Volltext Seite (XML)
ÄüM n!m HchmßriilHnlßthlilrr Amnzn Tageblatt. Nr. 103 Mitttvoch, den V Mm 1913 40. Jahrgang Helden der Pflicht. Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne Von Erich Friesen. 41. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Hol der Kuckuck Dein Unkengesicht!" höhnt Lorenz. „Was grübelst Du Dir zusammen? Sei fröhlich mit mir! Wir sind am Ziel!" „Hm, ich fürchte —" knurrt Jakob. „Na, was denn, alter Brummbär?" „Sie verlieben sich in das junge Dingi." Lachend schlägt Lorenz sich aufs Knie. „Nee, Jakob! Keine Angst! 's Geschäft gelft vor . . . Pst, sie kommt!" Rasch tritt Jakob zurück. Seine lange, dürre Gestalt nimmt wieder die unterwürfige Haltung des Dieners an. Lorenz aber geht seiner Gattin mit unbe fangenem Lächeln auf den Lippen entgegen. „Komm, liebe Karin, wir wollen unjer Hochzeitsmahl einnehmen." Die Lebensvcrsicherungsgesellfchaft „Skandi navier" wundert sich nicht im geringsten, als Lorenz Jespersen bereits wenige Tage nach seiner Verheiratung das Leben seiner jungen Gattin versichern will. Der übliche Fragebogen wird vorgelegt und von Lorenz beantwortet. Drei dieser Fragen mit den betreffenden Antworten lauten folgendermaßen: 1. Höhe der Versicherungssumme? . . . Fünfzigtausend Kronen. 7. Ist die zu versichernde Person mit einer Krankheit behaftet, die ihr Leben verkürzen könnte, wie Herzfehler, Lungenleiden, Krämp e oder Geistesgestörtheit irgend welcher Art? . . . Nein. 10. Ist die zu versichernde Person bereits in ärztlicher Behandlung gewesen, und wenn so, bei welchem Arzt? . . . Dr. Nicolas, Chri- stiama, Oestergade 17. Schriftlich fragt die Lebensversicherungsge sellschaft „Skandinavia" bei Dr. Nicolas an, welches Zeugnis er dem allgemeinen Gesund heitszustand der Frau Karin Jespersen, geb. Lewis, ausstellt — unter Geheimhaltung des Grundes dieser Anfrage. Umgehend erwidert der Arzt, der vor Mo naten auf Lorenzens Wunsch die wirkliche Ka rin Lewis einmal während einer vorübergehen den Erkältung behandelt batte, Frau Karin Jespersen besitze eine vorzügliche Konstitution. Nach diesen, unparteiischen Zeugnis nehmen es die Vertrauensärzte der „Skandinavia" nicht mehr sehr genau — zumal es sich um die Gattin eines Beamten der Gesellschaft handelt. Nur oberflächlich, gewissarmaßen „pro forma", untersuchen sie Frau Jespersens Herz und Lunge — und schon nach acht Tagen hält Lorenz die auf fünfzigtausend Kronen lautende Lebensversicherungspolice in den Händen. Noch acht Tage später — und Ingeborgs Leben ist bei zwei anderen Gesellschaften ver sichert, der „Union" und der „Norwegia", mit je der doppelten Summe. Während noch die Verhandlungen mit einer vierten Gesellschaft, der „Exzelsior", schweben, zieht Ingeborg sich eine leichte Erkältung zu. Sie hustet und klagt über Kopfschmerzen. Jakob macht seinen Herrn darauf, aufmerk sam, daß es gut wäre, gerade jetzt einige sei ner Kollegen von der „Skandinavia" und den anderen Lebensverficherungsgesellschaften einzu laden. „Kleine Ursachen haben oft große Wirkun gen, Herr. Und wenn Frau Jespersen plötz lich sterben sollte, so schadet es nichts, wenn die Herren sich von ihrer vorhergegangenen Unpäßlichkeit selbst überzeugt haben." Als die beiden Gatten an demselben Abend am Teetisch sitzen und Ingeborg, den schmer zenden Kopf in die Hand gestützt, mit müdem Ausdruck in den lieblichen Zügen vor