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VMM DM WttMMnWln A»DM Tsgeblstt. 4«. Jahrgang Donnerstag, den 24 April 1NL3 Rr »3 Helden der Pflicht Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne. Von Erich Kriese«. :it. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Keinerlei Bewegung spiegelt sich in Inge borgs stillen Zügen wider, so besorgt auch Sigrid das bleiche Gesicht beobachtet. Richin, last teilnahmslos entgegnet sie: „Ja, liebe Tante. Ich werde auf meinem Zimmer bleiben." Kopfschüttelnd verläßt Sigr.d das Schlag gemach ihrer Nichte. Ein lauter Schmerzens ausbruch, heftiges Weinen, Schluchzen — al les wäre ihr lieber gewesen, als diese stille Resignation. Diesss äußerliche Ruche weicht auch nicht, als Ingeborg wieder allein ist. Nur die Hand preßt sie auf das wildklopfende Herz, als fürchte sic, es müsse springen vor Weh. Warum kommt er? . . . Gewiß treibt ihn seine Sehnsucht her! Sehnsucht nach der Tante! . . . Und sie steht den beiden noch immer im Wege! O, könnte sie verschwinden vom Erdboden! Könnte sie — —' Huschende Schritte draußen vor ihren Heu stern lassen sie plötzlich auflauschen. Seltsamerweise erschrickt sie nicht. Auch nicht — als es gleich darauf leise dreimal rasch bintereinander an die Scheiben pocht. Im Gegenteil — es ist, als ob eine uw sichtbare Macht sie hintreibe zum Fenster. Ohne Zaudern zieht sie den Vorhang weg. An die Scheiben gedrückt, grinst ihr aus der Morgendämmerung das häßliche Gesicht des unheimlichen Bettlers entgegen. Unwillkürlich weicht sie in die Mitte des Zimmers zurück. Schon will sie um Hilfe rufen, als es abermals ans Fenster pocht — diesmal lauter, eindringlicher. Wie mechanisch nähert Ingeborg sich wie der dem Fenster. Der Bettler macht allerhand Zeichen. Soll sie öffnen? Will er etwas sa gen? Fast scheint es so. Widerwillig, aber noch immer unter dem Zwange jener unsichtbaren Macht, offner sie ein Fenster. Eisigkalter Gletscherwind haucht herein in das mollig durchwärmte Gemach. „Fürchten Sie sich nicht, Fräulein! Ich bin ein Bote des Herrn Jespersen," flüstert der Bottler, seine rauhe Stimme nach Kräf ten dämpfend. „Ich treibe mich schon stun denlang hisc in der Nähe herum, um Sie zu sprechen. Lesen Sie das hier. Schnell!" Zitternd nimmt Ingeborg einen schmutz! gen, salb zerrissenen Zettel in Empfang und überfliegt die wenigen mit Bleistift hingewor- senen Zeilen: „Erik Nie s kommt heute abend nach Schloß Sandsgaard! Wollen Sie wieder ein Gegenstand des Mitleids sein? Wollen Jie jenen beiden auch ferner im Wege stehen? Antworten Sie mir durch meinen Boten! Ich stehe zu Ihrer Vevfügung." Einen Augenblick ist es Ingeborg, als ver sinke der Boden unter ehren Füßen. Gewalt- wm rafft sie sich auf. „Können Sie mich sofort mit Herrn Jes persen in Verbindung setzen?" flüstert sie atem los. — Der Bettler nickt. „Ich habe weder Bleistift noch Papier hier. Wollen Sie ihm meine Antwort bestellen?" Erneutes lebhaftes Nicken. „Sagen Sie ihm —" Sie zögert. Ihr ist, als ob ihr guter Eiigel sie warne. „Aus Mitleid,!" spotten dagegen tausend kleine Teufelchen. Da beißt sie die Zähne fest auseinander. Und während ilx ganger Körper wie im Fie berfvost zusammenschauert, raunt sie dem Bett ler hastig zu: „Heute abend nach neun Uhr an diesem Fenster! Ich bin bereit! 