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ÄMM ftii HihMiMiUhlllcr Tageblatt. Nr ISS Dienstag, de« 6 Mai ISIS 4V. Jahrgang Helden der Pflicht. Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne Von Erich Friesen. 40. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Einige Tage sind oergangen. Lorenz Jqsperfsn und sein inzwischen ein- getroffener Komplize sind in vollster „Arbeit". Niemand würde in dem nach neuester Kammerdienerinode gekleideten Herrn mit den militärisch geschnittenen Haaren und dem glatt rasierten Gesicht den ehemaligen zerlumpten Bettler Jakob wiedererkennen, der jahrelang als „ Taubstummer" Christiania unsicher machte und dann lange Zeit als „Idiot" Tromsö und Umgebung abstrolchte. Gestern hat Lorenz seiner Wirtin drunten am Hafeu mitgeteilt, er wolle ausziehen. De ren verwunderte Frage, ob er plötzlich mit seiner bisherigen Wohnung unzufrieden sei, verneint er mit gesucht verlegener Miene. Er wolle sich wohl verheiraten — neckt sie. „Hm, das gerade nicht —" erwidert er, die Rolle des Verlegenen geschickt weiter spielend — „aber, hm — sowas ähnliches — Sie ver stehen mich —" „Ich verstehe. Und da ist Ihnen diese Wohnung zu klein, was?" „Hm, ja. Aber ich zahl' Ihnen einen Mo nat drauf, damit Sie nicht durch mich zu 'chadsn kommen, liebe Frau Petersen." Die Frau knixt und lächelt vielsagend. Vor etwa einem Jahr munkelte man näm lich allerhand über eine gewisse Karin Lewis, die Lorenz auf einem Balle kennen gelernc. Zwar hat man in letzter Zeit nichts mehr über die beiden gehört — aber wer weiß), wie die Sachen in Wirklichkeit stehen! Dies und noch manches andere drückt Frau Petersens Lächeln aus. Und Lorenz hat wie- der einmal seinen Zweck erweicht. Jetzt heißt es für ihn, eine passende Woh» nung finden — am besten ein Häuschen zum Alleinbewohnvn in einer abgelegenen Gegend, wo man völlig unbeobachtet und ungestört ist. Der Diener Iakob wird aus die Suche ge schickt; er entdeckt auch bald das Gewünschte: ein kleines, mitten in einem Garten liegen des, von eurem hohen spitzen Zaun umgebe nes möbliertes Haus im sogenannten „Jonas- Gehölz" — einer nicht im besten Rufe stehen den Gegend außerhalb Christianias, in der zum größten Teil Artisten und die Boheme niedrigster Sorte ihr Heim aufschlagen. Iakob mietet das aus fünf Zimmern be stehende Häuschen im Namen seines Herrn, als dessen Kammerdiener er sich ausgibt Er zahlt die Miete für ein Vierteljahr im voraus und engagiert eiire ältere Frau als „Wirt schafterin" und ein junges, einfältig drein schauendes Mädchen als deren Hilfe. Soweit ist alles gut vorbereitet. Jetzt heißt es nur noch, Ingeborg, die seit ihrer Ankunft in Christiania unter anderem Namen ganz zurückgezogen in einer kleinen Privatpension lebt, zum dauernden Annehmen des für sie bestimmten Namens zu bewegen. Es hat Lo renz ja einen hübschen Batzen Geld gekostet, von der Pfandleiherswitwe Sarah Lewis in Tromsö die aus den Namen ihrer Tochter lau tenden Papiere berauszukriegen. „Wenn nun meine Tochter wieder auf taucht?" hatte die Frau ängstlich gemeint — weniger aus neu erwachender zärtlicher Mut terliebe, als aus Spekulation, um den Preis hinaufzuschrauben. „Blödsinn!" hatte Lorenz geantwortet. „Die ist ausgewandert. Nach Paris, wie man mun kelt. Auch macht die ihren Weg allein — ohne Papiere rind Mutter — verlassen Sie sich drauf." So wurde der Pakt zwischen Lorenz Jes persen und der Pfandleiherswitwe Sarah Le wis perfekt — und kein Mensch aus dem Be kanntenkreise des jungen Versicherungsbeamten