sich' hin blickt, äußert Lcrenz plötzlich in bedauerndem Tone: „Es trifft sich recht unglücklich, liebe Kann, daß Du Dich so schlecht fühlst. Ich habe ein paar Kollegen für morgen zum Mittagessen «äugelnden und möchte gern, daß mein Frau chen so vorteilhaft wie möglich aussieht." Mit mattem Lächeln hebt sie den Kopf. „Ich hoffe, es wird morgen besser sein, Lorenz." „Wirklich? Ich wollte meinen Kollege» schon absagen." „Nein." Lorenz scheint noch unschlüssig zu sein. „Darf ich Dir einen Rat geben, Karin?" „Bitte „Nimm ein Paar Tropfen Arznei, damit Du morgen wieder ganz frisch bist!" „Es ist wirklich nicht so schlimm, Lorenz!" „Dann zwingst Du mich, den Herren ab- zusagen. Ich darf meiner Frau nicht die Pflichten der Wirtin aufbürden, wenn sie sich nicht wohl fühlt." Ingeborg ist stets bemüht, ihrem Gatten nach Kräften jeden Wunsch zu erfüllen — zu mal er sein Versprechen, sic auch fernerhin nur als gute Kameradin zu behandeln und keiner lei Liebkosungen von ihr zu beanspruchen, ge treulich hält. So gibt sie auch diesmal seinem Drängen nach. „Wenn Du meinst, so will ich die Tropfen, von denen Du sprachst, nehmen." „Recht so, mein Kind. Ich hole sie Dir selbst aus der Apotheke." Er reicht ihr dis Hand und verläßt rasch das Zimmer. Wieder stützt Ingeborg nachdenklich den Kopf in die Hand. Sie fühlt sich nicht gerade unglücklich. Das Wechseln ihres Namens unter so seltsamen Umständen hat einen eigenen Reiz auf ihr cmMngliches Gemüt ausgeübt. Wie sagte Lorenz einmal zu ihr, als er den letzten Res! ihrer Bedenken zerstreuen wollte? „Du vereinigst gewissermaßen zwei Personen in Dir. Du bist meine Karin und Fräulein Arnoldsens und Eriks Ingeborg!" Jr, er hat recht. Geradeso empfindet sie. In ihrem Herzen ist sie noch immer Inge borg Valetti; aber um Tante Sigrid und Erik Niels glücklich zu machen, mußte sie auch Kari» Jespersen werde». Die Gedanke» an diese beiden geliebte» Menschen bilden »och immer de» Mittelpunkt ihres gauzen Seins; Lorenz Jespersen und seine Frau Kari» si»d für ihre» kranken Geist nnr Mittel, um das Glück jener beiden zu begründen. — Ani nächsten Morgen fühlt Ingeborg sich merklich schlechter. Die Tropfen, die Lorenz ihr eingegeben, enthalte» keine gefahrbringende» Substanzen, aber sie genügen, um auf ihre zarte, überaus empfindliche Konstitution momentan ungünstig einzuwirke». Ihre Wange» si»d auffallend bleich, ihre Auge» matt und glanzlos. Lorenz bittet sie nochmals dringend, auf ihrem Zimmer zu bleiben, so schmerzlich es ihm auch sei, sie heute bei Tisch misse» zu solle». Selbstverständlich will sie davon nichts wis sen. Und »ach verschiedenem Hin- und Her- rede» setzt sie ihren Willen durch — das heißt: es geschieht das, was Lorenz iin stille» wünscht und was er so sorgfältig vorbereitet. So präsidiert chso Karin Jespersen an der Mittagstafel. In ihrer geisterhaften Bläffe, mit dem weltverlorenen, verschleierte» Blick ihrer großen blauen Augen siebt sie zwar über irdisch lieblich aus, wie ein Wesen aus einer andere» Welt — aber leidend, ach, io schwer leidend, als solle sie sofort ins Mmb sinken. Mit gemischten Gefühle» blicke» die fünf geladenen Versicherungsbeamten auf die kranke Iran — voll Bewunderung für ihre Anmut und Energie, niit der sie sich aufrecht erhalt, und voll Bedauern für die sicher bchd fälligen Lebcnsvsrsicheruitgssummen. (Fortsetzung folgt.)