16. Kapitel. Tiefes Dämmerdunkel liegt bereits über Schloß Sandsgaard und dem einsamen Fel- senparl, als Erik Mels, gerade wie damals, draußen an dem eisernen Tae die verrostete Glocke läutet. Und gerade wie damals offnen die schweig same Alte. Und gerade wie damals schreitet er durch dichten Nebel, an grotesken Felsen und selt samem Gestein vorbei, dem düster vor ihm aufragenden Gebäude zu. Er ist nicht ganz so ruhig, wie er es sein möchte, der brave Erik. Eine seinem gesun den Naiurell sonst fremde Nervosität hat ihn gepackt. Er kann sich nicht verhehlen, daß der Schritt, den er zu mn vor hat, ihm schwerer fällt, als er gedacht. Schon jetzt erregt ihn der Anblick der alten Schloßmauern mächtig, er hatte nicht geglaubt, sie je wiederzusehen. Noch wenige Minuten — und er steht der Herrin von Schloß Sandsgaard gegenüber. Sigrid Arnoldsen begrüßt den ehemaligen Zeichenlehrer ihrer Nichte mit ruhiger Würde. Sie spricht ihm ihre Freude aus, ihn wieder zusehen und fügt hinzu, während ein prüfen der Blick aus ihren schönen ernsten Augen sein frisches, in diesem Moment besonders lebhaft gefärbtes Gesicht streift, er sehe sehr wohl aus. Dankend verbeugt er sich und bemerkt, er würde es incht gewagt haben, Fräulein Ar noldfen in ihrer Einsamkeit zu stören, wenn er nicht eine wichtige Frage auf dem Herzen hätte, die er nur mündlich stellen könne. Sie lächelt — ein wenig verwundert, un gläubig. Dann bittet sie ihn, in dem Zim mer, das er früher inne gehabt, etwas aus- zuruben und um halb sieben Uhr zum Abend essen herunterzukommcn. „B'tte, kein Wort von Ihrer angedeuteten Frage vorher!" fügt sie lächelnd hinzu. „Wich tige Sachen soll man stets nach dor Mahlzeit »erhandeln; die Stimmung ist dann eine bessere." Als Erik nach einer Stunde den Speise saal betritt, findet er zu seiner Uebevcaschung Konsul Sven Daland vor. Einen Augenblick ist er unangenehm be rührt. Tann sagt er sich, indem er ein bit teres Gefühl, das ihn unwillkürlich br'chleicht, tapfer l inunterfchluckl: „Vielleicht ist es am besten so. Sicher kam der Schiffsreeder hierher, um sich das Jawort der Hervin von Schloß Sandsgaard zu holen. So wird die ganze Angelegenheit gleich nach allen Seiten hin geklärt!" Sven Daland begrüß: den jungen Mann wie stelS kühl höflich: „Es freut mich, daß es Ihnen gut geht." Nichts weiter. Keine Silbe über Gerda Jespersens Tod. Keine Bemerkung über Eriks plötzliches Ausgeben seiner Stellung in Schloß Sandsgaard. Keine Frage wegen seines heu tigen Herkommens. Das Abendessen verläuft schweigsam. Wie ein Druck liegt es auf allen Gemütern. Nach dem Mahl fordert Sigrid die beiden Herren auf, sie in den kleinen Salon zu be gleiten. Ein Diener reicht Mokka in winzigen Tassen herum, und man gruppiert sich um den Kamm, dessen hcllslackerndes Feuer angenehme Wärme verbreitet. „Nun Herr Niels —" beginnt Sigrid, in dem sie sich bequem in ihren Sessel zurück- lei nt - „ich bin sehr neugierig auf Ihre ge heimnisvolle Frage. Sie können ruhig vor Konsul Daland sprechen. Er hat sich mir stets als Freund bewiesen und ist in alles, was Schloß Sandsgaard bekifft, eingeweiht. Darf ich bitten?" Wieder bezwingt Erik ein unangenehmes Gefühl. Ec hätte gewünscht, Fräulein Arnold sen in der für sie beide so wichtigen Ange legenheit allein sprechen zu können. Betrachtet sie den Schiffsreeder bereits als vollkommen zur Familie gehörig? . . . Nun wohl, um so mehr wird sein Vorschlag sie erfreuen, da er ihr die Sorge für ihre Nichte abnimmt und sie ruhig und heiter in die Eh« mit Konsul Daland — — — (Fortsetzung folgt.)