wird sich sonderlich wundern, wenn er die schöne „Karin Lewis" nun doch noch als seine Gattin heimführt. Nur eines gibt es dabei zu bedenken: nie mand, der die wirkliche „Karin Lewis" kannte, darf je „Frau Jespersen" zu Gesicht bekommen. Doch dafür wird er schon sorgen. Der schwan kende Gesundheitszustand seiner Gattin wird völlige Abgeschlossenheit ohnehin zur Notwen digkeit machen. Und später — später — — Weiter geht Lorenzens Gedankengang noch nicht, ohne daß ein Gruseln seinen Rücken hinabrinnt. Doch wozu auch bereits jetzt daran denken! Kommt Zeit, kommt Nat! Dor Einzige, den Lorenz in der ganzen Sache fürchtet, ist Erik Niels, von dessen Ener gie und Ehrenhaftigkeit er eine gar hohe Meinung hat. Aber vorläufig ist der ja außer Schuß weite. Und wenn er zurückkehrt, wird es nicht schwer sein, ihn von dem kleinen Hause Nr. 5 im Jonas-Gehölz fern zu halten. Lorenz kennt Eriks strenge Grundsätze; wie ost hatte er sich geärgert über dessen KopfsäMteln, so bald die Rede auf seine Bekanntschaft mit Karin Lewis kam. Und wer weiß, was bis zu Eriks Rück kehr alles passiert ist — 20. Kapitel. Ein feuchtkalter nordischer Novembertag. Grauschwarz der Himmel mit seinen tief hängenden Wolken. Dick und dumpf die Luft. Winterstimmung. Vor dem geöffneten Tore des kleinen Hau ses Jonas-Gehölz Nr. 5 hält soeben am ge schlossener Wagen. Galant hilft Lorenz Jespersen seiner jun gen Gattin beim Aussteigen. Der Kammer diener Jakob schließt den Wagenschlag. Am Arm ihres Gatten hält „Frau Krrin Jespersen" Einzug in ihr neues Heim. Freilich — es bedurfte Lorenzens ganzer Ueberredungskunst, um Ingeborg dazu zu be wegen, auf dem Standesamte ihren Namen als „Karin Lewis" einzutragen. Es sei eine Lüge — meint sie. Und eine Lüge sei eine Sünde. Er jedoch wußte ihr so überzeugend vorzulalten, eine Lüge sei nur dann verwerf lich, wenn man sich damit eigenen Vorteil ver schaffen wolle. Wenn man aber dadurch andere glücklich mache, so sei eine Lüge nicht nur er laub:, sondern sogar ein gutes Werk. So trug also Ingeborg mit zitternder Hand den falschen Namen in das Protokoll ein. Es ist ja ,ür die beiden, die sie liebt: für Tante Sigrid und Erik Niels! . . . Lorenz ist in bester Laune. Die Haupt- 'chwierigkeiten siua überwunden. Wenn Erik zurückkehrt und von Lorenzens Verheiratung mit Karin Lewis hört, wird er die Achseln zucken und zu einein anderen Gesprächsthema übergehen. Auch Ingeborg ist heiterer als seit langem. Ter eu.scheidcnde Schritt ist getan. Sie kommt sich vor wie eine Märtyrerin, die für ihr Höch stes leidet — mit Freuden leidet. . Vor ihren Augen versinkt das unansepn- liche Hänschen, an dessen niedriger Tür Fran Wiborg, die alte Haushä terin, in schwarzem, steif abstehendem Seidenkleid, und Stine, das blonde Stubenmädchen, kniren. — Schloß Saudsgaard steigt empor, das alte traute Heim, auf dessen breiter Stckntreppe Erik und Tante Sigrid stehen, Hand in Hand und ein ander mit glückseligem Lächeln in die Augen blicken . . . Und lächelnd läßt Ingeborg sich von der alten Wiborg in ihr Zimmer führen und Hut und Mantel abnehmen. Jetzt nähert sich Jakob, der bisher in re spektvoller Entfernung gestanden, semem Herrn. „Hurra, sie ist mein!" ruft Loren; gedämpft in diabolischer Freude, den anderen derb auf die Schulter klopfend. „Trink auf das Wohl des jungen Paares, Jakob!" Rasch füllt er zwei Gläser mit Champagner und hält Jakob eines davon hin. Dieser nimmt es nur zögernd. Mißtrauisch schielt er nach den lebhaft geröteten Zügen seines Herrn. (Fortsetzung folgt.)