Volltext Seite (XML)
LMM iiw Hihniüttii EriiUjliln Asingn Tageblatt. Nr S4 Freitag, de« SS April ISIS 40. Jahrgang Helden der Pflicht. Ein Roman aus dem Lande der Mitternachtssonne. Von Erich Friese». 32. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Warum stockt plötzlich sein Gedankengang? Ist es, weil in diesem Augenblick die kunst volle Bronze-Uhr auf dem Kamin silberhell zu schlagen beginnt? Schon halb zehn Uhr! . . . Erik raßt sich auf. „Zuerst möchte ich eines betonen," beginnt er mit wiederorwachender Energie. „Ich hoffe, Sie beide sind überzeugt, daß mich keine an deren Motive zu meiner Frage bewegen, als nur der Wunsch, Fräulein Ingeborg und —" er zögert ein wenig — „und dadurch auch Sie gnädiges Fräulein, glücklich zu sehen. Ich selbst wäre niemals auf. den Gedanken gekom men; Sie sind es gewesen, Fräulein Arnold- scn, die ihn zuerst berührte." Etwas belangen blickt er Sigrid an, eine Antwort erwartend. Vergebens. Zwar drücken ihre Züge lebhafte Span- nung aus; doch erwidert sie nichts. Konsul Daland dagegen hüstelt leise in sich hinein und versucht, fein ansteigendes Mißtrauen hinter einer gelangweilten Miene zu verbergen. „Sie sagten mir einmal vor Wochen —" fährt Erik auf eine aufmunternde Handbe wegung der Schloßherrin fort — „Sie glauti- ten, Fräulein Ingeborgs Neigung zu mir sei keine ihrer fixen Ideen, sondern entspringe ih rem normalen Empfinden. Denken Sie heute noch ebeniso?" Konsul Dalands forschender Blick glaubt zu bemerken, wie die Wangen der Schloßherrin um einen Schatten bleicher werden. Doch viel leicht hat er sich auch geirrt; denn mit fester Stimme erwidert sie: „Ja, Herr Niels. Ich denke heute noch ebenso." „Sie sagten auch, Sie glaubten, mein dau ernder Einfluß würde auf Ihre Nichte günstig einwircken, ja, sie voraussichtlich ganz gesunden lassen. Ist es so, gnädiges Fräulein?" „Ja, Herr Niels. Es ist so." „Und wenn ich nicht irre — fielen dabei aus Ihrem Munde folgende Worte: „Wären Sie frei, so würde ich Ihnen sagen: Meine Nichte ist ein liebes gutes Geschöpf. Ver suchen Sie, sie wicdevznlieben und — —" Entsinnen Sie sich noch, Fräulein Arnoldsen?" „Ich entsinne mich." Eriks Blicke richten sich träumerisch in die Ferne, als sähe er dort eine herrliche Zu kunft, umstrahlt von Glück und Liebs, empor steigen . . . Doch nur einige Sekunden dauert diese „Schwäche". Dann streicht er sich mit der Hand über die Stirn. „Die Voraussetzung, unter welcher jenes Gespräch fiel, ist geschwunden," fährt er lener und etwas zögernd fort. „Ich bin frei; meine arme Braut ist tot. Ich habe Fräulein Inge borg sehr gern; ich verehre Sie, gnädiges Fräulein, hoch. Wenn Sie also noch immer jene Ansicht hegen, so möchte ich Sie hiermit um — um — — die Hand Ihrer Nichte bit ten." — Konsul Daland, dec sich gerade eine neue Havanna anstecken wollte, läßt vor Ueber- raschung das brennende Zündhölzchen fallen. Eriks Blicke hängen am Boden; sonst würde er bemerken, wie eine Träne sich lang sam von Sigrids Wimpern löst. Erst als er ihre Hand sanft feinen Arm berühren fühlt, sieht er sie an und ist überrascht über das selt same Leuchten in ihren Augen. „Mein lieber Freund —" sagt sie leise, mit leicht vibrierender Stimme, die ihn bis ins Innerste erbeben läßt — „Ihr Anerbieten macht Ihrem guten Herzen alle Ehre. Trotz dem darf ich es nicht annehmcn. In Ihrem Idealismus betrachten Sie dies Opfer als ein geringes nach den: vor kurzem erst erlittenen