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UMW «M HohMni-LriiWliltt .üiiagn Ta geblstt. Nr 8«. Mittwoch, de« S April IMS 4« Jahrgang Helden der Pflicht Ein Nonian aus dein Lande der Mitternachtssonne Von Erich Friesen. 18. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Und Ingeborg-? . . . Sic leidet heute unter einer gang eigenen Gemütsdepression. Müde und gleichgültig gegen alles nm sie her, liegt sie auf einer Chaiselongue, in der Hand einen Band Ge dichte. Jedoch liest sie nicht. Ihr Kopf schmerzt. Sie dreht sich hin und her - es wird nicht besser. Sie springt aut, schleudert das Buch zu Boden, wirft ihren blauseidenen Schal um die Schultern und öffnet das Fenster. Der Nachmittag ist klar und frisch. Eine leichte Brise weht vom Meer herauf und kiih t ianst Ingeborgs brennende Stirn. Ein unbezwingliches Verlangen befällt sie, cmen Spaziergang durch das Felsenlabhrinth da unten, zu machen, fester hüllt sie sich in ilren Schal', wie der Wind eilt sic durch die Halle, dic Steintreppc hinab. Unlcn blickt sic sich ein wenig scheu nm. Noch niemals ist sie ohne die Tante in die sem Jelscnlabyrinth gewesen. Und nun gar bei a.nbrcchcnder Dunkelheit! Trotzdem — sic. liebt die Dämmerung, weil das Ungewisse, Myflstchc des Dämmerlichtes ihre Nerven an genehm erregt. Auch heule rillt sic eine eigentümliche Emp sindung ihren Körper durchrieseln — halb Einzeln, halb Wohlbehagen. Instinktiv iuchl sie, dieses ncrvenkitzelnde Prickeln zu vcrslär kcn. Planlos läuft sie zwischen all den gro Heu und kleinen Felsblöcken umher, indes der Wind stärker daherbläst und das Gekreisch eines Uhu schaurig dic Lust durchgellt . . . Jetzt steht sie vor einem Felsen, der be sonders grotesk gefornu ist. Wie das Riesen- proil eines vorsintsluitlichen Ungeheuers glotzt er daher mit unförmig.m Hörnern und weit ausgciperrlem Nachen, Stets lat Ingeborg diesen Felsblock mit einer Art Abneigung bewachtet. Heute üben seine verschwommenen Konturen einen eigenen Zauber auf sie aus. Langsam umschreitct sie ihn. Jetzt bleibt sie stehen und blickt mit lauschend vorgebeugtem Oberkörper hinauf zu der grotesken Silhouette. Da löst sich von dem Steinkoloß eine dürre, zerlumpte Gestalt und kommt direkt auf Inge borg zu. In dem Dämmerdunkel erscheint sic dcm Mädchen riesenhaft, ungeheuerlich, grausen- erregend. Sie will schreien: doch kein Ton entringt sich ihren bebenden Lippen. Mit abwehrend ausge- streckteu Händen, die Augen unbeweglich auf die unheimliche Gestalt gerichtet, steht sic wie er starrt. Nun zieht der Mensch aus der Tasche einen Zettel und will ihn ihr reichen. Mit Aufbieten all ihrer Kräfte reißt sich Ingeborg von dem sie entsetzenden Anblick los. Die Hände über dcm Kopf znsammengeschlngen, stürzt sie in wilder Flucht dem Hause zu, wäh rend der Bettler eiligst über die Mauer hinweg verschwindet. Ingeborg ist momentan keines klaren Ge dankens fähig: alles wirbelt durcheinander in ihrem armen Hirn. Atemlos stürzt sie in dic Bibliothek. „Tante! Tante!" Das Gesicht mit den Händen bedeckend, sinkt sic neben dcm Stuhl, in dem Sigrid Arnoldsen zu dieser Zeit gewöhnlich sitz', in die Knie. Alles klare Empfinden, das sic noch besitzt, gipfelt in dem Gedanken: dic Tante kann mich beschützen! Sic vermutet dic Tante in der Bibliothek — also sieht dieselbe auch dort. Keiner ihrer Sinne funktioniert in diesem Mo ment normal. „Taute! Tante!" schreit sie aufs neue in Todesangst auf. „Nimm mich in Deine Arme! Nette mich vor etwas Schrecklichem!" Erik ist vom Stuhl aufgesprungen. „Liebes Fräulein Ingeborg — beginnt er liebevoll, indem er seine Hand beschwichtigend auf ihr gesenktes Köpfchen legt — „Ihre Tante ist —" Er stockt. Wie, wenn dic Nachricht, die Tante sei nicht zu Hause, ihr gestörtes Gemüt noch mehr beunruhigte. Auch scheint sie ihn gar nicht zu hören oder wenigstens den Sinn seiner Worte nicht zu fassen. Die Halluzination, daß dic Tante auch heute an ihrem gewohnten Platz sitzt, beherrscht sie völlig. Mit flehender Gebärde will sie den Arm um Eriks Schulter schlingen und ihre Wange an dic seine schmiegen. Das Blut steigt Erik zu Kops. Wenn Inge borg auch momentan nicht als normal Empfin dende zu behandeln ist, so darf er doch niemals zugeben, daß sie unter dem Einfluß ihrer fixen Idee Handlungen begeht, die ihr, wenn sie da von Kenntnis erhielte, überaus peinlich sein müßten. Mit einer geschickten Bewegung entzieht er sich der Liebkosung. Rasch steht er auf und nähert sich der Tür, um eine Dienerin zu rufen. Doch voll Todesangst schreit Ingeborg aufs neue auf: „Tante! Tante! Bleib bei mir! Wohin willst Du? Ach, rufe nicht Herrn Niels! Ich will ihn nicht scheu, bevor ich Dir nicht alles gesagt habe —" Erik erschrickt. Welch neue fixe Idee bemäch tigt sich deS armen Mädchens ? Einige Augenblicke überlegt er . . . Soll er Ingeborg in diesem beängstigenden Zustande den Dienstboten überlassen? Das wäre feige und erbärmlich, und Fräulein Arnold sen würde es ihm nie verzeihen. Auch weiß er, I daß sein Einfluß auf Ingeborgs kranken Geist ein vortrefflicher ist — noch größer, als der Ein- s fluß der geliebten Tante. Zudem scheint sie sich jetzt auch zu be ruhigen. Mit halbverschlcierten Augen vor sich hinstarrend, ist sie in einen Sessel gesunken. Das krampfhafte Schluchzen löst fick, in sanfte Tränen. Erneute Zärtlichkeitsausbrüche, die nicht ihm, sondern der Tunte gelten, sind kaum mehr zu befürchten. (Fortsetzung folgt.) Zum Tode Professor Slabyr Mit Adolf Slaby, dem Freunde des Kaisers, ist der Miterfiudcr des deutschen Systems für drahtlose Telegraphie dahingegangen. Die Ent deckungen Marconis! baute er weiter aus, und er kann für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, daß er die Funkcntelegraphic, die von England monopolisiert zu werden drohte, auf eigene Füße gestellt und für Deutschland zurückerobert hat.