes Antlitz. Sie ist ebenso bleich wie er. „Nehmen Sie! Es ist Ihr Eigentum, Herr Niels." Schweigend steckt er die Blätter in die Brust tasche seines Ueberrocks. Dann wendet er sich mit einem leisen Seufzer ab. Kleine schwüle Pause. Den Kopf gesenkt, die Hand fest auf das klopfende Herz gepreßt, steht Sigrid vor dem finster zur Erde blickenden Manne. „Herr Niels —" beginnt sie aufs neue, diesmal fast zaghaft. Er wendet den Kopf nach ihr hin; doch blickt er sie nicht an. „Ich habe Ihre Aufzeichnungen gelesen," fährt sie leise fort, in dem vergeblichen Be mühen, ihre Stimme zur Festigkeit zu zwin gen. „Und —" „— und zürnen mir natürlich!" fällt er bitter ein. „Nein, mein Freund." Langsam hebt er die Augen zu ihr empor — Augen, in denen seine ganze Seele geschrie ben steht. „Herr Niels, diese alles umfassende Liebe — sie ist vorbei?" flüstert sie mit Anstrengung. „Sagen Sie es offen!" „Vorbei?!" ruft er heftig, indem er einen Schritt zurücktritt. „Nur der Tod endet meine Liebe!" Krampfhaft umspannt ihre Hand die ge schnitzte Lehne des hohen Kirchenstuhles, der neben dem Altar steht. „Welche Verirrung! Die Liebe eines Man nes zu einer zwei Jahre älteren Frau!" mur melt sie kaum hörbar. Ein bitteres Lächeln umspielt seine Lippen. „Ja, bemitleiden Sie nur den armen Nar ren, der es wagte, seine Augen, wenn auch nur in Gedanken, zu einem Wesen zu erheben, das Er bricht ab. Dor Platz, wo Sigrid so eben gestanden, ist leer. Sie muß die Kapelle verlassen haben. Mit einem tiefen Seufzer, der wie ein Stöhnen klingt, sinkt er auf den Stufen des Altars nieder. „O, ich einfältiger, bemitleidenswerter Tor, sie, die Stolze, Herrliche, mit meinem Jam mer zu behelligen!" ächzt er, das Gesicht mit den Händen bedeckend. Im Hintergrund der Kapelle lehnt Sigrid. Ihr Herz ist ebenso voll wie das seine; doch ihre stolze Natur sträubt sich noch, es zu ge stehen. Die Hand auf das wildpochende Herz ge preßt, bewegt sie sich lautlos ein paar Schritte vorwärts — hin zu ihfn, der dort trauernd, verzweifelnd zu Füßen des Altars kniet! . Jetzt steht sie dicht hinter ihm. Noch cin paar Sekunden zögert sie — dann berührt ihre Hand leicht seinen Arni. Er cheinl es nicht zu bemerken. Bewegungs los verharrt er in derselben Stellung. Da schlingt sich ein weicher Arm um sei nen Hals. Schlanke, bebende Finger lösen hurst seine Hand von seinem Gesichc, und eine zarte Wange schmiegt sich an die feine. Wie geistesabwesend blickt er auf. Er be greift noch nicht gleich — — „Erik! Lieber Erik!" flüstert ihr lächelnder Mund. Und ihre Lippen finden sich in einem lan gen Kuß. Ueber ihnen aber erstrahlt in ihrer ganzen märchenhalten Pracht die dunkelglühcnde, zau berhafte Mitternachtssonne!