Schmerz über den Tod Ihrer Brant. Aber Sie sind noch jung und haben ein ganzes Le ben vor sich; Sie dürfen nicht — — genug davon! Ich danke Ihnen von Herzen für die sen Beweis Ihrer Freundschaft; aber ich will das Glück meiner Nichte nicht durch ein edel mütiges Opfer des Mannes erkaufen, den ich —" sie zögert, während leise Röte ihre Wan gen fprbt — „den ich so hochschätze!" „Edelmütiges Opfer!" mischt sich zum er stenmal Konsul Daland in das Ge'präch und zwar mit bei ihm ungewohnter Lebhaftigkeit. „Ich kann die Sache wirklich nicht in dieser bengalischen Beleuchtung sehen, teure Freun din. Herr Niels würde sich nicht um Inge borgs Hand bewerben, wenn die junge Dame ihm antipathisch wäre." „Gewiß, Herr Konsul!" bestätigt Erik mit Wärme. „Ich bettachte diese Verbindung so gar als ein Glück für mich." Ernst und forschend ruhen Sigrids klare Augen auf dem jungen Manne. Sie weiß, daß die Begeisterung, in die er sich hineinzu reden versucht, eine erkünstelte, unnatürliche ist. Ruhig hält Erik den Blick, der ihm bis in die Seele zu dringen scheint, aus. Es gilt ja ihr Glück! „Ich schlage vor, wir überlassen die Ent scheidung Fräulein Ingeborg," gibt er zu be denken. „Entweder ich selbst frage sie, oder Sie tun es für mich, gnädiges Fräulein. Wenn sie einwilligt, meine Gattin zu werden, so heiraten wir in einem Jahr oder in zwei Jahren — ganz nach ihren: Belieben. Sollte ihre Neigung für mich doch nur Einbildung gewesen sein, so wird sie es während dieser Zeit herausfinden. Das Verlöbnis kann als dann aufgehoben werden. Ich werde mich während dieser Zeit bemühen, ihr ein Heim zu gründen und —" „Verzeihen Sie einen Augenblick!" ruft Sigrid dazwischen. „Mir ist, als höre ich im Garten leise Fußtritte." Alle lauschen angestrengt . . . Nichts ist hörbar. „Fahren Sie, bitte, fort!" bemerkt Sigrid nervös. „Ich füh e mich heute nicht recht Wohl. Verzeihen Sie die Unterbrechung." „Ich habe nichts mehr hinzuzufügen," er widert Erik ernst. „Ob Ihre Nichte von mei nem Antrag Kenntnis erhalten soll oder nicht, überlasse ich Ihrem Ermessen, Fräulein Ar- nold'eu. Nur eine Bedingung stelle ich —" „Und die wäre?" „Daß Fräulein Ingeborg, ^alls sie meinen Antrag aunimmt, keine Mitgift erhält." Wieder tri ft den jungen Mann jener eigen tümlich leuchtende Blick aus den dunklen Frauenaugen, während das Gesicht des Schiffs reeders spöttisches Lächeln verzieht. „Gut denn, meine Freunde!" ruß Sigrid nach kurzem Besinnen mit heiterm Lächeln, in das sich ein wenig Wehmut mischt. „Ueber die Hauptsache sind wir einig. Ich werde Ingeborg Ihren Antrag mittcilen — aber nicht sofort; ich muß einen günstigen Zeit punkt abwartcn. Als ich sie vorhin in ihrem Zimmer allein ließ, befand sie sich in einem derartig erregten Zustand, daß ich mst fürchte, die plötzliche Freude könne sie töten. Sie klammerte sich an mich, sie küßte mich voll leidenschaftlicher Zärtlichkeit, sie schluchzte herz brechend — geradeso, als ob wir für immer auseinandergingen. Armes, liebes Kind! Sie tun wirklich ein gutes Werk, Herr Niels, wenn Sie diese gedrückte junge Menschenseele wieder aufrichtsn und dem Sonnenlicht des Glücks zufllhren. Und nun —" sie bewegt sich nach der Tür — „entschuldigen Sie mich für kurze Zeit, meine Herren! Ich will sehen, wie es meinem kranken Vögelchen geht. Ich bin wirklich heute seltsam unruhig." In diesem Augenblick verkünden Uhrschläge vom Kamin her die zehnte Stunde. (Fortsetzung folgt.)